Karl Albrecht Schachtschneider: Souveränität.

Eine Rezension von Konrad Gill

Karl Albrecht Schacht­schnei­der: Sou­veräni­tät. Grund­le­gung einer frei­heit­li­chen Sou­ve­rä­ni­täts­leh­re. Ein Bei­trag zum deut­schen Staats- und Völker­recht, Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2015. 597 S., 99.90 €

Der Staats­rechts­leh­rer Karl Albrecht Schacht­schnei­der hat den gro­ßen Wurf einer Sou­ve­rä­ni­täts­leh­re bür­ger­li­cher Frei­heit gewagt. Das The­ma macht das Buch inter­es­sant, wie auch die Unbe­irr­bar­keit, mit der sein Autor sei­ne The­sen seit Jah­ren – als Pro­zeß­ver­tre­ter vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt wie als Autor und Red­ner – vertritt.

Schacht­schnei­der steht einem »rechts­kon­ser­va­ti­ven« Ord­nungs­den­ken, das über­lie­fer­te Bestän­de als Selbst­zweck erhal­ten will, fern; der recht­li­che Ord­nungs­rah­men ist ihm immer nur Ent­fal­tungs­raum für die je indi­vi­du­el­le Frei­heit und die dar­aus erwach­sen­de Frei­heit aller Bür­ger: die Sou­ve­rä­ni­tät. Als Für­spre­cher bür­ger­li­cher Ver­ant­wor­tung wäre er eine wert­vol­le Stüt­ze eines frei­heit­li­chen Staates.

Daß es die­sen Staat, den Staat des Grund­ge­set­zes, fak­tisch nicht gibt, Schacht­schnei­der nicht müde wird, dar­auf hin­zu­wei­sen, und er von den ton­an­ge­ben­den intel­lek­tu­el­len Tem­pel­wäch­tern und ihren tip­pen­den Beiß­hun­den eben des­halb zum kon­ser­va­ti­ven Ultra ernannt wird, zieht den Sach­ver­halt ins Tragische.

Wer der Mei­nung ist, daß die Begeg­nung mit der Poli­tik auch den größ­ten Opti­mis­ten immer wie­der beleh­ren wird, daß die Mäch­ti­gen sich die Berück­sich­ti­gung des Rechts lei­der je weni­ger leis­ten kön­nen, je mäch­ti­ger sie sind, mag ergän­zen: ins Tra­gi­ko­mi­sche. Vom Rechts­po­si­ti­vis­mus oder gar Dezi­sio­nis­mus distan­ziert der Rechts­idea­list Schacht­schnei­der sich klar: »das Recht [mate­ria­li­siert] die Ver­fas­sung der Men­schen, die Mensch­heit der Men­schen […] und [ist] nicht belie­big, positivistisch […].«

Man ist ver­sucht zu fra­gen, was denn nach Anle­gung die­ses Maß­sta­bes über­haupt noch Recht sei; wie die täg­li­chen Rechts­hand­lun­gen und die Unmen­gen legis­la­to­ri­scher Akte unse­rer Tage in Bezie­hung zu set­zen, gar abzu­lei­ten sei­en von legi­ti­mier­ten Rechts­sät­zen, die kei­ne blo­ßen Recht-Set­zun­gen sind; ob sowohl Hegel als auch Schmitt denn tat­säch­lich so sehr falsch lagen – von den deut­schen Staats­recht­lern der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te, die hier teils als ahnungs­los im Dun­keln tap­pen­de Stüm­per por­trä­tiert wer­den, ganz zu schweigen.

Des Ver­fas­sers Kennt­nis der Recht­spre­chung des BVerfG und – offen­bar – der gesam­ten staats­recht­li­chen Lite­ra­tur der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te ist beein­dru­ckend, eben­so wie sei­ne Fähig­keit, immer wie­der auf die eige­nen Kern­the­sen zurück­zu­füh­ren, was dem ansons­ten nicht opti­mal geglie­der­ten Buch (sei­ne The­sen beginnt er erst ab S. 236 zu erläu­tern, alles Vori­ge läßt sich daher beim Lesen schwer ein­ord­nen) einen didak­ti­schen Wert ver­leiht. Wer es gewohnt ist, juris­ti­sche Lite­ra­tur zu lesen, wird bemer­ken, daß der Band sich ange­nehm flüs­sig lesen läßt, stel­len­wei­se wegen der Schmä­hun­gen »fal­scher Auf­fas­sun­gen« und der Süf­fi­sanz man­cher Schluß­fol­ge­rung sogar wit­zig ist, was man kaum einer staats­recht­li­chen Abhand­lung nach­sa­gen kann.

Aller­dings ent­täuscht die Häu­fig­keit, in der Rechts­an­sich­ten und die phi­lo­so­phi­sche Posi­tio­nie­rung das Argu­ment erset­zen müs­sen; von vari­ier­ten Mei­nungs­äu­ße­run­gen, und sei­en sie noch so fun­diert, wird die juris­tisch-poli­ti­sche Funk­ti­ons­eli­te sich kaum beein­dru­cken las­sen. Beson­ders hin­ge­wie­sen sei auf die abschlie­ßen­den fast 60 Sei­ten (»Sou­ve­rä­ni­täts­ver­let­zun­gen der Euro­päi­schen Uni­on«), die sich als Sün­den­re­gis­ter eines zuneh­mend dik­ta­to­ri­schen Molochs vor­züg­lich auch für den poli­ti­schen Kampf eig­nen dürf­ten; so über­sicht­lich und tief­grün­dig wird man das kaum anders­wo gebo­ten bekommen.

Sou­veräni­tät von Karl Albrecht Schacht­schnei­der kann man hier bestel­len.

 

 

 

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