Goldene Jahre warten auf uns.
Darf man einer ganzen Dekade das Heroengesteck angedeihen lassen? Noch dazu, wenn diese Dekade noch gar nicht so richtig angefangen hat? Ich denke, man darf. Zudem kennen Sie, geschätzte Leser, ja die Umwege mit denen ich gelegentlich den Heldenzwang dieser Kolumne zu umgehen pflege, und sei es nur, um ein bißchen gesunde Unruhe zu stiften.
Es wird viel gemunkelt dieser Tage über die Zwanziger Jahre, welche uns – je nach Gusto wild oder golden – bevorstehen. Die einen sehen in der politischen Fragmentierung der Gesellschaft klare Parallelen zur Zwischenkriegszeit, die anderen weisen vernunftgemäß darauf hin, daß die Gemengelage aus nahezu jedem Blickwinkel betrachtet gänzlich unterschiedlich ist zu jenem berüchtigten zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts.
Es liegt schon was in der Luft, das werden die meisten Empfänglichen gewittert haben. Sei es die Drohnenermordung des iranischen Kriegshelden Qassem Soleimani durch die Trump-Administration; sei es die schwarz-grüne-Hochzeitsstimmung, die von Österreich bis Sachsen vor allem jene Gegenden zu befallen scheint, in denen die christlichen Demokraten noch Wähler zu verkaufen haben; oder sei es die Alltäglichkeit mit welcher von Straßburg bis Connewitz die Bürgersteige brennen, sobald sich der kleinste Anlaß bietet.
Die Riemen werden fester gezogen und die Sprache wird deutlicher – im Koalitionsvertrag von Sebastian Kurz ebenso wie in den Innenministerien der Bundesrepublik. Der sanfte Totalitarismus, so scheint es, hat in den vergangenen Jahren einiges an Plüschigkeit eingebüßt – ein Umstand, der Anlaß zu Galgenhumor, zu Vorsicht, aber auch zu Tatendrang bietet.
Machen wir uns nichts vor: Die wachsenden feindlichen Aktivitäten der bestehenden neoliberalen Kulturhegemonie inklusive ihrer linkshumanistischen Einsprengsel sind gefährlich für die Rechte. Sie sind sogar schweinegefährlich, gerade da wo sie wie eine Karikatur ihrer literarischen Vorbilder aus Fahrenheit 451, 1984, oder Brave New World wirken.
Zu häufig neigen wir dazu – ich nehme mich davon nicht aus – mit befriedigter Fassungslosigkeit auf das sich immer feiner abwickelnde Überwachungsnetz, die neuesten Absurditäten staatlicher Sprachge- und verbote und die machtversessenen Klüngeleien der Parteiendemokratie zu schauen. „So wird es kommen“, haben wir gesagt, und siehe: So kam es.
Indes: Die Auflehnung gegen diese Entwicklungen, die in solchen Momenten den Eindruck sich erfüllender Prophezeiungen erwecken und deshalb unabwendbar, not-wendig, ja schicksalshaft erscheinen, ist und bleibt die einzige legitime Reaktion, das einzige angemessene Wirken in dieser Zeit, der wir uns stellen müssen.
Wo also Bewegung in die Sache kommt – zum Guten, oder zum Schlechten – da ist es an uns mitzumischen, mittendrin zu stehen und je nach Vermögen ganz vorne mit dabei zu sein, wenn sich die Zukunf entscheidet. Lassen wir uns also ruhig ein bißchen anstecken von dem Zwanziger-Fieber, das um sich greift.
Immerhin: Nie war nach 1789 die deutsche Rechte so viril, so vielschichtig, so fantastisch-fanatisch wie in der Zeit zwischen den Kriegen. Nie wurde so ernsthaft an der Utopie gewerkelt, nie schien soviel nöglich wie in diesem Jahrzehnt. Welche dieser Attribute auch für die kommenden Zweitausendzwanziger gelten werden, das liegt an uns.
Nietzsche schrieb: Ihr sollt Dichter Eures Lebens sein. Soweit müssen Sie wegen mir gar nicht gehen, liebe Leser. Aber: Beachten Sie das Versmaß der Zeit, lesen Sie sie gründlich und machen Sie sich einen guten Reim darauf. Willkommen in den Zwanzigern.
Caroline Sommerfeld
Ich will nicht "an der Utopie mitwerkeln"! Ganz entschieden nicht. Konservativer, rechter, reaktionärer Mut schaut anders aus. "Rechte Utopie" ist eine contradictio in adiecto.
"Die moderne Welt dürstet nach dem Totalitarismus und wendet sich mit Grauen von ihm ab, und fast jeder liebt einen Totalitarismus und haßt einen anderen. Muß denn immer das, was man liebt, identisch sein mit dem, was man haßt? Empfindet man denn immer das Bedürfnis, das Verhaßte unter einer anderen Form zu lieben, und umgekehrt?" (Simone Weil, Schwerkraft und Gnade, 1947)