Iwan Iljin: Wesen und Eigenart der russischen Kultur. Drei Betrachtungen, Wachtendonk: Edition Hagia Sophia 2017. 186 S., 17.50 €
Der Einflüsterer Wladimir Putins hat, bundesrepublikanischen Leitartikeln zufolge, einen Namen: Iwan Iljin. Neben Alexander Dugin soll der zuerst von den Bolschewiken aus der Sowjetunion, dann auch von den nationalen Sozialisten aus Deutschland exilierte russische Staatsphilosoph »Chefideologe«des verhaßten Kremlpräsidenten sein.
Grund genug für einen Sezessionisten von Format, neugierig zu werden! Leider ist dem Russischunkundigen das verdächtige Denken dieses derart verdächtigten Menschen längst nicht so zugänglich wie das Dugins. Iljins umfangreiches Werk ist nur zu einem Bruchteil ins Deutsche übersetzt worden, und dies auch nur bis zu seinem Tode 1954. Um so erfreulicher ist es also, wenn ein deutscher Verlag die Ausgabe einer Schrift Iljins wagt.
Das Dumme ist nur, daß mit Wesen und Eigenart der russischen Kulturein Titel ausgesucht wurde, der nicht dazu angetan ist, dem Leser einen Eindruck vom vielschichtigen, lebensnahen Denken Iljins zu verschaffen. Denn diese Spätschrift ist als »einfühlsamste Darstellung der christlich-orthodoxen Seele Rußlands«auf einen höchst spezifischen Leserkreis beschränkt, nämlich auf Liebhaber der klassischen russischen Literatur oder Freunde ostkirchlicher Pracht und Lebensart. Diese Zirkel aber kennen durch ihre Hausautoren die russische Seele auch ohne Iljin längst selbst, dem gemeinen Bewohner des Westens (wie etwa dem bundesrepublikanischen Leitartikler) hingegen ist und bleibt sie weiterhin so fremd und zuwider, daß er kaum Neigung verspüren wird, ein solches Buch in die Hand zu nehmen.
Da nützt es auch wenig, daß dieses Buch durch ein erläuterndes Vorwort, zahlreiche Bilder, einen Anhang mit Literaturhinweisen, eine Zeittafel und ein Personenverzeichnis seinen potentiellen Lesern die Lektüre erleichtern will. Der enge Zuschnitt des Themas ist weitab der heute im Westen obwaltenden Denk- und Wahrnehmungsmuster. So ist es schade, daß eine Gelegenheit vertan wurde, interessierte Nichtrussen mit dem profunden staatsphilosophischen Gedankengut Iljins bekanntzumachen, denn da gäbe es in der heutigen Lage durchaus viel zu lernen. Nicht zuletzt, wie man angesichts der buchstäblichen Vernichtung seiner Kultur nicht verzweifelt und aufgibt, sondern welche effektiven Maßnahmen man den Kräften der Zerstörung auch in der vermeintlich alternativlosesten Lage entgegensetzen kann und soll.
Vorerst bleibt einem nur, aus Iljins drei aufeinander aufbauenden Betrachtungen über Seele, Glauben und den geschichtlichen Werdegang des russischen Volkes einen ersten Eindruck vom geistigen Format dieses Denkers zu gewinnen und seinen Problemlösungsansatz wenigstens als These kennenzulernen, nämlich daß »jede Volkskultur eine lebendige organische Einheit ist, die in der Religion wurzelt. Warum? Weil die Religion in der unbewußten Seelentiefe lebt, […] woher der schöpferische Geist seine Lebenskraft holt.«Für den Anfang ist dies nicht nichts.
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