Das war’s. Diesmal mit: Verehrern und Schullektüre

21. Oktober 2019 -- Als wir 2002 nach Sachsen-Anhalt zogen, ereilte uns ein Kulturschock.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Wir hat­ten zunächst wegen unse­res Umzugs und Haus­kaufs viel mit Ämtern zu tun. An den har­schen Ton (durch­gän­gig!) muß­ten wir uns gewöhnen.

Aus Dres­den, wo wir zuvor wohn­ten, waren wir ande­res gewöhnt als bar­sche, bel­len­de, sofort aggres­si­ve Stim­men. Rela­tiv rasch lern­ten wir hier, daß es hilft, wenn man zunächst ruhig und höf­lich bleibt, dann aber, bei der drit­ten mür­ri­schen Ant­wort einen ande­ren Ton anschlägt.

Trau­rig – aber ist so & bewährt sich bis heu­te. Ähn­lich in Super­markt, Schu­le, öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln. Eigent­lich will ich über­haupt nicht, daß die Leu­te stramm­ste­hen vor mir. Aber grund­los ange­blökt wer­den – mag doch keiner?

Unse­re Kin­der sind damit groß­ge­wor­den, daß es eines beson­de­ren kom­mu­ni­ka­ti­ven Geschi­ckes bedarf, um in Sach­sen-Anhalt mit Leu­ten des öffent­li­chen Diens­tes, mit Hand­wer­kern, Kas­sie­re­rin­nen und selbst Ärz­ten klar­zu­kom­men. Sie ken­nen es kaum anders. (Mei­ne Hei­mat, Rhein-Main, ist auch kein über­freund­li­ches Gebiet – aber kein Ver­gleich zu Sachsen-Anhalt!)

Nun waren wir wie­der in Eng­land. Wie so oft kom­men wir mit völ­lig anglo­phi­len Kin­dern zurück. „Die sind sooo nett! Alle!“- „ Die hat ein­fach so ‘Dar­ling´ zu mir gesagt! Dabei hab ich mich echt blöd ange­stellt!“ –„Mama, das stimmt nicht, was Du immer sagst mit dem ‘Res­sen­ti­ment´! Oder es stimmt nur für Sach­sen-Anhalt… Hier in Eng­land aber sind auch die ein­fachs­ten Leu­te super­nett! Die Putz­frau­en, die Bus­fah­rer, alle!“

Stimmt. (Aller­dings ken­nen wir nur Eng­lands Süden. Und Kubit­schek run­zelt ohne­hin die Stirn: „Talk smart, act hard“, das sei ein­fach „…. kei­ne deut­sche Men­ta­li­tät.“ In Wahr­heit kommt K. aus Ober­schwa­ben und kennt süß­li­ches Gere­de sehr gut!)

Wir müs­sen nun argu­men­ta­ti­ve Schlei­fen dre­hen, um die Hei­mat unse­rer Kin­der zu recht­fer­ti­gen. Klappt mäßig. Mit eini­gem Auf­wand kann man das hie­si­ge Idi­om als irgend­wie „erdi­gen Charme“ zurecht­dre­hen. Sach­sen-Anhalt bleibt irgend­wo doch der Kel­ler der Nati­on. Die Besenkammer.

– – –

23. Okto­ber 2019

Beim Fla­nie­ren durch die Ver­lags­stän­de auf der Buch­mes­se tipp­te mich einer zart an. Er ist 58 (hab ich nach­her gegoo­glet) und fin­det mich „ wahn­sin­nig interessant“.

Er habe in der ver­gan­ge­nen Vier­tel­stun­de mein Ver­hal­ten beim Bücher­be­schau­en beob­ach­tet (eigent­lich bereits über­grif­fig, oder?) und bit­te um Pardon.

Er sprä­che eigent­lich nie frem­de Frau­en an. Ich nun hät­te aller­dings aus­ge­rech­net zu jenen Büchern inter­es­siert gegrif­fen, die ihm, Pro­fes­sor der Kunst­ge­schich­te, selbst auch lesens­wert erschie­nen. Das sei doch eine Art Magie! Oder?

Naja. Er: Kein unsym­pa­thi­scher Mensch; so mit­tel. Er lädt mich auf einen Kaf­fee ein. Er sei „enthu­si­as­miert“ von mei­ner „Weib­lich­keit“, ohje. Ich habe eh gera­de Kaffeedurst.

Ich bin skep­tisch. Was er auch immer sagt, hin­ter­fra­ge ich. Er fin­det jeden Ein­wand von mir „groß­ar­tig“. Wir tau­schen Visi­ten­kar­ten aus. Abschieds­küß­chen – oh bit­te nicht! Not­dürf­tig abgewendet.

Heu­te sei­ne mail, nach­dem er mich “im Netz auf­in­dig gemacht” habe: „Geehr­te Frau K., nun bin ich im Bil­de, wie man so sagt.  Ich ken­ne jetzt ihren Hin­ter­grund. Sie sind eine groß­ar­ti­ge Fäl­sche­rin. Bit­te strei­chen Sie mich von der Lis­te Ihrer Bekann­ten.“ Hm. Kein Schaden.

– – –

25.Oktober 2019

Ohgott, mei­ne Ver­gan­gen­heit holt mich ein. Was ist näm­lich ab heu­te Pflicht­lek­tü­re für mei­ne Toch­ter im Deutsch­un­ter­richt? Myron Levoy: Der gel­be Vogel.

Ich ken­ne das Buch. Ich war ähn­lich alt wie mei­ne Toch­ter, als ich es las. Ich las nicht nur etli­che Bücher von Myron Levoy, ich las ohne­hin wie eine Beses­se­ne. Vor allem war es zu 80% ähn­li­cher Stoff: Zwei­ter Welt­krieg, Drit­tes Reich, Hit­ler, Kanin­chen, den gan­zen Kanon rauf und run­ter. Es war wie ein Sog. Das war ande­rer­seits kein Wun­der – die Rega­le des Bücher­bus­ses waren voll davon.

Ich bin sicher, auch die­se Über­do­sis an Opfer­bü­chern haben mich zu dem gemacht, was ich bin, hat mich auf die Gedan­ken gebracht, die ich den­ke. Inso­fern sind es natür­lich kei­ne wirk­lich schlech­ten Lektüren.

Grad Der gel­be Vogel, wie­wohl x‑fach aus­ge­zeich­net, ist mir aber nicht in guter Erin­ne­rung.  Wor­um geht’s? Klap­pen­text: „Nao­mi steht unter Schock, weil sie mit anse­hen muß­te, wie ihr Vater von den Nazis erschla­gen wurde.“

Viel mehr muß man nicht wis­sen. Es ist ein drö­ges Buch: „Shaun Kel­ly und er strit­ten sich auf dem Schul­weg end­los dar­über, wer oder was bes­ser ist, die P‑40 oder die Spit­fi­re. Die Base­ball­mann­schaft der Yan­kees oder die Brook­lyn Dod­gers. Sie spra­chen über Schlag­ball und ihre Modell­flug­zeu­ge. Sie erzähl­ten sich die neu­es­ten dre­cki­gen Wit­ze.“ Usw., usf. Nao­mi sagt dau­ernd “ukay”, was soll das bedeuten?

Ich hof­fe, mei­ne Toch­ter muß nicht Posi­ti­on bezie­hen zu Spit­fi­re, Yan­kees, ukay oder dre­cki­gen Witzen.

Ich mei­ne: Die­ses Buch ist 42 Jah­re alt. Es ist eine Über­set­zung. Inso­fern ist es genau­so­we­nig ein Buch für den Deutschunter­richt wie es eine Über­set­zung der Schatz­in­sel, von Robin­son Cru­soe und Don Qui­jo­te wären.

Soll­te es im Deutschunter­richt – und grad im Spek­trum „Lite­ra­tur“! – nicht zuvör­derst um Sprach­kunst, Stil­ver­mö­gen, Epo­cha­les gehen? Aber nein, absei­ti­ges, sekun­dä­res Geplär­re zieht mehr. Hier geht es um „du Arsch­loch!“, „Halt’s Maul“, „Schis­ser“. Und den­noch hat die­se Lek­tü­re offen­kun­dig die höhe­re Mora­li­tät für sich.

Toch­ter: „Die Frau L. [Deutsch­leh­re­rin] hat gesagt, wir lesen das jetzt wegen Halle.“

Was soll man da noch sagen? Schö­ne Grü­ße an Vor­ges­tern! An den hoh­len Reflex, an die Hilflosigkeit!

Das nun soll hier nicht feh­len: Was Kin­der und Jugend­li­che nach Mei­nung von Caro­li­ne Som­mer­feld und mir wirk­lich lesen/vorgelesen bekom­men soll­ten: Aus­führ­lich hier!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (30)

Lotta Vorbeck

27. Oktober 2019 12:32

"... nun bin ich im Bilde, wie man so sagt. ... Bitte streichen Sie mich von der Liste Ihrer Bekannten.“

Auch in den benachbarten, an den anhaltinischen Keller der Nation grenzenden Besenkammern bezeichnete man dererlei "Verehrer" einst als "Schleimscheißer".

Wahrheitssucher

27. Oktober 2019 14:00

Liebe Frau Kositza,

nehmen Sie diese Geschichte als ein großes, verdientes und unvoreingenommenes Kompliment an Ihre Person und Ihre Weiblichkeit.
Und antworten Sie dem Typen noch mit dem Hegel-Zitat:
„Das Äußere ist die Äußerung des Inneren“...

LotNemez

27. Oktober 2019 15:27

Ich bin in Vorpommern aufgewachsen und in Dresden gelandet. Auch ein ganz anderes Pflaster. Nicht immer besser. Unterm Strich: Wenn es mir nicht gefiele, wäre ich schon beizeiten gegangen. Über den Menschenschlag meines selbst gewählten Lebensumfeldes öffentlich herzuziehen, würde mir nicht im Traum einfallen.

Sie scheinen das Gefühl von Zwanglosigkeit und Sorglosigkeit im Urlaub für bare Münze zu nehmen, als könnte es immer so sein, würde man sein Leben dorthin verlagern. Meinen sie das so? Das erscheint mir verdreht.

Zu ihrem Verehrer. Sie haben natürlich das Recht, hier prekäre Details aus ihrem Privatleben zu veröffentlichen. Jedoch, wie unangenehm zu lesen! Ist es nicht so? Man tut es, aber man redet nicht darüber.

Schön von Ihnen zu lesen. Übrigens auch auf Twitter.

Kositza: Kann nur sagen - wären wir in DD gelandet, würde mir auch nicht einfallen, über "mein selbst gewähltes Lebensumfeld herzuziehen"! Sie kennen diese Gegend nicht! Gehen aber, von hier weg? Nicht, wenn man wie wir "alles" auf die schwarze Null gesetzt hat.
Diese kleinen Sorgen mit dem lokalen Lebensumfeld machen <1% meiner "Lebensqualität" aus. Und zur Veröffentlichung des Prekär-Privaten: Wie schon oft betont: Wenn ich von einem 59jährigen Kunsthistoriker schreibe, war es in Wahrheit ein 77jähriger Soziologe. Oder so. Ich stelle nur offen böse Menschen bloß.

GuntherManz

27. Oktober 2019 15:50

Viel mehr muß man nicht wissen. Es ist ein dröges Buch: „Shaun Kelly und er stritten sich auf dem Schulweg endlos darüber, wer oder was besser ist, die P-40 oder die Spitfire. Die Baseballmannschaft der Yankees oder die Brooklyn Dodgers. Sie sprachen über Schlagball und ihre Modellflugzeuge. Sie erzählten sich die neuesten dreckigen Witze.“ Usw., usf. Naomi sagt dauernd "ukay", was soll das bedeuten?

Es ist immer die gleiche Lektüre: Horvath, Jugend ohne Gott, Oleg in der belagerten Stadt, Pausewangs Atombombenreaktor usw, usf.
Ist denn "Erziehung vor Verdun" zu männlich, geht das gar nicht mehr ? Warum nicht einmal von Horvath "der ewige Spießer", da gibt es eine Bahnfahrt, die fetzt voll rein. Ist lachen nicht erwünscht.
Wie wäre es mit den "90 Tagen des Musa Dagh" von Werfel ? Ist so eine Lektüre der Aufspaltung unserer Gesellschaft abträglich ?
Wir hätten gute Texte, aber die werden nur noch dort gelehrt, wo man eine neue Privatschulen-Elite für die Grünenpolitiker züchten möchte.
Der große Rest der Jugendlichen wird dumm gehalten.

Kositza: Witzig, daß ich mir vor ein paar Tagen den "ewigen Spießer" von Horvath grad gegriffen habe. Nach 30 Seiten weggelegt - ich ahne, "wo Horvath heute stünde". Nicht meine Art "Humor", definitiv nicht! Werfel: Zustimmung. Allerdings habe ich zuletzt sein "Lied von Bernadette" gelesen. Große Kunst, nur (bescheuerter Trigger): Ich mußte dauernd an Greta denken dabei.

Gustav Grambauer

27. Oktober 2019 18:59

Wenn Sachsen-Anhalt die Besenkammer der Nation ist, dann ist Berlin die Schäferhundenahkampfbahn der Nation.

https://www.youtube.com/watch?v=oCvUwcJ8f5M

Kenne einige typische Sachsen-Anhaltiner, die in der Schweiz sehr gut klarkommen, aber keinen einzigen einigermaßen typischen Berliner, der hier auch nur zwei Wochen überlebt hätte (dafür etliche, die ihre Koffer subito wieder packen mußten, und nicht mal den Grund dafür begriffen haben: die Schweizer hatten sie mit sweet talk - hard act sauber auflaufen lassen).

- G. G.
Kositza: Supersketch! Klar: der Sachsen-Anhalter ist (anders als der Berliner) habituell subaltern. Was nicht für ihn spricht!

AlexSedlmayr

27. Oktober 2019 19:15

Im Fall von Halle mit seinem antisemitischen altrechten Amokläufer hätte das Buch dann wenigstens tatsächlich einen halbwegs kohärenten Zeitbezug (wenn gleich ein modernes deutsches Buch zum Neo-Nazismus da wohl besser passen würde als die alte Regime-Verwurstung mit Nazis als Establishment statt irgendwelcher psychisch-frustrierten Außenseiter oder eine marginalisierte Subkultur).

Angesichts der aktuellen Wahlergebnisse in Thüringen dürfte der Unterricht aber gewiss noch eine Wendung in Richtung währet den Anfängen nehmen, denn im mitteldeutschen Südosten erhebt sich jetzt Adolf Höcke um in der Nacht die Kinder aus ihren Betten zu holen, in Stiefel zu stecken und unter irren Flötenklängen im Stechschritt an die polnische Grenzen marschieren zu lassen.

Rattenfänger von Hameln wäre doch erbaulich. Die cleveren Kinder erkennen dann neben den braunen Rattenfängern dann gleich die Ähnlichkeiten zu Fridays for Future.

Das blaue Quadrat

27. Oktober 2019 20:44

Ach, moralisch verwerflich, aber der Gedanke hat doch einen gewissen Charme: Die Methoden unserer Gegner einigermaßen plietsch eingesetzt, und vorbei wäre es bald mit der Professur für Kunstgeschichte. Verdient hätte er es ja, das A... loch.

omen701

27. Oktober 2019 20:52

Höfliche Männer! Doch verdrossen
Geb ich den art‘gen Gruß zurück.
Die Grobheit, die ich einst genossen,
Im Vaterland, das war mein Glück!

Cugel

27. Oktober 2019 21:03

Frau Kositza,
haben Sie den enthusiasmierten (kreisch!) Herrn Kunstprofessor denn nicht in die Sackgasse eingeladen? Hätte dem Vollpfosten Tage der Recherche und des schmetterlingsgefühlvollen Bangens erspart.
Aber so sind sie eben, die Rechten: Schlimme Fälscher, verschlagene Leimrutenleger, unsägliche Unmenschen.
Im Ernst jetzt: Ich bewundere Ihre Ausgeglichenheit.
Vielen Dank für diese Perle, habe herzhaft gelacht.

Kahlenberg

27. Oktober 2019 23:03

Der Buchtip zum Titel „Vorlesen“ kommt mir wie gerufen.
Muß ich haben. Schwieriges Feld heute, Bücher für unsere Kinder. Großartig, daß sich die Autorinnen dieses wichtigen praktischen Themas angenommen haben.

nom de guerre

27. Oktober 2019 23:31

Wieso lesen die Schüler bei der „Wegen Halle“-Lektüre eigentlich nicht „Der Schlund“ von Gudrun Pausewang? Das wäre immerhin keine Übersetzung aus dem Englischen, also zumindest insofern passender für den Deutschunterricht, und bietet genau das, was sich linke Gutmenschen unter dem Aufstieg einer fiesen Neonazi-Partei mit einem relativ jungen, charismatischen Führer (das Buch stammt vom Anfang der 90er, vermutlich dachte Frau Pausewang an Jörg Haider) so vorzustellen scheinen – begeisterte Jugendliche, einen Haufen Mitläufer, Eltern, die ihre Kinder auf einmal alle mit dem Vornamen des neuen Führers beglücken, und natürlich KZs für Ausländer, Schwule, Aidskranke… Im Grunde ist alles da, was dem linken Weltbild gefällt. Die einzig wahren Bösen auf der Welt sind die ewig wiederkehrenden Nazis, andere Rattenfänger gibt’s nicht, und andere „Menschenfeinde“ schon gleich dreimal nicht.

Aber um ehrlich zu sein: Wenn ich als Lehrerin nun den Anschlag von Halle irgendwie „pädagogisch“ adressieren müsste – ich wüsste nicht, wie ich das machen sollte. Und „irgendwas gegen rechts“ geht bei uns bekanntlich immer.

zeitschnur

28. Oktober 2019 01:31

Wirklich nicht ein gutes Wort für die Anhaltiner? Ich habe zwei Bekannte aus Magdeburg - eine sehr, sehr liebe Benediktinerin und eine Dame, die in einem medizinischen Fitnesstudio arbeitet, die nicht nur sehr apart aussieht, sondern auch sehr freundlich ist. Ob sie das hier bei uns gelernt hat im Süden?
Meine eine Münchener Oma sagte stets über die Badener (hier sind wir gestrandet): Mei, des san ois Hintertupfer ... Und wir Bayern sind direkt (mag auch nicht jeder). Meine oberschwäbische angeheirtatete Familie ist ... "rauh aber herzlich". Urig - ich komm damit klar. Was auch sonst, die Bayern sind ja nicht weniger rauh. Aber ich kenne die Meinung aus meiner Familie, die Ossis (also: die Anhaltiner hätten "Mäuler wie geschmiert".
Puh.
Ich weiß nur, dass ich meist überall irgendwo durchkomme und eher das Lächerliche daran wahrnehme und die Einheimischen damit erfreue, dass ich sie so gut imitieren kann ...

Die Episode vom Herrn Professor finde ich insofern fast sittengemäldenhaft satirisch, als er zeigt, wie selbst noch das erotische Empfinden gemaßregelt wird vom inneren Gutmenschen.
So ein humorloser Idiot!
Aber auch das ist Deutschland - wie ich es kenne und nicht liebe.

LotNemez

28. Oktober 2019 02:39

"Witzig, daß ich mir vor ein paar Tagen den "ewigen Spießer" von Horvath grad gegriffen habe. Nach 30 Seiten weggelegt - ich ahne, 'wo Horvath heute stünde'."

Meiner Meinung nach ist es eins der Bücher, die erst nach den berühmten ersten 30 Seiten an Fahrt aufnehmen. Wir wurden in der Schule mit Horvath verschont. Schade eigentlich. Ich mochte es und habe die Gespräche der Fahrgäste auf dem Weg zur Weltausstellung sehr genossen. Ach, allein schon das Vorwort! Sinngemäß: Über den Spießer von heute, heißt es da anno 192?, lohne sich kein Verriss mehr. Denn dieser habe sich mehr oder weniger überlebt. Der Spießer von morgen sei jetzt aufs Korn zu nehmen, dieser notorisch moralisierende Weltbürger, der zu allem eine wohlmeinende aber schwammige Haltung einnehme und doch seinem eigenen Anspruch in keiner Weise gerecht werde, sondern sich überall nur die Rosinen herauspicke. Spätestens auf der Fahrt durch Österreich und Italien kommt das auch gut rüber. Zum Anfang it es wirklich etwas trocken. Ich habe das für Absicht gehalten. Im Nachhinein erscheint es passend, weil der Typ sich selbst langweilt. Nun gut, vielleicht versuchen Sie es ja später nochmal mit dem Buch.

Die Frage wo Horvath heut stünde, habe ich mir auch gestellt und bin zu einem milderen Urteil gekommen, als Sie. Vermutlich wäre er kein AfD-Mitglied, aber für einen Broder würde es wohl reichen.

Zum gemeinen SA-Menschen. Stimmt, kenne ich nicht, außer von Radtouren. Gut, vielleicht haben Sie recht. Ich denke mal, gerade auf dem Land wiegt es schwerer, wenn man nicht in der Region sozialisiert ist. Die <1% beruhigen mich aber tatsächlich. Nun weiß ich das Rittergut in Sicherheit.

Dass Sie nur nicht eines Tages den Rudolf Hess (sprich: die Fliege) machen und mit dem in der Cessna verstauten Verlag auf einem Acker in Sussex landen (oder wo immer der damals runter ging).

H. M. Richter

28. Oktober 2019 07:34

Wenn Sachsen-Anhalt die 'Besenkammer' sein sollte und Berlin die 'Schäferhundenahkampfbahn der Nation', dann ist Sachsen vielleicht die 'Heimatstube mit Ausblick' ...

https://www.youtube.com/watch?v=ljlLjV_XTZE

RMH

28. Oktober 2019 07:48

Da die Tat von Halle/Saale angesprochen wurde und der besondere Benimm in SA, nur folgender Hinweis:

In den vielen Videos, welche die Tat in Halle/Saale wiedergeben sollen, fällt auf, dass der Täter (vor der Synagoge) von dem einen Opfer doch in einer so typischen Art mal eben so im Vorbeigehen von der Seite, buchstäblich ohne Rücksicht auf Verluste ("da kann ja jeder kommen"), "angerotzt" wurde, wie er mir durchaus landestypisch erscheint. Nicht umsonst musste man kurz denken, ist das Slapstick, Sketch oder real …?
(Ich habe durchaus so meine Skrupel, dies so zu beschreiben und ich gestehe, ich musste fast lachen … schäme mich auch dafür ein bisschen, aber auch anderen (siehe Artikel von M.L. dazu) war ja aufgefallen, dass diese Aufnahmen "seltsam" sind).

Übersetzte Bücher rede ich mir immer damit schön, dass die Übersetzung an sich ein eigenes, sogar urheberrechtlich geschütztes, Werk erschafft. Man liest ja fast mehr den Übersetzer, als den Autor und dennoch greife ich, trotz passabler Kenntnisse der englischen Sprache, die es mir erlauben, solche Bücher im "Original" zu lesen (zur Not gibt's ja dict.leo.org … ;) ), gerne zu Übersetzungen und möchte sagen, dass die aktuellen Übersetzungen und auch Neuübersetzungen sehr oft besser sind, als alte Übersetzungen.

Übrigens: Nichts ist mir so zu wieder, als der noch zwingender als der mit Godwins Law beschriebene, in Internetdiskussionen gesetzmäßig vorkommende "Nazi-Vergleich", auftauchende Hinweis bei Buch-, Film- und Serienbesprechungen "Die Übersetzung ist mies! Muss man zwingend im Original anschauen! Nur im Original ist es gut, die Synchro ist sch….. Was haben die mit der Synchronisation verbrochen?" etc.

Deutschland, ein Land der Oberlehrer … wenigstens eine Eigenschaft, die den Krieg unbeschadet überdauert hat.

PS:
Glückwunsch an die AfD und ihre Wähler in Thüringen!

MartinHimstedt

28. Oktober 2019 07:58

Hach, was ist das noch für eine Generation: Man erhält Begründungen, eine Rückmeldung. Heutzutage wird eigentlich nur noch geghosted.

imwerk

28. Oktober 2019 08:47

Stimmt, komplizierte Leute diese Anhalter: Novalis, Nietzsche, Botho Strauß, Bismarck usw.
Geben wirs an Polen, Nietzsche wär's zufrieden. Ich auch.

Weltversteher

28. Oktober 2019 09:53

LotNemez:
Der Nachteil an Horvath ist, daß er einfach nicht erzählen kann. Man wird mit Simpelsätzen zugetextet, deren "Wirkung" bestenfalls durch besondere Schlüpfrigkeit, Ordinarität oder Hemmungslosigkeit wirkten - damals ... Auch dadaistisch, aber nicht mal darin besonders.
Außerdem scheint mir der "Spießer" eine Studie zu sein, die Motive existieren in verschienden Formen und verlieren alle, früher oder später, einfach die Luft.

MBunterwegs

28. Oktober 2019 10:40

Dieser Charmeur, vielleicht war's ja auch ein Romeo, und Sie sind nur knapp der Anwerbung entronnen.

Obacht, obacht! ;-)

micfra

28. Oktober 2019 11:29

Ich finde Ihre Einblicke in Ihr Erleben immer sehr köstlich, Frau Kositza!

LotNemez

28. Oktober 2019 12:15

@Weltversteher

Ich mag das Anekdotenhafte ja auch ganz gern aber Ihrer Kritik an Horvath bzgl. seiner erzählerischen Fähigkeiten muss ich zustimmen. Nur heißt das auch, dass er über anekdotenhafte Erzählungen nie hinaus gekommen wäre?

Immerhin sollte man ihm zugestehen, dass er sich mit Ende 30 schriftstellerisch gerade erst aus dem Ei gepellt hatte und sicherlich noch Vieles zu Papier gebracht haben würde, hätte Gott ihn nicht auf seine unnachahmliche Art und Weise zu sich geholt.

"Nach dem „Anschluss Österreichs“ im März 1938 fuhr Horváth nach Budapest und Fiume, bereiste einige andere Städte und kam Ende Mai nach Paris. Am 1. Juni traf er im Café Marignan den Regisseur Robert Siodmak, um mit ihm über die Verfilmung des Romans Jugend ohne Gott zu sprechen. Doch noch am selben Abend wurde Horváth während eines Gewitters auf den Champs-Élysées (gegenüber dem Théâtre Marigny) von einem herabstürzenden Ast erschlagen. Seine Beerdigung fand in Anwesenheit vieler Exilautoren am 7. Juni 1938 auf dem Pariser Friedhof Saint-Ouen statt.

Ein Wahrsager soll Horváth prophezeit haben, dass ihm in den ersten Tagen des Juni 1938 auf einer Reise „das bedeutendste Ereignis seines Lebens“ bevorstünde. Daraufhin benutzte der abergläubische Horváth angeblich u. a. keine Fahrstühle mehr. Am Tag seines Unfalltods lehnte er das Angebot der Siodmaks, ihn mit dem Auto ins Hotel zurückzubringen, mit der Begründung ab, dass dies zu gefährlich sei. Stattdessen machte er sich zu Fuß auf den Weg."

Subversiver

28. Oktober 2019 14:16

Ein Professor der Kunstgeschichte sagt: "Sie sind eine großartige Fälscherin".
-----

Ist doch eher ein Kompliment ;)
Alan Rudolphs The Moderns, Wilde Jahre in Paris mit Geraldine Chaplin und Linda Fiorentino.

Laurenz

28. Oktober 2019 14:20

Sex sells, sagen die Kuhhirten. Wenn Frau Kositza, trotz vieler Kinder, eine hoch gebildete, weibliche Granate ist, ändert sich das nicht durch eine Ihr eigene politische Haltung. Da lügt sich der kurzfristige Verehrer von Frau Kositza selbst an.
Falls mich einer fragen würde, so schwimme ich, dem Volksmund nicht entsprechend, gegen den männlichen Strom. Es gibt bei Frauen für mich nichts Erotischeres als Intelligenz. Eine Typsuche ist doch absurd. Wie bei der Religion entscheidet nicht der Inhalt an sich, sondern die tatsächliche Wirkung auf einen selbst.
Halten wir schlicht fest, Frau Kositza hat keinen Grund zur Beschwerde an Ihre Eltern.

Was die Literatur in der Schule der Frau Tochter angeht, so sind Lehrer auch nur Menschen. Wer verteilt nicht gerne Literatur, welche die eigene Glaubenswelt bestätigt (?). Lehrer, die Fakten mögen, sind, wie Menschen im echten Leben, äußerst selten.
Man könnte Frau Kositza entgegnen, daß es für den Deutsch-Unterricht auch gute Übersetzer gibt, oder einen Tolkien, der sich selbst um eine deutsche Version kümmerte und die deutsche Sprache liebte, weil sie mehr Möglichkeiten des individuellen Ausdrucks besitzt, als die englische - oder alle anderen Sprachen überhaupt.

KlausD.

28. Oktober 2019 15:09

@Lotta Vorbeck 27. Oktober 2019 12:32
"anhaltinischen Keller der Nation"

Ich glaube hier ist verschiedenes klarzustellen. Also wenn überhaupt, dann handelt es sich hier um den "sachsen-anhaltischen Keller der Nation" und nicht um den "anhaltinischen Keller der Nation". Das ehemalige Land Anhalt ist heute eine Region mitten in Sachsen-Anhalt. Das Adjektiv von Anhalt ist anhaltisch, "anhaltinisch" dagegen wird nur benutzt im Sinne von „auf das Fürstenhaus der Anhaltiner bezogen“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Anhaltisch
https://de.wikipedia.org/wiki/Anhalt
Schnellroda ist ca. 60 km vom südlichsten Ort Anhalts entfernt, doppelt so weit als nach Thüringen.
Und was den "harschen Ton" betrifft: In Sachsen-Anhalt (als auch in den angrenzenden Besenkammern) bekam die AfD in den letzten Wahlen immer (z.T. deutlich) über 20 % ... ergo: In Sachsen-Anhalt zählen Taten mehr als Worte!

Viola

28. Oktober 2019 15:23

Vielen Dank für das Teilen der Begegnung mit dem Verehrer auf der Buchmesse. Dies brachte mich auf einen Satz, mit dem ich zukünftig höflich, aber bestimmt unerwünschte Verehrer abwehren kann: "Haben Sie auch blau gewählt ?".

Wahrheitssucher

28. Oktober 2019 15:26

@ Laurenz

„...Frau Kositza, trotz vieler Kinder, eine hoch gebildete, weibliche Granate...“

Statt „trotz“ hätten Sie besser schreiben sollen „auch auf Grund“...!

Laurenz

28. Oktober 2019 15:42

@Wahrheitssucher ... Sie dürfen das definieren, wie Sie wünschen. Das ist kein Thema einer Debatte für mich. Kinder sind, so schön sie sind, ein Geschenk, auch eine persönliche Belastung für Eltern, gut sichtbar an der Familie von J.S. Bach. Deswegen, zollen wir doch allen echten Eltern den Respekt, der Ihnen zusteht.

Lotta Vorbeck

28. Oktober 2019 16:05

@KlausD. - 28. Oktober 2019 - 03:09 PM

"... Ich glaube hier ist verschiedenes klarzustellen. ... ergo: In Sachsen-Anhalt zählen Taten mehr als Worte!"

*****************************

Tja, das "Land der Frühaufsteher" eben.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/b/bf9d4deacc5899c58ac758ffddcb2536v1_max_635x357_b3535db83dc50e27c1bb1392364c95a2.jpg?key=a32c78

Lied über Sachsen-Anhalt
https://youtu.be/64pKWW1FABo

Wahrheitssucher

28. Oktober 2019 16:25

@ Laurenz

"... zollen wir doch allen echten Eltern den Respekt, der Ihnen zusteht."

Eben!
Und vor allem doch den Müttern...!

Th.R.

28. Oktober 2019 19:03

Wenn ich Ihre Anmerkungen so deuten darf, dass Sie beabsichtigen, den Wohnort zu wechseln, möchte ich Ihnen das Gebiet östlich von Leipzig, d.h. das Muldental etc. als neue Heimat empfehlen. Der Menschenschlag hier ist meiner Ansicht nach einer der angenehmsten und liebenswürdigsten hierzulande.

Die von Ihnen gemachten Beobachtungen und Erfahrungen mit der südsachsenanhaltinischen Mentalität können wir im angrenzenden Sachsen voll und ganz bestätigen.

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