Ein glücklicher Mensch

PDF der Druckfassung aus Sezession 112/ Februar 2023

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Nie­mand weiß, wohin die Göt­ter Sisy­phos ver­bann­ten, nach­dem er ihnen dre­ckig ins Gesicht gelacht und sich über ihre Ord­nungs­ver­su­che in der Welt lus­tig gemacht hatte.

Aber jeder weiß, daß die­se auf­müp­fi­ge Gestalt Tag für Tag einen schwe­ren Stein zu wäl­zen hat, einen Hang hin­auf, und daß es ihm nie gelingt, die­sen Stein dort oben abzu­le­gen. Jedes­mal gerät die Last ins Rut­schen und pol­tert den Abhang wie­der hin­un­ter. Dem Sisy­phos bleibt auch am nächs­ten Tag nichts ande­res übrig, als sich erneut hin­ter den Stein zu stemmen.

Die­se täg­lich ver­geb­li­che Arbeit, von den Göt­tern als Stra­fe ver­hängt, ist zum Sinn­bild gewor­den für vie­les, was der Mensch trei­ben muß. Fast jeder durch­lebt das Wäl­zen gan­ze Jah­re lang, ohne einen Begriff vom Mythos zu haben – unbe­wußt und unaus­ge­spro­chen. Wie lebt es sich, wenn das Absur­de sich zeigt, plötz­lich oder so, als kratz­te man eine Schei­be vom Eis frei? Leben gera­de wir hier nicht Jahr für Jahr kopf­schüt­telnd, zutiefst empört? Und wäl­zen wir nicht trotz­dem täg­lich unse­ren Stein, zurecht­kom­mend, bie­nen­flei­ßig? Wir soll­ten damit auf­hö­ren. Die Fra­ge lau­tet: Kann man wäl­zen, ohne damit zurechtzukommen?

Albert Camus leg­te 1942 sein heu­te bekann­tes­tes Buch vor, die Schrift Der Mythos des Sisy­phos. Er beschäf­tig­te sich dar­in mit der jäh durch­schie­ßen­den oder schlei­chend ein­träu­feln­den Erkennt­nis, daß wir den Stein wäl­zen, obwohl wir nicht mehr wis­sen, wozu es gut sein soll – dabei ahnend, daß sich in unse­rem Leben an die­ser Grund­kon­stel­la­ti­on kaum mehr etwas wird ändern lassen.

Trost und Zuver­sicht konn­te für Camus kein Gott spen­den, denn er glaub­te nicht. Und so such­te er den Aus­weg im Men­schen selbst, in einem Per­spek­tiv­wech­sel, einer Ver­hal­tens­än­de­rung, einer Selbst­ret­tung jener Art, bei der man sich an den eige­nen Haa­ren aus dem Sumpf zieht.

Die­se Selbst­ret­tung dür­fe, so Camus, kei­nes­falls in betäu­ben­de Betrieb­sam­keit mün­den. Recht hat er. Es gibt For­men sys­te­mi­scher Zuver­sicht, die schlim­mer als Ver­zweif­lungs­or­gi­en sind, denn sie wir­ken so schlau und so glatt, so pro­fes­sio­nell und so rich­tig, so oppo­si­tio­nell betei­ligt am Fal­schen, aus­blen­dend zufrieden.

Wie dann? Camus riet zu einem Drei­schritt: Erken­ne die Lage, in dir den Sisy­phos, im Lebens­voll­zug den Stein; nimm die Lage an, als unaus­weich­li­ches Schick­sal; revol­tie­re in ihr gegen sie, denn aus der Erkennt­nis und der Unaus­weich­lich­keit erwach­se die Frei­heit dazu, sie mache den Stein zur Aufgabe.

Und so schlägt Camus zuletzt vor, daß wir uns Sisy­phos als glück­li­chen Men­schen den­ken soll­ten, denn er mache den Stein zu etwas ihm Zuge­hö­ri­ges, ohne das er nicht sei, wer er sei. Was für ein Auf­wand, um aus der Käl­te wie­der in die Wär­me zu gelan­gen! Soll jetzt also Glück unse­re Kate­go­rie sein? Im Zara­thus­tra schreibt Nietz­sche: »Trach­te ich denn nach Glü­cke? Ich trach­te nach mei­nem Wer­ke!«, und das ist ein ganz ande­rer Weg­wei­ser, einer, der den kal­ten Stil vor­be­rei­te­te, die Win­ter­wan­der­schaft, dem Rau­che gleich, und so weiter.

Es gibt in Ernst Jün­gers Erin­ne­run­gen an den Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs jene Sze­ne, in der er, zusam­men mit einem Dach­de­cker auf dem Gie­bel sit­zend, die Ankunft des Post­bo­ten erlebt, der die Mobil­ma­chung aus­ruft. »Der Dach­decker hat­te gera­de sei­nen Ham­mer erho­ben, um einen Schlag zu tun. Nun hielt er mit­ten in der Bewe­gung inne und leg­te ihn ganz sacht wie­der hin. In die­sem Augen­blick trat ein ande­rer Kalen­der bei ihm in Gültigkeit.«

Es mag an der Lek­tü­re­ge­stimmt­heit lie­gen, war­um sich das Bild vom nicht mehr aus­ge­führ­ten Schlag tief ein­bren­nen konn­te, tie­fer sogar als man­che Sze­ne aus dem Krieg selbst, von denen Jün­ger etli­che zusammentrug.

Es liegt wohl an der jähen Öff­nung: Ein Wort kann die eine Uhr anhal­ten und die ande­re in Gang set­zen, ein Wort kann genü­gen, und der Ham­mer wird zu einem frem­den Gegen­stand, der Schlag – ein Vor­gang von der Dau­er einer hal­ben Sekun­de – zu einer absur­den Tätig­keit, zu einer Hand­lung, die sich nicht mehr ein­fü­gen und nicht mehr aus­füh­ren läßt.

So etwas kann eine gro­ße Erleich­te­rung sein, kann dem Grü­beln ein Ende set­zen. Wozu noch Dächer decken? Manch­mal ist es soweit, dann läßt Sisy­phos den Stein links lie­gen oder zer­schlägt ihn oder tritt ihn zu Tale. Das ist unser Thema.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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