»Nationalismus«, so formulierte es Henning Eichberg 1978, »ist nicht von gestern«. Vielmehr komme er »auf uns zu in dem Maße, in dem in den Metropolen die Entfremdung um sich greift. Er ist Teil eines Prozesses, in dem die Völker sich zum Subjekt der Geschichte machen – gegen Dynastien, Konzerne und Bürokraten«. Das war vom damaligen Vordenker einer primär »linksnationalistisch« ausgerichteten Neuen Rechten unbemäntelt eurozentristisch gedacht. Subjekte der Geschichte waren beispielsweise afrikanische Völker und, sofern bereits vorhanden, Nationen, über Jahrhunderte nämlich nicht.
Die junge Wiener Historikerin Lisa Hoppel (geb. 1992) widmet sich nun explizit jenen Jahren zwischen 1945 und 1963, als das Gros der afrikanischen Völker infolge antikolonialer Entwicklungen die Subjektwerdung zu vollziehen versuchte und diverse nationalistische Theoreme in afrikanischen Ländern wie Ghana oder Algerien synthetisiert wurden. Hoppel spannt indes einführend – dem wissenschaftlichen Anspruch der Promedia Reihe edition kritische forschung gemäß – einen Bogen entlang der Eckpfeiler einer akademischen Nationalismusforschung.
Erklärungsversuche von Benedict Anderson, Ernest Gellner und Eric Hobsbawm (vgl. für alle Autoren Sezession 88) werden präzise dargestellt und eingeordnet, so daß dem Leser der Forschungsstand ausreichend vermittelt wird. Daß indes »rechte« Nationalismusdenker und ‑kritiker wie Dominique Venner, Alain de Benoist und Alexander Dugin vollständig ausgeklammert werden, obwohl sie Konstruktives beizusteuern hätten, was gerade für die Erkundung nichtwestlerischer Nationalismen hilfreich erschiene, entspricht der linken Vorgehensweise und kann unter der obligatorischen Anpassung an die Zeitverhältnisse verbucht werden.
Trotz dieser ideologisch motivierten Selbstbeschränkung gelingt es Hoppel durchaus eloquent, »Nationalismus« als »treibende Kraft« zu definieren, die über »hoffnungs‑, emotions- und handlungsauslösende Dynamik« eine »enorme Integrationskraft« bereitstelle. Daß sie sich dabei selbst in die Traditionslinie marxistischer Nationalismustheorie stellt, deutete sich an und kann dem Leser bei fortschreitender Lektüre nicht verborgen bleiben, weil sie – als zweiten Theoriebaustein – die vornehmlich orthodox marxistische Behandlung der »nationalen Frage« durch den sozialistischen Internationalismus (vgl. Lenin, dann Stalin usw.) zugrundelegt.
Anschließend skizziert Hoppel in einem historischen Parforceritt die Entstehung des »Third Worldism« oder auch des »Afro-Asianismus« und bietet eine kurze Geschichte der »Blockfreien« nach Tito und Nasser. Mit diesem politisch-historischen Gerüst des Hauptteils I im Gepäck folgt erst im Teil II der Studie der Blick auf afrikanische Problemstellungen identitärer und souveränistischer Art. Auch hier muß der interessierte Leser durch ein Gewühl von Definitionen hindurch: »Afrikanismus«, »Schwarzer (Inter-) Nationalismus oder »Panafrikanismus« werden ebenso erörtert wie die Rolle Afrikas als »mythischer Referenzort der sozialen Sinnstiftung« für Schwarze in der Diaspora.
Daß Hoppel immer wieder zu veranschaulichen sucht, daß die jeweiligen länderspezifischen afrikanischen Nationalismen wie auch gesamtafrikanische PanVarianten »emanzipatorischen« Charakter trugen und tragen, während die originär europäischen Nationalismen a priori imperialistisch gesonnen und damit regressiven Typs sind, schmälert die Leselust dann bisweilen tatsächlich. Internationalistischer Nationalismus kann daher nur jenen Lesern anempfohlen werden, die der nichteuropäisch-befreiungsnationalistischen Theorie und Praxis (vgl. auch die Besprechung zu Samir Amin in Sezession 90) ein gesteigertes berufliches oder privates Interesse entgegenbringen. Sie werden in der vorliegenden Untersuchung – trotz ideologischer Einfärbung – konzise Definitionen (Teil I) und Hinweise auf afrikanische Sonderfälle (Teil II) finden.
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Internationalistischer Nationalismus von Lisa Hoppel kann man hier bestellen.