Nachkriegsliteratur 3

Säuberungen des Kanons

von Günter Scholdt -- PDF der Druckfassung aus Sezession 109/ August 2022

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Ab 1945 bestand der ver­ständ­li­che Wunsch, alle für die Mise­re Ver­ant­wort­li­chen wenigs­tens tem­po­rär publi­zis­tisch lahm­zu­le­gen. Wer als Autor das Regime gestützt oder von ihm pro­fi­tiert hat­te, soll­te erst mal schwei­gend beden­ken, was er oder sie ande­ren ange­tan hatte.

Die von den Besat­zungs­mäch­ten ver­füg­te Den­a­zi­fi­zie­rung stieß also zunächst auf mehr­heit­li­che Zustim­mung, sofern es wirk­lich Schul­di­ge traf und das Gan­ze nicht zur Kol­lek­ti­van­kla­ge, poli­ti­schen Dis­zi­pli­nie­rung oder admi­nis­tra­tiv ent­ar­te­te. (Die alli­ier­te Ver­bots­lis­te ent­hielt nicht weni­ger als 40 000 Buch­ti­tel.) Doch die schein­bar simp­le For­de­rung, Nazis­mus auch kul­tu­rell zu bekämp­fen, erwies sich in pra­xi als tücki­sches Unterfangen.

In der Ost­zo­ne bzw. DDR nutz­te man sie zum sozio­öko­no­mi­schen Umsturz. Die ins Land zurück­ge­ru­fe­nen »demo­kra­ti­schen ­Schrift­stel­ler« lie­ßen sich dabei als kom­mu­nis­ti­sche Hand­lan­ger instru­men­ta­li­sie­ren, was Anders­den­ken­den zuneh­mend die Luft abdrück­te. In den West­zo­nen ope­rier­te man, nach­dem die publi­zis­ti­sche Infra­struk­tur im alli­ier­ten Sin­ne umge­mo­delt war, etwas weni­ger rigi­de. Woll­te man doch im Ost-West-Kon­flikt mit einem ­frei­heit­li­che­ren Image punkten.

Den­noch unter­warf man die Deut­schen einem hoch­not­pein­li­chen Fra­ge­bo­gen- und Spruch­kam­mer­ver­fah­ren, das etli­chen Ver­strick­ten zunächst das Publi­zie­ren unter­sag­te. An der zen­tra­len Fra­ge, wer über­haupt im unheil­brin­gend-haft­ba­ren Sin­ne »Nazi« war, schei­ter­te man jedoch, was alle Sei­ten ent­täusch­te – ent­we­der über die als zu lasch betrach­te­te Rei­ni­gung oder über eine inad­äqua­te Gesinnungszensur.

Wer aber war eigent­lich »Nazi«? Gewiß gehör­ten Autoren wie Hanns Johst, Will Ves­per, Richard Eurin­ger, Hans Zöber­lein, Eber­hard Wolf­gang Möl­ler, Wil­helm Schä­fer oder (mit Ein­schrän­kung) Emil Strauß dazu, eben­so Partei­barden wie Ger­hard Schu­mann oder ­Hein­rich ­Ana­cker. Doch blo­ße Mit­glied­schaft in einer NS-Orga­ni­sa­ti­on, auf die sich etwa auch ­Gün­ter Eich, Ger­hard Nebel oder Wil­helm Leh­mann beruf­li­cher Rück­sich­ten wegen ein­lie­ßen, besagt wenig jen­seits der Bin­sen­weis­heit, daß bekennt­nis- und opfer­be­rei­te Non­kon­for­mis­ten zu allen Zei­ten Aus­nah­men sind. Lip­pen­be­kennt­nis­se zu diver­sen öffent­li­chen Anläs­sen (bei­spiels­wei­se von Oskar Loer­ke, Hans Fal­la­da, Otto Fla­ke oder Hans Caros­sa) sind daher kei­ne poli­ti­schen Tod­sün­den schlecht­hin. Zusätz­lich erschwe­ren vier Fak­to­ren kla­re Schuldsprüche:

Es gab unter den Sys­tem­kon­for­men nicht nur fana­ti­sier­te Haß­tä­ter, ver­bit­ter­te oder kon­junk­tur­gei­le Oppor­tu­nis­ten, son­dern etli­che idea­lis­tisch Ver­blen­de­te wie Ernst Bert­ram oder Bernt von Hei­se­l­er, dar­un­ter nur kurz­fris­tig Affi­zier­te wie Gott­fried Benn, oder vom Gemein­schafts­pa­thos des »Tags von Pots­dam« Berausch­te wie Rein­hold Schnei­der, die ihre Ein­schät­zung jedoch bald kor­ri­gier­ten und erkenn­bar auf Gegen­kurs gingen.

Wie gewich­tet man ­Teil­über­ein­stim­mun­gen bei nach­weis­li­chen Vor­be­hal­ten gegen­über staats­ter­ro­ris­ti­schen bzw. mör­de­ri­schen Maß­nah­men? Wie selek­ti­ve Wahr­neh­mun­gen? War die reli­gi­ös gebun­de­ne, bür­ger­li­che Autorin Ina ­Sei­del eine klas­si­sche Nazi­ne, waren es Ger­trud Fus­se­n­eg­ger, Ger­trud von den Brin­cken, die bedeu­tends­te Autorin des Bal­ti­kums, oder Agnes Mie­gel, die Sän­ge­rin Ost­preu­ßens? Hin­sicht­lich der mör­de­ri­schen Pro­gramm­punk­te des Regimes erkenn­bar nicht. Doch stan­den sie im Bann von Hit­lers ora­to­ri­scher Sug­ges­ti­on oder waren durch bestimm­te Grenz- und Nach­kriegs­er­fah­run­gen bestimmt bzw. ver­führt worden.

Zähl­te nicht das »Right or wrong my coun­try« selbst für Regime­geg­ner? Ernst Jün­ger etwa unter­schied stets zwi­schen Hoch- und Lan­des­ver­rat. Spä­tes­tens mit 1939 öff­ne­ten sich Loya­li­täts­fal­len auch für jene, die zwar Hit­ler und den Krieg haß­ten, eine Nie­der­la­ge ange­sichts Ver­sailler Erfah­run­gen aber auch nicht woll­ten. Das galt sogar für NS-Geg­ner wie Her­mann Stres­au oder Hein­rich Böll. Ande­re schein­ba­re Reprä­sen­tan­ten des »Neu­en Deutsch­land« waren im Zuge der Pola­ri­sie­rung zwar ins natio­na­lis­ti­sche, aber nicht unbe­dingt nazis­ti­sche Lager gelangt. Dar­un­ter durch revo­lu­tio­nä­re Deklas­sie­rung geschock­te Front­of­fi­zie­re des Ers­ten Welt­kriegs wie Wer­ner Beu­mel­burg, Franz Schau­we­cker, Wal­ter Blo­em oder August Bin­ding. Ande­re kamen aus Furcht vor der kom­mu­nis­ti­schen Drohung.

Auch stell­te sich – beson­ders für die pro­pa­gan­dis­tisch beschall­te, jun­ge Gene­ra­ti­on – ganz prag­ma­tisch die Fra­ge, wie sich eine vom Staat initi­ier­te Schuld indi­vi­du­ell zurech­nen ließ. Soll­te man allen, die geirrt und gefehlt, durch schlim­me Erfah­rung aber ihre poli­ti­sche Lek­ti­on gelernt hat­ten, künf­tig gene­rell die Schreib­kar­rie­re ver­bau­en? So ver­ständ­lich es war, daß Leser klas­si­sche Nazi­au­to­ren ablehn­ten, so wenig spricht im Ein­zel­fall dafür, denen Bewäh­rung zu ver­wei­gern, die, erwacht aus dem poli­ti­schen Kater, auf neu­er Basis noch­mals begin­nen woll­ten. Doch genau das geschah, wo ver­gan­ge­ne Schreib­sün­den per Medi­en­kam­pa­gnen offen­ge­legt wur­den. Und NS-Kon­for­men gelang eine Nach­kriegs­kar­rie­re in der Regel nur, wenn sie sich schnells­tens zur öffent­li­chen Reue bereit­fan­den und am bes­ten noch von frü­he­ren Gesin­nungs­kol­le­gen distan­zier­ten. Rene­ga­ten nei­gen bekannt­lich ohne­hin zu rigi­den Abgrenzungen.

Pro­mi­nen­te Par­tei­funk­tio­nä­re jedoch (Johst, Schu­mann, Eurin­ger) beka­men (nicht nur für Apo­lo­gien) kei­ne Chan­ce mehr. Nach ihrer Sank­tio­nie­rung in Spruch­kam­mer­ver­fah­ren ver­blie­ben ihnen bes­ten­falls publi­zis­ti­sche Nischen. An den dama­li­gen Main­stream ando­cken ließ sich höchs­tens kurz­fris­tig im Kal­ten Krieg per Anti­kom­mu­nis­mus. Das galt etwa für Edwin Erich Dwin­ger, des­sen vom Bol­sche­wis­ten­ter­ror han­deln­de Erleb­nis­be­rich­te aus rus­si­scher Gefan­gen­schaft im Ers­ten Welt­krieg eine gewis­se Mas­sen­re­so­nanz fanden.

Auch Agnes Mie­gel zähl­te im Kreis der Ver­trie­be­nen noch als öffent­li­cher Fak­tor, und selbst Wil­ly Brandt besuch­te sie 1961 zu ihrem 75. Geburts­tag in Bad Nenn­dorf. In dem Maße jedoch, wie die hohe Poli­tik spä­ter in Ver­trie­be­nen nur mehr poli­ti­sche Alt­las­ten sah, geriet auch sie in den Stru­del bil­li­ger mora­li­scher Abwer­tung und Selbst­pro­fi­lie­rung, die dar­in gip­fel­ten, die zahl­rei­chen Agnes-Mie­gel-Stra­ßen umzu­be­nen­nen. An sol­chem retro­spek­ti­ven »Hel­den­tum« hat es ja zu kei­ner Zeit gefehlt.

Der Fall Hans Grimm war anders gela­gert. Er litt unter einer – wie er glaub­te – fal­schen Betrach­tung beson­ders der deutsch-eng­li­schen Zeit­ge­schich­te und schrieb zeit­le­bens dage­gen an. Nost­al­gisch trau­er­te er ver­ge­be­nen poli­ti­schen Chan­cen nach und über­dehn­te dabei sei­nen poli­ti­schen Spiel­raum. Denn die­ser unbe­que­me NS-Sym­pa­thi­sant – nie Par­tei­ge­nos­se und zu ­Goeb­bels’ Ent­rüs­tung auch im Drit­ten Reich wider­spens­tig und cou­ra­giert – prä­sen­tier­te aus­ge­rech­net nach dem Krieg mit sei­ner in 50 000 Exem­pla­ren ver­brei­te­ten Erz­bi­schofs­chrift (1950) eine Teil­a­po­lo­gie des sozu­sa­gen ohne Hit­ler kon­zi­pier­ten Natio­nal­so­zia­lis­mus. Sei­ne revi­ta­li­sier­ten Lip­polds­ber­ger Dich­ter­tref­fen und die Kan­di­da­tur für die Deut­sche Reichs­par­tei stan­den quer zum poli­tisch Erlaub­ten, und man erteil­te ihm 1953 Redeverbot.

Die­ser Flü­gel des Over­ton-Fens­ters hat­te sich kra­chend geschlos­sen. Ver­wei­ger­te man doch selbst Autoren mit ver­klun­ge­nen NS-Nei­gun­gen Reha­bi­li­tie­rungs­chan­cen. So sta­tu­ier­te man etwa am eins­ti­gen HJ-Füh­rer Hans Bau­mann ein deut­li­ches Exem­pel gemäß dem Aus­schluß­prin­zip »Ein­mal Nazi, immer Nazi«. Der Autor hat­te vor der Macht­er­grei­fung im katho­li­schen Jugend­bund »Neu­deutsch­land«, spä­ter in der HJ, viel­ver­brei­te­te ein­gän­gi­ge Lie­der geschrie­ben und kom­po­niert. Dar­un­ter »Es geht eine hel­le Flö­te«, »Nur der Frei­heit gehört unser Leben«, »Hohe Nacht der kla­ren Ster­ne« und (bereits 1932) jenes voll jugend­li­cher Arro­ganz ver­faß­te »Es zit­tern die mor­schen Kno­chen«, das ihn zeit sei­nes Lebens kontaminierte.

Obwohl sei­ne Nach­kriegs­kar­rie­re als Bestsell­erautor von Jugend­ro­ma­nen und ‑lie­dern, Über­set­zer von Sach­bü­chern für Kin­der sich ideell auf gänz­lich neu­er Grund­la­ge voll­zog, schei­ter­ten alle Ver­su­che, ihn jen­seits der Nazi-Schub­la­de ein­zu­stu­fen. Man hät­te mit ihm ver­fah­ren kön­nen, wie es selbst die auf »Anti­fa­schis­mus« abon­nier­te DDR mit Franz Füh­mann, Erich Loest oder Ehm Welk hielt. Schließ­lich war er zu Beginn des Drit­ten Reichs noch kei­ne 19 Jah­re gewesen.

Aber Par­don wur­de nicht gege­ben trotz sei­nes gro­ßen Erfolgs selbst im Aus­land, wo ihn 1968 die New York Herald Tri­bu­ne für das bes­te Jugend­buch prä­mier­te oder man ihm 1972 den Mild­red L. Bat­chel­der Award ver­lieh. Als 1962 der Zeit-Feuil­le­ton­chef Rudolf Wal­ter ­Leon­hardt bekann­te, an sei­nen Lie­dern nichts Anstö­ßi­ges zu ent­de­cken, pro­tes­tier­ten Joa­chim Kai­ser, ­Peter Rühm­korf, Gud­run Pau­se­wang und ­Mar­cel Reich-Rani­cki. Letz­te­rer scheu­te sich nicht, Bau­manns in christ­li­chem Geist ver­faß­tes Schau­spiel Im Zei­chen der Fische, das vor römi­scher Kulis­se Frei­heit und Tole­ranz im Kon­flikt mit der Staats­rä­son zeig­te, als inhu­ma­nes Mach­werk zu brandmarken.

Bau­mann hat­te es 1959 (in rich­ti­ger Ein­schät­zung von Vor­ur­tei­len) pseud­onym für den Ger­hart-Haupt­mann-Preis ein­ge­reicht und die Jury der Ber­li­ner Volks­büh­ne über­zeugt. Es sei ein preis­wür­di­ges Bekennt­nis für »Men­schen­wür­de, sozia­le Gerech­tig­keit und Frei­heit«. Doch nach Auf­de­ckung sei­ner Urhe­ber­schaft wur­de das Urteil umge­hend skan­da­li­siert. Aus Rück­sicht auf die beson­de­re Lage der Front­stadt ver­zich­te­te er auf die Preis­ver­lei­hung zuguns­ten eines Sti­pen­di­ums und der Emp­feh­lung des Dra­mas fürs Thea­ter am Kur­fürs­ten­damm. Doch dann schlu­gen die »anti­fa­schis­ti­schen« Wel­len hoch. Man zahl­te Bau­mann nichts und erkann­te ihm 1962 den Preis sogar ab.

Noch vier Jah­re spä­ter ließ sich aus sol­cher Aus­gren­zung gut­mensch­li­cher Honig sau­gen, wie Inge­borg Bach­mann als Vor­zei­ge­sen­si­ti­va der Grup­pe 47 belegt. Medi­en­wirk­sam ent­rüs­te­te sie sich über ihren Ver­le­ger Klaus Piper, der Bau­mann beauf­tragt hat­te, Gedich­te der rus­si­schen Dis­si­den­tin Anna Ach­ma­towa zu über­set­zen, und ver­ließ ihn – ver­lags­tech­nisch gewiß kein schlech­ter Tausch – zuguns­ten von Suhr­kamp. Sol­che Denun­zia­tio­nen dien­ten als weit­hin ver­stan­de­ne Ver­hal­tens­si­gna­le, ehe­ma­li­ge NS-Autoren im respek­ta­blen Lite­ra­tur­la­ger nicht mehr zu dulden.

Seit den 1960ern wur­de auch der Lyri­ker Hans Egon Hol­thusen öffent­lich (von Mascha Kalé­ko und Jean Amé­ry) vor­ge­führt. Jugend­lich ver­blen­det, war er 1933 der SS bei­getre­ten. Doch spä­tes­tens der Sol­da­ten­tod sei­nes Bru­ders för­der­te ein Umden­ken, so daß er vor Kriegs­en­de immer­hin der wider­stän­di­gen Frei­heits­ak­ti­on Bay­ern angehörte.

In kei­ner höhe­ren NS-Funk­ti­on tätig, gelang es ihm eine Zeit­lang, in der Nach­kriegs­sze­ne auch als Kri­ti­ker Fuß zu fas­sen. Und sein Ein­fluß erlaub­te es, Inge­borg Bach­mann für ein Har­vard-Stu­di­um zu emp­feh­len, was sie mit begeis­ter­ten Brie­fen ver­galt. Mit­te der 1950er prak­ti­zier­te die Autorin ihre anti­fa­schis­ti­sche Kon­takt­scheu näm­lich noch nicht so beflis­sen wie ein Jahr­zehnt spä­ter, als sie die Bezie­hung zum skan­da­li­sier­ten Hol­thusen ein­schla­fen ließ. Heu­te ist Hol­thusen längst vergessen.

An Gerd Gai­ser, einer der größ­ten Hoff­nun­gen der Nach­kriegs­li­te­ra­tur seit dem Roman­erst­ling Eine Stim­me hebt an (1950, Fon­ta­ne-Preis 1951), kühl­ten 47er ihr Müt­chen: Hans Magnus Enzens­ber­ger, Wal­ter Jens, Reich-Rani­cki und im Nach­klapp Karl­heinz Desch­ner. Gai­ser ver­füg­te über den Blick eines Malers und eine exak­te psy­cho­lo­gi­sche Beob­ach­tungs­ga­be, mit der er sich ein­dring­lich den Nöten sei­ner ums Über­le­ben kämp­fen­den Lands­leu­te und ihren Wer­te­kri­sen wid­me­te. Klas­si­sche Bil­dung ver­band er mit einem Fai­ble für Regio­nal­to­po­gra­phie bis in Urzei­ten hin­ein, den detail­lier­ten Rea­lis­mus sei­ner Sozi­al­pan­ora­men mit magi­schen Sehweisen.

Sei­ne Pro­sa leb­te von (auch archai­sie­ren­den) sprach­schöp­fe­ri­schen Eigen­hei­ten, die er anfangs ein wenig über­trieb. Anstö­ßig für Kri­ti­ker wirk­te mehr noch, daß er eine rasend ins Tra­di­ti­ons­lo­se drif­ten­de Gegen­wart par­ti­ell mit Ham­suns Blick zu fas­sen such­te. In Schluß­ball, sei­nem größ­ten Erfolg, äußert sich ein zuwei­len etwas holzschnitt­artiger Mora­lis­mus. Aber trotz eines (bes­ser ver­mie­de­nen) aus­län­di­schen Täters ist dies kein ras­sis­ti­scher Text. Sonst müß­te man sol­che Pho­bie zugleich etli­chen Län­dern unter­stel­len, die ihn in Über­set­zun­gen ver­leg­ten. Und wenn das, was Gai­ser etwa in Das Schiff im Berg leis­te­te, Blut-und-Boden-Gesin­nung ver­rie­te, ent­fie­le schlecht­hin jede Berech­ti­gung zum Ver­fas­sen anspruchs­vol­ler Regionalliteratur.

In sei­nen Anfän­gen (1941: Rei­ter am Him­mel) hat­te er sich aller­dings mit »Führer«-gläubigen Hym­nen böse ver­rannt. Gegen­über Horst Bie­nek räum­te er dama­li­ge Irr­tü­mer ein. Als poli­ti­scher »Phan­tast« habe er sich »zwi­schen den zwei Krie­gen« in »aller­lei Gedan­ken­spuk« ver­fan­gen. Doch sei dies »ganz und gar vor­bei«. Der Krieg hat­te ihn frag­los ver­än­dert. Den­noch warf man ihm man­geln­de Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ver­gan­gen­heit vor, weil er sich nicht auf Kom­man­do an öffent­li­chen Buß­ri­tua­len betei­lig­te oder aus zwei­ter Hand vor­nehm­lich über KZ-Opfer schrieb. Statt des­sen stel­len Wer­ke wie Die ster­ben­de Jagd, Anie­la, Gian­na aus dem Schat­ten oder Gib acht in Domo­kosch von per­sön­li­chen Erfah­run­gen her durch­aus Fra­gen der Schuld und hin­sicht­lich eines pro­ble­ma­ti­schen Enga­ge­ments. Ansons­ten zeigt er auch Täter per Bin­nen­sicht mit Moti­ven, die nicht gänz­lich ins Dämo­ni­sche ent­rückt sind. Und er hob die Tra­gik nicht auf, zwi­schen Staats­ver­bre­chen und natio­na­len Ban­den ver­strickt zu sein.

All dies mach­te ihn zum Intim­feind Reich-­Ra­ni­ckis, der ihn weit über den Tod hin­aus publi­zis­tisch ver­folg­te. 1963 prä­sen­tier­te er als »Der Fall Gerd Gai­ser« eine raf­fi­nier­te Zitat­col­la­ge von Rei­ter am Him­mel mit spä­te­ren Wer­ken. Dar­in unter­stell­te er dem Autor, sein eins­ti­ger Ras­sen­haß und sei­ne alles grun­die­ren­de Blubo-Nei­gung hät­ten sich höchs­tens sub­li­miert. Die Sicht die­ses »ver­bit­ter­ten Außen­sei­ters« zei­ge einen Mann, »der 1945 zu einem ele­gi­schen Bar­den wur­de, der aber nicht auf­ge­hört hat, ein völ­ki­scher Beob­ach­ter zu sein.«

Reich-Rani­cki, so Thors­ten Hinz in sei­nem äußerst emp­feh­lens­wer­ten kapla­ken-Band Lite­ra­tur in der Schuld­ko­lo­nie, »nimmt ihm übel, daß er auf expli­zi­te Selbst­an­kla­gen und Schuld­be­kennt­nis­se ver­zich­tet«: »Als beson­de­rer Fre­vel Gai­sers erscheint ihm, daß er das Drit­te Reich und den Zwei­ten Welt­krieg im Mythos auf­he­be und in ihnen eine Wie­der­kehr des Immer­glei­chen ent­de­cke. Das ist der Kern des Kon­flikts. Wäh­rend die von Ador­no inspi­rier­ten Autoren und Lite­ra­tur­funk­tio­nä­re die Ansicht ver­tre­ten, zwi­schen 1933 und 1945 sei das welt­ge­schicht­li­che Kon­ti­nu­um auf­ge­sprengt wor­den, was eine beson­de­re, untilg­ba­re Schuld­qua­li­tät impli­zie­re, fügen sich für Gai­ser die­se Jah­re durch­aus in das mensch­heit­li­che Erfah­rungs­spek­trum ein, das im Mythos sym­bo­lisch aus­ge­formt ist. Im Voll­ge­fühl der Macht konn­te Reich-Rani­cki befin­den: ›Sein Werk dient nicht der Wahr­heit‹. Es ist das Ver­dam­mungs­ur­teil eines Dog­ma­ti­kers, des­sen inqui­si­to­ri­sche Macht bald in unge­ahn­te Höhen anwach­sen sollte.«

Eine lite­ra­tur­päpst­li­che Pole­mik von 1966 ver­schärf­te sogar noch den Ton: »Gern möch­te ich wis­sen, was ein Mann wie Gerd Gai­ser auf der Zuhö­rer­tri­bü­ne des Ausch­witz-Pro­zes­ses füh­len und den­ken wür­de. Das mei­ne ich ganz ohne Iro­nie und Bos­heit. Er hat damals mit­ge­macht, seit­dem vie­le Bücher ver­faßt, die aber, mei­ner Ansicht nach, fast immer von dem­sel­ben Geist zeu­gen.« Sol­che Ver­nich­tungs­sät­ze über­schrei­ten die Gren­ze von Lite­ra­tur- zur unbe­wie­se­nen Schmäh­kri­tik. Gleich­wohl ent­fal­te­ten sie den gewünsch­ten Säu­be­rungs­ef­fekt, nicht zuletzt für Schul­buch­ver­la­ge gegen­über ihrem frü­he­ren Favoriten.

Um Joa­chim Fer­n­au, den geist­reich-unter­halt­sa­men Erzäh­ler und Geschichts­den­ker mit Mil­lio­nen­auf­la­gen, küm­mer­ten sich seit den End­sech­zi­gern ande­re Main­strea­mer in der Zeit‑, Spie­gel- oder Par­don-Redak­ti­on. Auch in soge­nann­ten Fach­krei­sen domi­nier­te Abfäl­li­ges, ein wenig getra­gen von Neid, wie ele­gant sich über tro­cke­ne His­to­rie und Poli­tik plau­dern ließ.

Das gilt etwa für Deutsch­land, Deutsch­land über alles … (1952), Abschied von den Genies (1953), Rosen für Apoll (1961), Cäsar läßt grü­ßen (1971), Hal­le­lu­ja. Die Geschich­te der USA (1977) oder Spre­chen wir über Preu­ßen (1981). Ver­bohrt denun­zier­te man den in Mün­chen wie Flo­renz leben­den Welt­mann als »völ­ki­schen« Reak­tio­när, nur weil er die His­to­rie auch von natio­na­len Kate­go­rien her beur­teil­te und sei­ne iro­nisch-sar­kas­ti­schen Urtei­le nicht eben von links­de­mo­kra­ti­schen Dog­men geprägt waren.

Mit deut­schen und impli­zit eige­nen men­ta­len »Erb­sün­den« hat er sich 1966 im Nibe­lun­gen­buch aus­ein­an­der­ge­setzt: Dis­teln für Hagen. Bestands­auf­nah­me der deut­schen See­le. Die­ser Best­sel­ler ani­mier­te sei­ne Geg­ner zum media­len Fang­schuß, abge­feu­ert 1967 in der Zeit, wie üblich als bio­gra­phi­sche Ent­lar­vung. Der Alt­phi­lo­lo­ge Peter Wapnew­s­ki bezog sich dabei auf Fern­aus Pres­se­bei­trag vom August 1944 über die (mög­li­cher­wei­se zur Kriegs­wen­de taug­li­che) »Wun­der­waf­fe« V1. Wapnew­s­ki sah dar­in »den schänd­lichs­ten Durch­hal­te­ar­ti­kel die­ses Krie­ges«, mit dem Fer­n­au »sei­ne Gläu­bi­gen vor die Pan­zer und Maschi­nen­pis­to­len« getrie­ben habe. Daher besit­ze er kein Recht mehr, wei­ter­hin deut­sche Belan­ge zu kommentieren.

Fer­n­au war weder Nazi noch PG oder Juden­feind gewe­sen, aber hat­te im Krieg gemäß sei­nem Auf­trag in einer Pro­pa­gan­da­kom­pa­nie funk­tio­niert. Die­sen Vor­wurf muß­te er quit­tie­ren, nicht aber ­Wapnewskis maß­lo­sen Anspruch, ihm gleich­sam »defi­ni­tiv« die lite­ra­ri­sche »Appro­ba­ti­on« zu ent­zie­hen. So ant­wor­te­te er sei­nem »furcht­erre­gend-deut­schen Rich­ter« in der Zeit (sol­che Chan­ce zur Gegen­re­de bot sich damals noch), erläu­ter­te ihm die dama­li­gen Umstän­de des Arti­kels und monier­te des­sen Uner­bitt­lich­keit nach 23 Jah­ren: »Herr der Him­mel, beschüt­ze uns vor Dei­nen Gerech­ten!« Dann bat er »um den gerin­gen Anstand«, ihn künf­tig »in Ruhe zu las­sen.« Natür­lich war dies ein from­mer Wunsch. »Sei­ne Ruhe ist hin«, belehr­te ihn denn auch, Faust per­si­flie­rend, umge­hend hämisch der Spie­gel.

Unter »Nazi« zähl­te für die neue Ortho­do­xie auch Ernst von Salo­mon, obwohl er im Drit­ten Reich weder PG noch kon­form gewe­sen war und gar in Wider­stands­krei­sen ver­kehrt hat­te. Aber sol­che Abrech­nun­gen betra­fen ja das natio­na­le Lager pau­schal. Das moch­te plau­si­bel erschei­nen, inso­fern Salo­mon beim Rathen­au-Atten­tat 1922 (mit fünf Jah­ren Zucht­haus geahn­de­te) Hand­lan­ger­diens­te geleis­tet hat­te. Doch wenn frü­he­re »Polit­sün­den« nicht ver­jähr­ten und »Toten­grä­ber der Repu­blik« gesucht wur­den, hät­te man objek­ti­ver­wei­se auch etli­che KPD-nahe bzw. radi­ka­le Links­in­tel­lek­tu­el­le ein­be­zie­hen müs­sen. Ohne­hin zähl­ten sei­ne Wei­ma­rer Umtrie­be ledig­lich als Begleit­mu­sik einer bein­har­ten Kri­ti­ker­schel­te für sein 1951 erschie­ne­nes Buch Der Fra­ge­bo­gen.

Daß es über­haupt erschei­nen konn­te (sein Druck wur­de gegen Ame­ri­kas Votum fast ver­schwö­re­risch unter Nut­zung gewis­ser Dif­fe­ren­zen zwi­schen den Besat­zungs­mäch­ten ermög­licht), belegt die rela­ti­ve Frei­zü­gig­keit der dama­li­gen Kul­tur­sze­ne. Ver­gleich­ba­re Pro­vo­ka­tio­nen zögen heu­te har­te »zivil­ge­sell­schaft­li­che« wie »Verfassungsschutz«-Maßnahmen nach sich. Der renom­mier­te Thea­ter­kri­ti­ker Georg Hen­sel zähl­te den Fra­ge­bo­gen noch 1987 zu den »wich­tigs­ten Büchern, die in den ver­gan­ge­nen drei­ßig Jah­ren ver­öf­fent­licht wor­den sind«, und man darf ergän­zen: bis heute.

Denn die­ses – laut ­Rowohlts Klap­pen­text – Doku­ment einer »Gewis­sens- und Wahr­heits­er­for­schung für unser Halb­jahr­hun­dert« ent­hält über die geschil­der­te Epo­che hin­aus poli­ti­sche Lek­tio­nen, die über­dau­ern. Zur wich­tigs­ten gehört, daß sich offi­zi­ell sta­tu­ier­te his­to­ri­sche »Wahr­heit« fast nie mit indi­vi­du­el­len Erleb­nis­sen deckt.

Für Mil­lio­nen Zeit­ge­nos­sen, die sich einer inkri­mi­nie­ren­den Maschi­ne­rie aus­ge­setzt sahen, lag sei­ne Bedeu­tung im stell­ver­tre­ten­den Pro­test gegen die inqui­si­to­ri­sche »Gewis­sens­er­for­schung« einer mit Mis­si­ons­an­spruch expor­tier­ten (US-)Demokratie. Salo­mon sprach unver­blümt vom »Ter­ror« des Ent­na­zi­fi­zie­rungs­fra­ge­bo­gens, ver­wahr­te sich gegen vor­schnel­le Urtei­le und führ­te das pri­mi­ti­ve Erfas­sungs­sche­ma mit sub­ti­len Refle­xio­nen und Erin­ne­run­gen von eini­gem Quel­len­wert ad absurdum.

Die Zwangs­be­fra­gung iro­ni­sier­te er dabei durch brei­te Dar­le­gung sei­ner Vita: Kadett im Ers­ten Welt­krieg, Frei­kor­ps­mann im Bal­ti­kum, Unter­grund­kämp­fer in der »Orga­ni­sa­ti­on Con­sul«, Zucht­haus wegen repu­blik­feind­li­cher Straf­ta­ten, Autor­schaft und idyl­li­sches Inter­mez­zo als »Boche in Frank­reich«, Über­le­ben im NS-Staat mit einer hoch­ge­fähr­de­ten Part­ne­rin, Zwei­ter Welt­krieg und Inter­nie­rung durch die Amerikaner.

Im Lager trös­te­te ihn die Aus­sicht, dar­über zu berich­ten – mit einer nicht eben ame­ri­ka­freund­li­chen Ten­denz, die etwa lau­tet: Wenn ihr uns Demo­kra­tie leh­ren wollt, benehmt euch bes­ser! Wer uns ver­ur­tei­len will, infor­mie­re sich erst mal über die Kom­ple­xi­tät der Ver­hält­nis­se! Mit 131 Fra­gen her­ab­las­sen­der US-Sozi­al­in­ge­nieu­re ist es nicht getan. Ich knal­le euch einen 800-Sei­ten-Wäl­zer auf den Tisch als Wider­part eurer Bigot­te­rie. Auf Abrech­nung zielt beson­ders die Schil­de­rung sei­ner 15monatigen Haft, die übri­gens – wie für eine hal­be Mil­li­on Lei­dens­ge­nos­sen eben­so – »irr­tüm­lich« erfolg­te. Sie ent­hielt die pein­li­che Ent­hül­lung, daß die­ses Los sogar sei­ne jüdi­sche Freun­din Ille traf, die er im Drit­ten Reich zu ihrem Schutz als Ehe­frau aus­ge­ge­ben hatte.

Die Pro­vo­ka­ti­on des kon­se­quent aus inner­deut­scher Per­spek­ti­ve geschrie­be­nen Buchs wur­de durch den beson­de­ren Salo­mon-Stil noch gestei­gert: eine sar­kas­ti­sche Spott­lust, mit der er auch pre­kä­re poli­ti­sche Ereig­nis­se poin­tiert in gro­tesk-amü­san­te Anek­do­ten klei­de­te. Was sei­nen Geg­nern bei die­sem The­ma so bit­ter auf­stieß, war im Kern sei­ne spe­zi­fi­sche Art geis­ti­ger Not­wehr, per­sön­li­cher Schuld­the­ra­pie und Reak­ti­on auf eine tief­ge­fühl­te Absur­di­tät der His­to­rie, die sich in einer aus­schließ­lich dem Sie­ger bekömm­li­chen Offi­zi­al­ge­schich­te zur Re-Edu­ca­ti­on nicht fas­sen ließ.

Sein Bericht illus­triert beson­ders den inne­ren Zwie­spalt eines Patrio­ten, der die Nie­der­la­ge sei­nes Lan­des fürch­tet, doch als Dis­si­dent zugleich ahnt, daß sie not­wen­dig ist. Er war ­glü­hen­der Natio­na­list, aber kein Ras­sist und bereu­te die blu­ti­ge »Jugend­sün­de« sei­ner Betei­li­gung am Rathen­au-Mord lebens­lang. Zudem schäm­te er sich, daß sei­ne anfangs mar­tia­lisch ver­foch­te­ne Staats­idee so schmut­zig rea­li­siert wor­den war und sei­nem Han­deln damit jeg­li­chen Sinn geraubt hat­te. Die dras­ti­schen Lager-Schil­de­run­gen der letz­ten 150 Sei­ten mit Fol­ter und Schi­ka­nen mögen zuwei­len über­zeich­nen. Gegen­ge­schich­te neigt nun mal weni­ger zur Aus­ge­wo­gen­heit als zu herr­schafts­kri­ti­scher Ent­lar­vung, und Miß­han­del­te haben ein gewis­ses Recht auf pole­mi­sche Zuspitzung.

Wenn ihm Kri­ti­ker aller­dings eine Gleich­set­zung von NS- mit US-Unrecht vor­hiel­ten, igno­rier­ten sie (als schlech­te Inter­pre­ten) ers­tens die dia­lek­ti­sche Span­nung zwi­schen dem Schick­sal des Ich-Erzäh­lers und sei­ner Freun­din, zwei­tens, daß Salo­mons Grund­bot­schaft dif­fe­ren­zier­ter aus­fällt. Natür­lich sind auch schlim­me Straf- kei­ne Ver­nich­tungs­la­ger, aber dar­auf zielt der Text nicht ab. Er belegt statt des­sen viel grund­sätz­li­cher, daß die »Pest des Besieg­ten« häu­fig auch die Sie­ger infi­ziert und unge­zü­gel­te Macht über ande­re meist üble Instink­te frei­setzt. Sie­he My Lai, Abu Ghraib oder Guantanamo!

Wer also dem Sieg 1945 das Bewußt­sein abso­lu­ter mora­li­scher Über­le­gen­heit zugrun­de­leg­te, senk­te nach Salo­mon die Hemm­schwel­le für Infa­mi­en und Kor­rup­tio­nen. Sein Tabu­bruch bestand zudem dar­in, sich das Ver­gleichs­recht nicht neh­men zu las­sen, wie dies den Anwäl­ten im Nürn­ber­ger Pro­zeß gesche­hen war. Statt um Gleich­set­zung ging es ihm eher um die Wei­ge­rung, Re-Edu­ca­ti­on-Dog­men anzu­er­ken­nen, die dem nazis­ti­schen Staats­ter­ror qua­si das Auf­merk­sam­keits­mo­no­pol sicher­ten, wäh­rend der Hin­weis auf ande­re Unta­ten als anrü­chi­ge Rela­ti­vie­rung zählte.

Somit waren Ver­dam­mungs­ur­tei­le der »Lizenz­pres­se«, wie Salo­mon süf­fi­sant for­mu­lier­te, vor­pro­gram­miert. Und sofort zück­te man dort auch die Nazi­kar­te. Fried­rich Luft, Chef­kom­men­ta­tor des RIAS, sprach von einer »pein­li­chen Stink­bom­be«, einer »faschis­tisch ver­schmock­ten Auto­bio­gra­phie« von »gemeins­tem lite­ra­risch-poli­ti­schen Kal­kül«, Ger­hart Pohl von »Gift« und einem »lite­ra­ri­schen Atten­tat auf Deutsch­land«. Luft, Klaus Harp­p­recht oder die Welt am Sonn­tag erklär­ten Salo­mon zum lite­ra­ri­schen ­Pen­dant des neo­na­zis­ti­schen Gene­ral­ma­jors ­Remer, der maß­geb­lich zum Schei­tern des 20. Juli bei­getra­gen und die 1952 ver­bo­te­ne Sozia­lis­ti­sche Reichs­par­tei mit­be­grün­det hat­te. Alfred Pol­gar warf ihm vor, er mache »Stim­mung für Faschis­mus und Hit­le­rei«. Theo­dor Eschen­burg sekun­dier­te. Der anti­de­mo­kra­ti­sche Deut­sche fin­de in sei­nem Buch eine »beglü­cken­de Bestä­ti­gung«. Ins glei­che Horn stie­ßen Karl Korn, Axel Egge­brecht, Ernst Glae­ser und bis heu­te etli­che aka­de­mi­sche Deuter.

Zuspruch erfuhr Salo­mon durch eine Fül­le von Pri­vat­post, dazu in Min­der­heits­stel­lung­nah­men von Gesin­nungs­freun­den wie Bru­no Brehm, Hans Zeh­rer, Diet­rich-San­der oder ­Armin ­Moh­ler, der allen Ver­ris­sen zum Trotz bilan­zier­te: Der »Chor der Leser kauft und liest«. Und in der Tat: Sechs­stel­li­ge Absatz­zah­len indi­zier­ten einen der letz­ten gro­ßen Publi­kums­sie­ge gegen das eta­blier­te Feuil­le­ton. Doch es war ledig­lich ein Schwa­nen­ge­sang. Bald tri­um­phier­te das fast tota­le Umerziehungsprogramm.

Inso­fern traf es Fried­rich Sieburg glimpf­lich. Der blen­den­de Feuil­le­to­nist und bewun­der­te wie gefürch­te­te Kri­ti­ker hat­te in sei­ner Funk­ti­on als Bot­schafts­rat in Paris ein­schlä­gig für die neu­en Her­ren gewor­ben, was man ihm spä­ter ankrei­de­te. Doch neben zahl­rei­chen Geg­nern fand der lang­jäh­ri­ge Redak­teur der FZ bzw. FAZ dort auch ein­fluß­rei­che Ver­tei­di­ger. Enge Bezie­hun­gen zur fran­zö­si­schen Kul­tur­sze­ne kamen hin­zu. Und selbst anders gesinn­ten Kol­le­gen wie Reich-Rani­cki oder Rad­datz nötig­ten sei­ne immense Bil­dung und sti­lis­ti­sche Klas­se zäh­ne­knir­schend Aner­ken­nung ab. Als Geheim­tip für Ken­ner hat er somit überlebt.

 

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