Gegenkolonialisierung oder Fuzzy Colonialism?

von Sophie Liebnitz -- PDF der Druckfassung aus Sezession 111/ Dezember 2022

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Alain de Benoist hat neu­lich in der Jun­gen Frei­heit über das geschrie­ben, was er den neu­en Anti­ko­lo­nia­lis­mus nennt. Er sieht die Kolo­nia­li­sie­rungs­pro­zes­se, die his­to­risch von Euro­pa aus­ge­gan­gen sind, wie­der auf Euro­pa zurückschlagen.

Die Vor­stel­lung als sol­che ist nicht neu und drängt sich frei­lich auf: Schon in einer von Hei­ner Mül­lers Zukunfts­vi­sio­nen arbei­ten sich die Peri­phe­rien wie ein Mahl­strom durch die Zen­tren. »Nach der frü­he­ren Kolo­nia­li­sie­rung geht es nun dar­um, durch Mas­sen­ein­wan­de­rung in umge­kehr­ter Rich­tung zu kolo­nia­li­sie­ren.« (1) Man kann hier in einem sehr wei­ten, eher sym­bo­li­schen Sinn von Kolo­nia­li­sie­rung spre­chen, aber die Idee einer blo­ßen Rich­tungs­um­kehr trifft, so sug­ges­tiv sie auch ist, die aktu­el­len Abläu­fe nicht genau. Der Begriff deckt ent­schei­den­de Fak­to­ren nicht ab. Wir haben es nicht mit einem »ein­fa­chen« Vor­gang der Gegen­ko­lo­nia­li­sie­rung zu tun, was deut­lich wird, wenn man einen Blick auf eine der gän­gi­gen Defi­ni­tio­nen von »Kolo­nie«, »Kolo­nia­li­sie­rung« und »Kolo­nia­lis­mus« wirft.

Bei Kolo­nien han­delt es sich dem­nach um »im Zuge des Kolo­nia­lis­mus unter­wor­fe­ne meist über­see­ische Ter­ri­to­ri­en, deren Erobe­rung meist eine ziel­ge­rich­te­te Form der Aus­beu­tung vor­sah, wobei man Handels‑, Sied­lungs- und Roh­stoff­ko­lo­nien unter­schei­det«; bei Kolo­nia­lis­mus um eine »Poli­tik des Erwerbs und der Aus­beu­tung aus­wär­ti­ger, ›über­see­ischer‹ Gebie­te i. d. Regel durch euro­päi­sche Staa­ten. Kolo­nia­lis­mus beinhal­tet die ter­ri­to­ria­le Macht­er­wei­te­rung eines Staa­tes (Kolo­ni­al­macht) durch den Auf­bau und die lang­fris­tig ange­leg­te mili­tä­ri­sche, wirt­schaft­li­che und/oder poli­ti­sche Kon­trol­le der unter­wor­fe­nen Bevöl­ke­rung (Impe­ria­lis­mus).« (2) Dem­ge­gen­über bezeich­net Kolo­nia­li­sie­rung »die Unter­wer­fung eines Ter­ri­to­ri­ums ein­schließ­lich der dort leben­den Bevöl­ke­rung als Kolonie«.

Man erkennt sofort, daß der aktu­el­le Vor­gang der Flu­tung euro­päi­scher Län­der mit Migran­ten aus den unter­schied­lichs­ten Welt­ge­gen­den damit kaum etwas gemein hat. Es fehlt der Aspekt der mili­tä­ri­schen Erobe­rung, es feh­len der Aspekt der Macht­er­wei­te­rung durch einen Hand­lungs­trä­ger und jede Form von Auf­bau oder Ziel­ge­rich­tet­heit. Ist die Kolonial­macht ein star­kes und im eige­nen Inter­es­se han­deln­des Groß­sub­jekt, so kann bei der der­zei­ti­gen Lage davon kei­ne Rede sein.

Expan­si­ons­wil­li­ge Staa­ten ver­su­chen nicht, die euro­päi­schen Län­der in Kolo­nien zu ver­wan­deln, son­dern deren Staat­lich­keit wird durch die unge­re­gel­te Zuwan­de­rung unter­spült und zer­setzt. Die­ser Pro­zeß scheint im wesent­li­chen sub­jekt­los, auch wenn es einen mäch­ti­gen mög­li­chen Pro­fi­teur (die USA) und mäch­ti­ge Unter­stüt­zer­insti­tu­tio­nen gibt (EU, UNO). Die vie­len ein­zel­nen, die ver­su­chen, davon zu pro­fi­tie­ren, sind dage­gen kei­ne his­to­ri­schen Sub­jek­te, son­dern Objek­te einer Poli­tik, die ihnen die Gele­gen­heit dazu gebo­ten und sie gleich­zei­tig ihrer Wur­zeln beraubt hat.

Viel eher als um eine Gegen­ko­lo­ni­sie­rung han­delt es sich um einen Vor­gang der Selbst­ko­lo­nia­li­sie­rung. Anders als beim »klas­si­schen« Kolo­nia­lis­mus nimmt nicht eine bestimm­te Macht ein Ter­ri­to­ri­um in Anspruch; statt des­sen strö­men ein­fach »alle mög­li­chen« Men­schen her­bei. Anstel­le einer klar iden­ti­fi­zier­ba­ren, gewis­ser­ma­ßen »scharf kon­tu­rier­ten« Kolo­ni­al­macht zeigt sich ein Gewirr unter­schied­li­cher Strän­ge an Inter­es­sen und »Mit­bring­seln« (Tra­di­tio­nen, Über­zeu­gun­gen, Glau­ben, Küchen, Ver­wandt­schafts­be­zie­hun­gen usw.).

Kolo­ni­al­mäch­te hin­ter­lie­ßen häu­fig mate­ri­el­le und imma­te­ri­el­le Spu­ren, etwa in der Infra­struk­tur der kolo­nia­li­sier­ten Län­der, in ihrem Bil­dungs- und Erzie­hungs­sys­tem, in der Wei­ter­ga­be tech­ni­scher Fer­tig­kei­ten, in der Eta­blie­rung einer Ein­zel­spra­chen über­wöl­ben­den Amts­spra­che usw. Der »klas­si­sche« Kolo­nia­lis­mus eta­blier­te (wenn auch teil­wei­se rigi­de und aus mora­li­scher Sicht unge­rech­te) For­men admi­nis­tra­ti­ver und staat­li­cher Ord­nung – euro­päi­sche Län­der dage­gen wer­den durch die ille­ga­le Zuwan­de­rung ten­den­zi­ell desta­bi­li­siert. Ein Bei­spiel von vie­len sind die Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Hin­dus und Mos­lems, die im Sep­tem­ber in Lei­ces­ter statt­fan­den und zu deren Auf­klä­rung eine Unter­su­chungs­kom­mis­si­on ein­ge­setzt wer­den mußte.

Eth­ni­sche Ver­drän­gung ist also kei­ne Kolo­ni­sie­rung (was die Lage nicht bes­ser macht): Im Gegen­teil könn­te man sagen, daß der Begriff die­se chao­tisch ver­lau­fen­den Erset­zungs­pro­zes­se unnö­tig auf­wer­tet. So viel Unglück der Kolo­nia­lis­mus auch ange­rich­tet hat, er stellt auch eine kol­lek­ti­ve und insti­tu­tio­nel­le Leis­tung dar, was man von der unge­re­gel­ten Mas­sen­zu­wan­de­rung nicht behaup­ten kann.

Für die lau­fen­den Vor­gän­ge soll­te daher eine neue Bezeich­nung gefun­den wer­den. Eine Zeit­lang war der Begriff »fuz­zy logic« (im Sin­ne von »unschar­fer Logik«) in Mode, den sich das Feuil­le­ton in der übli­chen Wei­se aneig­ne­te, weil er zu irgend­wel­chen zeit­geis­ti­gen Kon­zep­ten zu pas­sen schien. Ich schla­ge »Fuz­zy Colo­nia­lism« vor – das ist nicht zu hun­dert Pro­zent ernst gemeint, aber um unüber­sicht­li­che Pro­zes­se mit »unschar­fen Rän­dern« han­delt es sich jeden­falls. Und sie pro­du­zie­ren uner­war­te­te poten­ti­el­le Problemlagen.

Ein aktu­el­les Bei­spiel ist die Wahl des Inders Rishi Sunak zum bri­ti­schen Pre­mier. Man kann die­se nicht sinn­voll als Bei­spiel für eine fort­schrei­ten­de (Gegen)Kolonialisierung Groß­bri­tan­ni­ens beschrei­ben. Die Unter­schie­de lie­gen auf der Hand: Sunak tritt in eine bestehen­de Posi­ti­on in einem euro­päi­schen poli­ti­schen Sys­tem ein, die struk­tu­rell kei­ne Ver­än­de­rung dadurch erfährt. Es ist gut mög­lich, daß er bri­ti­scher sein wird als die meis­ten Bri­ten in die­ser Posi­ti­on. Man kann sogar ver­mu­ten, daß bri­ti­sche Inter­es­sen bei ihm bes­ser auf­ge­ho­ben sein wer­den als bei einem indi­ge­nen Bri­ten, weil ihm der ewi­ge wei­ße Selbst­haß abgeht.

Wir haben es daher bei der Über­nah­me sol­cher Posi­tio­nen auch nicht mit einer »Hou­el­le­becq­schen Situa­ti­on« zu tun, also dem in Unter­wer­fung geschil­der­ten Fall der Umfor­mung eines Staa­tes durch eine (im Fal­le des Romans mus­li­mi­sche) Macht­über­nah­me. Und Sunak ist damit nicht allein, denn auch ande­re Poli­ti­ker indi­scher Her­kunft zei­gen sich als in einer Wei­se hand­fest, die einen ein­hei­mi­schen, vor­sich­tig gespro­chen, in Ver­ruf brin­gen würde.

Es gibt kei­nen Grund, an der Auf­rich­tig­keit die­ser Hal­tung zu zwei­feln. Und trotz­dem lösen sich kul­tu­rel­le Bruch­li­ni­en nicht in Rauch auf. »Mit Rishi Sunak ergibt sich theo­re­tisch eine kurio­se Kon­stel­la­ti­on in Bri­tan­ni­en. Laut der unge­schrie­be­nen Ver­fas­sung berät der Pre­mier den König bei der Benen­nung von Bischö­fen der Church of Eng­land. Ein Hin­du wählt also künf­tig die christ­li­chen angli­ka­ni­schen Bischö­fe auf der Insel aus? Erwar­tet wird, daß Sunak die­se Auf­ga­be an den Vize­pre­mier dele­gie­ren wird.« (3) Kolo­nia­lis­mus? Eher nein. Fuz­zy? Ganz bestimmt.

Benoist geht zudem davon aus, daß »in Euro­pa der Rück­griff auf die Kolo­nia­li­tät völ­lig ins Lee­re läuft, da die Kolo­nia­li­sie­rung nur ein kur­zes Inter­mez­zo in der Geschich­te der Euro­pä­er war, näm­lich von den 1880er bis zu den 1960er Jah­ren«. Die­se Annah­me ist unver­ständ­lich bzw. sie wird nur ver­ständ­lich, wenn man den unmit­tel­bar fol­gen­den Satz mit­liest: »Was die Skla­ve­rei betrifft, die von allen Völ­kern prak­ti­ziert wur­de, so wur­de sie nur von den Wei­ßen abge­schafft; in vie­len Län­dern Schwarz­afri­kas und des Nahen Ostens wird sie hin­ge­gen noch heu­te praktiziert.« 

Benoists Argu­men­ta­ti­on zielt damit ange­sichts der aus­schließ­lich nega­ti­ven Beset­zung des Kolo­nia­lis­mus-Begriffs auf ein Her­un­ter­spie­len sei­ner Bedeu­tung für die euro­päi­sche Geschich­te ab, wie der nach­ge­scho­be­ne Satz über die Skla­ve­rei zeigt, der zwar inhalt­lich rich­tig ist, aber hier eben nur apo­lo­ge­ti­schen Zwe­cken dient. Das ist jedoch pro­ble­ma­tisch. Ers­tens ist der ange­setz­te Zeit­raum unver­ständ­lich: Man läßt mit guten Grün­den die Geschich­te der Kolo­nia­li­sie­run­gen mit dem 15. , spä­tes­tens mit dem 16. Jahr­hun­dert begin­nen. Die kolo­nia­le Aus­deh­nung fällt mit der euro­päi­schen Erfolgs­ge­schich­te der Neu­zeit zusam­men. Zwei­tens war es eben­die­se Fähig­keit zur Expan­si­on, die die Posi­ti­on Euro­pas in den Augen der übri­gen Welt defi­niert hatte.

Die­se Son­der­stel­lung ist zwar weit­ge­hend Ver­gan­gen­heit, aber: »Der ›post­ko­lo­nia­le‹ Kampf gegen die gefühl­te Domi­nanz des ›Wei­ßen‹ ist […] sehr ver­ständ­lich, denn er grün­det in der Tat­sa­che, daß ›wei­ße‹ Prak­ti­ken, Objek­te, Errun­gen­schaf­ten und Pro­ble­me die gan­ze Welt durch­setzt haben. Es gibt kei­ne Kul­tur, die davon unbe­rührt geblie­ben wäre, wäh­rend das umge­kehrt nicht gilt.« (4) Eine Macht­po­si­ti­on, auch eine ver­gan­ge­ne, läßt sich nicht leug­nen und zum Ver­schwin­den brin­gen. Das wer­den schon die­je­ni­gen, die von dem Ver­weis dar­auf und dem euro­päi­schen Maso­chis­mus pro­fi­tie­ren, nicht zulassen.

Einen Prä­ze­denz­fall für die Vor­wurfs­or­gi­en des Post / Anti­ko­lo­nia­lis­mus­dis­kur­ses schuf Edward Said (1935 – 2003) mit sei­nem Ori­en­ta­lism (1978). Der Begriff »Ori­en­ta­lis­mus« bezeich­net »den« euro­päi­schen Blick auf den Ori­ent, den Said für so mono­li­thisch hält, daß er ihn schon im 14. Jahr­hun­dert (!) am Werk sieht. Er beschreibt ihn als herr­schafts­ori­en­tier­te Pro­jek­ti­on, die er in Tei­len auch ist. Aber eben in Tei­len, nicht in Bausch und Bogen.

»For any Euro­pean during the nine­te­enth cen­tu­ry – and I think one can say this almost wit­hout qua­li­fi­ca­ti­on – Ori­en­ta­lism was […] a sys­tem of thruths, truths in Nietzsche’s sen­se of the word. It is the­r­e­fo­re cor­rect that every Euro­pean, in what he could say about the Ori­ent, was con­se­quent­ly a racist, an impe­ria­list, and almost total­ly eth­no­cen­tric.« (5) (Für jeden Euro­pä­er des 19. Jahr­hun­derts – und ich mei­ne, das kann man ziem­lich unge­schützt so sagen – war Ori­en­ta­lis­mus ein Sys­tem von Wahr­hei­ten, von Wahr­hei­ten, wie Nietz­sche sie begriff. Daher trifft es zu, daß jeder Euro­pä­er, was auch immer er über den Ori­ent äußer­te, auto­ma­tisch ras­sis­tisch, impe­ria­lis­tisch und nahe­zu aus­nahms­los eth­no­zen­trisch war.)

Das ist, unge­ach­tet der fas­zi­nie­ren­den Quel­len, die Said auf­fährt, absurd. Ins­be­son­de­re der Vor­wurf des flä­chen­de­cken­den Eth­no­zen­tris­mus ist mit post­mo­der­ner Blind­heit geschla­gen, denn der pro­jek­ti­ve Cha­rak­ter der Wahr­neh­mung des Frem­den ist alles ande­re als eine west­li­che Spe­zia­li­tät. Im Gegen­teil ist die west­li­che Kul­tur wohl die ein­zi­ge, die die Mög­lich­keit, die intel­lek­tu­el­len Mit­tel und den Wil­len ent­wi­ckelt hat, aus die­ser Pro­jek­ti­on her­aus­zu­tre­ten. »Es waren Euro­pä­er, die eine Insti­tu­ti­on schu­fen, die der Über­win­dung kul­tu­rell gebun­de­ner Vor­lie­ben für das je Eige­ne und der Eta­blie­rung einer objek­ti­ven Sicht­wei­se die­nen soll­te, eine Insti­tu­ti­on, in der selbst­ver­ständ­li­che Hin­sicht­nah­men (›Vor-Urtei­le‹) in Fra­ge gestellt und für Behaup­tun­gen Bele­ge ver­langt wur­den, die einer kri­ti­schen Über­prü­fung stand­hal­ten muß­ten.« (6)

Die­se Insti­tu­ti­on ist die Wis­sen­schaft. Daß gera­de die Geis­tes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, ins­be­son­de­re Geschichts­wis­sen­schaft und Eth­no­lo­gie, die­sen Anspruch all­zu oft nicht ein­lö­sen konn­ten, macht die Ziel­stel­lung nicht weni­ger effek­tiv: Der Anspruch setzt eine Norm, die ein­ge­klagt wer­den kann, was Wis­sens­fort­schrit­te durch stän­di­ge Selbst­kor­rek­tur mög­lich macht.

Saids Buch dient dem post­ko­lo­nia­len Lager bis heu­te als eine Stan­dar­te, um die sich die­je­ni­gen ver­sam­meln, die »euro­pä­isch« mit »schuld­haft« gleich­set­zen möch­ten. Daß Saids Blick par­tei­lich ist, wür­de ich ihm nicht übel­neh­men wollen.

Es ist jedoch bezeich­nend, daß, eben­so wie im Fall Homi K. Bhab­has (*1949, eben­falls ein Vor­rei­ter post­ko­lo­nia­ler Stu­di­en), sei­ne Ankla­gen gera­de auf dem Weg über west­li­che Uni­ver­si­tä­ten kano­ni­schen Sta­tus erlan­gen konnten.

Das Pro­blem liegt nicht in Saids Ein­sei­tig­keit, son­dern eher dar­in, daß kei­ne dif­fe­ren­zier­te­re Beob­ach­tung annä­hernd soviel Auf­merk­sam­keit erzeu­gen konn­te und daß ein ent­schie­de­ner Gegen­ent­wurf mei­nes Wis­sens gar nicht vor­liegt. Wer sich ein Bild vom Spiel der inter­eth­ni­schen Erwar­tun­gen, Urtei­le, Vor­ur­tei­le und Res­sen­ti­ments im all­ge­mei­nen machen will, der lese einst­wei­len statt Ori­en­ta­lism zwei ande­re Bücher: Frank Böckel­manns Die Gel­ben, die Schwar­zen, die Wei­ßen (7) und Die »Wil­den« und die »Zivi­li­sier­ten«. Grund­zü­ge einer Geis­tes- und Kul­tur­ge­schich­te der euro­pä­isch-über­see­ischen Begeg­nung des 2021 ver­stor­be­nen Schwei­zer Kolo­ni­al­his­to­ri­kers Urs Bit­ter­li. (8)

Böckel­manns 1998 erst­mals erschie­ne­nes und damals von der Fried­rich-Ebert-Stif­tung aus­ge­zeich­ne­tes Buch doku­men­tiert auf amü­san­tes­te Wei­se, wie sich Ver­tre­ter der genann­ten Grup­pen gegen­sei­tig wahr­neh­men. Erwar­tungs­ge­mäß sind die dort ver­sam­mel­ten Bei­spie­le von jeder Kor­rekt­heit kilo­me­ter­weit ent­fernt und fal­len Wei­ße nicht durch mehr »Ras­sis­mus« auf als gel­be oder schwar­ze Beob­ach­ter. Bit­ter­li wie­der­um lie­fert eine dif­fe­ren­zier­te, reich­hal­ti­ge und moralin­freie Schil­de­rung der his­to­ri­schen Kul­tur­zu­sam­men­stö­ße, die auf­zeigt, wie früh und nach­hal­tig sich ein nega­ti­ves und auto­ag­gres­si­ves euro­päi­sches Selbst­ver­ständ­nis ausbildete.

Abschlie­ßend ist zu bemer­ken, daß ein Gegen­be­griff zu »Ori­en­ta­lis­mus« schmerz­lich fehlt. Eine pro­gram­ma­ti­sche Gegen­per­spek­ti­ve zu Said und Co. ist nicht ent­wi­ckelt wor­den – und für ihren Urhe­ber im wis­sen­schaft­li­chen Betrieb wäre ein sol­cher Ver­such wohl auch einer Kami­ka­ze-Akti­on gleich­ge­kom­men. Um die Pro­jek­tio­nen zu bezeich­nen, die auf den »Wes­ten«, auf Euro­pä­er und auf Wei­ße ins­ge­samt ange­wandt wer­den, steht ein geeig­ne­ter Ter­mi­nus noch aus. »Okzi­den­ta­lis­mus« über­zeugt mich nicht. Leser­vor­schlä­ge wer­den ger­ne und dan­kend zur Kennt­nis genommen.

– – –

(1) – Alain de Benoist :»Der neue Anti­ko­lo­nia­lis­mus. Jetzt in umge­kehr­ter Rich­tung«, in: Jun­ge Frei­heit Nr. 37 vom 9. Sep­tem­ber 2022.

(2) – »Lem­ma ›Kolo­nia­lis­mus‹«, auf spektrum.de

(3) – Clau­dia Han­sen: »Ein Hin­du in der Dow­ning Street«, in: Die Tages­post vom 3. Novem­ber 2022.

(4) – Sophie Lieb­nitz: Anti­weiß. Ein Kul­tur­kampf, Schnell­ro­da 2021 (= kapla­ken, Bd. 77).

(5) – Edward Said: Ori­en­ta­lism. 25th Anni­ver­sa­ry Edi­ti­on. With an New Pre­face by the Aut­hor, New York 1994.

(6) – Lieb­nitz: Anti­weiß.

(7) – Frank­furt a. M. 1998; erwei­ter­te Neu­auf­la­ge: Ber­lin 2018.

(8) – Mün­chen 1982.

 

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