Was sehen wir hier? Es hilft nichts, wir müssen es aussprechen: Wir sehen einen alten weißen Mann. Es kann sein, daß in den letzten Jahren allzuoft auf dieser Personengruppe herumgehackt wurde. Übrigens schreibt keiner mehr »alter, weißer Mann«. Gemäß der aktuellen Kommareglung wäre das nämlich falsch.
Alt und weiß gehen heutzutage eine »feste, untrennbare Verbindung« ein! Es ist gewissermaßen »in«, solche männlich-alt-weißen Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihres Alters kategorisch als eine Gefahr für »Diversität« und »Feminismus« anzusehen.
Es heißt, alte weiße Männer diktierten die Regeln. Seit je. Und seit je zu Unrecht. Im Hintergrund aber ackerten immer die Frauen, die bescheidenen Opferfiguren. So war Bettine von Arnim der eigentliche Motor der Spätromantik, Marie Curie die eigentliche Nobelpreisträgerin und Ada Lovelace die eigentliche Erfinderin des Computers, und so weiter. Tja, Mädchenblütenträume!
De facto sind es Männer, die die Welt konstruieren, und im übrigen ist fraglich, was sich ändert, wenn eine Frau die Schalthebel bedient. Auf unserem Bild sehen wir also einen alten weißen Mann. Er ist bestens gerüstet. Er trägt ein neonfarbenes Kleidungsteil, das ihm als Schwimmweste sicher hilfreich sein würde, falls seine Mission je kenterte.
Wird sie nicht! Jedenfalls nicht in dem Sinne, daß der »alte Weiße«, dessen Brillenbügel sich so schön und irgendwie zivilisiert unter das rechtschaffen rasierte Schläfenhaar schmiegen, die Konsequenzen seines Irrwegs zu Lebzeiten auszubaden hätte. (Pardon, »baden« darf man nicht sagen in diesem Kontext, oder?)
Heinrich Bedford-Strohm (HBS), Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), bleckt siegessicher die Zähne. So schaut ein Mann aus, der seine Schäfchen im Trockenen hat. So schauen die Werbe-Rentner aus, die mit »Studiosus« nachhaltig fremde Kontinente entdecken und dort mit Kaffeebauern oder Bisonhütern angeleitete Gespräche führen dürfen.
Fallende Schultern, vorgestreckter Kopf, allseits offenes Grinsen. »Faszinierend, diese Menschen da draußen, nicht wahr?« Das hier ist das Gesicht »BRD 2019«, welches sonst? Ein geblähter Grönemeyer wäre nicht repräsentativ, ein streberhaftes »FFF«-Mädel auch nicht. Der Durchschnittsdeutsche (wir wollen das millionenstarke Prekariat mal außen vorlassen; das ist es eh gewohnt) schaut aus wie HBS. Die EKD wird nun also ein »Rettungsschiff« finanzieren.
Der evangelische Theologe Prof. Ulrich Körtner übte auf zeitzeichen.net scharfe Kritik an dem Vorhaben:
Letztlich laufen die Forderungen der NGOs auf eine Politik der offenen Grenzen hinaus. Das gilt auch für die Position der EKD. Die politischen und sozialen Folgen einer solchen Willkommenskultur, die das Erstarken rechter und fremdenfeindlicher Parteien in ganz Europa gefördert hat, werden heruntergespielt oder einseitig einer rassistischen ›rechten‹ Gesinnung angelastet.
Volker Münz, religionspolitischer Sprecher der AfD sekundierte:
Die Kirche unterstützt hiermit das Geschäftsmodell der Schlepperbanden. Damit werden noch mehr Menschen aufs Meer gelockt und es werden noch mehr Menschen sterben. Damit wird die illegale Migration gefördert und die Migrationskrise verschärft. Das Vorhaben der EKD ist nur scheinbar christlich, es ist ethisch unverantwortlich.
Es ist an der Zeit, gründlicher über die Immunschwäche des Christentums nachzudenken. Recht populär ist es, diese Schwäche auf die Tugendlehre Christi zurückzuführen. Demnach hätten zum einen die geforderte Nächstenliebe und Barmherzigkeit mit allen Menschen zu einem verderblichen Universalismus geführt. Zudem seien Christen angehalten, unter allen Umständen auf Gewalt zu verzichten und die andere Wange hinzuhalten. Nun gibt es allerdings keine Ethik ohne die Idee der Mitmenschlichkeit.
Jegliche ethische Reflexion ist Reflexion über das Verhältnis zum Nächsten in der Absicht, dieses Verhältnis dem menschlichen Wesen gemäß zu gestalten. Das Christentum ist mit seiner Lehre von Nächstenliebe und Barmherzigkeit keine Ausnahme. Es setzt freilich besondere Schwerpunkte. Ein Schwerpunkt ist in der Tat der Gewaltverzicht – aber auch dazu gibt es mehr zu sagen.
Wenn Christus sagt: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden« (Mt 28,18), zeigt das eben nicht idealistisches Hinwegträumen über die harte Beschaffenheit der Welt , ein Augenverschließen vor dem, was ist, sondern eine metaphysische und metapolitische »Ordnung der Gewalt«, nach der die Gewalt ein Lehen ist, das hierarchisch gegeben und empfangen wird.
In dieser Ordnung ist die Verantwortung vor dem Lehnsherrn für den Gebrauch der Gewalt inbegriffen. Die Gewalt wird damit nicht abgeschafft, sondern vielmehr reguliert. Man darf die Ethik Christi nicht mit Hippie-Romantik oder dem unbedingten Willen zur Utopie verwechseln – und dennoch wird die Lehre von der Liebe immer wieder zum Einfallstor für derlei geistiges Parasitentum.
Wir leben in vertrackten Zeiten: Kategorien wie Nähe (»der Nächste«) und Ferne haben sich mobilitätsbedingt gründlich verschoben. Womöglich ging das zu schnell für ein altes weißes Männerhirn. Kurz vor HBS’ hemdsärmeligem Rettungsvorstoß wurde auf evangelisch.de von einer Faltungsfaltaktion (ja!) berichtet:
979 selbst gefaltete Segelboote aus Papier sind bis Anfang September in der evangelischen Kirchengemeinde Aerzen gefaltet worden. Bei der Aktion konnte jeder, der ein kirchliches Rettungsschiff im Mittelmeer befürwortet, ein Faltschiff ins Pfarramt bringen. Alle Teilnehmer haben die Schiffe mit ihrem eigenem Namen versehen. (…) Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister übergab die Faltschiffchen an den EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm am Rande der Kirchenkonferenz.
Rührend.
Und HBS? Handelte. Ihn dürfte der Wille zum Schiff mehr beeindruckt haben als die zigtausendend Mißfallensrufe, die ihm entgegengeschallt waren, nachdem er sich 2016 mit dem katholischen Kardinal Reinhard Marx auf dem Tempelberg und an der Klagemauer in Jerusalem getroffen hatte.
Die beiden hatten dazu ihr Brustkreuz abgelegt. HBS begründete dies: Es entspräche nicht seiner Haltung, »das Kreuz demonstrativ vorneweg zu tragen«, man habe die Vertreter der anderen Religionen »nicht provozieren« wollen. So sind sie, die Glaubenshüter von heute!
Bischof Bedford-Strohm beruft sich aber leider nicht ohne jegliches Recht aufs christliche Liebesgebot, wenn er nun die EKD am Shuttle-service für afrikanische Migranten beteiligt. Es ist die Schwäche des Christentums, dieser Deformation der Nächstenliebe zum Nächstenwahn keinen festen und nachhaltigen Riegel vorschieben zu können. Es gibt kein religiöses Gesetz, das man dagegen einwenden könnte, weil die Religionsgesetzgebung insgesamt ungültig und bedeutungslos ist. Es gibt nur den Appell an die Vernunft, der aber im Fall des Wahns wirkungslos ist.
Die religiöse Schwärmerei ist ein kollektives Phänomen, für das auch areligiös gestimmte Menschen empfänglich sind. Sie tritt zyklisch und epidemisch auf, äußert sich als eine Spielart der Hysterie und manifestierte sich in den messianischen Bewegungen der jüdischen Geschichte ebenso wie im Täuferreich zu Münster. Ist der Prozeß einmal ausgelöst, kommt es zur unweigerlichen Selbstradikalisierung, zur Übersteigerung bis zum Exzeß.
Das kann sich lange hinziehen, und angesichts der schieren Masse, die aktuell davon durchschüttelt wird, ist mit einem baldigen Ende nicht zu rechnen. Es ist zu vermuten, daß es zu größerer Zerstörung, schlimmerem Leid und noch mehr Opfern kommen wird, bevor dieser Krug das letzte Mal zum Brunnen geht und bricht. Übrigens: Mund zu – es zieht. Und wenn’s allzusehr zieht, drohen Nackensteife und Schnupfnase. Dagegen hilft nur: Türen zu, Schotten dicht.