Das Scheitern der Ur-Querfront 1932

PDF der Druckfassung aus Sezession 111/ Dezember 2022

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Der Ter­mi­nus der »Quer­front« fei­ert in der Kon­ver­genz der Kri­sen, die wir der­zeit erle­ben, Hoch­kon­junk­tur: Demons­tran­ten, Poli­ti­ker und Autoren unter­schied­li­cher poli­ti­scher Pro­ve­ni­enz wer­den mit die­sem Stem­pel markiert.

Evi­dent erscheint, daß die Ein­stu­fung als »Quer­front« in der Regel kei­ner Eigen­be­zeich­nung ent­spricht. Das Eti­kett stammt vom poli­ti­schen Geg­ner, um Phä­no­me­ne zu klas­si­fi­zie­ren und angreif­bar zu machen, bei denen die alt­be­währ­te poli­ti­sche Topo­gra­phie über­for­dert bzw. nicht anwend­bar ist: Wenn heu­te die »Nach­denk­sei­ten« um Albrecht Mül­ler, Com­pact um ­Jür­gen Elsäs­ser, das Grüpp­chen »Auf­ste­hen« um Sahra Wagen­knecht, der Demo­kra­ti­sche Wider­stand um Anselm Lenz oder gar die »Neue Rech­te« als Gan­zes uni­so­no für »Quer­front« gehal­ten wer­den, ver­deut­licht das die Problematik.

Denn wenn alle die­se Akteu­re »Quer­front« sind, bleibt der Begriff inhalts­leer. Er ver­kommt zur Waf­fe des links­li­be­ra­len Main­streams, um sich mit den Inhal­ten der Geschmäh­ten nicht aus­ein­an­der­set­zen zu müs­sen. Mit »Quer­fron­tern« spricht man nicht; man äch­tet sie im Rah­men des ent­grenz­ten »Kamp­fes gegen rechts«, indem man sie in den nebu­lö­sen Kom­plex »Rechts­extre­mis­mus« eingemeindet.

Man muß auf die­sem Ter­rain von einem regel­rech­ten Ver­fall einer Begriff­lich­keit spre­chen, da »Quer­front« nicht immer die­se inhalts­lo­se Phra­se gewe­sen ist. Hier­für emp­fiehlt es sich, die his­to­ri­schen Urgrün­de der Theo­rie und der Pra­xis von »Querfront«-Bestrebungen näher anzu­se­hen (das wird aus­führ­li­cher im kapla­ken-Band Quer­front von 2017 ver­sucht). Die­se Urgrün­de lie­gen in den Trüm­mern der Wei­ma­rer Repu­blik, als Gewerk­schaf­ten, Mili­tärs und der anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Flü­gel der NSDAP Ende 1932 ver­such­ten, eine Kanz­ler­schaft Adolf Hit­lers und des­sen Zusam­men­ge­hen mit der feu­da­len und groß­in­dus­tri­el­len »Reak­ti­on« durch ein quer zu den Fron­ten lie­gen­des Bünd­nis zu stoppen.

Bekannt­ge­wor­den als die his­to­ri­sche Quer­front-Kon­zep­ti­on ist dem­zu­fol­ge besag­ter Ver­suchs­bal­lon vor exakt 90 Jah­ren. Wenn heu­te Leben­de dies als rei­ne Tak­tie­re­rei inner­halb radi­kal­rech­ter Krei­se inter­pre­tie­ren, unter­schät­zen sie die Spreng­kraft die­ser avi­sier­ten Quer­front, deren Ver­such der bun­des­deut­sche His­to­ri­ker Axel Schildt in einem Essay über »Mili­tä­ri­sche Ratio und Inte­gra­ti­on der Gewerk­schaf­ten« (1986) als »eines der spek­ta­ku­lärs­ten Kapi­tel die­ser von aller­lei Geheim­di­plo­ma­tie gesät­tig­ten Zeit« bezeich­net hat.

Zusam­men­fas­sen läßt sich die Lage im Som­mer und Herbst 1932 mit dem Ziel Kurt von Schlei­chers und der Reichs­wehr­füh­rung, dem Mehr­heits­flü­gel der NSDAP unter Hit­ler, ­Goeb­bels und Göring die Macht im Staa­te zu ver­wei­gern und ihnen einen rele­van­ten Teil ihrer Basis zu ent­zie­hen. Da deren Par­tei bereits ein nicht zu negie­ren­der Fak­tor im poli­ti­schen Sys­tem gewor­den war, ver­such­te man, aus der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung her­aus den ver­blie­be­nen »lin­ken« Flü­gel um Gre­gor Stras­ser – der ori­gi­nä­re lin­ke Flü­gel um des­sen Bru­der Otto Stras­ser war bereits im Juli 1930 aus­ge­tre­ten (»Die Sozia­lis­ten ver­las­sen die NSDAP«) – von der Par­tei zu lösen, um mit der Reichs­wehr und koope­ra­ti­ons­be­rei­ten Gewerk­schaf­tern eine quer zu den alten poli­ti­schen Struk­tu­ren ver­lau­fen­de »Front« zu formieren.

An der Bereit­schaft des Hee­res und rele­van­ter NS-Lin­ker bestand weni­ger Zwei­fel als an jener der Gewerk­schaf­ten. Die­se waren mit sozia­lis­ti­schen Par­tei­en ver­ban­delt und soll­ten aus die­sem Bünd­nis­zwang befreit wer­den. Ins­be­son­de­re Carl Rothe, ein Aktiv­pos­ten aus dem an Carl Schmitt und Wer­ner Som­bart geschul­ten »Tat­kreis«, erar­bei­te­te die pro­gram­ma­ti­schen Quer­front-Kon­tu­ren in sei­ner Schrift Die Front der Gewerk­schaf­ten (Jena 1932), regel­mä­ßig zudem in der Zeit­schrift des Krei­ses, Die Tat. Sie war eine der bedeu­tends­ten poli­ti­schen Peri­odi­ka der Wei­ma­rer Repu­blik und arbei­te­te sys­te­ma­tisch an einer Rechts-links-Syn­the­se – mit­hin an einer ideel­len Querfront.

Die Tat, bereits 1909 von Nietz­schea­nern gegrün­det, wur­de 1929 von Hans Zeh­rer über­nom­men. Um sie her­um for­mier­te sich eben­je­ner »Tat­kreis«, als des­sen bekann­tes­te Akteu­re Zeh­rer selbst, Fer­di­nand Fried und Gisel­her ­Wir­sing gal­ten. Sie arbei­te­ten am Aus­bau eines gene­ra­ti­ons­spe­zi­fi­schen Bewußt­seins, aus dem her­aus die kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­re Trans­for­ma­ti­on der Ver­hält­nis­se fol­gen soll­te. Man unter­hielt in alle rele­van­ten Milieus rechts und links per­sön­li­che Kon­tak­te, befür­wor­te­te die Quer­frontidee Kurt von Schlei­chers und Gre­gor Stras­sers und erar­bei­te­te in kohä­ren­ter Art und Wei­se einen kon­ser­va­ti­ven »natio­na­len Sozia­lis­mus« ohne den Ras­sen­ma­te­ria­lis­mus und die bio­lo­gis­ti­sche Ver­stie­gen­heit der Hit­ler-Leu­te. So wur­de man zum »Sam­mel­platz der jün­ge­ren natio­na­len Bewe­gung« (Ernst Robert Cur­ti­us) und erreich­te im Herbst 1932 – dem Höhe­punkt der Quer­front-Idee – die Auf­la­gen­höchst­zahl von 30 000 Exemplaren.

In die­ser Pha­se bestand das zen­tra­le Ziel der Tat in einer Ent­kopp­lung der so star­ken wie hete­ro­ge­nen Gewerk­schafts­be­we­gung von SPD, KPD und Co. Denn ohne Mit­wir­kung der in den Gewerk­schaf­ten orga­ni­sier­ten Arbei­ter­schaft wäre das »von oben« kon­zi­pier­te Bünd­nis aus Tat­kreis, NS-Lin­ken und Reichs­wehr­füh­rung ein Rechts­bünd­nis geblie­ben. In die­sem Sin­ne ziel­ten zahl­rei­che publi­zier­te Über­le­gun­gen der Tat­kreis-Prot­ago­nis­ten dar­auf ab, Wider­sprü­che in der Arbei­ter­be­we­gung zu ana­ly­sie­ren und durch kor­po­ra­ti­ve Ideen Brü­cken zu den mit den lin­ken Arbei­ter­par­tei­en Unzu­frie­de­nen zu bau­en. Der bereits erwähn­te Axel Schildt weist dar­auf hin, daß die Avan­cen, die in Rich­tung der Gewerk­schaf­ten for­mu­liert wur­den und die im künf­ti­gen Staa­te selbst das Streik­recht und wei­te­re essen­ti­el­le Gewerk­schafts­for­de­run­gen auf­ge­grif­fen hät­ten, »durch­aus ehr­lich gemeint« gewe­sen sind – also kei­nes­wegs blo­ßer Tak­tik respek­ti­ve »faschis­ti­scher« Dem­ago­gie entsprachen.

Zupas­se kam Rothe, Stras­ser und Co., daß ins­be­son­de­re der All­ge­mei­ne Deut­sche Gewerk­schafts­bund (ADGB) poli­tisch zer­strit­ten war und daß Mil­lio­nen Arbei­ter ihre Füh­rung als gespal­ten und ziel­los wahr­nah­men. Gesprächs­ver­su­che von »rechts« wur­den im ADGB dabei ins­be­son­de­re von jun­gen Arbei­ter­ka­dern gou­tiert. Gewerk­schafts­funk­tio­nä­re und die Lin­ke in der NSDAP tra­fen sich in der Ideen­mix­tur aus Natio­na­lis­mus und Sozia­lis­mus; die Reichs­wehr wit­ter­te vor allem Chan­cen auf eine mas­sen­ba­sier­te Rechts-links-Ver­knüp­fung bei Aus­schal­tung ­Hit­lers und Thäl­manns glei­cher­ma­ßen und auf eine prä­gen­de Rol­le ihrer eige­nen Spitze.

Es waren dann aber die Akteu­re des Tat­krei­ses, die, da sie in bei­de Rich­tun­gen ver­netzt waren, für Tref­fen zwi­schen ADGB-Füh­rern und Gre­gor Stras­ser sorg­ten. Her­vor­zu­he­ben sind etwa Son­die­rungs­ge­sprä­che am 30. Juli und am 9. Sep­tem­ber 1932, als Stras­ser und ADGB-Kader in wesent­li­chen Fra­gen über­ein­ka­men. Kurz dar­auf kur­sier­te das Gerücht, es gebe fer­ti­ge Minis­ter­lis­ten eines Kabi­netts aus Reichs­wehr­grö­ßen (um Kurt von Schlei­cher), Gewerk­schaf­tern (um Theo­dor Lei­part) und NS-Lin­ken (um Gre­gor Stras­ser). Neben die­ser per­so­nel­len Eini­gung gab es auch inhalt­lich Kon­gru­en­zen: Her­vor­zu­he­ben ist die »Ber­nau­er Rede« Lei­parts (14. Okto­ber 1932), die eine Mischung aus Staats- und Mili­tär­be­ja­hung, Sozia­lis­mus und Natio­na­lis­mus beinhaltete.

Aller­dings nahm ob die­ser offen­kun­di­gen Annä­he­rung der Druck des lin­ken Gewerk­schafts­flü­gels sowie der SPD-Loya­lis­ten deut­lich zu; Lei­part woll­te nun nur noch dann mit ­Stras­ser zusam­men­ge­hen, wenn auch die SPD-Wehr­ver­bän­de des Reichs­ban­ners mit­misch­ten. Zur all­ge­mei­nen Über­ra­schung gelang es ­Lei­part, im Reichs­ban­ner Zustim­mung zur Kanz­ler­schaft Schlei­chers zu gewin­nen, und Ende 1932 spra­chen sich die Gewerk­schaf­ten offi­zi­ell für Schlei­cher aus, wäh­rend nur weni­ge SPD-Poli­ti­ker protestierten.

Daß es trotz die­ser ver­blüf­fen­den Bereit­schaft von links dann kei­ne real exis­tie­ren­de Quer­front gab, lag schlicht dar­an, daß Hit­ler von Stras­sers Bemü­hun­gen erfuhr und ihn inner­halb der NSDAP in kür­zes­ter Zeit als »Ver­rä­ter« zu iso­lie­ren ver­stand; ein Funk­tio­när nach dem ande­ren trenn­te sich von ihm. Der über­rum­pel­te Stras­ser wähl­te hier­bei nicht den Weg in die (letz­te) Offen­si­ve, wie es sein Bru­der Otto und anti­hit­le­ris­ti­sche Rechts­kräf­te ­befür­wor­te­ten, son­dern wich ein wenig zu scho­ckiert über die Vehe­menz der Anfein­dun­gen zurück. Er ­kün­dig­te prompt sei­nen Rück­zug ins Pri­vat­le­ben an.

Die­se Füh­rungs­schwä­che im Moment der poten­ti­el­len Ent­schei­dung hin­ter­ließ die genui­nen Quer­front-Befür­wor­ter im luft­lee­ren Raum und ver­setz­te der Sache den Todes­stoß. Hit­ler ver­zieh ihm die Son­die­run­gen mit ­Schlei­cher und den Gewerk­schaf­tern frei­lich nicht; am 30. Juni 1934 wur­de Stras­ser liqui­diert. Der Quer­front-Begriff über­leb­te ihn zwar, wird heu­te aber meist in ande­rem Sin­ne genutzt. Auch dies: eine tota­le Niederlage.

 

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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