Daniel Stelter: Coronomics. Nach dem Corona-Schock: Neustart aus der Krise

Daniel Stelter: Coronomics. Nach dem Corona-Schock: Neustart aus der Krise, Frankfurt a.M. / New York: Campus Verlag 2020. 217 S., 18.95 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Daß auf die Covid19– / Coro­na-Pan­de­mie eine öko­no­mi­sche Zäsur fol­gen wird, nach der die glo­ba­le Wirt­schafts­si­tua­ti­on eine ande­re sein wird, kann nach eini­gen Mona­ten Virus­be­richt­erstat­tung als All­ge­mein­platz gel­ten. Dani­el Stel­ter nutzt die­sen erwart­ba­ren wirt­schafts- und sozi­al­po­li­ti­schen Ein­schnitt, um sei­ne – durch­aus bekann­ten – Ana­ly­sen zu Euro­päi­scher Uni­on, Euro­ret­tung, Schul­den- und Inves­ti­ti­ons­po­li­tik mit aktu­el­len Gescheh­nis­sen zu koppeln.

Der Vor­teil des Vor­ge­hens liegt auf der Hand: Der renom­mier­te Makro­öko­nom und Blog­ger (think:beyondtheobvious.com) kann anhand einer Kri­se, die alle Men­schen tref­fen oder zumin­dest berüh­ren wird, sei­ne eige­nen The­sen plas­tisch dar­le­gen und an eini­gen Stel­len mit anschau­li­chen Bei­spie­len und Zah­len unterfüttern.
Der Nach­teil ist eben­so evi­dent: Denn auch Stel­ter kann nicht in die Zukunft bli­cken, und so bleibt man­ches an sei­ner flott publi­zier­ten Stu­die Coro­no­mics natur­ge­mäß vage und spe­ku­la­tiv, weil man mit dem Buch womög­lich die ent­ste­hen­de Markt­lü­cke des Coro­na­kri­sen­rat­ge­bers eilig schlie­ßen wollte.

Daß das Buch als Gan­zes indes eini­ger­ma­ßen lesens­wert ist, liegt daher eher am ana­ly­ti­schen Über­blicks­cha­rak­ter und weni­ger an der ver­hei­ßungs­vol­len Pro­gno­se, die im Unter­ti­tel Nach dem Coro­na-Schock: Neu­start aus der Kri­se anklingt. Stel­ter legt all­ge­mein­ver­ständ­lich und mit klu­gen Pra­xis­er­läu­te­run­gen dar, wes­halb schon 2019 der deut­sche Indus­trie­sek­tor – und damit die gan­ze Bun­des­re­pu­blik – nur knapp einer Rezes­si­on ent­ging, wes­halb das Virus also auf eine geschwäch­te Wirt­schaft traf, die sich auf dem Weg in den Abstieg befand. Die Gemenge­la­ge aus hohen Schul­den, gerin­gem Eigen­ka­pi­tal und zuneh­men­der Spe­ku­la­ti­on war real, bevor Coro­na nach Deutsch­land und Euro­pa kam; das Virus, hebt Stel­ter mit Daten, Tabel­len und Sta­tis­ti­ken her­vor, leg­te »die chro­ni­sche Krank­heit einer Wirt­schaft offen, die zuneh­mend auf Spe­ku­la­ti­on anstel­le von Inves­ti­tio­nen setzt«.
Es mag auch an die­sen der­zeit herr­schen­den Män­geln öko­no­mi­scher Akteu­re und Struk­tu­ren lie­gen, daß sich bereits vor den durch Coro­na evo­zier­ten Unsi­cher­hei­ten des Arbeits­markts und der Lebens­füh­rung ein Groß­teil der Deut­schen eine grö­ße­re, gestal­ten­de Rol­le des Staa­tes wünsch­te. Stel­ter, der selbst eher markt­li­be­ra­len Posi­tio­nen nahe­steht, ver­weist auf ent­spre­chen­de Erhe­bun­gen, nach denen Deut­sche besag­tes ver­stärk­tes Agie­ren des Staa­tes ein­for­der­ten – und sieht die­sen Umstand als Geg­ner wei­te­rer staat­li­cher Inter­ven­tio­nen kritisch.

Für den Neu­an­fang nach der ein­schnei­den­den Kri­se, so viel sei ver­ra­ten, hat Stel­ter nicht all­zu­viel Hand­fes­tes parat. Sei­ne Idee bei­spiels­wei­se, die Schul­den der ein­zel­nen euro­päi­schen Staa­ten durch einen radi­ka­len Schnitt auf ein glei­ches Level zu brin­gen, von dem aus dann alle Akteu­re einen ähn­li­chen Neu­be­ginn wagen könn­ten, ruft man­nig­fal­ti­ge Ein­wän­de her­vor, die den Rah­men einer kur­zen Bespre­chung spren­gen wür­den; man den­ke allein an die unglei­che Ver­mö­gens­ver­tei­lung der Pri­vat­haus­hal­te, die im EU-wei­ten Ver­gleich ins­be­son­de­re zuun­guns­ten der Deut­schen ausfällt. 

Aus­rei­chend ist es aber, die­sen Bei­spiel­vor­schlag mit Stel­ters eige­ner Ana­ly­se abzu­glei­chen – und bereits hier wird es bei genann­tem Ein­zel­bei­spiel wider­sprüch­lich. Denn Stel­ter führt ja selbst die diver­gie­ren­den Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se als Kri­tik­punkt am Euro­raum ein, wobei aus­ge­rech­net die chro­ni­schen Kri­sen­län­der Ita­li­en und Spa­ni­en hohe Ver­mö­gens­kon­zen­tra­tio­nen an der Spit­ze auf­wei­sen. Eine Ent­schul­dung Ita­li­ens und Spa­ni­ens – um beim Bei­spiel zu blei­ben – auf das­sel­be Niveau wie Deutsch­land scheint unsin­nig, wenn zugleich die pri­va­te Ver­mö­gens­sprei­zung (zulas­ten Deutsch­lands) erhal­ten bleibt, wäh­rend die Ober­schicht Ita­li­ens und Spa­ni­ens ihre Besitz­tü­mer unan­ge­tas­tet sähe. Die­se satu­rier­ten besit­zen­den Klas­sen der Kri­sen­na­tio­nen aber end­lich auch gemein­schaft­lich in die Pflicht zu neh­men (anstatt den deut­schen, öster­rei­chi­schen oder däni­schen Steu­er­zah­ler aus der Nor­mal­be­völ­ke­rung), hält Stel­ter für irre­al. Wie­so dies nicht durch­setz­bar sein soll, ein gesamt­eu­ro­päi­scher Schul­den­schnitt und finanz­po­li­ti­scher Reset des Euro­raums aber schon, bleibt ungeklärt.

Merk­wür­dig ist auch, daß Stel­ter trotz sei­ner fun­dier­ten Kri­tik der Mer­kel-Regie­rung, der Euro-Ret­tungs­po­li­tik und der feh­len­den Ver­mö­gens­bil­dung des deut­schen Durch­schnitts­bür­gers kei­ne sys­te­mi­schen Pro­ble­me wahr­ha­ben möch­te. Die »Sys­tem­fra­ge«, räumt der Autor ein, lie­ge zwar im Wes­ten nun auf dem Tisch. Doch beant­wor­tet er sie mit einer Apo­lo­gie der »offe­nen Gesell­schaft«, die nun end­lich »bewei­sen« müß­te, daß sie mit Chi­na und Co., ihren auto­ri­tä­ren Gegen­spie­lern, bei der Kri­sen­lö­sung effek­tiv kon­kur­rie­ren könn­te. Wie aus­ge­rech­net eine offe­ne Gesell­schaft Sicher­heit und Sta­bi­li­tät nach dem »Coro­na-Schock« gewäh­ren soll, bleibt der­weil Dani­el Stel­ters Geheimnis.

Coro­no­mics von Dani­el Stel­ter kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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