Die bundesdeutsche Linke hat, theoretisch wie praktisch, ihre Selbstverbiegung abgeschlossen. Hedonistische Lebensentwürfe und überstiegener Minderheitenfetischismus, urban-kosmopolitische Impertinenz und Verachtung der »Provinz«, intellektuelle Konformität und fehlendes Reflexionsvermögen, Akzeptanz des falschen großen Ganzen und manischer Kampf gegen dissidente Ablenkziele – der linksliberal-postmoderne Turn, der in den 1990er Jahren in der linken Sphäre eingeleitet wurde, erlebt derzeit seine Vollendung.
Das mündet in einem anhaltenden Wahldebakel der Linkspartei im Realpolitischen und in einer ebenso bemerkenswerten geistigen Stagnation bis Regression linker Theorie- und Denkarbeit im Metapolitischen. Und doch muß dieses – verdientermaßen: scharfe – Verdikt eingeschränkt werden. Um die Internetprojekte nachdenkseiten.de und rubikon.news, die Magazine Hintergrund und Lunapark21 und schließlich die Verlage Promedia (Wien) und Westend (Frankfurt am Main) hat sich eine kleine, aber resistente Szene souveränistischkommunitaristischer Linker entwickelt.
Es sind gewissermaßen realistische Linke, die nicht vergessen haben, daß die nahenden Spannungen im Ökonomischen und Sozialen einschneidende Analysen und Kehren erfordern, daß die Kritik der herrschenden Verhältnisse im Inneren über den infantilen und geistfeindlichen »Kampf gegen Rechts« weit hinausreicht, ja daß es, im Außenpolitischen angelangt, einstweilen einen »letzten Hegemon« (Alain de Benoist) gibt, der in Gestalt der USA eng verwoben mit der liberalen Globalisierung samt Universalisierung westlerischer Lebensbilder ist.
Bei den genannten Verlagen Promedia und Westend erschienen nun drei Titel, die diese Einschätzung untermauern. Zunächst legen die beiden Herausgeber Ulrich Mies und Jens Wernicke (vgl. Sezession 81) mit Fassadendemokratie und Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter (Wien 2017, 272 S., 19.90 €) einen Sammelband vor, der mehr als ein Dutzend realistischer Linker versammelt.
Ihr Anliegen ist die Demaskierung des »tiefen« oder »dunklen Staats«. Dieses Sujet, das gemäß Kritikern oftmals eine Nähe zum Verschwörungsdenken mit sich bringt, ist so diffizil wie bedeutend, denn daß man es heute mit einer Art »Schattenregierung« zu tun hat, welche »die eigentliche Macht darstellt«, wie die Herausgeber einleitend monieren, wird links wie rechts oftmals kolportiert, ohne daß entsprechende Begründungszusammenhänge geliefert würden.
Oft raunt es mehr über ebenjenen »Tiefen Staat«, als daß die Prozesse, die zu ihm führen oder von ihm ausgehen, rational dargelegt würden. Der prominenteste Autor des Bandes, Rainer Mausfeld (vgl. Sezession 88), problematisiert denn auch den Leitterminus »Tiefer Staat«: Metaphorisch müsse dieser aber trotz einiger Einwände verwendet werden, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darauf zu lenken, daß – und hier erinnert Mausfeld an den 2003 verstorbenen Johannes Agnoli – »die Zentren der politischen Macht nicht bei den Parlamenten und Regierungen liegen, sondern bei Akteuren, die weitgehend der öffentlichen Sichtbarkeit entzogen sind«.
Im weiteren sei der »Tiefe Staat« eine »Erscheinungsweise politischer Macht« im »zunehmend totalitären Spätkapitalismus«. Die Autoren wenden sich, diese Vorgabe des Psychologen Mausfeld als Leitmotiv, unisono gegen das, was sie als »Fassadendemokratie« bezeichnen. Während der breiten Masse durch Demokratiesimulation der Schein der Volksherrschaft vermittelt werde, sähen sich die wirklich richtungsweisenden Entscheidungen in den »Tiefenstrukturen« getroffen, die dem Einfluß des eigentlichen Souveräns gänzlich entzogen seien.
Der Soziologe Bernd Hamm liefert für den Band eine weitere Richtungsvorgabe: Es gebe ein idealtypisches Modell neuer Machtstrukturen, wonach vier Kreise die reale Herrschaft anstelle des Volkes ausüben: Der innerste Kreis sei die »globale Geldelite« in Form von Akteuren mit einem Vermögen von über einer Milliarde Euro.
Den zweiten Kreis bilden Köpfe transnationaler Konzerne und Finanzplayer. Der dritte Kreis wird durch Politiker und Militärs von internationalem Format zusammengesetzt. Der vierte Kreis, der für den Normalbürger via Medienkonsum am Sichtbarsten ist, wird durch Journalisten, Wissenschaftler, Schriftsteller, Stars aus Film und Musik, NGO-Ikonen und Kirchenvertreter verkörpert; sie genießen situativ Zugang zu den ersten drei Kreisen und sichern deren Herrschaft durch die massenwirksame Reproduktion herrschaftsstabilisierender Ideologeme.
Wer sich für die neue globale Spaltung in »Anywheres vs. Somewheres« im speziellen und für Globalisierungs- und Herrschaftskritik im allgemeinen interessiert, wird an diesen Ausführungen fortan nicht vorbeikommen, wenngleich in einigen Beiträgen auch markante Schwächen manifest werden. Stellvertretend sei der Aufsatz Wolf Wetzels genannt, dessen Betrachtungen des NSU-Komplexes als Erscheinungsform des »Tiefen Staates« zwar für einen linken Autoren wagemutig sind, aber am Ende im festgezurrten Denkschema des Antifaschismus verharren.
Wetzel räumt ein, daß die kolportierte Story über drei Nazi-Terroristen samt exorbitant großem und doch unerkanntem Unterstützerumfeld nicht ansatzweise ohne die Lenkung bzw. Steuerung durch Geheimdienste denkbar sei. Aber auch er wagt es nicht, das bereits poröse »Narrativ« des Establishments grundlegend zurückzuweisen.
Diese aufklärerische Arbeit wird auch im Folgeband, Der Tiefe Staat schlägt zu (Wien 2019, 280 S., 19.90 €), nicht geleistet. Aber der Untertitel verrät auch, warum dies ohnehin nicht die selbstgestellte Aufgabe des Buches ist: Wie die westliche Welt Krisen erzeugt und Kriege vorbereitet.
Der Herausgeber Ulrich Mies erläutert, daß es nun darum gehe, den »Dunkelraum der Herrschenden« zu beleuchten und insbesondere deren Kriege in einen ideologie- und imperialismuskritischen Kontext zu stellen. Auch an diesem Sammelband wirken über ein Dutzend überwiegend interessanter Autoren wie Aktham Suliman, Hannes Hofbauer oder Nicolas Davies mit.
Die Stärken der Aufsätze sind bei kapitalismus- und imperialismuskritischen Autoren evident: Es ist die kundige Analyse der Zusammenhänge von Krisen und Kriegen, globalen Herausforderungen und hegemonialen Projekten. Die Schwächen resultieren aber aus den Stärken, und dies bleibt das Dilemma der Autoren. Denn die an vielen Stellen »altlinks« anmutende Haltung der Autoren macht sie blind für zahllose neue Fragestellungen, die nicht anhand gestriger Dichotomien deutbar sind.
Hannes Hofbauer (vgl. Sezession 90), ein fraglos lesenswerter Autor, kann bei seiner EU-Kritik etwa nicht darauf verzichten, die Mär vom ewigen deutschen Imperialismus weiterzuspinnen; im Auftreten bundesdeutscher Politik sieht er die »Vorstellungen eines deutschen Großraumes« weiterleben. Derartige Legenden schmälern den Erkenntnisgewinn und lenken ab von den im Aufsatz enthaltenen Wahrheiten: daß nämlich die EU-Struktur keine europäische Völkervereinigung mit sich bringt, sondern die Herrschaft »großräumig agierender Kapitalgruppen, denen Grenzen generell – ob räumlich oder sozial – hinderlich sind«, zementieren soll.
Daß auch kluge Linke am Ende Linke bleiben, unterstreicht auch Rainer Mausfeld. Seine jüngste Aufsatzsammlung Angst und Macht (Frankfurt a. M. 2019, 123 S., 14 €) ist eminent wichtig, weil er das oftmals als Phantom wahrgenommene System des herrschenden »Neoliberalismus« seziert und auch (kritischen) Einsteigern in die Thematik den Zugang durch Definitionen erleichtert.
Es gehe der neoliberalen Ideologie der totalen Umgestaltung menschlicher Zusammenhänge um die Erlangung absoluter Marktförmigkeit des gesellschaftlichen Daseins. Nationalstaaten sollen – »unter ideologischen Schlagwörtern wie Globalisierung, Flexibilisierung und Deregulierung« – so umgebaut werden, daß »dadurch geeignete institutionelle Rahmenbedingungen für einen globalen Konzern- und Finanzkapitalismus geschaffen werden und zugleich der globale Kapitalismus gegen jede Form demokratischer Bedrohungen geschützt wird«.
Obschon diese Ausführung zutreffend wie anschaulich vorgebracht wird, bleibt der blinde Fleck – wie so enervierend oft – ausgerechnet der demokratische Souverän: das Volk. Mausfeld legt selbst dar, daß der realexistierende Neoliberalismus Traditionen abräumt und gemeinschaftsstiftende Einheiten überwinden will. Aber er will nicht begreifen, wie nah er selbst an diesem Punkt mit neoliberaler Ideologie konform geht, wenn er volkliche und kulturelle Identitäten zu Fiktionen erklärt.
Er unterstreicht damit, daß die Promedia-Westend-Linke zwar eine kluge Linke ist, mit der man argumentativ ringen und sich, so antifaschistische Tugendwächter dies nicht verhindern, auf ein temporäres politisches Minimum verständigen könnte. Aber am Ende können auch sie sich von einigen linken Lebenslügen nicht lösen – entweder aus Überzeugung oder aus Angst vor Isolation im eigenen Milieu. Beides spräche indes dafür, daß Erkenntnisgewinn links der Mitte zwar möglich ist, daß praktische Schlußfolgerungen aber nur (neu)rechts wirksam werden könnten.
Alle genannten Bücher kann man hier bestellen.
Brandolf
Der von mir ansonsten geschätzte Herr Mausfeld betätigt sich im Gegensatz zum dezidiert anti-islamisch gesinnten Neomarxisten Hartmut Krauss ebenso wie die von ihm berechtigterweise kritisierten Zuwanderungseuphoriker als Islamverteidiger.