Miriam Gebhardt ist gelernte Journalistin, habilitierte Historikerin und lehrt jetzt auch Geschichte als außerplanmäßige Professorin. Die Reihenfolge ist wichtig. Zu ihren Schwerpunkten gehören die Geschichte der Frauenbewegung sowie die deutsch-jüdische Geschichte, Themen also, die echte Karriereversprechen sind.
2015 veröffentlichte sie das – je nach politischer Haltung – polarisierende Werk Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs (Sezession 66, 2015). Das Buch wurde zum Spiegel-Bestseller. In diesem Jahr kommt sie, nachdem sie 2017 schnell ein Buch über die Weiße Rose rausgehauen hat, auf das Thema zurück und legt Wir Kinder der Gewalt: Wie Frauen und Familien bis heute unter den Folgen der Massenvergewaltigungen bei Kriegsende leiden vor. Dieses Buch kann als Fortsetzung von Als die Soldaten kamen gelesen werden, es beschäftigt sich mit den transgenerationalen Auswirkungen der Massenvergewaltigungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Es besteht aus aktuellen Interviewberichten mit Kindern von Vergewaltigungsopfern und beschreibt in drastischen Bildern die Taten ab 1945 und die Folgen für die Nachfolgegenerationen.
Gebhardt arbeitet glaubhaft heraus, daß die Kinder von schwerst- und mehrfachvergewaltigten Frauen meist selbst schwere seelische Schäden erlitten. Für sich genommen wäre das ein wichtiger Beitrag zur Überwindung des irre schillernden Bundeshauptfetischs, genannt Drittes Reich. Doch die karrierebewußte Gebhardt merkt, daß sie sich hier auf dünnem Eis bewegt und pumpt an sich lesenswerte 100 Seiten zu 300 Seiten Morallektüre auf.
Der Modus ist immer gleich: ein informationsgesättigter Absatz und dann zwei verquaste Absätze, in denen sie herleitet, daß die Deutschen vor allem selbst schuld waren. Mit der Dauer steigert sich das ins Unerträgliche, weil die Klassenbeste auch wirklich jedem beweisen will, daß sie nicht für den Kopp Verlag schreibt. Eine für Gebhardt logische Schuldzuweisung klingt so: »Deutsche Männer (und Frauen) hatten im Krieg selbst das sexuelle Selbstbestimmungsrecht anderer Menschen massenhaft verletzt …«. Und nach Gebhardts Logik kommt dann der Bumerang zu den deutschen Frauen zurück.
Ok. Man könnte das mit übermenschlichem Wohlwollen überlesen und festhalten, daß der Komplex der nachweisbaren, transgenerationalen Spätfolgen für das deutsche Selbstbild bedeutsam ist und Beachtung verdient. Der Mund bleibt einem aber offenstehen, wenn man es bis in die umfangreiche Nachbetrachtung des Buches (das Gebhardt trotzig »Studie« nennt, welches aber höchstens Feuilletonniveau erreicht) geschafft hat. In vielen Medienberichten zum Buch stellte Gebhardt selbst, wohl auf die Verkaufszahlen schielend, den steilen Zusammenhang zwischen den Massenvergewaltigungen nach 1945 und der Kölner Silvesternacht ff. her.
Nachdem sie auch #MeToo als latente Spätfolge einer sexuell beschädigten Generationsfolge gestreift hat, stellt sie mit topaktuellen Zahlen von 2003! zur Relativierung der gegenwärtigen Angst vor dem schwarzen Mann fest, daß beispielsweise in Bayern nur (!) 4,3 Prozent der Vergewaltigungen überfallsmäßig im öffentlichen Raum stattfanden, um dann eine Feststellung zu treffen, mit der sie nicht nur die damaligen und heutigen Opfer sexueller Gewalt verhöhnt, sondern auch den Lesern die Gebhardtsche (dummdreiste) Borniertheit kübelweise ins Gesicht schüttet. 2019 schreibt sie tatsächlich: »Doch noch immer wird sexuellen Nötigungen und Vergewaltigungen im öffentlichen Raum durch fremde männliche Täter medial eine viel zu große Bedeutung zugeschrieben«, das sei, so subsummiert sie, eigentlich nur eine Form der »German Angst«. Die »Deutsche Verlags-Anstalt« macht ihrem Namen alle Ehre. Wer sich ernsthaft und sachlich mit den transgenerationalen Spätfolgen nach 1945 auseinandersetzen möchte, sollte zu Werken von Sabine Bode greifen.
Miriam Gebhardt: Wir Kinder der Gewalt: Wie Frauen und Familien bis heute unter den Folgen der Massenvergewaltigungen bei Kriegsende leiden, München: Deutsche Verlags-Anstalt 2019. 304 S., 24 € – hier bestellen