Die infolge der Masseneinwanderung ansteigenden muslimischen Kontingente regten in den letzten Jahren die Entstehung einer breiten Ratgeberliteratur an, die Aufschluß zu geben versucht über verschiedene Facetten des Islams. Gerhard Schweizer (Islam verstehen) ist neben anderen Autoren an dieser Stelle zu nennen. Ebenso nimmt die islamkritische Buchproduktion zu. An deren Wachstum sind Publizisten wie Hamed Abdel-Samad, Udo Ulfkotte, Michael Ley und Douglas Murray maßgeblich beteiligt.
Der Islamwissenschaftler und Orientalist Tilman Nagel, den manche für den renommiertesten seiner Disziplin in Deutschland halten, gehört in eine andere Kategorie. Seit über fünf Jahrzehnten bereichert er die Forschung mit grundlegenden Arbeiten. Herausragend ist seine monumentale Studie über Mohammed, die nach eigener Aussage den islamischen Propheten »vor dem Hintergrund der spätantiken vorderasiatischen Ereignis‑, Gesellschafts- und Religionsgeschichte« erfassen will. Trotz seiner akademischen und eben nicht »handlungsleitenden« Vorgehensweise verfällt Nagel nicht den Gefahren der Verharmlosung des Gegenstandes seiner Arbeiten – ein in der Islamwissenschaft durchaus gängiges Problem, wenn man Publikationen etwa von Gudrun Krämer oder Angelika Neuwirth (Der Koran als Text der Spätantike) zur Hand nimmt.
Nagels neueste Publikation will auf der Basis früherer Vorlesungen einen fundierten Einblick in den Islam geben. In zwanzig Kapiteln wird dem Interessierten ein Zugang auf hohem Niveau geboten. Besonderes Augenmerk liegt auf der reichhaltigen Geschichte des Islams, der islamischen Theologie, der Scharia, des Sufismus. Es fehlen weiter nicht die nötigen Betrachtungen zum Koran, zu Hadithen, zum Dschihad, zu Sunniten und Schiiten, zum Menschenbild des Islams, zu Frauen und zur Islamwissenschaft, um nur zentrale Kapitel zu erwähnen.
Der Autor zeigt gewohnt gründlich, wie sich die im Koran grundgelegten Lehren in den verschiedenen Bereichen des Ritus, der Gesellschaft und des Gemeinwesens, des universalen Geltungsanspruches sowie der Machtausübung ausbuchstabieren. Es wäre vermessen, wenn der Rezensent den Anspruch suggerierte, diesen Ausführungen noch Substanzielles hinzufügen zu können. Im Mohammed-Abschnitt fällt auf, daß Nagel stark auf die islamischen Quellen rekurriert, die von einer »revisionistischen« Literatur angefochten werden (Günter Lüling, Karl-Heinz Ohlig und andere). Diesbezüglich hätten vielleicht die Erörterungen etwas umfassender sein können. In jeder Hinsicht ist es lobenswert, wenn der Göttinger Emeritus deutlich darauf verweist, daß der Anspruch der wissenschaftlichen Redlichkeit nicht von der Pflicht entbindet, auf die unübersehbaren Gefahren hinzuweisen, die eine weitere Islamisierung für das Gemeinwesen mit sich bringt. Eine so grundlegende Darstellung, die überdies Rüstzeug für unabdingbare Auseinandersetzungen liefert, konnte man sich nur wünschen!
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Tilman Nagels Was ist der Islam? Grundzüge einer Weltreligion, Berlin: Duncker & Humblot 2018. 694 S., 39.90 € kann man hier bestellen.