Wolltest du etwa riskieren, daß durchgestorben wird, Bosselmann? Und damit einkalkulieren, selbst dabei, also unter den Opfern zu sein? Ich hätte zu antworten: Durchaus, ja.
Im Wesentlichen halte ich das, was geschah (Und es geschah viel mehr und vor allem Verheerenderes politisch als medizinisch!), für eine selbsterfüllende Prophezeiung gemäß Robert K. Merton und des von ihm aufgegriffenen Thomas-Theorems.
In Kürze: „Wenn die Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren Konsequenzen real.“ Es herrschte eine „Pandemie“, weil das von Regierungen und Legislativen so definiert worden war – mit den Begründungen und sogar im Interesse jener Experten, die – als Epidemiologen und Virologen – schon länger eine solche „Pandemie“ orakelt hatten. Es wurde weniger erkannt als entschieden, daß eine Seuche ausgebrochen wäre, woraufhin das Infektionsschutzgesetz zur Anwendung zu kommen hätte.
Kraft enger Vernetzung war es die unausweichliche Folge, daß die ganze Welt darauf einstieg, scheinbar kollektiv darin übereinstimmend, man befände sich in einer „Pandemiesituation“ und wäre von einer globalen „Naturkatastrophe“ betroffen.
Eine Infektionskrankheit, selbst eine weltweit Erkrankungen auslösende, stellt allerdings keine „Katastrophe“ dar, sondern ist Teil des Natürlichen. Als eigentliche Pandemie und Katastrophe muß vielmehr der panische Aktionismus der Politik gelten. Die Politik grassierte übler als die Krankheit. Das Gleichnis, jemand verbrenne sein Haus, nur um ein Wespennest zu vernichten, mag als nicht ganz treffend erscheinen, insofern die Frage zu stellen bleibt, ob es sich überhaupt um ein Wespennest, also eine ernstzunehmende Gefahr, handelte. Oder ob man das Haus nicht vielmehr auf eine paranoide Vorstellung hin, mitunter ohne echte Not, sondern im Wahn angezündet hatte.
Die Regierungen rasten als apokalyptische Reiter durch Volkswirtschaft und Infrastruktur; sie erstickten selbständige Regsamkeit sowie Handel und Wandel, nicht das Virus. Dem blieben die düsteren Konjunktive: Es hätte unseren Tod bedeutet, es wäre horrend geworden, hätte die Exekutive nicht all die Maßnahmen ergriffen, vermeintlich zu unserem Schutz.
Die sogenannten entwickelten Industrieländer traf der politisch verursachte GAU am stärksten. Sie hatten seit Jahrzehnten gesellschaftsneurotisch eine existentielle, politische und soziale Überempfindlichkeit entwickelt und verzärtelten proportional zum Komfortgewinn ihrer Konsumgesellschaften immer mehr.
Drei Generationen Heranwachsender weichten physisch auf und verloren an Haltung, orthopädisch wie ethisch und sogar ästhetisch. Der überalterte, sein selbst verursachtes Absterben befürchtende Westen befand sich offenbar direkt in Erwartung dystopischer Zustände, er empfand sich halbbewußt als moribund und meinte bereits in den ersten Corona-Krankheitsfällen „The Walking Dead“ zu erkennen. “Resilienz” avancierte nicht deswegen zum Modewort, weil man darüber verfügte, sondern weil man sie vermißte.
Daher die Hysterie, der Ruf nach immer neuen Lockdowns, nach Quarantänen und Eindämmungen, befeuert vom Alarm der Expertokratie, die sich das Erlebnis exponentieller Verläufe der Krankheitsentwicklung beinahe zu wünschen schien, um so die eigenen Prognosen bewiesen zu finden. Was für eine irre Angst daraufhin! Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretiker schwiegen zu lange zu den selektiven Wahrnehmungen der Epidemiologen, die mit ihrem Tunnelblick nur Krankheit und Tod erkennen mochten.
Wissenschaftstheoretische Einwände, etwa gemäß Falsifikationismus, wären nicht sogleich verstanden worden; Seuche und Tod, das verstanden die Leute, zumal sie sich fürchteten.
Aber Depressionen und Burn-out-Syndrome kennzeichneten den Westen seit längerem geradezu wesenhaft. Neue „Modeerkrankungen“ waren hinzugekommen, psychisch oder psychosomatisch: Überempfindlichkeiten, Hypersensibilitäten, alle Arten Allergien. Die einst großen westlichen Nationen schienen dünnhäutig und somit durchlässig, geradezu sturmreif, ja empfängnisbereit für einen Erreger. Hatten sie früher opferreich Krisen und Kriege durchlitten, warf sie jetzt ein Infekt um, der meist lediglich schwach und asymptomatisch ablief.
Passend dazu verlor die westlich-weiße Welt wissenschaftlich und industriell ohnehin die Initiative mehr und mehr an Asien. Ihr Sendungsbewußtsein ist längst dahin – und damit die frühere Vitalität und der Impetus an Mut und Tatkraft. Ihre Kultur stirbt; darin kann man grundsätzlich Oswald Spenglers “Morphologie der Weltgeschichte” folgen.
Die Körper sind morbider geworden, aber sie leben länger. Ein Römer der Kaiserzeit wurde fünfundzwanzig Jahre, aber ihn trug die römische Virtus, heute erweichen sie vor Prophylaxe und kommen vor Reihenuntersuchungen nicht nach Hause.
So diagnostizierte es Gottfried Benn schon vor siebzig Jahren. Die Situation Deutschlands beschrieb Edo Reents jüngst in der F.A.Z.:
Deutschland schien am Anfang der Pandemie ja gut gerüstet zu sein. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß es, als alternde Gesellschaft mit einer überalterten Infrastruktur, dem Virus doch nicht so viel entgegenzusetzen hat. Will man den Topos von der Nation als ‚Körper‘ bemühen und nimmt hinzu, daß das durchschnittliche, tatsächliche Lebensalter der Gesamtbevölkerung von derzeit knapp 45 nur unwesentlich unter der von Drosten und anderen ausgerufenen, besonders gefährdeten Altersgruppe liegt, dann könnte man sagen: Das Land als Ganzes zeigt sich (unnötig) anfällig, unentschlossen und muß jetzt mehr tun als andere, besonders als die im Durchschnitt jüngeren asiatischen Länder, die teilweise schon fast durch sind mit Corona; es muß sich, wie ein alternder Mensch, umstellen, sich vielleicht sogar verwandeln.
Bislang verwandelt sich das Land eben nicht; es erstarrt nach wie vor mehrheitlich in Angst und läßt sich daher mit neuer Staatsgläubigkeit von den Richtlinien der Regierungen immer enger einhegen, weil es sich davon Schutz erhofft.
Daß der Infekt eben gerade kein klares Bild zeigte und phänomenologisch nicht von konventionellen und harmlosen Infektionen unterschieden werden konnte, steigerte eher seine Unheimlichkeit. Er wurde zur großen Variablen „Corona“, die sich in allerlei Unheilahnungen verwandelte. Nach überängstlicher Annahme konnten das Virus oder seine als noch bedrohlicher, aggressiver und tödlicher angekündigten Mutanten immer und überall sein oder mindestens überall und immer vermutet werden. Gerade wenn keine Symptome erkennbar waren, hieß es: Du kannst längst infiziert sein! Daher die gespenstisch wirkenden Massentestungen und Selektionen von gesunden Menschen. Ja, wurde geraunt, sie scheinen nur gesund, aber sie sind es nicht. Kafkaesk!
30 Prozent ohne Symptomatik, 40 Prozent leichte Erkältungssymptomatik, 25 Prozent andere Symptomatik (Fieber, Geruchsverlust, Geschmacksverlust, Durchfall), 5 Prozent schwere Symptomatik. Das heißt: 70 Prozent spüren wenig bis nichts, ein Viertel ist deutlich erkältet, lediglich fünf Prozent geht es schlecht. Das ist keine Grippe, nein, aber das ist wie eine Grippe.
Aber: War nun also etwas, etwas Gefährliches? Oder war etwa gar nichts? – Klar war etwas. Mehrere Infektionswellen zogen durch, verursacht von einem zwar „neuartigen“ Virus, das jedoch zu einer bekannten und eben nicht neuartigen Viren-Familie gehört und gemäß seiner Art Erkrankungen der Atemwege auslöste, deren Symptome trivial sind, sich aber bei manchen Menschen verstärkten und verhärteten, nicht selten dramatisch.
Daran wurde gestorben, so wie an anderen Infektionskrankheiten gestorben wird. Dagegen feite, was immer gefeit hatte – ein kräftiger Körper, ein starkes Immunsystem, Bewegung und gesunde Lebensweise sowie bewährterweise Hygiene. Und dennoch traf es mitunter auch die Kräftigen und Gesunden.
Mit Rainer Maria Rilke sei ihrer gedacht:
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
Zu wissen, daß uns der Tod jederzeit ereilen kann, hat zum philosophischen Alltagswissen aller Lebendigen zu gehören. Früher ließ einen genau diese Einsicht reifen und demütig das geschenkte Leben würdigen. Aber wir hatten das seit dem Bedeutungsverlust der Religionen vergessen: Mors certa, hora incerta.
Ja, des Todes gewärtiger zu sein, das hilft. Es hilft innerlich so wie äußerlich die Hygiene, ein kräftigendes Dauertraining und vor allem der Mut, der einer Gefahr zu trotzen bereit ist. Jammern und Verzweiflung helfen nicht, ebenso wenig die nervösen Echauffiertheiten und der Alarmismus der Regierungen, die hektisch und planlos eine Kampagne nach der anderen starteten, um sich den Leuten als entschlossen und kompetent zu präsentieren. Lediglich ein Handeln im Als-ob.
Sinnvoll war an sich nur die Impfkampagne. Hätten sich alle Mittel und Anstrengungen genau darauf zu konzentrieren gewußt und kleinkariertes Bürokratendenken überwunden, wäre allein das am hilfreichsten gewesen – und wirksamer als die Blockaden, Beschränkungen, Abschaltungen, Zwangsmaßnahmen und der Befehl, sich keimiges Vlies vor den Mund zu binden, das das Atmen behindert und die Atmungsorgane versifft.
Aber ist das nicht allzu darwinistisch gedacht, Bosselmann? – Wieder: Durchaus, ja. Wir sind substantiell Naturwesen. Durch manch biologisches, also auch mikrobiologisches Ungemach müssen wir hindurch. Und gehen dabei zuweilen drauf. Hinsichtlich der Grippewellen etwa waren wir daran gewöhnt, aber mit Blick auf das „neuartige“ Corona-Virus aus Wuhan sollte diese Grunderfahrung plötzlich gar nicht mehr gelten und außer Kraft sein. Absurd, daß dieser fatale Wandel namentlich von Virologen ausgelöst, ja gefordert wurde. – Mag aber sein, daß künftige Grippewellen den Vorwand für neue Shutdowns hergeben und daß die jetzt noch extremer sensibilisierten Massen sogar danach verlangen werden.
Andererseits sind wir Kulturwesen. Weil wir nur als solche durchkommen. Deshalb regiert uns die Frage nach dem Wie, die wir immer neu und anders zu beantworten haben. Und beständig müssen wir uns über die Zweckdienlichkeit dieser Lösungen und Entwürfe praktisch belehren. Gerade innerhalb der „Pandemie“ befinden wir uns in einem solchen Prozeß. Dramatisch allerdings ist der nicht wegen der Natur und der vermeintlichen viralen Bedrohung, sondern aus politischen Gründen. Wir investieren viel mehr Energie in politische Konstrukte und Ideen, als daß wir dramatisch mit einer lebensbedrohlichen Seuche zu ringen hätten.
Je präsenter die „Pandemie“ mit allem damit Verbundenen in den Medien ist, um so dominierender wird sie oder wird das, was dafür gehalten wird, zum Thema und in die Konstruktionen von Bedeutungen und Deutungen eingebaut.
Bis in rand- und nachgeordnete Bereiche hinein: Das schwierig zu fassende und wissenschaftlich kaum belastbar zu beschreibende Syndrom „Long-Covid“ etwa avanciert, je intensiver seine angebliche Existenz erörtert wird, zu einem bedrohlichen Krankheitsbild und wird mit Sicherheit häufiger diagnostiziert und sowieso von immer mehr Menschen als treffende Bezeichnung für ihre diffusen Querelen empfunden werden, selbst für solche, die sie auch ohne „Corona“ und überhaupt als Variationen zum Molièrschen eingebildet Kranken hatten. Zum unklaren Unwohlsein paßt am besten ein unklarer Diagnosebegriff.
Vielleicht löst sich jedoch noch in diesem Jahr die Suggestion.
zeitschnur
I.
Sehr guter Artikel. Ja, ich wünschte, in diesem Jahr löste sich die Suggestion noch einmal.
Ich sehe aber auch sehr deutlich, dass man danach nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren kann. Der C-Irrsinn hat kathartische Wirkung für uns Deutsche. Aus meiner Sicht wäre es dringend notwendig, dass wir uns aus dem Würgegriff all dieser "Supra"-Supressionen begeben: Austritt aus der WHO, der EU, der NATO etc. Rückbesinnung darauf, wer wir sind und was wir wollen, Rückgewinnung unserer Souveränität. Und dann souveräne Verträge mit unseren Nachbarn. Wir sind auch keine Nachfahren kriegerischer angeblicher Nordmänner, wie manche Rechte schwadronieren - nichts weniger als das! Wir stammen woanders her und sind Geistesmenschen, das ist unsere große Kraft und genau jene wurde seit 200 Jahren kaputtgeschwächt. Die C-Krise hat uns als total infantilisierte, in jeder Hinsicht verwahrloste Dummköpfe entlarvt, jedenfalls viele von uns, gewissermaßen "konfessionsübergreifend" im politischen Sinn.