Gedanken zu Kohl

Sie spricht von einer eigens eingerichteten Bühne, vor der ein weiter Sicherheitskorridor sie vom Kontakt...

zum hand­ver­le­se­nen Publi­kum abschirmt. Alles CDU-Mit­glie­der, uni­for­miert mit lächer­li­chen oran­ge­nen Hüten. Ord­ner stel­len den Abstand sicher, schon das sicht­ba­re Poli­zei­auf­ge­bot umfaßt Hun­dert­schaf­ten. Auf dem Dach des Pfalz­baus las­sen sich demons­tra­tiv ein hal­bes Dut­zend Scharf­schüt­zen sehen.

Drum­her­um gas­tiert mit noch etwas wei­te­rem Abstand ein Kreis von Gegen­de­mons­tran­ten, auch eine Abord­nung der gera­de neu­ge­grün­de­ten Alter­na­ti­ve für Deutsch­land ist gekom­men, unter ihr der Autor die­ser Zeilen.

Schon damals reg­te der star­ke Kon­trast die­ser Kanz­ler­insze­nie­rung zum Ver­hal­ten eines Vor­gän­gers im Amt zu Betrach­tun­gen über den Lauf der Zei­ten an. Hel­mut Kohl gehör­te in Lud­wigs­ha­fen lan­ge Jah­re zum Stadt­bild. Er hat sich oft sehen las­sen, ganz ohne Bewa­chung. Noch wäh­rend sei­ner Kanz­ler­schaft habe ich ihn per­sön­lich nebst Ehe­frau auch auf einem Wald­spa­zier­gang auf dem Hei­del­ber­ger Phi­lo­so­phen­weg getrof­fen, ohne jedes noch so dis­kre­te Polizeiaufgebot.

Sagen sol­che Kon­tras­te auch etwas Poli­ti­sches aus? Nun, sie las­sen wohl jeden­falls etwas über die Selbst­si­cher­heit der Per­son erken­nen, auch man­ches über die all­ge­mei­ne Ver­än­de­rung der Sicher­heits­la­ge schon vor “2015”, vor allem aber viel über die selbst­emp­fun­de­ne Distanz der jet­zi­gen Poli­tik gegen­über dem Volk.

In die­sen Tagen sind unter dem Ein­druck des Todes von Kohl zahl­lo­se Bei­trä­ge über ihn erschie­nen. Die Reak­tio­nen aus sei­ner Par­tei, die ihn in den letz­ten Jah­ren seit der Par­tei­spen­den­af­fä­re kon­se­quent iso­liert hat­te, fie­len erwar­tungs­ge­mäß eben­so heuch­le­risch wie bigott aus.

Nach dem Able­ben wur­de er prompt wie­der der vom Man­tel der Geschich­te umweh­te “Kanz­ler der Ein­heit”, einer “der größ­ten Deut­schen” und der Vor­kämp­fer für die EU. Jeder will nun wie­der dabei sein, die Schlan­ge am eilends aus­ge­leg­ten Kon­do­lenz­buch wird lang und län­ger. Das gilt auch für das Estab­lish­ment in sei­nen aller­größ­ten Tei­len, ledig­lich von links wur­de wei­ter­hin etwas Kri­tik laut, die taz fand auf dem Titel­bild gar zu alter Geschmack­lo­sig­keit zurück.

Vie­le haben aber auch dar­an erin­nert, daß es eben Hel­mut Kohl war, der dem deut­schen Volk vie­le der Din­ge ein­ge­brockt hat, die nun an sei­ner Exis­tenz nagen. Dazu gehö­ren allen vor­an die Ver­trä­ge von Maas­tricht, die EU-Frei­zü­gig­keit und der Euro, um nur die sicht­bars­ten zu nen­nen. Aber auch die ers­te gro­ße Asyl- und Flücht­lings­wel­le wäh­rend des Bal­kan­kriegs, die von der EU nach heu­te gewohn­tem Mus­ter in Deutsch­land abge­la­den wur­de, fiel in die Zeit sei­ner Verantwortung.

Inner­halb kür­zes­ter Zeit wich die Auf­bruch­stim­mung nach den Jah­ren 1989/90 unter dem Ein­druck die­ser Din­ge denn schon bald dem zuerst nur etwas dunk­len Gefühl, es sei eine kata­stro­pha­le Fehl­ent­schei­dung gefal­len. Der “Anschwel­len­de Bocks­ge­sang” von Botho Strauß geriet dann im Febru­ar 1993 zum ers­ten intel­lek­tu­ell lau­ten Aus­druck die­ser Stim­mung, ables­bar an der repu­blik­wei­ten Reso­nanz eines an sich für jed­we­de popu­lä­re Reich­wei­te viel zu sper­ri­gen Essays, der aber genau den Punkt getrof­fen hatte.

Schwer zu bestim­men ist, wel­cher Teil die­ser Vor­gän­ge mit den Macht­mit­teln eines Bun­des­kanz­lers anders zu steu­ern gewe­sen wäre. Was das damals Anfang der 1990er bereits mas­sen­haft miß­brauch­te Asyl­recht anging, so raff­ten sich die Alt­par­tei­en unter Kohls Füh­rung tat­säch­lich auf und schaff­ten es in einem Auf­bäu­men des Selbst­er­hal­tungs­triebs fak­tisch ab. Das war es aber auch.

Die natio­na­le Dekon­struk­ti­on ging ansons­ten rapi­de vor­an, und Kohls “Real­po­li­tik” auf ande­ren Fel­dern steu­er­te exakt auf die jet­zi­ge Situa­ti­on einer EU des per­ma­nen­ten Rechts­bruchs hin. Für die deut­sche Repu­blik fand er kein ande­res Staats­ziel als deren bald­mög­lichs­te Auf­lö­sung in einer Euro­päi­schen Uni­on, und dies um einen hohen Preis. Hier müs­sen auch die Gren­zen his­to­ri­scher Aner­ken­nung gezo­gen wer­den, die zudem eng mit den Gren­zen der Per­son zusammenfallen.

Kohl manag­te die Ver­ei­ni­gung von BRD und DDR in kal­ku­lier­ten Tabu­brü­chen, Tele­fo­na­ten, lei­sen Ver­hand­lun­gen und Tref­fen im pri­va­ten Rah­men. Das konn­te er. Im Grun­de waren das kei­ne ande­ren Metho­den als jene, mit denen er innen­po­li­tisch agier­te. Den neu­ver­ein­ten Staat als sinn­vol­le Dau­er­lö­sung begrei­fen, das konn­te und woll­te er nicht. Wenn es über­haupt einen Kampf um die dafür nöti­ge “geis­tig-mora­li­sche” Erneue­rung Deutsch­lands gege­ben hat, dann hat­te die CDU ihn schon in den 1980ern ver­lo­ren, und Kohl war auch nie der­je­ni­ge, der für die­se Aus­ein­an­der­set­zung geschaf­fen gewe­sen wäre.

So stand denn Hel­mut Kohl als Kanz­ler im Ergeb­nis letzt­lich für vie­les, was heut­zu­ta­ge über alle Meta­po­li­tik hin­aus eine par­tei­po­li­ti­sche Alter­na­ti­ve für Deutsch­land so drin­gend nötig macht. (Von den abstru­sen Gen­der- und Homo-Expe­ri­men­ten ein­mal abge­se­hen, mit denen sich der­zeit die selbst­er­nann­te poli­ti­sche Avant­gar­de umtreibt und die zu Kohls Zei­ten noch gar nicht erfun­den waren.)

Trotz­dem zögert man intui­tiv, eine schar­fe Kri­tik an sei­ner Per­son zu for­mu­lie­ren. Das liegt ganz ein­fach dar­an, daß Kohls Den­ken trotz aller Fehl­leis­tun­gen und Begren­zun­gen auf eine ganz grund­sätz­lich-roman­ti­sche Wei­se dem Wohl des deut­schen Vol­kes ver­pflich­tet war. “Set­zen wir Deutsch­land in den Sat­tel, rei­ten wird es schon kön­nen”, so hat Bis­marck einst die Reichs­grün­dung kom­men­tiert. Ähn­lich stell­te sich Kohl nach 1990 den wei­te­ren Ver­lauf der Zei­ten für das Volk vor. Abga­be von Sou­ve­rä­ni­tät sei nach der Ver­ei­ni­gung bis zu einem gewis­sen Grad unver­meid­lich, aber inner­halb der EU wür­de man auch eine deut­sche Zukunft gestal­ten können.

Was Kohl aber an selbst­ver­ständ­li­chem Patrio­tis­mus für die­sen Gestal­tungs­wil­len vor­aus­setz­te, brach hin­ter ihm und unter ihm unauf­hör­lich zusam­men und wur­de inner­halb der bun­des­deut­schen Polit­kas­te nicht ersetzt. Ob er das in der Dimen­si­on voll­kom­men erfaßt hat, darf bezwei­felt wer­den. In gewis­ser Wei­se wirk­te er zuletzt aber, als sei ihm bewußt, aus der Zeit gefal­len zu sein; und wie gemel­det wird, woll­te er nach sei­nem Tod auch kei­nen bun­des­deut­schen Staats­akt für sich. Das kann als kon­se­quent bezeich­net werden.

Aus der Abga­be von deut­scher Sou­ve­rä­ni­tät zu Über­le­bens­zwe­cken haben sei­ne Nach­fol­ger jeden­falls in allen Alt­par­tei­en ein­schließ­lich der CDU die gesell­schaft­li­che Des­in­te­gra­ti­on und die Deutsch­land­ab­schaf­fung als Selbst­zweck wer­den las­sen. So sieht das aus im neu­en Wahl­jahr 2017, wo die­se Poli­tik sicher auf noch umfas­sen­de­ren Per­so­nen­schutz set­zen wird als 2013.

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Kommentare (22)

Ein gebürtiger Hesse

20. Juni 2017 11:22

Exzellenter Beitrag! Das Beste: Weitblickendste, Einsichtigste, was zu Kohl seit Freitag zu lesen war. SiN und Scheil vom Feinsten.

Der_Jürgen

20. Juni 2017 11:26

Zu Recht weist Scheil mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass die demographische Katastrophe, die über Deutschland hereingebrochen ist, keineswegs allein Merkel und ihrer Regierung angelastet werden kann. Diese hat die Umvolkung drastisch beschleunigt, aber die Grundlagen wurden schon weit früher geschaffen, und Kohl gehörte zu den Hauptverantwortlichen.

Die Wiedervereinigung war mitnichten Kohls Verdienst; sie wäre unter jedem beliebigen anderen Kanzler ebenso erfolgt, weil es nach der Maueröffnung keine realistische Alternative zu ihr gab.

Wie tief das Verhängnis unter Kohl bereits fortgeschritten war, erkennt man ja auch daran, dass Sieferles "Finis Germania" offenbar grösstenteils bereits in jenen Jahren entstand. Ein hellsichtiger Beobachterkonnte also schon damals erkennen, was gespielt wurde.

Für mich ist Scheils Kritik an Kohl noch zu mild. Möglicherweise hat nur die natürliche und lobenswerte Scheu, über einen eben Verstorbenen allzu hart herzuziehen, den Autor zum Verzicht auf wesentlich schärfere Formulierungen bewogen.

stimmviech

20. Juni 2017 11:48

Kohl sehe ich letztlich als Verräter an Deutschland.Die Einheit kam nur zustande durch seine Zusage der Selbstauflösung unseres Landes in die EU.Seine Weg-von-Motive dürften das Kriegstrauma mit dem Tod seines Bruders sein,kombiniert mit der-typisch deutsch-mythologischen Vision eines ewigen eurpäischen Friedens.Frau Merkel hat keine überpersönlichen Visionen,sie möchte nur Kanzlerin sein.Dazu dient sie sich den USA an(die haben genug Druckmittel gegen sie) und setzt über 100 Jahre alte angelsächsische,immer fortgeschriebene Pläne zur Destabilisierung Deutschlands um.Sie wird am Ende einen Altersruhesitz in den USA erhalten,ihr medialer Helfer Diekmann ist schon da.

Jedem pragmatisch orientierten jüngeren Deutschen kann ich diesen Weg auch nur empfehlen.Wer Hoffnungen auf eine deutsche Umkehr setzt,hängt Illusionen an,der größte Teil der Deutschen wurde erfolgreich umerzogen und merkt es nicht mal.Als älterer weißer Mann Ende 50 sehe ich mir den Untergang aus einer Brandenburger Kleinstadt an.Bis in die 30er wird das hier sehr deutsch bleiben,fast 100%der hiesigen Kinder sehen noch deutsch aus.Und das beste:trotz aller Bemühungen des Staats wollen die Migranten hier nicht hin,sondern in die Großstädte zu ihren Landsleuten und "Weidegründen",Touristen-Opfern und Drogenkunden.Und meine kulturelle Teilhabe läuft sowieso nur übers Internet,ich verpasse also nichts.

Der Gehenkte

20. Juni 2017 12:54

Kohl auf SiN? Ich hatte schon eine weitere Huldigung befürchtet - aber es stand ja immerhin Scheil drüber.

Trotzdem, Patriotismus als Leistung, das ist mir zu wenig, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Für mich als Ostdeutschen war Kohl nie eine interessante Figur, ich konnte mich nie mit ihm identifizieren und meine Landsleute, die ihm ausgerechnet in Dresden zu Füßen lagen, nicht verstehen.Da war er freilich auch nur Projektionsfläche.

Vor allem hat mich sein intellektuelles Niveau erschreckt - womit ich ihm vielleicht Unrecht tue? Wirkte er dümmer als er tatsächlich war? Daß er ein Hauptvertreter der Mediokratie und Nauseakratie war, dem das Parteidenken wichtiger wurde, als die Exzellenz und damit auch das Vaterland, das baden wir heute in Form der Kanzlerin aus und zahlen es teuer.

Natürlich konnte damals keiner wissen, was auf uns zukommen würde, aber eine Marionette zu installieren - die sich freilich machttaktisch selbst von den Stricken abgeschnitten hat - zeugt nicht vom Bewußtsein der Größe der Aufgabe. So hat das taz-Bildchen bei mir nur ein müdes, zynisches  Lächeln hervorgebracht.

Monika L.

20. Juni 2017 13:34

Danke für die verhalten kritische Würdigung. Er ist ja noch nicht unter der Erde.

Ich hatte ob des großen Lobes des ' Kanzlers der Einheit' in meiner Kiste " Fundstücke " gesucht und fand einen Beitrag der Jungen Freiheit, Nr. 49/13 vom 29. November 2013. Unter dem Titel ' Kompromißlos für die Einheit' werden Auszüge aus der Dankesrede von Karl Feldmeyer ( Gerhard-Löwenthal-Preisträger) gedruckt. ich zitiere Karl Feldmeyer:

"Kohl wollte die Wiedervereinigung nur im Zusammenhang mit der Überwindung der Teilung Europas in zwei feindliche Blöcke und das heißt praktisch nur unter der Voraussetzung, daß es keine totalitäre Sowjetunion mehr gäbe. Das heißt, er stellte Zusatzbedingungen für sein Einverständnis zu einer Wiedervereinigung, die praktisch auf einen Verzicht auf die Beendigung der Teilung hinausliefen...."

Und weiter: " Wir waren kaum mehr als ein gutes Dutzend, die im politischen Bonn bis zum Fall der Mauer kompromißlos für die Einheit eintraten. Daß die Mauer fiel, bewirkten nicht die Politiker, sondern zu ihrem Entsetzen das deutsche Volk, die Leipziger und die Berliner vor allem mit ihrem Ruf " Wir sind ein Volk". Als man im Bundeskanzleramt erfuhr, daß die Demonstranten in Leipzig "Wir sind ein Volk skandierten" reagierten die bei Kohl  Versammelten nach einer Schrecksekunde mit der Frage:" Sind das NPD-Leute von uns?" das sagt alles über die Geistesverfassung und Begeisterung, die man im Oktober 1989 im Bundeskanzleramt über die Ereignisse in der DDR empfand".

Die Geistesverfassung ist heute auch nicht besser. Justizminister Heiko Maas hölt die Freiheitskämpfer vom 17. Juni gar für Rassisten. Weil sie sich nicht gegen echte gesellschaftliche Mißstände wehren.... oder so ähnlich. Verwirrung der Gefühle auch heute: 

https://www.tagesspiegel.de/politik/aufmarsch-in-berlin-maas-verurteilt-demonstration-der-identitaeren-bewegung-am-17-juni/19945266.html

Wahrheitssucher

20. Juni 2017 16:18

@ Der_Jürgen

Es ist das erste Mal, daß ich Ihnen in einem Punkt der Vielzahl Ihrer hervorragenden Äußerungen auf SIN widersprechen will und kann, denn da irren Sie: Zur Wiedervereinigung "... sie wäre unter jedem beliebigen anderen Kanzler ebenso erfolgt..." Kohls damalige sozialdemokratische Gegenspieler, beide Ministerpräsidenten ihrer Bundesländer, der eine Kanzlerkandidat, der andere späterer Bundeskanzler, waren explizite Gegner einer Wiedervereinigung und haben das durch ihr Stimmverhalten zum Einigungsvertrag offen zum Ausdruck gebracht. Insofern ist es schon Kohls Verdienst, die Gelegenheit, als sie sich bot, auch innenpolitisch durchgesetzt zu haben. Ansonsten ad personam (wird von vielen Kommentatoren schon gar nicht mehr erwähnt): Ihm "verdanken" wir Frau Merkel... Und er dürfte selbst persönlich darunter auch gelitten haben...

Der_Jürgen

20. Juni 2017 17:25

@Wahrheitssucher

Was wäre denn die Alternative zur Wiedervereinigung gewesen, nachdem die Grenze geöffnet worden war? Die DDR wäre durch eine Massenabwanderung, die durch keinen "antifaschistischen Schutzwall" mehr verhindert wurde, sehr rasch ausgeblutet. An einer dermassen instabilen Lage konnte niemand interessiert sein. Ich erinnere mich, dass Willy Brand - den ich während seiner Kanzlerschaft ganz und gar nicht mochte, heute aber viel milder beurteile - auf seine späten Tage hin klar für die Wiedervereinigung eintrat; der Rest seiner Partei hätte keine andere Wahl gehabt, als ihm zu folgen.

Entscheidend war natürlich, dass die USA, im Gegensatz zu England und Frankreich, die Wiedervereinigung befürworteten. Sie wollten ihren EInflussbereich und die Nato ja nach Osten ausdehnen, und da wäre eine unabhängige und blockfreie DDR ein Störfaktor gewesen.

Es war ein katastrophaler Fehler der sowjetischen Führung (immer vorausgesetzt, Gorbatschow war kein Westagent, der sein Land zielbewusst zerstörte und folglich keine Fehler beging, sondern ein Programm ausführte), sein Ja zur Wiedervereinigung nicht von Anfang an mit der Forderung nach einer Neutralisierung Deutschlands nach österreichischem Muster verknüpft zu haben. Dies hätte eine Conditio sine qua non sein müssen. Selbstverständlich hätte Moskau auch die Polen, Tschechen und Ungarn nur unter der Bedingung in die Unabhängigkeit entlassen dürfen, dass sie sich zu permanenter Blockfreiheit verpflichteten und die Stationierung fremder Truppen auf ihrem Territorium verfassungsmässig verboten. Die neuen Regierungen dieser Staaten hätten anstandslos in diese Bedingung eingewilligt. Hatte ihre Neutralität den Österreichern etwa Nachteile gebracht? Im Gegenteil. 

Wenn es in Europa zum Dritten Weltkrieg kommt, können wir uns alle bei "Gorbi" bedanken, der es den USA und ihren Satelliten erlaubte, drei ehemalige Sowjetrepubliken zu übernehmen und ihre Raketen in ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts zu stationieren. "Wie kann man denn einem  Mann mit dem Kainsmal auf der Stirn die Geschicke des Landes anvertrauen?" munkelten viele Russen während der Perestroika besorgt. Ihre finsteren Ahnungen waren berechtigt.

Russland will keinen Krieg, aber wenn es den Eindruck bekommt, ein solcher werde unvermeidlich sein, wird es zuschlagen. "Dies hat mich die Strasse von Leningrad gelehrt: Wenn der Streit unvermeidlich ist, führe den ersten Schlag", sagte Putin einmal über seine Zeit als Halbwüchsiger.

Wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl war...

Wahrheitssucher

20. Juni 2017 18:27

@ Der_Jürgen

Haben wir nicht beide recht?

Nur der eine macht die Aussage im Indikativ (Wirklichkeitsform), der andere muß im Konjunktiv bleiben (Möglichkeitsform)...

Westpreuße

20. Juni 2017 20:19

@ Wahrheitssucher

Ich stimme Ihnen zu! Es gibt nichts dran zu deuteln: Die Wiedervereinigung der beiden Teile Restdeutschlands (unter endgültiger Preisgabe der Ostgebiete) verdanken wir Helmut KOHL und Michail GORBATSCHOW. Historische Fakten sollten anerkannt werden. Mögen wir mit den handelnden Personen ansonsten auch nicht immer einer Meinung sein bzw. diese Personen sogar als politische Gegner betrachten...

@ Der Jürgen

Ihre Kommentare sind mir schon immer aufgefallen als kluge Gedanken einerseits, Vermischung von Faktenlage und höchst eigenwilliger persönlicher Gedankenkonstruktionen und hanebüchenem Unsinn...im Sinne von verschwörerischem Halbwissen, ganz offensiv vorgetragen im Sinne einer maßregelnden Besserwisserei. Das haben Ihnen aber auch schon andere geschrieben. SIN ist ein seriöses Forum. Und SIN bietet einen weit gespannten Bogen der Meinungsfreiheit. Dafür bin ich ich sehr dankbar. Trotzdem bitte ich Sie (nicht: fordere ich Sie auf), doch einmal Fakten und Meinungen, Vermutungen usw. und so fort genauer zu trennen bzw. zu kennzeichnen. Anders gesagt: Ein bißchen demütiger werden! In Ihnen liegt eine großes Zutrauen, die eigene Meinung als maßgeblich zu betrachten...

Und wenn Sie nun sagen: Tun Sie das denn nicht? Ich denke: nein. "Was wäre denn die Alternative zur Wiedervereinigung gewesen, nachdem die Grenze geöffnet worden war?" So schreiben Sie. Und dann legen Sie los! Natürlich darf man die Frage der Alternative stellen. Warum nicht? Alles weiter von Ihnen Geschriebene ist aber doch Spekulation. Die Sie dann auch noch mit einem angeblichem PUTIN - Zitat aus frühester Jugend ex cathedra beenden...Meine Meinung (!): Die Wiedervereinigung wäre nicht gekommen bzw. so nicht gekommen, anders gekommen, was auch immer...: Ich weiß es doch nicht! Und Sie wollen es wissen...?

Ich habe immer gerne das nicht ganz genau belegte BISMARCK - Zitat vom wehenden Mantel der Geschichte gemocht; den Saum muß man erhaschen. Nichts ist da machbar. Es geht, eine eigentlich philosophisch-religiöse Kategorie, um den Kairos, den günstigen Zeitpunkt, um eine Gelegenheit zu ergreifen, die ansonsten unwiederbringlich entschwunden ist...Diesen Kairos hat Helmut KOHL erkannt. Und dafür bin ich ihm dankbar. Der Verlust der Ostgebiete schmerzt. Aber vielleicht werden Deutsche und Polen einmal einander brauchen. Darüber mag ich nicht spekulieren...

Das hier bei SIN doch sicherlich allseits bekannte BISMARCK - Zitat gibt es in verschiedenen Überlieferungen. Paul LIMAN schreibt in seiner Darstellung "Fürst Bismarck nach seiner Entlassung" (Berlin 1904) von verschiedenen Fassungen des Wortes. Die älteste Überlieferung bietet der Biograph Erich MARCKS in den "Biographischen Blättern" von 1895: "Bismarck selbst hat es ja oft abgelehnt, dass ein Staatsmann im Stande sei, die Geschichte zu machen: abzuwarten, aufzupassen, sie zu vollziehen sei die einzige Aufgabe (...) man kann nicht selber etwas schaffen; man kann nur abwarten , bis man den Schritt Gottes durch die Ereignisse hallen hört; dann vorzuspringen und den Zipfel seines Mantels zu fassen - das ist Alles."   Aber auch der Superintendent Max VORBERG berichtet ähnlich vom BISMARCK - Wort. Aber auch Arnold Oskar MEYER in seiner Schrift "Bismarcks Glaube". Schließlich sogar noch die Gräfin, Vorname mir nicht bekannt,  Wilhelm BISMARCK, die erzählt, daß BISMARCK, auf der Chaiselongue liegend, ihr vom Mantel der Geschichte erzählte....Wie auch immer: Meiner Meinung nach hat Helmut KOHL mutig und beherzt nach BISMARCKS Wort gehandelt. Dafür danke! Über alles andere, ihn betreffend, mag man streiten...: Patriotische Grüße von der Weichsel

Andrenio

20. Juni 2017 21:40

Schon vor der Ära Kohl schrieb der legendäre Herausgeber des Criticon ein Buch über die CDU und Kohl "Honoratiorendämmerung".

Dieses Buch war nicht nur genial, sondern auch prophetisch. Nur wollte niemand darauf hören, auch kein FJS.

Zadok Allen

21. Juni 2017 00:17

Mir fehlen in Herrn Scheils Würdigung ein wenig die "transatlantischen" Verbandelungen Kohls. Auch seiner Kanzlerschaft wird selbstverständlich die Teilnahme an der einen oder anderen Bilderberg-Konferenz vorangegangen sein.

Seine Leistung im Rahmen der Wiedervereinigung? Es pfeifen doch die Spatzen von den Dächern, daß dies ein (zu welchem Ende auch immer) zwischen den USA und der SU abgekartetes Spiel war, wie schon der verrückte Peter Hacks in einer in den 90er Jahren entstandenen Ode zutreffend bemerkt hat:

In dieser Hundewelt geht vieles ohne
Ideen, aber nichts ohne Spione.
Schuld, daß ich alles deutlich offenbare,
Schuld trug das KGB. Wohl zwanzig Jahre
Hat insgeheim mit Langley oder Harvard
Es über unsern Untergang palavert.

Die Sowjetmacht, sie schenkte uns das Leben.
Sie hat uns auch den Todesstoß gegeben.

Viel mehr als ein mediokrer Befehlsempfänger der Herren von jenseits des großen Wassers war Kohl zeitlebens doch nie. Was unter ihm an mitlerweile zerblasener Substanz noch bestand, glaubte "man" seinerzeit noch tolerieren zu müssen, da eine zu rasche Beseitigung Abwehrreaktionen der deutschstämmigen BRD-Insassen befürchten ließ - wohl zu Unrecht, wie sich inzwischen herausgestellt hat.

Henrik Linkerhand

21. Juni 2017 00:57

Die deutsche Wiedervereinigung oder besser der Anschluss der DDR an die alte Bundesrepublik war ein außenpolitischer Akt der beiden damaligen Supermächte; deutsche Politiker hatten daran keinen Anteil. Kohl fiel die Wiedervereinigung quasi in den Schoß und er musste dann nur den innenpolitischen Kleinkram organisieren. Das konnte er als gewiefter Provinzpolitiker ganz gut.

Am 09. 10. 89 kam es zur ultimativen Frage des Politbüros an die Besatzmacht: Wärt Ihr bereit, zusammen mit der NVA, die Konterrevolution niederzuschlagen? Zum Zeitpunkt der Frage hatte sich Moskau schon längst entschieden die DDR aufzugeben und sich dafür finanziell entschädigen zu lassen. Die Würfel waren gefallen. Der Mauerfall einen Monat später hat dann den Druck aus dem Kessel genommen. Alles weitere ist Geschichte. Beim 2+4 -und dem Einigungsvertrag haben sich die USA weiter ihr Besatzungsrecht von Kohl bestätigen lassen. Die Sowjetunion bekam 20 Milliarden DM Handgeld und die Zusicherung der USA, daß es keine Nato Osterweiterung geben wird. Der gutmütige, aber naive Gorbatschow hat "Das große Spiel" (Brzezinski ) nicht verstanden und sah sich schon im Vorsitz einer zukünftigen Weltregierung(!). Der unfreundliche Teil des Westens, Frankreich und GB wurden mit dem Euro und Maastricht beruhigt und zufriedengestellt. Die Angst Frankreichs und GB und die damit überzogenen Forderungen an das wiedervereinigte Deutschland, haben maßgeblich zur gegenwärtigen katastrophalen Lage der EU beigetragen. Der Fluch der bösen Tat lastet nun zweifach auf Europa; auch das neue Rußland leidet bis heute unter seinem schlechten Image bei den Osteuropäern. 

Um nochmal auf den völlig uninteressanten Kohl zurückzukommen: Innenpolitisch schon 1989 am Ende, konnte er mit seinem Ruhm als "Vater der Wiedervereinigung" noch zwei Bundestagswahlen gewinnen, um dann mit Größenwahn, verzerrter Wahrnehmung und Altersstarsinnigkeit sein nicht verdientes Erbe wieder zu verspielen. Der Anschluss der DDR wäre mit jedem westdeutschen Politiker genauso zustande gekommen, egal was Lafontaine, Schröder und Co damals gesagt haben. Die posthume Ehrung Kohns als großen Staatsmann und großen Europäer blabla vom Establishment sind zu erwarten.

Paracelsus

21. Juni 2017 02:30

Ich habe Kohls Politik seinerzeit fast durchgängig abgelehnt. Damals glaubte ich den Medien noch das meiste. Heute, nach Jahren des Erlebens, wie die suggestiv und manipulativ die Medien politische Prozesse darstellen, beginne ich mich zu fragen, auch anhand von Kohls Distanz zu ehemaligen Nachrichtenorganen wie dem SPIEGEL, wieviel Fake in der ganzen  Kohl-Mythologie eigentlich steckt. Anhaltspunkte sind u.a. Willy Wimmer, der seit Jahren und auch jetzt kürzlich wieder seine Einschätzung kundtut, mit Kohl hätte es die erste Angriffskriesgbeteiligung Deutschlands 1999 gegen Jugoslawien nicht gegeben. Wenn ich mich recht erinnere, hat aus demselben Umfeld ein ehem. Bundeswehroffizier berichtet von US-Seite seien gezielt Schröder/Fischer im Wahlkampf 1998 unterstützt worden, weil man mit ihnen diesen Krieg einfacher würde führen können. In jedem Fall bekommt Kohl aus heutiger Sicht, d.h. durch das pappenmenschliche Agieren der Kanzlerin geblickt, eine gewisse nostalgische Aura, weil er immerhin menschlich greifbar war, für das einstand, was er meinte, und nicht nur Sprechblasen erzeugte. - Die Kanzler nach Kohl zeugten jedenfalls davon, dass es nach ihm noch bergab gehen konnte; so (geistig) tief kann er also nicht gestanden haben. Selbst der Ausverkauf Deutschlands an eine EU/Maastricht soll auf dem Hintergrund von westlichen Drohungen, man stünde ohne dies wieder in einem Jahr 1913, geschehen sein, weshalb Kohls Sprechen vom Friedensprojekt Europa nicht nur Rhetorik gewesen sein soll. - Ich bin hier nur Kommentator, Herr Schweizer Hausmeister, weshalb ich mir diesen Stil der unbelegten Zitate erlauben darf.

Der Feinsinnige

21. Juni 2017 02:50

Nein, die Wiedervereinigung wäre insbesondere mit einem Oskar Lafontaine (oder einem Lothar Späth!) so nicht zustande gekommen. Beide forderten damals, im Herbst 1989, wenn ich mich richtig erinnere, die Anerkennung der „DDR-Staatsbürgerschaft“! Helmut Kohl hat in genau dieser Zeit (wie insbesondere auch Willy Brandt) immerhin die historische Dimension der Ereignisse begriffen und danach gehandelt – auch später bei der (historisch gesehen völlig selbstverständlichen) Entscheidung für Berlin als Hauptstadt, die peinlich knapp ausfiel. Soviel zum Positiven.

Kohl hat gut zwei Monate nach der offiziellen Wiedervereinigung im Dezember 1990 auf dem EG-Gipfel in Rom der Einführung einer „europäischen Währung“ zugestimmt (unvergessen „Le Figaro“: „Versailler Vertrag - nur ohne Krieg“). Nach außen kommunizierte Kohl, daß er von dieser Entscheidung überzeugt war, ja daß es geradezu eine Erfüllung seines europäischen Traums war. Später räumte er hinter vorgehaltener Hand, aber doch recht offen ein, daß er diese Entscheidung „gegen deutsche Interessen“ getroffen habe, als Gegenleistung für die Wiedervereinigung. Meine persönliche Abwendung von Kohl und der CDU begann genau mit diesem EU-Gipfel im Dezember 1990. Die Schlagzeile der BILD-Zeitung (damals morgens beim Bäcker ausliegend) am Tag danach lautete (zumindest in etwa): „Sie wollen uns die D-Mark nehmen!“. Kohl soll danach bei Springer interveniert haben – erfolgreich.

Auf Wunsch Kohls wird kein Staatsakt der Bundesrepublik Deutschland für ihn stattfinden. Das ist von Helmut Kohl erstaunlich konsequent vorausgeplant. Nun wird in den Geschichtsbüchern für immer offensichtlich sein: Kohl war der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, der – noch dazu auf eigenen Wunsch! - keinen Staatsakt dieses Staates und damit dieses Landes gewollt und bekommen hat. So zeigt sich: Helmut Kohl ist, obwohl er die Einheit Restdeutschlands so maßgeblich mit herbeigeführt hat, durch seine Europapolitik gleichzeitig zum wahren und eigentlichen Totengräber dieses Staates und dieses Landes geworden. Der Wunsch Helmut Kohls ist aus meiner Sicht geradezu erschütternd.

RMH

21. Juni 2017 09:23

@Der Westpreuße,

"SIN ist ein seriöses Forum. Und SIN bietet einen weit gespannten Bogen der Meinungsfreiheit."

Wir, die normalen Leser, kennen alle nicht die Beiträge von @Der_Jürgen und all den anderen, die hier gar nicht erst frei geschaltet werden. Denn so weit ist der Bogen offenbar nicht gespannt, denn auch sachlich vorgetragenes, was nicht in die große weite Linie, den "Wurf" dieses Blattes/dieser Seiten aus Sicht der Verantwortlichen passt, wird einfach nicht mehr frei geschaltet (früher wurden ja zumindest nur mal einzelne Sätze entfernt, aber in letzter Zeit wird einfach der ganze Beitrag nicht mehr frei geschaltet  - basta).

Im Übrigen haben Sie vollkommen Recht, was wäre wenn, kann sich niemand sicher sein und ich teile ihren Standpunkt, dass H. Kohl und seine Administration (H.K. war es ja nicht alleine) zumindest in dieser Phase der Geschichte auf Zack waren und den von anderen als Elfmeter hingelegten Ball ohne großes Zögern und Zaudern ins Tor geschossen haben (bei anderen wäre aus meiner Sicht die Gefaht tatsächlich vorhanden gewesen, dass sie das "Ding nicht rein gemacht" hätten).

Der_Jürgen

21. Juni 2017 11:09

@RMH

Von mir wird ca. jede zehnte Wortmeldung nicht freigeschaltet. Manchmal muss ich den Hausherren, deren souveränes Recht ausserhalb jeder Diskussion steht, dann recht geben, weil der betreffende Text zu schluddrig formuliert war oder mit dem Thema nichts zu tun hatte. Ab und zu wird ein Kommentar von mir gekürzt; dies liegt meist daran, dass die gestrichenen Stellen etwas enthalten, was für die Hausherren negative Folgen haben könnte. Hundertprozentiges Verständnis dafür. Wem wäre gedient, wenn dieses Forum blockiert würde, weil der X oder der Y darauf das und das geschrieben hat?

@Westpreusse

Da @Zadok Allen und @Henrik Linkerhand Ihnen bereits indirekt geantwortet haben, halte ich eine direkte Antwort auf Ihre Kritik an meinen Bemerkungen zu Kohl und der Wiedervereinigung nicht mehr für nötig. Hier ein anderer Punkt: Wer mit dem Ausdruck "Verschwörungstheorie" operiert, begibt sich auf das Niveau eines "Bild"-Journalisten, der immer, wenn irgendwo ein unabhängiger Gedanke laut wird, "Verschwörungstheorien, Verschwörungstheorien" plärrt. 

Und ich operiere nicht "ex cathedra" mit einem "angeblichen Putin-Zitat aus früher Jugend", sondern zitiere, was Putin vor nicht langer Zeit bei einer Pressekonferenz gesagt hat. Wenn Sie es wünschen, suche ich es für Sie im Netz heraus.

Der_Jürgen

21. Juni 2017 11:29

@Westpreusse

Ergänzung zu meiner ersten Antwort an Sie:

Ihrer allfälligen Reaktion vorausgreifend, habe ich das "angebliche Putin-Zitat aus früher Jugend" im Netz gesucht und wurde innerhalb von Sekunden fündig.

https://www.youtube.com/watch?v=z_RgaOvgpSY

"Schon vor 50Jahren hat mich die Leningrader Strasse eine Regel gelehrt: Wenn die Keilerei unvermeidlich ist, muss man als erster zuschlagen." Der sichtlich noch in früher Jugend stehende Putin sagte dies zwar im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus, aber die Regeln der Leningrader Strasse gelten überall. Ausser in Westpreussen vielleicht.

Gustav Grambauer

21. Juni 2017 11:40

Henrik Linkerhand

Etwa wie Sie hätte ich Kohl auch charakterisiert, auch in Anbetracht Ihrer delikaten Feinheiten und Spitzen, von denen mir nur das "n" zu weit geht (die Beweise ausgehend von Jakov Lind dafür sind zu dünn, sogar Metapedia ist inzwischen dazu auf Abstand gegangen), auch wenn K. Erz-Zionist war wie u. a. die ungewöhnlich langen Listen seiner Ehrungen von dorther belegen. Bei aller diesbezüglich gegebener deutsch-zionistischer Ambivalenz ("Adolf Hitler - Begründer Israels") versteht man seine Herkunft vielmehr am besten, wenn man weiß, daß Kohl - als Deutscher - vom Stall der IG Farben politisch geformt wurde. Die Verwendung des IG-Farben-Gebäudes nach 1945 mag ein Symbol für die Einhegung dieses Machtblocks sein, nachdem dieser in den 20er Jahren die Absprachen zur Aufteilung der Welt zwischen dem (globalen) Pharma-Öl-Kartell und dem Banken-Kartell mit der Finanzierung der Nazis einseitig durchbrochen hatte. Eiskalt daher, und nicht aus zivilreligiös-verschwurbelten Gründen, der Schuldstolz von Kohl!

Die Formel für Kohls Rolle bei der, sagen wir so: Anpassung der Ordnung von Jalta an die Schwächung Rußlands hat er selbst gegeben: er habe "den Hauch des Wehens des Mantels der Geschichte verspürt und ergriffen" (oder so ähnlich ...). Leider war dieser Hauch nicht so stark wie von ihm angenommen und wehte auch nur wieder vom Atlantik her: wenn man bei Kohl schon nicht das Positive vornan stellen kann, so sei bei der Würdigung des Toten sein mißlungener Versuch eines Husarenritts aus dem transatlantischen Korsett heraus in die Neue Seidenstraße hinein (damals noch: in das "Produktive Dreieck" hinein) am 28. November 1989 immerhin erwähnt:

https://www.bueso.de/node/9155

Schröder ist heute, und zwar auf Basis der Rußland-Achse, das Alphatier der SPD - aber damals war er nur der (fabianistische) Kläffer des in hohem Maße britisch getrimmten Niedersachsen-Sumpfes. Lafontaine war damals in seinen Denkmustern noch allzusehr französisch inspiriert, in dem Sinne, daß auch er Deutschland so geliebt hat, daß er froh war, daß es gleich zwei davon gab - aber auch der hat mittlerweile sehr dazugelernt.

Es ist nicht bekannt, daß Kohl auch nur das Geringste gegen die Feindstaatenklauseln der UN-Charta unternommen oder auch nur angeregt hätte. Belgien ist ein Kunstgebilde, das nur aus der Not der Briten um ein militärisches Aufmarschgebiet gegen Deutschland auf dem Kontinent erschaffen wurde. Wenn es stimmt, daß die Vermeidung eines Staatsakts auf deutschem Boden und stattdessen dessen Stattfinden in der belgischen Hauptstadt auf Kohls eigenen Wunsch zurückgehen, dann wissen wir, wessen Geistes Kind und Diener wessen Herren er auch noch bis zuletzt war.

Zumal damals noch eine gewisse Compilance mit dem Impetus des deutschen Volkes berücksichtigt werden mußte war der Rest Show auf Bild-Zeitungs-Niveau (oder meinetwegen Rheinischer-Merkur-Niveau), wobei v. Bülow gerade süffisant ausgeplaudert hat, daß der Wahrheitsgehalt der Lügenpresse von geheimdienstlicher Seite auf unter 10 % eingeschätzt wird - und der wird angesichts des völligen Fehlens einer Gegenöffentlichkeit damals sogar noch viel niedriger gewesen sein.

- G. G.

Zadok Allen

21. Juni 2017 14:39

Es gilt überdies, sofern mir der Nachtrag gestattet ist, die historische Tragik der Wiedervereinigung in den Blick zu bekommen. Denn heute erweist sich ja, daß die von @Der Feinsinnige oben angesprochenen Alternativmodelle (Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft, "Konföderation" usw.) der bösen Absicht ihrer Urheber zum Trotz auf so etwas wie eine Bestandserhaltungsgarantie unseres Volkes in einer reformierten DDR hinausgelaufen wären.

Diese DDR gehörte heute, so darf man vermuten, zur Gruppe der Višehrad-Staaten. Infolge ihrer relativen wirtschaftlichen Schwäche hätte sie schon in den 90ern wenig Einwanderer angezogen, "Asylbewerber" wären in ihr nicht in nennenswerter Anzahl geparkt worden. Die PEGIDA-Forderungen wären heute wohl ihre Regierungspolitik.

Ich glaube nicht, daß "der Westen" primär unter diesen Gesichtspunkten der Wiedervereinigung zugestimmt hat. Daß man aber Risiken sah, zeigt die radikale Abräumung der DDR-Opposition, die Besetzung aller Schaltstellen mit strammen Parteileuten der 2.-4. Garnitur sowie die bewußt und gezielt destruktive Wirtschaftspolitik (wer etwas anderes wollte, konnte an den Fällen Herrhausen und Rohwedder lernen, worauf er sich einließe).

Heinrich Brück

21. Juni 2017 14:41

Auf dem Flohmarkt die drei Erinnerungsbände Kohls zu je einem Euro gekauft; angefangen zu lesen, mit Bismarck nicht vergleichbar, bis im Überschwang der Darbietung "Freiheit und das Streben nach Glück (Pursuit of Happiness)" die Bücher ins Regal wanderten. Als die Wiedervereinigung kam, war Kohl Kanzler. Der Mantel der Geschichte hätte uns eine Deutsche Verfassung beschert, und nicht ein Zitat aus Amiland. Wäre die Konstellation eine andere gewesen, die Souverenität wäre keine andere gewesen. Als die volksdeutschen Aussiedler nach Deutschland wollten, war Kohl einverstanden. Lafontaine und SPD-Anhang haben sich in dieser Angelegenheit eher nicht mit Ruhm bekleckert. Wahlkampf für das Volk. Kohl hätte in seinen Memoiren eine Chance gehabt, die leider nicht genutzt wurde. Kein Staatsakt der brd, spricht eigentlich für Kohl. Wozu eine weitere Lüge? Welcher Staat?

Wahrheitssucher

21. Juni 2017 15:04

@ Westpreuße

Zustimmung zum Großteil Ihrer Äußerungen, aber schärfste Ablehnung Ihrer Kritik am Kommentator Der_Jürgen: Die wohlfeile Qualifizierung seiner Beiträge als "verschwörerisches Halbwissen, ganz offensiv vorgetragen im Sinne einer maßregelnden Besserwisserei" geht schon einmal voll daneben. Und wäre es wirklich so verkehrt, den Eindruck zu hinterlassen, "die eigene Meinung als maßgeblich zu betrachten..."? Sind wir nicht alle (offenbar mit Ihrer Ausnahme) mehr oder weniger überzeugt und durchdrungen, von dem, was wir so von uns geben? Und wenn wir es nicht wären, sollten wir dann nicht besser schweigen? Denn dann hätten wir ja eigentlich nichts zu sagen...

Wahrheitssucher

21. Juni 2017 15:25

@ Henrik Linkerhand

Monokausalität verbietet sich in den allermeisten Fällen. Und selbst wenn Sie mit Ihren Ausführungen für sich genommen recht haben, ist die DDR nicht ursächlich zuerst von innen zusammengebrochen (wie Sie mit dem Begriff der Konterrevolution auch indirekt zugeben)? Die Montagsdemonstrationen, die Flüchtlingsbewegungen vor dem Mauerfall haben doch, neben der wirtschaftlichen Entwicklung, der Welt die Abstrusität der deutschen Teilung vor Augen geführt und erst dann alles ins Rollen gebracht! Keine Erwähnung wert?

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