Dirk Neubauer: Das Problem sind wir. Ein Bürgermeister in Sachsen kämpft für die Demokratie, München: DVA 2019. 240 S., 18 €
Dirk Neubauer, Bürgermeister eines sächsischen Städtchens, ist ein Macher, ein Anpacker, einer der Kraft und Willen hat und zu verändern weiß. Solche Leute braucht das Land! Seine Biographie zeigt einen Unsteten, der gerne Neues probiert und experimentiert – diese Menschen geben Vollgas, solange sie Lust haben. Der Vorteil: Neubauer hat Einblick in ganz verschiedene gesellschaftlich relevante Bereiche. Von seinem letzten Steckenpferd berichtet er: der Politik, der Regionalpolitik. Mit Verve gelingen dem sympathischen Mann gute, verständliche Einblicke in ostdeutsche und sächsische Eigenheiten.
Wer den Osten des Landes ein wenig verstehen lernen will, wird hier gut bedient. Seine Beschreibungen sind großartig, weniger originell sind seine Bewertungen, erstaunlich einfach seine Analysen und nahezu blind seine Schlußfolgerungen. Am stärksten ist das Buch dort, wo es Einblick in die schier kafkaeske Welt der Regionalpolitik verschafft. Neubauer zeigt sich dort als ein Don Quichote, der eifrig gegen die ewigen Mühlen der Bürokratie anrennt und von allen anderen gleiches erwartet: ein liebenswerter Idealist mit viel Herz und nicht ganz so viel Verstand. Das Buch kennt waghalsige Herleitungen, wilde Assoziationsketten, ist voller Widersprüche und Kategorienfehler. Immer wieder nimmt er aus seiner Ameisenperspektive das Systemische in den Blick, sieht aber die strukturelle Verantwortung tradierter Politik nicht und will die Defizite mit Eigeninitiative besiegen. Das ist im Grunde genommen der Ruf nach dem starken Mann, nur nicht an oberster Stelle, sondern an der Basis.
Er will den Neuen Menschen und plaudert damit ungewollt das Betriebsgeheimnis linken Denkens – er ist SPD-Mitglied – aus: es wird ein idealistisches Menschenbild entworfen – so und so habe der Mensch zu sein!; im Idealfalle wie man selbst –, aber das Wesen des Menschen wird nicht eingestanden und die Frage, warum sie so sind, wie sie sind, so geworden sind, wird selten gestellt und nie beantwortet. Man erkennt das sprachlich an den vielen Sätzen, die mit »wir müssen« o. ä. beginnen. Bis in die Ebenen hinein offenbart der Autor ein naives Politikverständnis, der das »Abgeben von Macht« fordert und es für »im Grunde genommen einfach« erklärt, der glaubt, daß das, was im Kleinen durch Willenskraft noch durchzudrücken ist, auch im Großen machbar sein müsse, der das Wesen von Politik aber nicht verstanden hat.
Politische Kompromisse werden eben nicht durch Einsichten oder Konsens erzielt, sondern über Machtverhältnisse: Man geht sie ein, weil sie Einfluß und Macht sichern, vergrößern oder erhalten. Wenn er dennoch von »Strukturen« spricht, dann behandelt er sie wie einen Fetisch. Selbst seine Lösungen im Kleinen zeugen von Naivität, wenn er etwa Milliarden verteilen, die Kommunen ermächtigen, Kompetenzverteilungen, Dezentralisierungen, Entzerrung bürokratischer Prozesse, »Geld einsetzen und Regeln lockern«, »mehr Autonomie« und dergleichen mehr will. Dabei zeigt Neubauer durchaus viele Schwachstellen der Demokratie auf, und auch seine Warnrufe sind oft die unseren: die »Distanz zwischen Politik und Bürger« etwa oder der »Mut, sich der Demographie entgegenzustemmen.« Freilich machen seine Aufrufe zu Vielfalt, Vielstimmigkeit, Offenheit und Alternativen, der Kampf gegen »alles wegbeißen, was Bestehendes in Frage stellt« vor der AfD Halt, die er nicht als genuine politische Kraft akzeptiert. Das Buch ist ein Feuerwerk vieler kleiner heller Ideen, das dem Feuerwerksmeister unter den Händen unkontrolliert explodiert. Was wird davon bleiben? Es ist ein Appell an Politik und Bürger.
Man wird ihm Hände schütteln, auf die Schultern klopfen, Verständnis zeigen, vielleicht springt auch eine Titelseite raus, und im Übrigen so weitermachen wie bisher. Vor allem, weil er in der Ebene ohne Abstraktionsanstrengung stecken bleibt.
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Das Problem sind wir von Dirk Neubauer kann man hier bestellen.