Lisa Hoppel: Internationalistischer Nationalismus

Lisa Hoppel: Internationalistischer Nationalismus. Lehren aus dem pan-afrikanischen Befreiungskampf, Wien: Promedia 2019. 176 S., 20 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

»Natio­na­lis­mus«, so for­mu­lier­te es Hen­ning Eich­berg 1978, »ist nicht von ges­tern«. Viel­mehr kom­me er »auf uns zu in dem Maße, in dem in den Metro­po­len die Ent­frem­dung um sich greift. Er ist Teil eines Pro­zes­ses, in dem die Völ­ker sich zum Sub­jekt der Geschich­te machen – gegen Dynas­tien, Kon­zer­ne und Büro­kra­ten«. Das war vom dama­li­gen Vor­den­ker einer pri­mär »links­na­tio­na­lis­tisch« aus­ge­rich­te­ten Neu­en Rech­ten unbe­män­telt euro­zen­tris­tisch gedacht. Sub­jek­te der Geschich­te waren bei­spiels­wei­se afri­ka­ni­sche Völ­ker und, sofern bereits vor­han­den, Natio­nen, über Jahr­hun­der­te näm­lich nicht. 

Die jun­ge Wie­ner His­to­ri­ke­rin Lisa Hop­pel (geb. 1992) wid­met sich nun expli­zit jenen Jah­ren zwi­schen 1945 und 1963, als das Gros der afri­ka­ni­schen Völ­ker infol­ge anti­ko­lo­nia­ler Ent­wick­lun­gen die Sub­jekt­wer­dung zu voll­zie­hen ver­such­te und diver­se natio­na­lis­ti­sche Theo­re­me in afri­ka­ni­schen Län­dern wie Gha­na oder Alge­ri­en syn­the­ti­siert wur­den. Hop­pel spannt indes ein­füh­rend – dem wis­sen­schaft­li­chen Anspruch der Pro­me­dia Rei­he edi­ti­on kri­ti­sche for­schung gemäß – einen Bogen ent­lang der Eck­pfei­ler einer aka­de­mi­schen Nationalismusforschung. 

Erklä­rungs­ver­su­che von Bene­dict Ander­son, Ernest Gell­ner und Eric Hobs­bawm (vgl. für alle Autoren Sezes­si­on 88) wer­den prä­zi­se dar­ge­stellt und ein­ge­ord­net, so daß dem Leser der For­schungs­stand aus­rei­chend ver­mit­telt wird. Daß indes »rech­te« Natio­na­lis­mus­den­ker und ‑kri­ti­ker wie Domi­ni­que Ven­ner, Alain de Benoist und Alex­an­der Dugin voll­stän­dig aus­ge­klam­mert wer­den, obwohl sie Kon­struk­ti­ves bei­zu­steu­ern hät­ten, was gera­de für die Erkun­dung nicht­west­le­ri­scher Natio­na­lis­men hilf­reich erschie­ne, ent­spricht der lin­ken Vor­ge­hens­wei­se und kann unter der obli­ga­to­ri­schen Anpas­sung an die Zeit­ver­hält­nis­se ver­bucht werden.

Trotz die­ser ideo­lo­gisch moti­vier­ten Selbst­be­schrän­kung gelingt es Hop­pel durch­aus elo­quent, »Natio­na­lis­mus« als »trei­ben­de Kraft« zu defi­nie­ren, die über »hoffnungs‑, emo­ti­ons- und hand­lungs­aus­lö­sen­de Dyna­mik« eine »enor­me Inte­gra­ti­ons­kraft« bereit­stel­le. Daß sie sich dabei selbst in die Tra­di­ti­ons­li­nie mar­xis­ti­scher Natio­na­lis­mus­theo­rie stellt, deu­te­te sich an und kann dem Leser bei fort­schrei­ten­der Lek­tü­re nicht ver­bor­gen blei­ben, weil sie – als zwei­ten Theo­rie­bau­stein – die vor­nehm­lich ortho­dox mar­xis­ti­sche Behand­lung der »natio­na­len Fra­ge« durch den sozia­lis­ti­schen Inter­na­tio­na­lis­mus (vgl. Lenin, dann Sta­lin usw.) zugrundelegt. 

Anschlie­ßend skiz­ziert Hop­pel in einem his­to­ri­schen Par­force­ritt die Ent­ste­hung des »Third Worl­dism« oder auch des »Afro-Asia­nis­mus« und bie­tet eine kur­ze Geschich­te der »Block­frei­en« nach Tito und Nas­ser. Mit die­sem poli­tisch-his­to­ri­schen Gerüst des Haupt­teils I im Gepäck folgt erst im Teil II der Stu­die der Blick auf afri­ka­ni­sche Pro­blem­stel­lun­gen iden­ti­tä­rer und sou­ve­rä­nis­ti­scher Art. Auch hier muß der inter­es­sier­te Leser durch ein Gewühl von Defi­ni­tio­nen hin­durch: »Afri­ka­nis­mus«, »Schwar­zer (Inter-) Natio­na­lis­mus oder »Pan­afri­ka­nis­mus« wer­den eben­so erör­tert wie die Rol­le Afri­kas als »mythi­scher Refe­renz­ort der sozia­len Sinn­stif­tung« für Schwar­ze in der Diaspora. 

Daß Hop­pel immer wie­der zu ver­an­schau­li­chen sucht, daß die jewei­li­gen län­der­spe­zi­fi­schen afri­ka­ni­schen Natio­na­lis­men wie auch gesamt­afri­ka­ni­sche Pan­Va­ri­an­ten »eman­zi­pa­to­ri­schen« Cha­rak­ter tru­gen und tra­gen, wäh­rend die ori­gi­när euro­päi­schen Natio­na­lis­men a prio­ri impe­ria­lis­tisch geson­nen und damit regres­si­ven Typs sind, schmä­lert die Lese­lust dann bis­wei­len tat­säch­lich. Inter­na­tio­na­lis­ti­scher Natio­na­lis­mus kann daher nur jenen Lesern anemp­foh­len wer­den, die der nicht­eu­ro­pä­isch-befrei­ungs­na­tio­na­lis­ti­schen Theo­rie und Pra­xis (vgl. auch die Bespre­chung zu Samir Amin in Sezes­si­on 90) ein gestei­ger­tes beruf­li­ches oder pri­va­tes Inter­es­se ent­ge­gen­brin­gen. Sie wer­den in der vor­lie­gen­den Unter­su­chung – trotz ideo­lo­gi­scher Ein­fär­bung – kon­zi­se Defi­ni­tio­nen (Teil I) und Hin­wei­se auf afri­ka­ni­sche Son­der­fäl­le (Teil II) finden. 

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Inter­na­tio­na­lis­ti­scher Natio­na­lis­mus von Lisa Hop­pel kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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