Hier nun »Yogi Hitler« – ein Zusammenhang, der so abstrus wirkt wie jener zwischen dem Einbandfoto und dem Inhalt des Bändchens. Der Untertitel suggeriert einen Nexus: »Der Einfluß von Yoga und indischer Philosophie auf die Ideologie des Nationalsozialismus«.
Nun war diese Ideologie ein Konglomerat verschiedenster Versatzstücke. Insofern sind allerlei Bezüge möglich, mit der Folge, daß jede Quelle, aus der die Nazis angeblich schöpften, kontaminiert erscheint. Vorab: Es gibt keine Wirkbezüge zwischen altindischer Philosophie, Yoga und dem Hitlerismus. Aber dieses Buch kokettiert mit dem Gedanken.
Mathias Tietke kann auf eine couragierte Ost-Biographie verweisen: Er verweigerte in der DDR den Wehrdienst; ein Studium am Leipziger Literaturinstitut wurde verhindert. Vor allem ist er ein exzellenter Yoga-Kenner und selbst Yoga-Lehrer. Seine Studie Yoga im Nationalsozialismus liegt seit 2011 vor, desgleichen Yoga in der DDR. Das vorliegende Buch möchte zeigen, daß Yoga und altindisches Denken spürbar Einfluß auf die Ideologie des Dritten Reiches hatten.
Geboten wird eine Materialsammlung, die sich bemüht, Nachweise für Bezüge zwischen sehr verschiedenen Zeiten und Welten herzustellen. Allzu viele Zitate, allzu viele Fußnoten, raunende Suggestion, insgesamt eine beeindruckende Fülle, dabei jedoch keinerlei Beweis für die These des Titels. Gezeigt wird vielmehr die Entwicklung der NS-Ideologie selbst. Der Autor sucht die Persönlichkeiten, die direkt oder indirekt zur Ausformung der Politik des Dritten Reiches beitrugen. Die Darstellung bricht thematisch öfter aus, Yoga und Altindien rücken über längere Passagen aus dem Blick, wenn es etwa um Antisemitismus geht.
Problematischer ist jedoch, daß der Autor aus der Philosophiegeschichte heraus Verbindungen zum Nationalsozialismus konstruiert, die sich so zwar nicht erkennen, aber auf ein verengtes Philosophieverständnis des Autors selbst schließen lassen. Wenn Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche als Vordenker des Nationalsozialismus dargestellt werden, folgt dies der Engführung der DDR-Philosophiegeschichte.
Das führt zu skurrilen Fehlurteilen: »Der Wortschöpfer des ›Übermenschen‹, der ab seinem 45. Lebensjahr ein Pflegefall war und mit 55 Jahren an Einsamkeit und geistig umnachtet starb, paßte mit seinen zynischen und menschenverachtenden Anschauungen sehr wohl zur Führungsriege und zur Ideologie des Nationalsozialismus.« Abgesehen davon, daß dieser Gedanke mit der Yoga-Thematik gar nicht zu verbinden ist.
Ähnlich mit Blick auf Arthur Schopenhauer: Vermutlich in Unkenntnis des Hauptwerkes und damit im Unverständnis von Willensmetaphysik und Mitleidsethik kann eben nicht verstanden werden, was den Philosophen an den Upanischaden anzog. Wenn dann darauf verwiesen wird, daß Hitler Kant, Schopenhauer und Nietzsche verehrte, heißt das eben nichts.
Vielmehr wäre zu zeigen, inwiefern er sie nur oberflächlich oder überhaupt nicht durchdrang, sondern nur hier und da Sentenzen aufgriff, die ihm ins eigene Weltbild paßten. Mit langwierigen Biographien von Persönlichkeiten aus dem Vorfeld des Nationalsozialismus oder von dessen Protagonisten, zulaufend auf Rosenberg, Himmler und Hitler, legt der Autor eine fleißige Facharbeit vor, die ausufernd zwar Bezüge und Scheinbezüge versammelt, aber den gewünschten Zusammenhang zwischen ursprünglichem Yoga und Nationalsozialismus eben nicht aufzuzeigen vermag.
Daß die indische Brahmanen- und Kriegerkaste den Nazis als Vorbild gelten konnte, ohne daß sie deren geistiges Selbstverständnis begriffen, daß ihnen zudem Auszüge aus der Bhagavad Gita isoliert zupaß kamen, mag vorstellbar sein, nur hat das mit Yoga ebensowenig zu tun wie ein Foto, auf dem Eva Braun vor Bergfilmkulisse gymnastisch eine Brücke zeigt, in der Mathias Tietke die Yoga-Haltung chakrāsana erkennen möchte.
Am Ende dann noch im Umkehrschluß die angebliche »Affinität zahlreicher Inder für Adolf Hitler« als Beweis der gemutmaßten Beziehung anzuführen und auf die Symbolgeschichte der Swastika zu verweisen erscheint völlig unsinnig.
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Mathias Tietke: Yogi Hitler. Der Einfluß von Yoga und indischer Philosophie auf die Ideologie des Nationalsozialismus, Kiel: Ludwig 2021. 160 S., 17,90 €
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