Es gibt sie wirklich: Diejenigen Softwareentwickler, die die ihnen zur Verfügung stehende Technologie nutzen, um echte Kunstwerke zu schaffen. Dabei verlaufen die Grenzen zwischen Wirtschaftlichkeit, Unterhaltungsfaktor und ästhetischem Anspruch fließend – im Gegensatz zu beispielsweise einem Gedicht, oder einem Gemälde wird kaum ein Entwickler ein Spiel nur um seiner selbst Willen produzieren. Und doch gibt es in der großen Masse der inzwischen nur noch wenige Klicks entfernten Zeitvertreiber immer wieder ein paar Juwelen, die über ihren bloß virtuellen Horizont hinausweisen, auf die eine, oder andere Weise in die Gesellschaft wirken und ihren kleinen Teil dazu beitragen, die Geschichte unserer europäischen Völkerfamilie wachzuhalten.
Zuviel Pathos? Eigentlich alles Zeitverschwendung? Lieber mal ein Buch lesen? Nehme ich alles so hin, hat auch seine Berechtigung. Wer sich tagein tagaus in die immer umfänglicher werdenden Ersatzrealitäten auf dem Bildschirm flüchtet, läuft Gefahr das Eigentliche zu vernachlässigen, sich darauf auszuruhen in einem Spiel die Welt zu retten, obwohl direkt vor der Haustür genug Endgegner warten. Allerdings: Wer stattdessen zum fünften Mal seinen Carl Schmitt durcharbeitet und dann abends bei Rotwein und zugezogenen Vorhängen einen Stummfilmmarathon einlegt, tut vielleicht seinen grauen Zellen und seinem Gemüt etwas Gutes, ist aber in letzter Instanz auch nur unwesentlich weniger egoistisch, als der oben genannte Spieler.
Virtuelle Realitäten sind ein Medium unserer Zeit und werden so selbstverständlich gleichsam kreativ, als auch manipulativ genutzt. Parallel zur gleichförmigen Erziehung an staatlichen Bildungseinrichtungen dienen Computerspiele zunehmend als Plattformen eines emotional engineering, sei es, wenn man in einem Egoshooter endlich Hitler töten darf, oder, wenn der Hauptgegner in einem kommenden Spiel eine radikale christliche Sekte ist, die ein dystopisches Hillbilly-Amerika terrorisiert. Politische und historische Appelle werden dabei mit Aspekten der virtuellen Realität verknüpft, der Spieler soll möglichst tief in das Geschehen eintauchen, da bleiben Auswirkungen im jeweiligen Innenleben nicht aus.
Ich habe in einem vorangegangenen Artikel bereits beschrieben, dass die „Gaming-Community“ aufgrund ihrer Ursprünge, die nun gerade nicht in der Mitte der Gesellschaft liegen, sondern irgendwo an den sonderbaren Rändern derselben, wenigstens teilweise ein paar gesunde Immunreaktionen im Ringen mit dem politisch-korrekten Zeitgeist aufrechterhalten hat, und so gibt es immer wieder Entwicker, die versuchen, sich den tagespolitischen Anforderungen an ihre Werke zu entziehen und eigene Wege zu gehen. Dabei haben, wie in letzter Zeit so häufig, vor Allem slawische Entwicklerteams die Nase vorn. Ein konkretes Beispiel, das in den letzten Wochen auch über die Grenzen szeneinterner Medien hinaus Wellen schlug, ist das tschechische Studio Warhorse und ihr im Februar erscheinendes Rollenspiel Kingdom Come: Deliverance. Im Gegensatz zu den üblicherweise in Rollenspielen erkundbaren Fantasiereichen, soll selbiges das Böhmen des frühen 15. Jahrhunderts abbilden und das – durchaus unüblich – möglichst geschichts- und detailgetreu. Das geht soweit, dass historisch recherchierbare Familiennamen in das Spiel übernommen wurden, auch die Art und Weise wie im Spielgeschehen Kämpfe ausgetragen werden, gilt als verhältnismäßig realistisch.
Nun hat das mittelalterliche Böhmen aber ein paar Eigenschaften an sich, die bei so manchem Moralapostel arges Stirnrunzeln hervorzurufen geeignet sind: Das fängt schon bei der erschreckend ethnisch homogenen Bevölkerungszusammensetzung stand, die sich entsprechend in der Spielgestaltung niederschlägt. Zwar werden regionale ethnokulturelle Eigenheiten berücksichtigt und auch Bevölkerungsminderheiten haben es in historisch korrektem Ausmaß in die Spielwelt geschafft, aber die Menge an nichtweißen Charakteren ist offensichtlich einigen Menschen ein Dorn im Auge. Doch damit nicht genug: Bereits im Rahmen der sogenannten „Gamergate-Debatte“, dem politischen Erwachen der Computerspiel-Szene, wenn man so will, hatte sich der Chef des Studios, Daniel Vávra recht deutlich gegen den überbordenden Fanatismus gutmenschlicher Sittenwächter gestellt und die kreative Selbstbestimmtheit der Entwickler verteidigt. Im Rahmen der Debatten um die mangelnde ethnische Diversität des von ihm mitentwickelten Spieles blieb er daher auch standhaft und verwies recht deutlich auf historische Quellen zur tatsächlichen Zusammensetzung der damaligen böhmischen Bevölkerung. Inzwischen hat er sich zwar öffentlichkeitswirksam entschuldigt, allerdings nicht inhaltlich sondern vornehmlich für seine forsche Art und so bleibt zu hoffen, dass sein ambitioniertes Projekt auch die letzten Meter bis zur Veröffentlichung ohne politisch-korrekte Zugeständnisse überlebt; schließlich gehört es szeneintern zu den am meisten erwarteten Erscheinungen des Jahres.
Denjenigen, die sich für diesen Zweig postmoderner Kultur begeistern können, sei der Titel daher vorab schon wärmstens ans Herz gelegt; die Leser, die das alles für Zeitverschwendung halten, können sich vielleicht wenigstens an den im Spiel detailreich und aufwendig gestalteten böhmischen Kulturlandschaften freuen. Fest steht: Wir alle müssen schauen, wie wir das effektiv weitergeben, was uns von den uns Vorangegangenen anvertraut wurde, ohne das eigentlich Zeitlose daran versanden zu lassen, aber auch ohne einen vergangenen Stil bloß zu konservieren. Vielleicht kann dieses Projekt einen Beitrag dazu leisten.
KlausD.
"... im Spiel detailreich und aufwendig gestalteten böhmischen Kulturlandschaften freuen ... schauen, wie wir das effektiv weitergeben, was uns von den uns Vorangegangenen anvertraut wurde ..."
Genau, sehr gut! Und wer die böhmische Geschichte und Kulturlandschaft nicht nur spielerisch am Computer kennenlernen möchte, dem sei sie in natura empfohlen. Und zwar in Gestalt des wunderschönen Städtchens Böhmisch Krummau (UNESCO Welterbe), Perle des Böhmerwaldes, umschlängelt von der Moldau, bekrönt von einem mächtigen Schloß, Wirkungsstätte des österreichischen Malers Egon Schiele (Ausstellung im Art Centrum) ... Krummau - ein böhmisches Gesamtkunstwerk!
https://www.krummau.de/html/unesco-stadt.html