Sonntagsheld (46) – Böhmen bleibt Böhmen…

…und Kunst bleibt Kunst.

Es gibt sie wirk­lich: Die­je­ni­gen Soft­ware­ent­wick­ler, die die ihnen zur Ver­fü­gung ste­hen­de Tech­no­lo­gie nut­zen, um ech­te Kunst­wer­ke zu schaf­fen. Dabei ver­lau­fen die Gren­zen zwi­schen Wirt­schaft­lich­keit, Unter­hal­tungs­fak­tor und ästhe­ti­schem Anspruch flie­ßend – im Gegen­satz zu bei­spiels­wei­se einem Gedicht, oder einem Gemäl­de wird kaum ein Ent­wick­ler ein Spiel nur um sei­ner selbst Wil­len pro­du­zie­ren. Und doch gibt es in der gro­ßen Mas­se der inzwi­schen nur noch weni­ge Klicks ent­fern­ten Zeit­ver­trei­ber immer wie­der ein paar Juwe­len, die über ihren bloß vir­tu­el­len  Hori­zont hin­aus­wei­sen, auf die eine, oder ande­re Wei­se in die Gesell­schaft wir­ken und ihren klei­nen Teil dazu bei­tra­gen, die Geschich­te unse­rer euro­päi­schen Völ­ker­fa­mi­lie wachzuhalten.

Zuviel Pathos? Eigent­lich alles Zeit­ver­schwen­dung? Lie­ber mal ein Buch lesen? Neh­me ich alles so hin, hat auch sei­ne Berech­ti­gung. Wer sich tag­ein tag­aus in die immer umfäng­li­cher wer­den­den Ersatz­rea­li­tä­ten auf dem Bild­schirm flüch­tet, läuft Gefahr das Eigent­li­che zu ver­nach­läs­si­gen, sich dar­auf aus­zu­ru­hen in einem Spiel die Welt zu ret­ten, obwohl direkt vor der Haus­tür genug End­geg­ner war­ten. Aller­dings: Wer statt­des­sen zum fünf­ten Mal sei­nen Carl Schmitt durch­ar­bei­tet und dann abends bei Rot­wein und zuge­zo­ge­nen Vor­hän­gen einen Stumm­film­ma­ra­thon ein­legt, tut viel­leicht sei­nen grau­en Zel­len und sei­nem Gemüt etwas Gutes, ist aber in letz­ter Instanz auch nur unwe­sent­lich weni­ger ego­is­tisch, als der oben genann­te Spieler.
Vir­tu­el­le Rea­li­tä­ten sind ein Medi­um unse­rer Zeit und wer­den so selbst­ver­ständ­lich gleich­sam krea­tiv, als auch mani­pu­la­tiv genutzt. Par­al­lel zur gleich­för­mi­gen Erzie­hung an staat­li­chen Bil­dungs­ein­rich­tun­gen die­nen Com­pu­ter­spie­le zuneh­mend als Platt­for­men eines emo­tio­nal engi­nee­ring, sei es, wenn man in einem Ego­shoo­ter end­lich Hit­ler töten darf, oder, wenn der Haupt­geg­ner in einem kom­men­den Spiel eine radi­ka­le christ­li­che Sek­te ist, die ein dys­to­pi­sches Hill­bil­ly-Ame­ri­ka ter­ro­ri­siert. Poli­ti­sche und his­to­ri­sche Appel­le wer­den dabei mit Aspek­ten der vir­tu­el­len Rea­li­tät ver­knüpft, der Spie­ler soll mög­lichst tief in das Gesche­hen ein­tau­chen, da blei­ben Aus­wir­kun­gen im jewei­li­gen Innen­le­ben nicht aus.

Ich habe in einem vor­an­ge­gan­ge­nen Arti­kel bereits beschrie­ben, dass die „Gam­ing-Com­mu­ni­ty“ auf­grund ihrer Ursprün­ge, die nun gera­de nicht in der Mit­te der Gesell­schaft lie­gen, son­dern irgend­wo an den son­der­ba­ren Rän­dern der­sel­ben, wenigs­tens teil­wei­se ein paar gesun­de Immun­re­ak­tio­nen im Rin­gen mit dem poli­tisch-kor­rek­ten Zeit­geist auf­recht­erhal­ten hat, und so gibt es immer wie­der Ent­wi­cker, die ver­su­chen, sich den tages­po­li­ti­schen Anfor­de­run­gen an ihre Wer­ke zu ent­zie­hen und eige­ne Wege zu gehen. Dabei haben, wie in letz­ter Zeit so häu­fig, vor Allem sla­wi­sche Ent­wick­ler­teams die Nase vorn. Ein kon­kre­tes Bei­spiel, das in den letz­ten Wochen auch über die Gren­zen sze­nein­ter­ner Medi­en hin­aus Wel­len schlug, ist das tsche­chi­sche Stu­dio War­hor­se und ihr im Febru­ar erschei­nen­des Rol­len­spiel King­dom Come: Deli­ver­ance. Im Gegen­satz zu den übli­cher­wei­se in Rol­len­spie­len erkund­ba­ren Fan­ta­sie­rei­chen, soll sel­bi­ges das Böh­men des frü­hen 15. Jahr­hun­derts abbil­den und das – durch­aus unüb­lich – mög­lichst geschichts- und detail­ge­treu. Das geht soweit, dass his­to­risch recher­chier­ba­re Fami­li­en­na­men in das Spiel über­nom­men wur­den, auch die Art und Wei­se wie im Spiel­ge­sche­hen Kämp­fe aus­ge­tra­gen wer­den, gilt als ver­hält­nis­mä­ßig realistisch.

 

Nun hat das mit­tel­al­ter­li­che Böh­men aber ein paar Eigen­schaf­ten an sich, die bei so man­chem Moral­apos­tel arges Stirn­run­zeln her­vor­zu­ru­fen geeig­net sind: Das fängt schon bei der erschre­ckend eth­nisch homo­ge­nen Bevöl­ke­rungs­zu­sam­men­set­zung stand, die sich ent­spre­chend in der Spiel­ge­stal­tung nie­der­schlägt. Zwar wer­den regio­na­le eth­no­kul­tu­rel­le Eigen­hei­ten berück­sich­tigt und auch Bevöl­ke­rungs­min­der­hei­ten haben es in his­to­risch kor­rek­tem Aus­maß in die Spiel­welt geschafft, aber die Men­ge an nicht­wei­ßen Cha­rak­te­ren ist offen­sicht­lich eini­gen Men­schen ein Dorn im Auge. Doch damit nicht genug: Bereits im Rah­men der soge­nann­ten „Gamer­ga­te-Debat­te“, dem poli­ti­schen Erwa­chen der Com­pu­ter­spiel-Sze­ne, wenn man so will, hat­te sich der Chef des Stu­di­os, Dani­el Váv­ra recht deut­lich gegen den über­bor­den­den Fana­tis­mus gut­mensch­li­cher Sit­ten­wäch­ter gestellt und die krea­ti­ve Selbst­be­stimmt­heit der Ent­wick­ler ver­tei­digt. Im Rah­men der Debat­ten um die man­geln­de eth­ni­sche Diver­si­tät des von ihm mit­ent­wi­ckel­ten Spie­les blieb er daher auch stand­haft und ver­wies recht deut­lich auf his­to­ri­sche Quel­len zur tat­säch­li­chen Zusam­men­set­zung der dama­li­gen böh­mi­schen Bevöl­ke­rung. Inzwi­schen hat er sich zwar öffent­lich­keits­wirk­sam ent­schul­digt, aller­dings nicht inhalt­lich son­dern vor­nehm­lich für sei­ne for­sche Art und so bleibt zu hof­fen, dass sein ambi­tio­nier­tes Pro­jekt auch die letz­ten Meter bis zur Ver­öf­fent­li­chung ohne poli­tisch-kor­rek­te Zuge­ständ­nis­se über­lebt; schließ­lich gehört es sze­nein­tern zu den am meis­ten erwar­te­ten Erschei­nun­gen des Jahres.

Den­je­ni­gen, die sich für die­sen Zweig post­mo­der­ner Kul­tur begeis­tern kön­nen, sei der Titel daher vor­ab schon wärms­tens ans Herz gelegt; die Leser, die das alles für Zeit­ver­schwen­dung hal­ten, kön­nen sich viel­leicht wenigs­tens an den im Spiel detail­reich und auf­wen­dig gestal­te­ten böh­mi­schen Kul­tur­land­schaf­ten freu­en. Fest steht: Wir alle müs­sen schau­en, wie wir das effek­tiv wei­ter­ge­ben, was uns von den uns Vor­an­ge­gan­ge­nen anver­traut wur­de, ohne das eigent­lich Zeit­lo­se dar­an ver­san­den zu las­sen, aber auch ohne einen ver­gan­ge­nen Stil bloß zu kon­ser­vie­ren. Viel­leicht kann die­ses Pro­jekt einen Bei­trag dazu leisten.

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Kommentare (5)

KlausD.

28. Januar 2018 17:34

"... im Spiel detailreich und aufwendig gestalteten böhmischen Kulturlandschaften freuen ... schauen, wie wir das effektiv weitergeben, was uns von den uns Vorangegangenen anvertraut wurde ..."

Genau, sehr gut! Und wer die böhmische Geschichte und Kulturlandschaft nicht nur spielerisch am Computer kennenlernen möchte, dem sei sie in natura empfohlen. Und zwar in Gestalt des wunderschönen Städtchens Böhmisch Krummau (UNESCO Welterbe), Perle des Böhmerwaldes, umschlängelt von der Moldau, bekrönt von einem mächtigen Schloß, Wirkungsstätte des österreichischen Malers Egon Schiele (Ausstellung im Art Centrum) ... Krummau - ein böhmisches Gesamtkunstwerk!

https://www.krummau.de/html/unesco-stadt.html

Hector Salamanca

28. Januar 2018 17:39

Leider ist Daniel Vávra zurückgerudert:
https://www.gamestar.de/artikel/kingdom-come-deliverance-die-reaktion-auf-die-rassismus-vorwuefe,3324854.html

Thomas Martini

28. Januar 2018 18:57

Warhorse bewirbt das Spiel "Kingdom Come: Deliverance" bei YouTube in englischer Sprache. Die Sprachausgabe des Spiels ist ebenfalls Englisch.

Wie sollte es einem dann ohne die erklärenden Hintergrundinformationen möglich sein, dahinter ein slawisches Entwicklerteam und ein tschechisches Studio zu vermuten?

Der Name der Firma und der Titel des Spiels evozieren bei mir Gedanken an Eduard Langbein, den Hammer der Schotten, der die Vertreibung der Juden aus England veranlasste und der Sage nach in Sir William Wallace seinen größten Widersacher fand.

Im Grunde stinkt "Kingdom Come: Deliverance" nach handelsüblicher, angelsächsischer Globalisierung, mit dem einzigen Unterschied, dass man eine Spielwelt kreierte, in der Nichtweiße völlig unpassend erscheinen würden.

Valjean72

29. Januar 2018 08:23

Was mich in diesem Zusammenhang interessiert: wurden auch Deutschböhmen berücksichtigt?
Immerhin wies Prag vom Hochmittelalter bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eine deutsche Bevölkerungsmehrheit auf.

Sigismund Dijkstra

29. Januar 2018 15:31

@Valjean72

Meines Wissens nach spielt das Spiel im zentralen, ländlichen Böhmen südöstlich von Prag (die Stadt selbst kommt aber wohl nicht vor). Das Spielgebiet soll dabei etwa 16 km² groß sein. Zumindest ein Deutschböhme ist im Prolog zu sehen (er heißt "Deutsch":) und wird das Opfer eines Streichs des spielbaren Protagonisten. Ferner sollen auch Ungarn und Kumanen im Spiel vorkommen, was ja durch den historischen Kontext - die Übernahme Böhmens durch König Sigismunds von Ungarn - auch nachvollziehbar ist.

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