Sebastian Ostritsch: Let’s Play oder Game Over?

-- von Wolfgang Klinghammer

Der Autor, der im Jahr 2020 ein vielbeachtetes Werk zu Hegels Philosophie vorlegte, ist promovierter Philosoph und bezeichnet sich als leidenschaftlichen Computerspieler. Er sieht in Computerspielen ein »erwachsenes Medium«, dessen Potential, Geschehnisse erfahrbar zu machen, das der Literatur übersteige.

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Die Ana­ly­se klärt zunächst ihre Grund­be­grif­fe – etwa die Unter­schei­dun­gen zwi­schen ­Ludo­lo­gie und Nar­ra­to­lo­gie, zwi­schen rea­ler und vir­tu­el­ler Hand­lung, die einer­seits unter­schied­li­che Beschrei­bungs­in­stru­men­te erfor­dern, ande­rer­seits aber auch auf viel­fa­che Arten mit­ein­an­der ver­schränkt sind. Die gro­ße Band­brei­te mög­li­cher Gen­res, ihrer Inhal­te und For­men, erschwert bereits eine gro­be Ein­ord­nung und ver­bie­tet damit pau­scha­le Urtei­le, wie jenes, wonach soge­nann­te Kil­ler­spie­le zu rea­ler Gewalt führten.

Wesent­lich ist die Erkennt­nis, daß unter­schied­li­che Prä­sen­ta­ti­ons­wei­sen – etwa von Gewalt oder ethi­schen Dilem­ma­ta – zu unter­schied­li­chen Emo­tio­nen und Reak­tio­nen füh­ren, wobei auch die indi­vi­du­el­le Hal­tung des Spie­lers Bestand­teil einer mora­li­schen Beur­tei­lung wer­den soll­te. So kann vir­tu­el­le Gewalt im Sti­le ­Taran­ti­nos durch­aus über­zeich­net wer­den, sie kann als rausch­haf­tes Erleb­nis erschei­nen oder gar komi­sche Züge auf­wei­sen, ohne damit per se mora­lisch ver­werf­lich zu sein.

Umge­kehrt kann Gewalt eben­so­gut auf eine Art erschei­nen, die den Spie­ler bewußt zu einer Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­ner Rol­le zwingt. Dies wird etwa dann deut­lich, wenn das Spiel The­men wie Fol­ter oder die »Kol­la­te­ral­schä­den« einer mili­tä­ri­schen Akti­on ver­an­schau­licht. Der Spie­ler ist dann ange­hal­ten, das simp­le Sche­ma von Gut und Böse, aber auch die eige­nen Moti­ve und Hand­lun­gen zu hin­ter­fra­gen – inner­halb wie außer­halb des Spielgeschehens.

Auch Gramsci und sein Kon­zept der kul­tu­rel­len Hege­mo­nie wer­den nicht außer acht gelas­sen: »Com­pu­ter­spie­le sind nun eines der Mas­sen­me­di­en unse­rer Zeit und des­halb meta­po­li­tisch höchst rele­vant.« Längst bemüht sich daher auch der Staat, dies für sich zu nut­zen, etwa um Jugend­li­che von den Seg­nun­gen der Woke-Ideo­lo­gie zu über­zeu­gen – ein Ansin­nen, dem der Autor kri­tisch gegen­über­steht, etwa wenn er augen­zwin­kernd fest­stellt: »Nicht ein­mal Super Mario, der sich rou­ti­ne­mä­ßig der Erret­tung von Prin­zes­sin Peach aus den Klau­en des Böse­wichts ­Bow­ser ver­schrie­ben hat, war vor dem Vor­wurf des Sexis­mus sicher.«

Auch die ver­fem­ten Schnell­ro­daer Com­pu­ter­spiel­hel­den des längst indi­zier­ten »Hei­mat Defen­der: Rebel­li­on« fin­den Erwäh­nung, nicht ohne Hin­weis dar­auf, daß der­sel­be Staat eben kein Pro­blem mit der spie­le­risch durch­aus ver­gleich­ba­ren kom­mu­nis­ti­schen Auf­stands­phan­ta­sie »Tonight We Riot« hat.

Ost­rit­sch als Phi­lo­soph läßt selbst­ver­ständ­lich auch die Klas­si­ker sei­nes Fachs zu Wort kom­men; Aris­to­te­les, Kant und Hegel haben hier durch­aus viel bei­zu­tra­gen, und der gekonnt geschla­ge­ne Bogen ist zudem mit Span­nung und Erkennt­nis­ge­winn ange­rei­chert, auch zu Pro­blem­fel­dern wie Com­pu­ter­spiel­sucht oder der um sich grei­fen­den »Gami­fi­ca­ti­on« vie­ler Lebensbereiche.

Ein Glos­sar am Ende des Tex­tes, das ins­be­son­de­re für Abs­ti­nenz­ler hilf­reich sein dürf­te, run­det das Buch ab. Die popu­lär­wis­sen­schaft­li­che und mit vie­len Bei­spie­len ver­se­he­ne Dar­stel­lung, die glück­li­cher­wei­se nicht unter den Berufs­krank­hei­ten phi­lo­so­phi­scher Tex­te lei­det, ist in sich schlüs­sig. Es ist ein unauf­ge­reg­tes, wohl­tu­end sach­li­ches Buch, das sei­ner Rol­le als Über­blicks­dar­stel­lung gerecht wird und das dazu bei­tra­gen kann, eine teils aus dem Ruder gelau­fe­ne Debat­te zu entschärfen.

Als Fazit bleibt vor allem die Idee, daß auch Com­pu­ter­spie­le im Rah­men eines aris­to­te­li­schen »guten Lebens« ihren Platz haben kön­nen – solan­ge man eben mit Bedacht spielt, dar­über das rea­le Leben und den Freun­des­kreis nicht ver­nach­läs­sigt und auf jene Art maß­hält, die der Phi­lo­soph auch in ande­ren Berei­chen einfordert.

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Sebas­ti­an Ost­rit­sch: Let’s Play oder Game Over? Eine Ethik des Com­pu­ter­spiels, ­Mün­chen: dtv 2023. 256 S., 18 €

 

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