ein Bündel mit einunddreißig an ihren Ur-Ur-Großvater Josef Radlegger adressierten Briefen fand. Zwar ist inzwischen so gut wie jede aus dem 19. Jahrhundert stammende Handschrift per se interessant, hier jedoch handelte es sich um ein Konvolut aus der Feder Alois Hitlers, Vater des nachmaligen »Führers und Reichskanzlers«.
Der emeritierte österreichische Professor für Sozialgeschichte Roman Sandgruber kam in den Besitz dieses Funds, dessen Provenienz zweifelsfrei gesichert ist. Das Buch, das er soeben vorgelegt hat, basiert auf jenen Schreiben, die der Zollamts-Oberoffizial Hitler 1895 an den pensionierten Straßenmeister aus Wels richtete. Konziliant und äußerst selbstbewußt im Stil, handeln sie überwiegend von dem Ankauf eines Hofguts in Oberösterreich. Der Wunsch von Hitler sen. war es, nach seiner Dienstzeit ein »Herrenbauer« zu werden. Zu diesem Zweck hatte er sich über die Jahre als Autodidakt großes Wissen auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Betriebslehre angeeignet. Bald nach dem Erwerb des Hofes stellte sich heraus, daß sich der 60jährige finanziell und physisch übernommen hatte.
Von denen, die ihn näher kannten, wird er als angesehener Bürger geschildert, der die Barttracht seines Kaisers trug und Gefallen daran fand, seine Uniform auszuführen; ein schwieriger Charakter und Freigeist, deutsch-national und antiklerikal, mit unstetem Temperament und einer Anlage zum Jähzorn.
Man erfährt viel über den steilen Aufstieg dieses illegitimen Bauernjungen aus dem österreichischen Waldviertel, der mit 13 Jahren mittellos nach Wien ging, eine Schusterlehre absolvierte, um dann in den k.u.k. Zolldienst einzutreten, wo er eine beachtliche Karriere hinlegte. Sandgruber gewährt Einblicke in die Dienstzeit des Mannes, der bis 1876 noch »Schicklgruber« hieß, bevor er den Namen seines Ziehvaters Hitler annahm. Man liest von den Arbeitsbedingungen und Wohnsitzen des Zöllners, erfährt einiges über die finanzielle Situation der Familie, darüber, daß er auf Augenhöhe mit Pfarrer, Lehrer und örtlichen Honoratioren disputierte, und lernt einen Menschen kennen, der nicht unbeträchtliche Summen für Schulspeisungen oder die Opfer von Überschwemmungen und Brandkatastrophen in der Region spendete. Zweifellos kurzweilig wird es, wenn der alte Hitler über lange Wartezeiten beim Ausstellen amtlicher Dokumente und horrende Notargebühren schimpft.
Verdienstvoll sind einige Richtigstellungen Sandgrubers, die nachweisen, daß der versierte Hobbyimker Alois eine solide Allgemeinbildung und gute schriftliche Ausdrucksfähigkeit besaß. Langlebige Legenden werden in das Reich der Fabel verwiesen, wonach er ein Trinker gewesen und im Stammbaum eine »Katharina Salomon« oder ein Rothschild zu finden sei. Sandgruber raunt statt dessen über Kontakte zu dem jüdischen Bankier Wertheimer, um sich letztlich in Spekulation zu verlieren.
Interessant liest sich, wie verhältnismäßig emanzipiert Alois’ bislang stets als scheu geschilderte Ehefrau Klara gewesen sein muß; so regelte die passionierte Zeitungsleserin unter anderem finanzielle Angelegenheiten: »Meine Frau ist gerne thätig und besitzt auch das Verständnis für eine Ökonomie«. Zwei Ehefrauen waren ihm bereits gestorben, desgleichen drei seiner Kinder mit Klara, was ihn in »eine tiefe psychische Krise« stürzte.
Es sind Schlampigkeiten und Irreführungen, die das Buch in seinem Wert erheblich mindern. So werden Geburts- und Sterbedatum Alois’ mehrfach falsch angegeben, der Hausierer und von der Fachwelt längst als Scharlatan entlarvte Reinhold Hanisch wird als glaubwürdiger Kronzeuge für die Wiener Jahre des jungen Adolf präsentiert sowie letzterer mehrfach als »Reichsführer« tituliert, eine Anrede, die dem »Reichsführer SS« Himmler vorbehalten war. In Gmünd, so Sandgruber, habe Hitler 1920 »eine seiner ersten politischen Reden« gehalten – nachdem dieser doch seit Herbst 1919 für die NSDAP Hunderte von Redeauftritten absolviert hatte. Redundant werden Auslassungen von Adolf Hitlers Neffen William Patrick über seinen Onkel zitiert, die bereits vor Jahrzehnten als frei erfundene Ammenmärchen eingestuft worden sind.
Das Buch krankt in der Hauptsache daran, daß sich sein Autor häufig in Mutmaßungen ergeht, wenn er etwa ohne jede Quellenangabe notiert, daß Alois Knechten und Mägden gegenüber Verachtung gezeigt habe oder Klein-Adolf von seinem Vater stets »mit einem Pfiff« herbeizitiert worden sei; Belege hierfür gibt es schlicht nicht.
So drängt sich der Gedanke auf, daß das Buch nach der Übergabe des »Jahrhundertfunds« eiligst auf den Markt geworfen wurde, wohl deshalb findet man weder ein Personenregister noch eine Auswahlbibliographie. Das Buch, um die Hälfte des Umfangs gekürzt und ohne fortwährende Spekulationen, hätte durchaus ein sinnvoller Beitrag über jene »Vergangenheit, die nicht vergehen will«, sein können.
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Roman Sandgruber: Hitlers Vater. Wie der Sohn zum Diktator wurde, Wien: Molden Verlag 2021. 303 S., 29
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