Camille Paglia – die Sorgfalt der Arbeit von Antaios

Vorbemerkung von Götz Kubitschek: Camille Paglia ist "schockiert" von meiner verlegerischen Arroganz.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ich habe “Frau­en blei­ben, Män­ner wer­den” in mei­nem Ver­lag her­aus­ge­bracht. Die Jour­na­lis­tin Lil­li Hei­ne­mann kon­fron­tier­te Paglia in einem Inter­view für die “Süd­deut­sche Zei­tung” ers­tens mit der poli­ti­schen Posi­tio­nie­rung mei­nes Ver­lags und mit der Tat­sa­che, daß wir

  1. den Titel des Werks nicht wört­lich übersetzt,
  2. eini­ge Kapi­tel­über­schrif­ten nicht wört­lich übersetzt,
  3. zwei von 35 Auf­sät­zen nicht über­setzt und
  4. Pagli­as Vor­wort durch ein Vor­wort von Ellen Kositza ersetzt haben.

Camil­le Paglia äußert nun, sie sei “scho­ckiert und abge­sto­ßen” von dem “tota­li­tä­ren Impuls”, mit dem ich die “Ver­stüm­me­lung” ihres geis­ti­gen Eigen­tums betrie­ben hät­te. Jedoch: Camil­le Paglia hat nur auf das ant­wor­ten kön­nen, was Frau Hei­ne­mann ihr vor­trug. Sie hat­te das Buch noch gar nicht in Hän­den, denn hät­te sie bereits dar­in blät­tern kön­nen, wäre ihr fol­gen­des nicht ver­bor­gen geblieben:

Noch nie hat ein deut­scher Ver­lag sich eine sol­che Mühe gege­ben mit einem Werk Camil­le Pagli­as: In über 400 Fuß­no­ten wer­den den deut­schen Lesern die ame­ri­ka­ni­schen Debat­ten, Befind­lich­kei­ten, Per­sön­lich­kei­ten und femi­nis­ti­schen Strän­ge erläu­tert. Die Über­set­zun­gen sind ohne jede Aus­las­sung und so sorg­fäl­tig wie mög­lich von drei Mit­ar­bei­tern ange­fer­tigt wor­den – mit Dis­kus­sio­nen über schwie­ri­ge Stel­len und Schlüsselvokabeln.

Camil­le Paglia wür­digt die­sen Umstand im Inter­view mit der SZ: “Die Redak­teu­re waren kul­ti­viert und wohl­ver­traut mit mei­nen Ideen – das war die Ebe­ne der Dis­kus­si­on.” Die­se “Redak­teu­re”: Das sind Ellen Kositza, Mar­tin Licht­mesz, Nils Weg­ner und Caro­li­ne Som­mer­feld, und nach anfäng­li­chem Zögern war Paglia sogar bereit ein sechs­sei­ti­ges Inter­view für die “Sezes­si­on” zu geben (Heft hier ein­seh­bar), weil sie sich von den Fra­gen her­aus­ge­for­dert sah.

Die bei­den Auf­sät­ze, die ich strich, machen 5 von 280 Sei­ten aus und haben zum einen ame­ri­ka­ni­sche Soa­p­oper­as und zum ande­ren eine Bild­be­schrei­bung aus dem Jah­re 1996 zum The­ma – der Erklä­rungs­auf­wand für deut­sche Leser hät­te die Text­län­ge die­ser bei­den Tex­te überstiegen.

Zu den Titeln: Über die Ände­rung des Haupt­ti­tels hat Ellen Kositza im unten doku­men­tier­ten Vor­wort ganz zuletzt unse­re Über­le­gun­gen aus­ge­führt. “Frau­en blei­ben, Män­ner wer­den” greift den Impuls des Ori­gi­nals sogar auf, zugleich beschrei­bend und auf­for­dernd zu sein. Und ein Auf­satz­ti­tel wie “The Return of Car­ry Nati­on. Catha­ri­ne McK­in­non and Andrea Dwor­kin” wird eben zu “In Ver­bit­te­rung ver­eint: eine Puri­ta­ne­rin und eine Heul­su­se wol­len Por­no­gra­phie aus­mer­zen”, weil ein deut­scher Leser mit dem Namen “Car­ry Nati­on” rein gar nichts anfan­gen kann und sämt­li­che der neu­en Titel­be­grif­fe von Paglia selbst stammen.

Über­haupt Titeländerungen:

Antho­ny Doerr: Wink­lers Traum vom Was­ser (About Grace);
Eve­lyn Waugh: Rück­fäl­lig (Basil Seal rides Again or The Rake’s Regress);
Angus Wil­son: Brü­chi­ges Eis (Set­ting the World on Fire);
Peter Hoeg: Der Plan von der Abschaf­fung des Dun­kels (De Mas­ke Egnede).

Daß ich Pagli­as eige­nes Vor­wort durch Kositz­as ersetz­te, kann man kri­ti­sie­ren: Im Grun­de aber faßt Paglia nur zusam­men, was in ihren Auf­sät­zen aus­ge­führt ist, und da schien mir eine empa­thi­sche Ein­lei­tung für deut­sche Leser sinnvoll.

Kurz­um: Hier wur­de nichts “ver­fälscht” oder “ver­zerrt” oder “ver­letzt” – mein ein­zi­ger Feh­ler: dies in der Hek­tik vor der Buch­mes­se nicht noch ein­mal mit Paglia abge­stimmt zu haben. Die Reak­ti­on ihrer Agen­tur ist über­zo­gen: das Buch vom Markt neh­men! Unser Vor­schlag liegt dort nun vor: Pagli­as Vor­wort als Heft­chen nach­dru­cken und jedem Exem­plar beilegen.

Die Sache ist die: Wenn wir zurück­zie­hen müs­sen, wird Paglia in Deutsch­land nicht statt­fin­den. Auch das sagt sie im SZ-Inter­view selbst:

Kei­ner der füh­ren­den deut­schen Ver­la­ge woll­te mein Buch ver­öf­fent­li­chen. Genau da zeigt sich das Pro­blem der poli­ti­schen Kor­rekt­heit in Deutsch­land. Es ärgert mich, dass Men­schen, selbst in Deutsch­land, Angst haben, abwei­chen­de Ideen von Femi­nis­mus zuzu­las­sen und zu ver­öf­fent­li­chen. Ich bin eine libe­ra­le Demo­kra­tin, ich gebe mei­ne Stim­me den Grü­nen. Wenn die Ansich­ten einer Lin­ken von ande­ren Lin­ken unter­drückt wer­den, weil sie nicht kon­form sind, läuft etwas falsch.

In ihrem Vor­wort beschreibt Kositza Paglia so und nicht anders. Wer wären wir, wenn es uns an Respekt vor einer sol­chen Den­ke­rin man­gel­te! Hier Kositz­as Vor­wort, es trägt den Titel “Die Kampf­hün­din”, auch das von der SZ-Jour­na­lis­tin bean­stan­det. Indes: In den 90ern kam kaum ein Text über Paglia ohne den Ver­gleich mit “aka­de­mi­schem Rott­wei­ler” (aus einer ame­ri­ka­ni­schen Buch­wer­bung des Ver­lags: Camil­le Paglia has been cal­led ever­y­thing from “the intellec­tu­al pin-up of the ’90s” to an aca­de­mic Rott­wei­ler to “the bra­vest and most ori­gi­nal cri­tic of our day”) oder “Bull­dog­ge” aus, Bei­spiel hier. Nein, wirk­lich, ich bin kein ver­le­ge­ri­scher Bulldozer …

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Die Kampf­hün­din
Vor­wort von Ellen Kositza

Anti­fe­mi­nis­mus, ein wahr­haft böses Wort. Wen asso­zi­ie­ren wir als Ver­tre­ter einer sol­chen Posi­ti­on? Typen ohne Frau­en, aber mit Män­ner­phan­ta­sien. Bur­schen­schaf­ter. Stamm­tisch. Reak­tio­nä­re, Vor­gest­ri­ge. Abge­häng­te Ver­sa­ger. Schei­dungs­op­fer, männ­lich – zusam­men­ge­faßt die Ver­tre­ter alles des­sen, was in soge­nann­ten quee­ren Krei­sen die »hete­ro­nor­ma­ti­ve Matrix« genannt wird, also auch die­je­ni­gen »Weib­chen«, die ihr gutes Aus­kom­men haben und unso­li­da­risch oder stu­ten­bis­sig sind oder (aus wel­chen Grün­den auch immer) nichts gegen ein Dasein »unter der Knu­te« haben.

Will sagen: »Anti­fe­mi­nis­mus« ist ein Ter­mi­nus, der einer Keu­le gleicht. Es han­delt sich wie bei fast allen ‑ismen meist um eine Fremd­zu­schrei­bung, um eine Zuwei­sung von außen. Die Band­brei­te der auf die­se Wei­se pau­schal Eti­ket­tier­ten reicht von der bra­ven Lebens­rechts-Demons­tran­tin über Frau­en­quo­ten­skep­ti­ker hin zum Inter­net-Troll, der sein trau­ri­ges Dasein damit fris­tet, miso­gy­ne Ergüs­se über »die Wei­ber« in die Welt zu posten.

Dabei trifft kei­ne ein­zi­ge die­ser Zuschrei­bun­gen (in Attri­bu­te gefaßt: ängst­lich-besorgt, bor­niert, haß­zer­fres­sen) auf die aus­ge­rech­net lau­tes­te, scheu­lo­ses­te und pro­mi­nen­tes­te Stim­me des Anti­fe­mi­nis­mus zu: Camil­le Paglia.

Paglia ist homo­se­xu­ell, intel­lek­tu­ell, hell­wach, avant­gar­dis­tisch; mit­hin defi­ni­tiv eine Frau »von mor­gen«. Sie selbst nennt sich nicht Anti­fe­mi­nis­tin. Das hat mit der Gene­ra­ti­on zu tun, aus der sie stammt. In den sech­zi­ger Jah­ren, in denen Paglia auf­wuchs, war »Femi­nis­mus« kein kon­for­mes Lip­pen­be­kennt­nis, son­dern ein pro­vo­kan­tes Ansin­nen: Paglia, 1947 im Bun­des­staat New York als Toch­ter ita­lie­ni­scher Ein­wan­de­rer gebo­ren, steht durch­aus – und sehr strikt – für die soge­nann­ten Frau­en­rech­te ein, für die unbe­ding­te Gleich­heit aller vor dem Gesetz. »Unbe­dingt« heißt: Dann aber auch bit­te ohne künst­li­che Schon­räu­me. Sie bezeich­net sich in genau die­sem Sin­ne als »Gleich­heits­fe­mi­nis­tin«.

Die­ser Begriff dürf­te im deut­schen Sprach­raum in die Irre füh­ren. Hier­zu­lan­de gilt der Gleich­heits­zweig, also der uni­ver­sa­lis­ti­sche Femi­nis­mus, als die lin­ke Abbie­gung inner­halb der Zwei­ten (vul­go: acht­und­sech­zi­ger) Frau­en­be­we­gung. Der dif­fe­ren­tia­lis­ti­sche Femi­nis­mus, der »Frau­en­fra­gen« her­vor­hob (wie es die ers­te, bür­ger­li­che Frau­en­be­we­gung vor 150 Jah­ren getan hat) und den Unter­schied der Geschlech­ter beton­te, spiel­te hier­zu­lan­de kaum eine Rol­le, am aller­we­nigs­ten in aka­de­mi­schen Krei­sen. Man kann heu­te kaum mehr von zwei Ästen des Femi­nis­mus reden, da der Gleich­heits­zweig mitt­ler­wei­le stam­mes­dick gewor­den ist.

Camil­le Paglia hin­ge­gen glaubt nicht dar­an, daß die Geschlech­ter wesen­haft gleich sei­en. Sie hält nichts von der zeit­ge­nös­si­schen Mär, daß eine kern­haft bös­ar­ti­ge patri­ar­cha­li­sche Gesell­schaft den Geschlech­tern Rol­len zuge­teilt habe, die starr und inad­äquat sei­en und die es des­halb zu spren­gen gel­te. Genau­so­we­nig hält sie von der (eher im Eso­te­ri­schen ver­or­te­ten) Ansicht, daß »das Weib« inhä­rent sanft und »gut«, weil gebä­rend, ber­gend, näh­rend sei. Paglia hat erklärt, wie sie zu ihrer nüch­ter­nen Sicht­wei­se gekom­men ist:

In mei­nem ers­ten Buch Die Mas­ken der Sexua­li­tät, einer erwei­ter­ten Fas­sung mei­ner Dok­tor­ar­beit, habe ich die Ansicht ver­tre­ten, daß die his­to­ri­sche und mytho­lo­gi­sche Iden­ti­fi­ka­ti­on der Frau mit der Natur wahr sei – daß sie auf bio­lo­gi­schen Fak­ten beru­he, die wir in unse­ren eman­zi­pier­ten Zei­ten für unan­ge­nehm hal­ten mögen, die sich aber nicht weg­wün­schen oder auf dem heu­ti­gen Stand der Wis­sen­schaft abän­dern las­sen. Um die­se hoch­kon­tro­ver­se Posi­ti­on ein­zu­neh­men, brauch­te es jedoch eine lan­ge Abfol­ge von Beob­ach­tun­gen, For­schun­gen und Über­le­gun­gen. Wäh­rend mei­ner Jugend im Hin­ter­land des Bun­des­staats New York ver­trat ich tat­säch­lich mit eini­gem Zorn den genau ent­ge­gen­ge­setz­ten Stand­punkt, den ich nach der aus­ge­dehn­ten bio­lo­gi­schen und anthro­po­lo­gi­schen For­schung für mei­ne Dis­ser­ta­ti­on schließ­lich auf­ge­ben mußte.

Frau­en, die nicht ein­stim­men ins femi­nis­ti­sche Grund­rau­schen, waren in Deutsch­land lan­ge nahe­zu unsicht­bar. Das galt selbst, als das Inter­net­zeit­al­ter defi­ni­tiv ange­bro­chen war. Lan­ge Jah­re sah es bei uns so aus: Anti­fe­mi­nis­ti­sche Mah­ne­rin­nen wie Chris­ta Meves und Gabrie­le Kuby durf­ten in ihren begrenz­ten christ­li­chen Krei­sen wir­ken. Sen­si­ble (im bes­ten Sin­ne) Frau­en wie Karin Struck und Eva Her­man wur­den gebrand­markt, in kras­sen Sze­nen bei Talk­shows aus­ge­boo­tet und her­nach der Lächer­lich­keit preis­ge­ge­ben. Ali­ce Schwar­zers frü­he Kon­tra­hen­tin Esther Vilar (die den Mann als den eigent­li­che Unter­drück­ten sah, Der dres­sier­te Mann, 1971) sah sich auf­grund von aus­ufern­der Het­ze gar gezwun­gen, das Land zu verlassen.

Zwar hat es an all die­se Frau­en dem Ver­neh­men nach zahl­rei­che Soli­da­ri­täts­no­ten »aus dem Volk« gege­ben, Zustim­mun­gen aus dem Pri­va­ten. Mehr als strikt regier­te Feuil­le­ton­de­bat­ten und einen gewis­sen kon­tra­dik­to­ri­schen Nie­der­schlag auf Leser­brief­sei­ten brach­ten aber selbst ech­te Eklats zwi­schen 1975 (Vilar gegen Schwar­zer, auf You­Tube leicht auf­find­bar) und 2006 (als die ehe­mals popu­lä­re Nach­rich­ten­spre­che­rin Eva Her­man zu einem Rund­um­schlag gegen Pos­tu­la­te gegen den Femi­nis­mus aus­hol­te) nicht.

Lan­ge Zeit also muß­te man Kampf­schwim­me­rin­nen gegen den (Gen­der-) Main­stream mit der Lupe suchen. Femi­nis­mus ist immer noch Leit­kul­tur, Punkt. Die man­geln­de media­le Prä­senz küh­ner Femi­nis­mus­kri­ti­ke­rin­nen sorgt dafür, daß ihr Anlie­gen mit einer irgend­wie absto­ßen­den, men­schen­feind­li­chen Aura oder vom Ruch von Mot­ten­ku­geln jen­seits des Halt­bar­keits­da­tums umge­ben ist.

Mitt­ler­wei­le jedoch hat sich die Sach­la­ge leicht geän­dert. Ers­tens haben skep­ti­sche Frau­en das Inter­net für sich ent­deckt und kom­men jen­seits der Leit­me­di­en zu Wort, zwei­tens haben die Klas­sen­spre­che­rin­nen des Femi­nis­mus den Bogen noch ein­mal deut­lich gekrümmt und dabei womög­lich über­spannt: Die viru­len­te #metoo-Debat­te bei gleich­zei­ti­gem Aus­spa­ren rasant anstei­gen­der impor­tier­ter Män­ner­ge­walt könn­te ein Kip­punkt sein, auch die kra­ken­arm­gleich aus­grei­fen­den Quo­ten­re­ge­lun­gen dürf­te Frau­en und Lila Pudeln bei­zei­ten auf die Füße fallen.

Mitt­ler­wei­le, seit weni­gen Jah­ren erst, gibt es also Grund zur Hoff­nung! Neh­men wir nur Bir­git Kel­le, die in Talk­shows femi­nis­ti­schen Eife­rern bei­der­lei Geschlechts Sau­res gibt, oder das Man­ne­quin Ana­bel Schun­ke, die der­glei­chen durch ihre Netz­bei­trä­ge erle­digt. In Frank­reich haben sich pro­mi­nen­te Frau­en gegen den Män­ner­hatz­fu­ror der #metoo-Kam­pa­gne aus­ge­spro­chen, und in Über­see gibt es längst Gali­ons­fi­gu­ren wie Ann Coul­ter, Chris­tia­ne Hoff Som­mers, Lau­ra Ing­ra­ham oder als Ver­tre­te­rin­nen der jun­gen Gene­ra­ti­on Frau­en wie Britt­a­ny Pet­ti­bo­ne oder Lau­ren Sou­thern, die dem Femi­nis­mus als Staats­dok­trin Paro­li bieten.

»Die meis­ten Frau­en haben kei­nen Mut zur Unbe­liebt­heit, des­halb glu­cken sie zusam­men und prak­ti­zie­ren Grup­pen­den­ken. Ich schon. Ich brau­che bloß Respekt. Ob man mich mag, ist mir egal«, sagt Camil­le Paglia. Kei­ne Fra­ge, Paglia, die mal als »Anti-Femi­nis­tin«, mal als »Radi­kal­fe­mi­nis­tin« Apo­stro­phier­te, ist furcht­los. Sie ist damit eine Aus­nah­me: Medi­en­prä­sen­te Frau­en machen sich im Durch­schnitt stär­ker als Män­ner im poli­ti­schen Mit­tel­maß breit und Aka­de­mi­ke­rin­nen an den reich­hal­ti­gen Töp­fen des Gen­der Budgets.

Nun wird das »Grup­pen­den­ken«, die Kon­for­mi­täts­nei­gung, die Paglia für typisch weib­lich hält, in Deutsch­land viel rigi­der von Maß­ga­ben der Medi­en­in­dus­trie beför­dert. In Pagli­as Hei­mat hin­ge­gen füh­ren Frau­en, die weit jen­seits des links­li­be­ra­len Spek­trums ste­hen, Kolum­nen in den Leit­me­di­en, sie sind gesuch­te Inter­view­part­ner und dür­fen in poli­ti­schen Fern­seh­for­ma­ten den streit­ba­ren, respek­tier­ten Gegen­part geben.

Kar­rie­ren wie die von Ann Coul­ter oder Michel­le Mal­kin sind hier bis­lang undenk­bar. Wenn Anne Will und ihre publi­zis­ti­schen Schwes­tern mal »rich­tig kri­tisch« ein­ha­ken, dann tun sie es zur Ver­tei­di­gung der All­ge­mein­plät­ze. Das aller­dings ist eine Aner­ken­nungs­neu­ro­se und ein Trei­ben im Haupt­strom, für die (Massen-)Männer kaum weni­ger anfäl­lig sind. Die Neben­kos­ten für ein Aus­sche­ren sind bekannt­lich hoch – schon gar im Bei­trags­ser­vice­deutsch­land, wo der Staats­funk jähr­lich knapp acht Mil­li­ar­den Euro von sei­nen Bür­gern ein­zieht, um mit Qua­li­täts­jour­na­lis­mus die­sel­ben Bür­ger auf Linie zu halten.

Camil­le Paglia sagt, sie besit­ze das Par­tei­buch der »Libe­rals«, also der Demo­kra­ten. Und wenn! Seit acht­und­zwan­zig Jah­ren ist sie mit weit­ge­hend unun­ter­bro­che­ner Medi­en­prä­senz das intel­lek­tu­el­le enfant ter­ri­ble die­ser Klientel.

Ihr Ruf als »aka­de­mi­scher Rott­wei­ler« wur­de bei­zei­ten gefes­tigt: Ihr Betra­gen war bis­wei­len unver­schämt, ihre Spra­che unver­blümt, ihre wis­sen­schaft­li­chen Leis­tun­gen enorm. Die erwei­ter­te Fas­sung ihrer Dis­ser­ta­ti­on lag 1981 vor. Es soll­te ein Jahr­zehnt ver­ge­hen, bis sie einen Ver­lag für ihr Mam­mut­werk fand, von dem Paglia selbst mut­maßt, es sei das dicks­te Buch, das je von einer Frau geschrie­ben wur­de. Sexu­al per­so­nae. Art and deca­dence from Nefri­ti­ti to Emi­ly Dick­in­son umfaßt allein in der deut­schen Aus­ga­be (Die Mas­ken der Sexua­li­tät, 1992) knapp 900 Sei­ten. Sowohl die­ses Opus magnum als auch der hüb­sche Extrakt (Sexua­li­tät und Gewalt. Oder: Natur und Kunst), den dtv Mit­te der Neun­zi­ger publi­zier­te, sind heu­te vergriffen.

Ich selbst war 1996 an einem Grab­bel­tisch bei Kar­stadt auf die­se dtv-Aus­ga­be und damit auf Paglia gesto­ßen. Lek­tü­ren, die dem Leben eine Rich­tung geben: Hier war so eine! Von Stund an ver­stand ich mich als Paglia­ne­rin. Was ich je so geahnt hat­te, was mich – wie wohl fast jede jun­ge Frau – in punk­to Geschlech­ter­be­zie­hun­gen, Weib­lich­keit, Männ­lich­keit, umtrieb: Hier war es in Wor­te gefaßt!

Gleich mit dem ers­ten Satz ihres Mam­mut­werks läu­tet Paglia, die streng katho­lisch sozia­li­sier­te Toch­ter, häre­tisch ein: »Am Anfang war Natur.« Nicht: »das Wort«, denn Wor­te nei­gen zur Lüge und Ver­brä­mung. Ewig, sagt Paglia, sei der Unter­schied zwi­schen Mann und Frau. Die Sexua­li­tät, bestimmt durch »dunk­le paga­ne Mäch­te« und nur ober­fläch­lich befrie­det durch kul­tu­rel­le Trans­for­ma­tio­nen, mar­kie­re dabei die »heik­le Schnitt­stel­le zwi­schen Natur und Kultur«.

In den Mas­ken läßt Paglia die Kul­tur- und Lite­ra­tur­ge­schich­te vom alten Ägyp­ten bis ins 19. Jahr­hun­dert unter den – für sie bestim­men­den – Vor­zei­chen der Geschlech­ter­dif­fe­renz antre­ten. Kul­tur, so ihre The­se, ent­ste­he im wesent­li­chen durch die Domes­ti­zie­rung von Sexua­li­tät. Die Geschich­te sei geprägt durch das Rin­gen zwi­schen abend­län­di­sche Wort- und heid­ni­scher Bildkultur.

Von Nietz­sches Inter­pre­ta­ti­on beein­flußt sind die Gegen­satz­paa­re, mit denen Paglia arbei­tet und aus deren ste­ti­gem Rin­gen sie sämt­li­che Kul­tur­leis­tun­gen ablei­tet: hier das Apol­li­ni­sche als genu­in männ­li­ches (und west­li­ches) Prin­zip, als Klar­heit, Spra­che, Struk­tur und Erfin­dungs­ga­be zuta­ge­tre­tend – dort die dio­ny­si­schen Kräf­te, das Erd­ge­bun­de­ne, irra­tio­na­le, flie­ßen­de, weib­li­che, der frucht­ba­re Urschlamm. Kunst­schaf­fen und Tran­szen­denz ent­ste­he allein aus männ­lich-apol­li­ni­scher Abwehr der cht­ho­ni­schen Ver­lo­ckung. Der weib­li­che Kör­per, gleich­gül­tig gegen den Geist, der ihn bewohnt, habe orga­nisch nur eine Bestim­mung: »die Schwan­ger­schaft, deren Ver­hin­de­rung uns ein Leben lang beschäf­ti­gen kann.« Die nicht unwe­sent­li­che Rol­le der Frau als Kul­tur­ver­mitt­le­rin aller­dings spart Paglia aus.

Es ist dabei kei­nes­wegs so, daß sie Nuan­cie­run­gen der geschlecht­li­chen Dua­li­tät aus­lie­ße – sie kennt die Aus­flüch­te aus den Zwän­gen der Natur all­zu­gut. Auch sie sind, auf ihre Wei­se, »natür­lich«. Paglia hat einen Sinn für Ambi­va­len­zen. Wie gin­ge es auch anders!

Nur, wer Ambi­gui­tä­ten zuläßt, kann all dies – wie Paglia – in einer Per­son ver­ei­nen: Frau­en­recht­le­rin sein und zugleich den zeit­ge­nös­si­schen Femi­nis­mus rund­weg ableh­nen; sich für das Recht auf Abtrei­bung aus­spre­chen, aber zugleich Abtrei­bung für Mord hal­ten und den Lebens­recht­lern Aner­ken­nung zol­len, seit je die Lin­ke wäh­len, aber Trump Aner­ken­nung zol­len; Homo­se­xua­li­tät für eine Abir­rung erklä­ren und dabei selbst les­bisch zu leben.

Ihr eige­nes »sexu­el­les Ver­sa­gen« hat die Les­bie­rin Paglia ein­ge­räumt. Doch gesteht die­se »woman war­ri­or«, die­se »Krie­ge­rin«, als die sie titu­liert wur­de, die­se »nar­ben­be­deck­te Vete­ra­nin der Geschlech­ter­krie­ge« (Paglia über Paglia) ein, daß ihr eige­ner juve­ni­ler Pro­test gegen die pri­mä­re Sozia­li­sa­ti­on (die Erzie­hung als Mäd­chen also) sie mit ähn­li­chem Furor »gera­den­wegs zur Bio­lo­gie« zurück­ge­führt habe.

Nie­mand, auch nicht die »männ­lich« auf­tre­ten­de Frau, kön­ne letzt­lich aus sei­ner, aus ihrer Haut. Die Geschlech­ter­dif­fe­renz sei zwin­gend: »Wir kön­nen dem Leben in die­sen faschis­ti­schen Kör­pern nicht ent­flie­hen.«. Der zivi­li­sier­te Mensch ver­heim­li­che sich gern, wie sehr er der Natur aus­ge­lie­fert ist. Ein »Schul­ter­zu­cken der Natur« rei­che, um die­ses brü­chi­ge Gefü­ge ein­stür­zen zu las­sen und ata­vis­ti­sche Ver­hal­tens­wei­sen zum Vor­schein zu bringen.

Paglia ist eine Kri­ti­ke­rin Rous­se­aus und der Milieu­theo­rie in des­sen Fol­ge eben­so. Die Dekon­struk­ti­vis­ten und Post­struk­tu­ra­lis­ten (»fran­zö­si­scher Quatsch«, »intel­lek­tu­el­le Lei­chen«) haßt sie lei­den­schaft­lich. Die brei­te Wir­kung, die Der­ri­da, Lacan, vor allem aber Fou­cault in aka­de­mi­schen Krei­sen fei­er­ten, nennt Paglia ein kran­kes »Füh­rer-Syn­drom« und »die Sehn­sucht ver­meint­lich frei­er, libe­ra­ler Den­ker nach einer Auto­ri­tät.« Der moder­ne Femi­nis­mus gilt ihr als eine Haupt­strö­mung, die den wirk­lich­keits­blin­den Mach­bar­keits­glau­ben jener Vor­vä­ter beerbt hät­te. Indem sie »sich bemü­hen, der Sexua­li­tät Macht­ver­hält­nis­se aus­zu­trei­ben, wen­den sie sich gegen die Natur. Sexua­li­tät ist Macht.«

Paglia wid­met sich dem unkor­rum­pier­ba­ren Wir­ken der Natur (als »Schick­sal«) und ihren Geset­zen; ihre Lei­den­schaft gilt der Kunst, der krea­ti­ven Schaf­fens­kraft, dem, was ihr als männ­li­ches Prin­zip gilt: »Wäre die Zivi­li­sa­ti­on den Frau­en über­las­sen, säßen wir heu­te noch in Schilf­hüt­ten.« Daß sie regel­mä­ßig der Miso­gy­nie bezich­tigt wird, ficht sie nicht an. Sie beschreibt nur, was sie sieht. Vor Frau­en, die sich selbst ermäch­ti­gen, zieht sie den Hut.

Gewohnt bra­chi­al aber zeigt sie jeg­li­chem Mach­bar­keits­den­ken in punk­to »Rol­len­tausch« die rote Kar­te: Kei­ne Gesetz­ge­bung, kein Beschwer­de­aus­schuß könn­ten an den Grund­tat­sa­chen geschlecht­li­cher Bedingt­heit rütteln.

Ist das so? Haben die neu­en Sozi­al­tech­no­lo­gien der Sexu­al­in­ge­nieu­re nicht Schluß gemacht mit Bil­dern von Ham­mer und Amboß, wie Paglia sie zeigt, von urmänn­lich und urweib­lich? Ob der schein­ba­re Sie­ges­zug der spät­fe­mi­nis­ti­schen Gen­der-Ideo­lo­gie dau­er­haft sein wird, ist in der Tat eine offe­ne Frage.

Wie­vie­le Ehen, wie­vie­le Lieb­schaf­ten und Selbst­kon­zep­te an der prak­ti­schen Umset­zung der Gen­der-Dok­tri­nen schei­tern, dar­über feh­len natur­ge­mäß Sta­tis­ti­ken. Kei­ne Fra­ge ist, daß mit der Zurück­drän­gung der Natur in allen Berei­chen des Lebens auch das Weib­li­che an Bedeu­tung verliert.

»Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit« über Väter­mo­na­te, Flirt­ge­bo­te und Cas­ting­richt­li­ni­en (#metoo!) et al. den Män­nern ein­zu­pflan­zen zu wol­len, ist ein uto­pi­scher Wahn. Paglia erlaubt sich den dezent-hämi­schen Hin­weis auf das Lie­bes­vor­spiel der Täu­be­ri­che, die sich pein­lich auf­blä­hen, und der Tau­ben, die – nicht min­der durch­schau­bar – zunächst so tun, als las­se sie das Wer­ben kalt.

Paglia, die Frau, die Ver­ge­wal­ti­gun­gen erklär­bar machen woll­te, Por­no­gra­phie als urmänn­li­ches Bedürf­nis ver­steht, Männ­lich­keit aufs engs­te mit Homo­se­xua­li­tät ver­knüpft sieht, die Todes­stra­fe befür­wor­tet und sich genau­so umiß­ver­ständ­lich für ein Recht auf Abtrei­bung ein­setzt (das sie als Recht zu einem »Mord« und zugleich zynisch als ewi­ges »Recht des Stär­ke­ren« bezeich­net), gilt sowohl Bür­ger­li­chen als auch Femi­nis­tin­nen als unnah­ba­res Schreckgespenst.

Was teils auf Gegen­sei­tig­keit beruht: Eman­zen sind für Paglia »trüb­sin­ni­ge Figu­ren«, häß­lich, beschränkt und prü­de, geschrumpf­te Exis­ten­zen ohne Sub­stanz, die mit »ver­küm­mer­ten Bücher­wür­mern« das Bett tei­len. In den USA reüs­siert Camil­le Paglia bis heu­te als streit­ba­rer Gast in Talk­shows, klein, zier­lich, augen­rol­lend und – intel­lek­tu­ell stets elo­quent – Wort­kas­ka­den auftürmend.

Paglia, die angeb­lich gern blu­ti­ge Steaks in rau­hen Men­gen ver­zehrt, ist mitt­ler­wei­le 70 Jah­re alt. Sie unter­rich­tet immer noch als Pro­fes­so­rin für Medi­en- und Geis­tes­wis­sen­schaf­ten in Phil­adel­phia. Bewußt lebe sie in einem klei­nen Vor­ort anstatt in den bro­deln­den Städ­ten wie New York oder Washing­ton, die kei­ne guten Orten sei­en, um sich als Intel­lek­tu­el­le einen unab­hän­gi­gen Sta­tus zu bewah­ren. Das Leben dort mit sei­nen sozia­len Netz­wer­ken, Par­ties und Emp­fän­gen, mache ver­letz­lich und abhän­gig von der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung. Groß­stadt­le­ben schaf­fe Duck­mäu­ser – sie ken­ne das aus eige­ner Anschauung.

Jene Camil­le Paglia, die die gesam­te abend­län­di­sche Geis­tes­ge­schich­te griff­be­reit im Marsch­ge­päck vor­hält, scheut sich nicht vor den Nie­de­run­gen des Tri­via­len. Nichts aus der Welt des Bou­le­vard ist ihr fremd, Pop-Phä­no­me­ne dechif­friert sie meis­ter­haft. Paglia sieht sich selbst als pro­vo­zie­ren­de Ver­mitt­le­rin zwi­schen der welt­frem­den lin­ken, nach wie vor von Mar­xis­mus und Frank­fur­ter Schu­le beein­fluß­ten Welt der Uni­ver­si­tä­ten einer­seits und den Mas­sen­me­di­en ande­rer­seits. »Estab­lish­ment­feind­li­che Ein­zel­gän­ger wie ich sind wie­der in Mode«, schreibt sie selbst­iro­nisch. Das sei typisch ame­ri­ka­nisch: Sie dür­fe den »Lone­so­me cow­boy« geben, der »aus der Wüs­te kommt, um im Salon her­um­zu­bal­lern und die Rat­ten aus der Stadt zu jagen.«

Hil­la­ry Clin­ton (deren Ein­stel­lun­gen sie mit dem übli­chen män­ner­feind­li­chen »Feminazi«-Gepäck bela­den sah) ern­te­te eben­so Pagli­as Kri­tik wie zuvor deren Mann Bill. Als eine der weni­gen US-Intel­lek­tu­el­len befand sie Clin­ton nach sei­ner Sex-Affä­re mit Moni­ca Lewin­sky als untrag­bar für ein reprä­sen­ta­ti­ves poli­ti­sches Amt.

Vor ein paar Jah­ren hat­te Paglia als Ver­tei­di­ge­rin der geschaß­ten kon­ser­va­ti­ven Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tin Sarah Palin von sich reden gemacht. Die Medi­en­het­ze gegen Palin ver­glich Paglia mit der Hys­te­rie der Hexen­pro­zes­se. Die Demo­kra­ten ver­höhn­ten die Reli­gio­si­tät der Repu­bli­ka­ner, sie hät­ten mit ihrer eige­nen, neu­er­dings so into­le­ran­ten, Ideo­lo­gie jedoch eine säku­la­re Ersatz­re­li­gi­on geschaffen.

Mit Palin, die ihr Selbst­bild eben nicht aus Gen­der stu­dies krei­iert habe, wür­de end­lich ein wahr­haft »mus­ku­lö­ser Femi­nis­mus« Zäh­ne zei­gen. Ihr, der kon­se­quen­ten Abtrei­bungs­geg­ne­rin, sei es gelun­gen, die pseu­doh­u­ma­nis­ti­sche Inkon­se­quenz der Links­li­be­ra­len zu ent­lar­ven. Denn wie kön­ne man gleich­zei­tig das Recht auf Abtrei­bun­gen befür­wor­ten und die Todes­stra­fe für bar­ba­risch hal­ten? Paglia: »Ver­dient nicht ein Ver­bre­cher eher sei­ne Aus­lö­schung als ein Unschuldiger?«

Die vor­lie­gen­de Auf­satz­samm­lung erstreckt sich auf einen Zeit­raum von 28 Jah­ren. Soll­te uns das Phä­no­men »Madon­na« (die Künst­le­rin ist gera­de 60 gewor­den) noch heu­te inter­es­sie­ren, die hier­zu­lan­de ohne­hin unbe­kann­te Debat­te über Ani­ta Hill und Cla­rence Tho­mas, oder eine jahr­zehn­te­al­te Ein­las­sung zum The­ma »Män­ner­sport«? Ja, ja, und aber­mals ja! Die Punk­te, die Paglia anspricht, sind von zeit­lo­ser Rele­vanz. Wo es nicht unmit­tel­bar deut­lich wird, wur­de hier der Aktua­li­täts­be­zug durch Fuß­no­ten her­ge­stellt. Man darf die­se Anmer­kun­gen durch­aus als »Rea­der« zum Buch begreifen!

Ohne­hin wird kei­ner dem Auf­satz über »Sex und Gewalt«, einer Aus­kopp­lung aus Camil­le Pagli­as Mam­mut­werk Mas­ken der Sexua­li­tät den Rang eines ech­ten Klas­si­kers abspre­chen wol­len. Es heißt ja, daß die Wel­len sämt­li­cher Dis­kur­se, die an der US-ame­ri­ka­ni­schen Ost­küs­te statt­fin­den, mit zwei- oder drei­jäh­ri­ger Ver­spä­tung am euro­päi­schen Kon­ti­nent anbranden.

Nun ja: Gele­gent­lich dau­ert es weit­aus län­ger, bis die­se Gefech­te hier­zu­lan­de viru­lent wer­den. Man den­ke nur an die erst seit 2017 gras­sie­ren­de #metoo- Debat­te. Den Kos­mos an Über­grif­fig­kei­ten, die man als sol­che emp­fin­den könn­te, und an Gemenge­la­gen, die zu der­lei füh­ren kön­nen, hat Paglia bereits vor Jahr­zehn­ten anti­zi­piert und skiz­ziert und dar­über gespot­tet, wie Beamt­ensee­len und ‑see­lin­nen eine spru­deln­de Quel­le, einen mäan­dern­den Fluß durch Begra­di­gung und Beto­nie­rung zu dres­sie­ren versuchen!

Paglia mit einer her­kömm­li­chen deut­schen Femi­nis­mus­kri­ti­ke­rin zu ver­glei­chen, hie­ße, einen Kampf­hund neben einen gepfleg­ten Labra­dor zu stel­len. Wo hier­zu­lan­de maß­vol­le Beden­ken­trä­ger argu­men­ta­tiv »aus­ho­len«, kommt es am Ende bloß zu einer detail­lier­ten Recht­fer­ti­gung oder einer beschei­de­nen Ankla­ge. Wenn Paglia »aus­holt«, dann kracht es! Ihr jüngs­tes Inter­view mit dem Psy­cho­lo­gie­pro­fes­sor Jor­dan Peter­son (auf You­Tube leicht zu fin­den) ist ein gutes Bei­spiel. Eine Mil­li­on Leu­te bereits haben es sich ange­schaut. Anti­fe­mi­nis­mus: läuft!

Frau­en blei­ben, Män­ner wer­den heißt im ame­ri­ka­ni­schen Ori­gi­nal Free Women, Free Men – eine hüb­sche Dop­pel­be­deu­tung. Man darf es einer­seits nor­ma­tiv lesen: Freie Frau­en, freie Män­ner. Ande­rer­seits hat es einen appel­la­ti­ven Hin­ter­sinn: Befreit die Frau­en! Befreit die Män­ner! Nun: Wovon? Gewiß nicht von ihren angeb­li­chen »Rol­len«, die außer­halb gesell­schaft­li­cher Zuschrei­bung lie­gen, näm­lich in der Natur der Din­ge. Befreit sie vom Schutt des Zeit­geis­tes, meint Pagli­as »Free«.

Die vor­lie­gen­de deut­sche Über­set­zung des Titels (Frau­en blei­ben, Män­ner wer­den) nimmt die­sen Impuls auf: Als Impe­ra­tiv im Sin­ne von »Bleibt Frau­en! Wer­det Män­ner!« kann man die­se Über­schrift eben­so­gut lesen wie als Fest­stel­lung des unauf­heb­ba­ren Geschlech­ter­un­ter­schieds. Das wäre in Pagli­as Sinn: Den einen liegt die Rück­be­sin­nung, den ande­ren das Sich­stre­cken in der Natur.

Ist das unfair? Wer sagt, daß es je um Fair­neß ging?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
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Kommentare (20)

Der Gehenkte

4. April 2018 12:17

Welch Infamie! Ist das nicht zermürbend, immer und immer wieder gegen diese Wand aus Lüge, Verdrehung, Verleugnung und Niedertracht zu laufen? Wo nehmen Sie nur die Kraft her? Erst recht, wenn das Feuer aus den "eigenen" Reihen kommt?

Ist das Buch nun gefährdet? Muß man schnell noch bestellen?

quarz

4. April 2018 12:27

Gab es inzwischen eine klärende Aussprache zwischen Verlag und Autorin?

antwort kubitschek:
wir sind dabei.

Heinrich Loewe

4. April 2018 12:41

Ich stehe noch ganz und gar unter dem Eindruck der Lektüre "Die 21" (Mosebach) über Ostern...Welch ein Gestus der Demut und Stärke zugleich. Vor diesem Hintergrund kann ich mich hier nur abwenden.
Mein bescheidenster und völlig unmaßgeblicher Rat: Kämpfen Sie nicht weiter; höchstens noch eine direkte Bitte um Verzeihung. Mit diesen Zeilen haben Sie alles gesagt; ein reines Gewissen, wenn es halt vom Markt soll, dann ist es so, ich bestelle es trotzdem nicht noch auf die Schnelle.

Ein gebuertiger Hesse

4. April 2018 12:51

Bitter, daß Paglia sich von der SZ einwickeln läßt. Man hätte ihr allerdings zutrauen dürfen, daß sie durchschaut, woher der Vorwurfswind weht und wer dort wem schaden will und warum.

Brettenbacher

4. April 2018 12:53

Also nun gilt es !
Entweder ist das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, oder der MulmMalmMainstream verschlingt alles.
Aber wenn Frau Paglia auch nur einen Bruchteil der intellektuellen und charakterlichen Fähigkeiten hat, die Frau Kositza ihr in ihrem großartigen Vorwort zuschreibt, dann m u ß sie doch den Verwesungsgeruch des Bratens riechen, der ihr aus "unseren" Medien entgegenschwallt.

Un klar @ Gehenkter, Buch gleich bestellen !

Lotta Vorbeck

4. April 2018 13:12

Unglaublich, mit was Sie (K&K und Mitarbeiter) sich in "dem Land, in dem Andere gut und gerne leben", tagtäglich herumschlagen müssen!

H. M. Richter

4. April 2018 13:57

Notwendig war die zeitnahe Klarstellung hier vor Ort.

Möglich zudem: Eine(r) setzt sich in den Flieger, im Gepäck die ersten druckfrischen Exemplare, kauft am Flughafen einen Strauß Blumen und klärt - von Angesicht zu Angesicht - auf.

Und weil so etwas nicht zum Nulltarif zu haben ist und in keinem Verlags-Jahresplan vorkommt, nennt man bitte anschließend hier einen Betrag ****.

Einer Leserschaft, in die das Vertrauen gesetzt worden ist, der medizinischen Versorgung von Äbtissin Diodora helfend zur Seite zu stehen, sollte auch zugetraut werden können, gemeinsam die Kosten einer Flugreise zu tragen.

starhemberg

4. April 2018 16:10

Das ist bitter. Der Süddeutsche Beobachter hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Doch wer Prantl zum Feind hat, der gehört zu den wirklich guten Menschen! Also so wie K u. K.

Ede

4. April 2018 16:55

Sehr starkes Vorwort. In etwa diese Vorstellung hatte ich auch von Paglia. Ich hoffe, dass sich der Verstand durchsetzt, wäre sehr schade um die gewiss sorgfältige Arbeit der Elite - Redaktion.

Gustav Grambauer

4. April 2018 18:55

Wollte erst nur ein Wort schreiben: "Zickenkrieg".

Aber man muß sehen: die hat es als italienische Katholikin geltend

Kositza: wobei ich glaube, daß Paglia wahrlich von keinem Menschen für eine Katholikin gehalten wird...

ins WASP-Akademiker-Haifischbecken hinein geschafft, hat dort mit Querbürstereien sogar eine Marktlücke für sich finden und über 25 Jahre halten können, einzig durch ihr Insistieren auf dem linken Programm. Ich sehe einen Esel auf dem Glatteis. Sie wird genau wissen, daß sie nur in einem "kontrollierten Diskurs" als Pseudo-Opposition instrumentalisiert wird, in dem jedes falsch gesetzte Komma sofort tödlich ist. Die dortigen totalitären Mechanismen sind so aalglatt, so hochsophistisiert ("sophisticated" - das sagen die dort voller Inbrunst und Stolz) wie es sich im - auch dahingehend - verschlafschaften Europa eine Birgit Kelle, eine Christa Mewes oder ein Jürgen Kaminski in ihren schweißgebadetsten Alpträumen und bei der größten Anstrengung nicht auszumalen vermögten. Wir sind hierzuland verwöhnt mit schafigen gemütlichen Gegnern wie Stegner-Ditfurth-Schwan-Posner-Minkmar-Jörges-Elitz auf dem Niveau von Kerner-Maischberger-Plasberg-Riverboat.

Aber an der Ostküste weht ein ganz anderer Wind: die Luft ist dünn wie hochoben im Himalaya, die Atmosphäre ist schneidend, von Hochintriganz geladen und kalt wie im Reich der Eiskönigin, die Gegner*_Innenxxx sind sogar noch verhärmter, verhärteter als Paglia selbst (!) und der dortige Meinungskorridor ist nur ein Zigtausendstel so eng wie hier, und dies gilt vor allem an den Gender-Sektionen.

Mitgefühl! Sie ist `ne Arme.

- G. G.

Der Feinsinnige

4. April 2018 19:11

Ob sich Frau Paglia noch eines anderen und besseren überzeugen läßt?

Bei der Agentur ist wohl eher Pessimismus angesagt, wenn sie von vornherein mit solchen Geschützen auffährt. Die in obigem Artikel dargelegte Argumentation von Götz Kubitschek bzw. des Verlages Antaios ist schlüssig und stichhaltig. Wenn notwendig, wäre das einen Rechtsstreit bis zum Bundesverfassungsgericht wert, soweit sich ein solcher finanzieren läßt. So einfach darf es für die Gralshüter der politischen Korrektheit nicht sein bzw. werden, die Weiterverbreitung eines Buches aus völlig durchsichtigen politischen Gründen zu verhindern.

Anette

4. April 2018 19:40

Bin just am Wochenende mit der Lektüre angefangen, um heute diese Nachricht zu vernehmen. So bitter. Ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Sie diese fabrizierte Schräglage wieder ausgleichen können, zumal Sie soviel Herzblut in dieses Projekt gegeben haben. Ihre Mühen werden von vielen wie immer hoch geschätzt!

Fredy

4. April 2018 21:10

Ganz übel. Wirklich schade. Aber auch dann gehts weiter.

Wenn es zum Buchstopp kommt, dann bitte ein Event zur öffentlichen Verbrennung der bereits gedruckten Exemplare in Schnellroda ansetzen. Kann doch dann nichtmal die Autorin was dagegen haben. Hexenfeuer!

Waldgaenger aus Schwaben

4. April 2018 21:29

Nein um Fairneß geht es nicht. Dem Süddeutschen Beobachter geht nur darum den Feind fertig zu machen.

Ich hoffe, dass Frau Paglia wenigstens nicht schon einen Vorschuss für ihre Zustimmung zur Herausgabe einer Übersetzung erhalten hat.

Gustav Grambauer

5. April 2018 01:00

Kositza: "wobei ich glaube, daß Paglia wahrlich von keinem Menschen für eine Katholikin gehalten wird..."

Habe mich unzulänglich und damit mißverständlich ausgedrückt, meinte das nicht im konfessionellen Sinne sondern im Sinne der sozialen Hackordnung,

https://de.wikipedia.org/wiki/White_Anglo-Saxon_Protestant

in der Ihnen den Platz der Italiener als Katholiken über den Kamm geschoren am besten ein Colombo-Krimi plastisch macht, und wobei die Religion in diesen Puritaner-Gefilden dennoch nicht so unwichtig ist wie hierzulande. Sehen Sie bitte auch, daß Königin Victoria, bei der ja aus Anstandsgründen die Beine von den Tischen und Stühlen mit Textil umwickelt werden mußten, und die die habituelle Patin der Prüderie des Gender-Wesens ist, eine Anglikanerin und damit im weitesten Sinne Protestantin war.

(...)
Sie kennen ja sicher die Mär von "Amarete", mit denen den Gender-Student*_xxx gleich im ersten Semester eingehämmert wird, wie enorm wichtig soziale (klassenmäßige) Distinktion für das Gender-Wesen ist.

https://de.wikipedia.org/wiki/Amarete#Kultur

Noch etwas Lustiges, zum Trost über Paglia hinweg: beim Rotfuchs kommt erstmals eine aus dem Mustopf über Gender,- guten Morgen, gut geschlafen? -, völlig naiv - sage aber gern: in einer Kerngesundheit und noblen Unschuld, die mich mal wieder anrührt, siehe Seite 29:

https://www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2018/RF-243-04-18.pdf

Herzliche Grüße, liebe Ellen Kositza!

- G. G.

RMH

5. April 2018 06:31

Ich würde die Sache lieber nicht so hoch kochen. Es war unbestritten ein handwerklicher Fehler, die vorgenommenen, kleineren Änderungen bzw. Weglassungen und das Vorwort vor Druck sich nicht genehmigen zu lassen und auch kein Exemplar das Buches vor der Messe bzw. dem Marktstart der Autorin direkt zukommen zu lassen. Der Gegner wartet genau auf solche Dinge, die eben im Berufsalltag immer wieder mal passieren (wer kennt das nicht bzw. wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein). Was ernsthaft schade ist, ist der Umstand, dass gleich die "Agentur" die Backen bläst und es zu keiner direkten Kommunikation mit der Autorin selber gekommen war, bevor die Agentur dies tat. Hoffen wir, dass das noch möglich ist und damit die Kuh vom Eis gebracht wird - ob die Diskussion dafür hier förderlich war, wage ich zu bezweifeln (für mich eher ein Anzeichen dafür, dass das Kind in den Brunnen gefallen ist). Als Autor ist man sicherlich schon eher empfindlich, wenn es um das eigene "Werk" geht und wenn einem dann noch von einflussreichen Leuten der Vorwurf gemacht wird, man würde den "Falschen" mit der Überlassung des Werkes zur Veröffentlichung Türen öffnen.

Monika

5. April 2018 13:10

Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken lobt die deutsche Ausgabe von free women, free men als eine " tolle Ausgabe", die "sehr liebenswert gemacht" sei .
https://www.deutschlandfunkkultur.de/barbara-vinken-zur-causa-paglia-die-deutsche-ausgabe-ist.1013.de.html?dram:article_id=414766

Stil-Bluete

5. April 2018 16:15

@ Monika
Vielen Dank für den Hinweis. Auch ich fand, dass Vinken eher Paglia als K&K kritisiert.
Reaktionärer Feminismus? - Camille Paglia im Streit mit rechtem Verlag Barbara Vinken

Wäre es vielleicht hilfreich, wenn engagierte Foristen mit Camille Paglia auf ihrem faszinierendem Facebook (z. B. Kurzessays quer durch die zumeist europäische Gemäldegalerie und Kulturgeschichte von Benjaminschen Format) ins Gespräch kommen? Oder ist das nur Wasser auf ihre Mühlen?

Hat sich die Paglia bei ihrer pikanten lesbischen Affäre mit einer (ihrer?) Studentin, die mich stark an die Affäre von Oskar Wilde erinnert, juristisch gewehrt? (Sie blieb ja noch ein Jahr an der Universität)

Till Schneider

6. April 2018 01:24

@Stil-Bluete

Aber Vinken kritisiert die "linksdemokratische" Paglia von noch viel weiter links, was dann eher lustig ist. Etwa in drolligen Formulierungen wie der, dass Paglia "auf diesen antiislamistischen Einwanderungszug aufgesprungen" sei usw.

Das Beste ist aber die von Vinken implizierte Gleichung "unterkomplex = rechts" bzw. "nicht links genug". Zuerst bezeichnet sie Paglia als unterkomplex, und im nächsten Satz kommt's schon: "Dass der rechte Verlag auf sie aufspringt liegt daran, dass sie damit kompatibel ist in ihren Hauptthesen." Ich würde lediglich ergänzen: Verlage sollten niemals auf Autorinnen aufspringen! Und tun sie's trotzdem, dann sind sie mit Sicherheit rechts.

Anyway, nach der Vinken-Lektüre bin ich mir sicher, dass die Antaios-Ausgabe des Paglia-Buches nicht nur gut ist, sondern dass sie geradezu sensationell gut sein muss.

Wahrheitssucher

7. April 2018 11:39

Es wäre sicher schade um die verlegerisch-publizistische Arbeit des Verlages wie auch um den möglichen und wahrscheinlichen Verkaufserfolg. Allerdings: Wenn die Euch nicht will, müßt Ihr sie dann wollen?