Die jahrzehntelange NS-Vergangenheitsbewältigung und der daraus abgeleitete »Antifaschismus« haben den historisch-politischen Blickwinkel vieler Zeitgenossen verengt.
Die Fokussierung auf ein comicartig zurechtgeschnittenes Bild des Nationalsozialismus hat zu der einfachen Gedankenkette »Rechts = Menschenfeind = Gefahr = Faschist = Nazi = Auschwitz« in den Köpfen geführt. Das daraus resultierende prätotalitäre »antifaschistische« Herdenverhalten ist natürlich das Gegenteil von Dissidenz, die sich in der Geschichte und in vielen Ländern auch heute noch unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile bewähren muß.
Und es hat gerade nichts mit den schweren persönlichen Entscheidungen zu tun, denen sich Oppositionelle und aktive Widerstandskämpfer in der lebensgefährlichen Zeit des Nationalsozialismus zu stellen hatten.
Als ich Mitte der 1990er Jahre meine Magisterarbeit zum Thema »Hitlers rechte Gegner« der Prüfungskommission an der Universität Frankfurt am Main vorlegte, las der zuständige Sachbearbeiter den Titel und fragte erstaunt: »Ja, gab es denn welche, die noch rechter als der Hitler waren?« Und betrachtet man den »Wikipedia«-Artikel zum »Widerstand gegen den Nationalsozialismus«, begegnet einem inhaltlich das verkürzte Resultat der bundesdeutschen Geschichtsforschung.
Die Einteilung erfolgt durch die Brille eines Klassenschemas, also anhand sozialer Schichten: Arbeiterschaft, Bürgertum, Adel, Klerus, Kulturszene, Jugendsubkultur. Es ist also von »Widerstand aus der Arbeiterbewegung« die Rede, und einzig in diesem Bereich folgt auch eine politische Unterkategorisierung: »kommunistischer« und »sozialdemokratischer Widerstand«. Alle anderen Widerstandsgruppen erscheinen einzig nach ihrer sozialen Herkunft geordnet, ohne explizite Nennung eines weltanschaulichen Hintergrunds. W
ürde man ihn einbeziehen, käme man zu dem Ergebnis, daß ein erheblicher Teil der Dissidenten und aktiven Widerstandskämpfer in der NS-Zeit »rechts« motiviert war, also christlich-konservativ, nationalliberal, nationalkonservativ, nationalistisch, sogar völkisch, und zwar ungeachtet der jeweiligen Berufsgruppe oder sozialen Schicht. Darauf hinzuweisen stellt eine der moralpolitischen Grundannahmen der BRD in Frage: diejenige nämlich, daß man heute »links« sein müsse, weil dies die historisch bewährte Position sei, aus der heraus man dem »neuen 1933« entgegenzutreten habe.
Um dieses Bild zu korrigieren, veröffentlichte ich 1995 das schmale Buch Hitlers rechte Gegner (1), dem 2002 der Interviewband Augenzeugen der Opposition (2) mit letzten Zeitzeugen aus der dritten Reihe folgte. Die Gliederung orientierte sich an Armin Mohlers Werk zur Konservativen Revolution, was wiederum gängige Erklärungsmuster unterlief. Vertreter der Konservativen Revolution fanden sich jedenfalls nach 1933 sowohl in den Reihen des Nationalsozialismus als auch in »systemimmanenter Opposition«, in der »inneren Emigration« und sogar im aktiven Widerstand wieder. Letzteres zeigt der exemplarische Blick auf einzelne Akteure, die sich – die Sondergruppe der »Bündischen« berücksichtige ich nicht – in die Mohler-Kategorien »völkisch«, »jungkonservativ« und »nationalrevolutionär« gliedern lassen.
Als »völkisch« werden heute häufig Bezugnahmen auf die Ethnie gebrandmarkt. Das soll sie in NS-Nähe rücken und diskreditieren. Dabei waren »Völkische« und Nationalsozialisten nie deckungsgleich. Die »Völkischen«, deren Gedanken sich um Volk, Rasse, Stamm und Landschaft drehten, waren ein später Zweig der Romantik. Ihre Suche galt den Ursprüngen der Identität, sie glitt nicht selten in skurrile esoterische Welterklärungsmodelle ab.
Die Haltung zum Nationalsozialismus war zwiegespalten. Viele der »Völkischen« entstammten der wilhelminisch geprägten Vorgängergeneration der Nationalsozialisten. Sie erhofften sich nach der NS-Machtergreifung Anerkennung, die ihnen aber von den Machthabern verweigert wurde, da altgermanische Ästhetik und esoterische Verstiegenheit nicht zum technokratisch-modernen Antlitz des Nationalsozialismus paßten. Auch deshalb kam es zu Trotz- und Oppositionsreaktionen von »völkischer« Seite. Das wiederum führte zu einem gewissen Verfolgungsdruck seitens der NS-Machthaber. Beispielsweise gab es Verhaftungen von Anhängern des Rassentheoretikers Jörg Lanz von Liebenfels, die einem manichäischen Weltbild von seit Ewigkeiten einander bekämpfenden Über- und Untermenschen und der weiblichen Erbsünde anhingen.
Unter Verfolgungsdruck litt auch die antikirchliche Ludendorff-Bewegung: Die vom ehemaligen Ersten Generalquartiermeister Erich Ludendorff und seiner Frau Mathilde gegründete Vereinigung kritisierte vor allem die NS-Religionspolitik, die auf einer Annäherung an die christlichen Kirchen beruhte. Daraufhin hatten »Ludendorffer« mit Publikations- und Vortragsverboten zu kämpfen. (3)
Der 1882 geborene »deutschnationale« Reichstagsabgeordnete Reinhold Wulle schloß sich 1922 der »völkischen« DNVP-Abspaltung Deutschvölkische Freiheitspartei (DVFP) an, die radikale nationalistische und antiparlamentarische Positionen vertrat und zeitweilig als Ersatzgruppierung für die verbotene NSDAP fungierte. Ein Unterschied zu den Nationalsozialisten lag in den strukturkonservativen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Positionen, die sich gegen sozialrevolutionäre Bestrebungen im NS-Apparat richteten. Doch der Zeitgeist setzte auf die moderne Massenpartei der NSDAP, Wulle verlor sein Reichstagsmandat, konnte aber in den Preußischen Landtag wechseln.
Nach 1933 wurden die Archive der »Deutschvölkischen« beschlagnahmt und einige Parteimitglieder in Konzentrationslager gesperrt. Wulle veröffentlichte 1935 seine Schrift Geschichte einer Staatsidee, in der er die preußische gegen die nationalsozialistische Konzeption stellte. 1938 wurde er verhaftet und wegen »Gründung einer neuen Partei« zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Danach kam er bis 1942 ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort soll er mit SS-Ärzten gegen kommunistische Lagerkameraden gearbeitet haben. (4) Nach dem Krieg bemühte Wulle sich um die Gründung der erfolglosen Deutschen Aufbau-Partei (DAP), ehe er 1950 in Westfalen starb.
Die »Konservativen« der Weimarer Republik teilten sich in zwei Lager. Traditionelle National-Konservative sammelten sich in der monarchistischen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). In der Endphase Weimars kam es unter dem Einfluß des Jungdeutschen Ordens zu der gemäßigten Abspaltung der Konservativen Volkspartei unter dem späteren Exilanten Gottfried Reinhold Treviranus. Als Frontkämpfervereinigung im Umfeld der Deutschnationalen diente der Wehrverband »Stahlhelm«. Mehrere Stahlhelmer waren in spätere Attentatspläne gegen Hitler involviert, darunter der Freikorpsführer und Publizist Friedrich Wilhelm Heinz.
Den deutschnationalen Massenorganisationen standen die intellektuellen Zirkel der »Jungkonservativen« gegenüber, denen – ähnlich heutiger Mitteleuropa-Konzeptionen – ein Reich aus verschiedenen europäischen Völkern nach mittelalterlichem Vorbild vorschwebte. Ihr Widerstand speiste sich hier aus der christlichen Ethik sowie aus dem Abscheu gegenüber den Gewalttaten und der Rassenkonzeption des Regimes.
Der in der Zellstoffindustrie tätige Historiker Paul Lejeune-Jung gehörte als christlich-nationaler Katholik zu den gemäßigten Reichstagsabgeordneten der DNVP. 1930 beteiligte er sich an der Abspaltung Konservative Volkspartei. 1942 trat er in Kontakt zur Widerstandsgruppe um Carl Goerdeler, dem er ein wirtschaftspolitisches Konzept für die Zeit nach einem Sturz Hitlers entwarf. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Lejeune-Jung verhaftet und im September 1944 hingerichtet.
Zehn Jahre zuvor hatte bereits der »jungkonservative« Denker Edgar Julius Jung den gewaltsamen Tod gefunden. Jung nahm als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil, beteiligte sich in der Nachkriegszeit als Mitglied des Freikorps Epp an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik und an gewaltsamen Aktionen gegen pfälzische Separatisten. Schon aus dieser Zeit rührten seine Aversionen gegen Hitler.
So versuchte der Autor des bekannten antiliberalen Buches Die Herrschaft der Minderwertigen nach der NS-Machtergreifung als politischer Berater des Vizekanzlers Franz von Papen ein oppositionelles Netzwerk aus Konservativen, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern zu bilden. Am 17. Juni 1934 hielt Papen vor Marburger Studenten die von Jung verfaßte Marburger Rede, in der die politischen Mißstände in Deutschland kritisiert wurden. Kollektivismus wurde darin zugunsten einer ständisch geordneten Gesellschaft abgelehnt, zudem die Auflösung der NSDAP gefordert. Diese Aktivitäten blieben nicht unbemerkt. So wurde Jung wenige Tage danach auf Anweisung Hitlers verhaftet und im Zuge des »Röhm-Putsches« im Berliner Gestapo-Hauptquartier erschossen. (5)
Eine Zwischenstellung zwischen »Nationalrevolutionären« und »Jungkonservativen« hatte der Jungdeutsche Orden des 1890 geborenen Reichswehr-Hauptmanns Artur Mahraun inne. Im Gegensatz zur Mehrheit der Weimarer Rechten plädierte Mahraun für ein deutsch-französisches Wirtschafts- und Militärbündnis nach Außerkraftsetzung des Versailler Vertrages. Auch trat er in strikt legalistischer Konzeption für einen demokratischen Volksstaat auf dem Fundament von »Charaktermenschen« ein, sah also die Restauration der Monarchie nicht mehr als verbindlich an.
Hierfür wurde ein auf basisdemokratisch verfaßten »Nachbarschaften« von jeweils 500 Staatsbürgern fußendes Subsidiaritätsprinzip entworfen. Mahraun distanzierte sich bereits 1923 von Hitler, als er diesem bei Erich Ludendorff begegnet war und sich erschrocken über die »Orgie des Hasses« in dessen Äußerungen zeigte. Schon früh wurden deshalb »Jungdeutsche« von Nationalsozialisten als »Verräter, Französlinge, Juden und Judenknechte« beschimpft. »Jungdo verrecke!« galt als einer der Rufe der SA, und so wurden trotz »jungdeutscher« Anbiederungsversuche unmittelbar nach der NS-Machtergreifung die »jungdeutsche« Ordenszeitung und dann auch der Orden verboten.
Mahraun wurde im Juli 1933 verhaftet und in einem Berliner Gestapo-Keller schwer mißhandelt, wobei er ein Auge verlor. Nach der Haft begab sich Mahraun ins »Innere Exil«, pflegte aber – trotz Überwachung – heimlich Kontakte zu Ordenskameraden. Nach 1945 von den Alliierten ins Internierungslager Recklinghausen gesperrt, erlag er 1950 den Spätfolgen der Mißhandlungen von 1933. Andere Ordensbrüder hatten in der NS-Zeit mit Hausdurchsuchungen und Verhaftungen zu kämpfen, übten sich aber in oppositioneller Alltagsdissidenz und äußerten bisweilen publizistisch Kritik an den Verhältnissen. (6)
Die »Nationalrevolutionäre« als Vertreter der Frontgeneration erlebten den Ersten Weltkrieg als epochales Ereignis, das in ihren Augen für den Zusammenbruch der bürgerlichen Welt stand. Sie betrachteten die »Völkischen« als Romantiker und Archäologen, die »Jungkonservativen« als Leute, die auf Trümmern bauen wollten, ohne den Schutt weggeräumt zu haben. Statt dessen liebäugelten die »Nationalrevolutionäre« mit dem Mahlstrom der Moderne, zeigten sich offen für neue Lösungsideen hinsichtlich der sozialen Frage.
Nationale und sozialistische Ideen gingen eine neuartige Verbindung ein. Übergänge vom und ins Lager des Kommunismus und des Nationalsozialismus waren keine Seltenheit. Konflikte mit dem realen Nationalsozialismus entwickelten sich durch dessen in »nationalrevolutionärer« Sicht unzureichende Umsetzung sozialistischer Konzepte sowie die mangelnde Kooperation mit der Sowjetunion. Dem Nationalsozialismus wurde also vorgeworfen, nur mangelhaft dem zweiten Teil seines Parteinamens gerecht zu werden.
Ein bekannter Vertreter war der 1889 im schlesischen Trebnitz geborene Ernst Niekisch. 1926 gründete er mit Anhängern des nationalistisch-jungsozialistischen Hofgeismarer Kreises die Zeitschrift Widerstand. Deren Widerstand richtete sich nicht nur gegen Deutschlands äußere Feinde, sondern auch gegen die »Agenten der Siegermächte« im Inneren. Bereits frühzeitig positionierte sich der Widerstand gegen Hitler, der sich mit klerikal-reaktionären Kräften verbündet habe.
So erschien 1932 im Widerstandsverlag die Broschüre Hitler – ein deutsches Verhängnis. 1934 wurde der Widerstand verboten, NS-kritische Bücher aus dem Verlag wurden beschlagnahmt. 1937 kam es zur Verhaftung von fast 100 Anhängern der »Widerstandsbewegung«, darunter dem Organisator Joseph Drexel, der gemeinsam mit Niekisch 1939 wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Verstoß gegen das Gesetz zur Neubildung von Parteien verurteilt wurde. Drexel wurde 1943 aus der Haft entlassen, um nach dem 20. Juli 1944 erneut verhaftet und mit dem Vermerk »Rückkehr unerwünscht« ins KZ Mauthausen eingewiesen zu werden, aus dem er 1945 befreit wurde. Niekisch erhielt eine lebenslange Zuchthausstrafe, aus der er im April 1945 halb gelähmt und fast erblindet befreit wurde. (7)
Ein anderer bekannter »Nationalrevolutionär« war Otto Strasser. Strasser wurde 1897 als Beamtensohn im fränkischen Windsheim geboren. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Kriegsfreiwilliger teil, schloß sich nach Kriegsende mit seinem älteren Bruder Gregor dem Freikorps Epp an, das an der Beseitigung der linken Räteregierung in Bayern beteiligt war. Zugleich war Otto Strasser von 1917 bis 1920 SPD-Mitglied und freier Mitarbeiter der Parteizeitung Vorwärts, doch er wandte sich enttäuscht von der Partei ab, weil sie sich umfassenden Sozialisierungen verschloß.
Er studierte und promovierte in Berlin, arbeitete im Reichsernährungsministerium und für einen Spirituosenkonzern. 1925 folgte er der Bitte seines Bruders Gregor, ihm bei der Ausarbeitung des Parteiprogramms der neugegründeten NSDAP zu helfen. Die Strasser-Brüder entwickelten frühzeitig eine Synthese aus linken und rechten Ideen, verbanden sozialreformerische und nationale Gedanken zu einem »nationalen Sozialismus«. Dazu gehörten Forderungen nach Abschaffung des privaten Eigentums an Produktionsstätten und Grundbesitz zugunsten einer Lehensvergabe durch die Nation, ein politischer Staatsaufbau nach berufsständischen Strukturen, ein Großdeutschland als Zentrum einer späteren europäischen Föderation sowie der außenpolitische Ausgleich mit der Sowjetunion.
Bereits infolge dieser Programmarbeit kam es zu ersten Kontroversen mit Adolf Hitler, der eine deutlich weniger sozialistische Linie der Partei bevorzugte und durch Strasser das Bündnis mit den bürgerlichen Deutschnationalen gefährdet sah. Der Konflikt eskalierte 1930, als Otto Strasser gemeinsam mit 25 Anhängern den Aufruf »Die Sozialisten verlassen die NSDAP« in allen Blättern des von Strasser geleiteten Kampfverlages verbreitete.
Darin wurde die »Verbonzung des Parteiapparats« beklagt, ebenso die aggressive außenpolitische Ausrichtung der Partei: »Wir faßten und fassen den Nationalsozialismus als eine bewußt antiimperialistische Bewegung auf, deren Nationalismus sich beschränkt auf Erhaltung und Sicherstellung des Lebens und des Wachstums der deutschen Nation ohne irgendwelche Herrschaftstendenzen über andere Völker und Länder.« Schließlich seien es nicht andere Völker, sondern der »internationale Kapitalismus« und der »westlerische Imperialismus«, welche von den nationalen Sozialisten bekämpft werden sollten.
Als Auffangbecken für von Hitler enttäuschte Nationalsozialisten entstand die Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten (KGRNS), und im Rahmen einer »Schwarzen Front« suchte man nach Bündnispartnern. Nach der Machtergreifung gingen NS-Schergen als erstes gegen Strasser-Anhänger vor, die verschleppt und mißhandelt wurden. SA-Leute demolierten bereits im Februar 1933 das Büro der »Schwarzen Front« in Berlin und die Buchhandlung des Kampfverlages. Strasser indes gelang es, ins Exil zu flüchten.
Sein Weg führte von Wien über Prag und Frankreich ins kanadische Winnipeg. Konnte er während des Exils in Europa noch einer umfangreichen Widerstandstätigkeit nachgehen, Radioprogramme gegen das Hitler-System senden und Flugschriften nach Deutschland schmuggeln, so war ihm dies später nicht mehr möglich. Zum einen waren die finanziellen Mittel erschöpft, zum anderen die Widerstandsnester im Inneren des Deutschen Reiches zerschlagen. Schließlich verhängte die kanadische Regierung auch noch ein politisches Rede- und Schreibverbot für Strasser.
Erst zehn Jahre nach Kriegsende und nach 22jährigem Exil wurde ihm erlaubt, wieder deutschen Boden zu betreten. Bereits die Gründung von Strassers Deutsch-Sozialer Union (DSU) war 1956 von »Verschwinde, dreckiger Nazi!«-Rufen linker Gegendemonstranten überschattet. Und auch die 1962 gegründete Unabhängige Arbeiterpartei (UAP) kam nicht über den Status einer Splittergruppierung hinaus. So starb Otto Strasser, als politischer Faktor unbedeutend geworden, 1974 in München. (8)
Ebenfalls ins Exil ging der 1906 geborene, aus dem Christlichen Wandervogel kommende Publizist Karl Otto Paetel. Als kompromißloser Gegner der Weimarer Republik gründete er die Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalisten (GSRN), die sich gegen das dekadente Bürgertum und die »Versuche des westlichen Imperialismus« wandte, Deutschland zur »Halbkolonie« zu machen. Paetels Bestreben war es, national denkende Kommunisten und Nationalsozialisten des linken Parteirandes zu einer national-kommunistischen Allianz zusammenzuführen. Dafür erntete er nach dem 30. Januar 1933 ein Publikations- und Berufsverbot. Das von ihm verfaßte Nationalbolschewistische Manifest wurde beschlagnahmt.
1934 erfolgte Paetels kurzzeitige Inhaftierung, nach der er 1935 in die Tschechoslowakei floh, um von dort aus eine Exil-Reise durch verschiedene Länder anzutreten. In diversen Publikationen warf er dem Nationalsozialismus Verrat an den eigenen sozialistischen Ideen vor. Außerdem wandte er sich gegen den Ausgleich mit der katholischen Kirche. Seine Blätter der sozialistischen Nation wurden illegal nach Deutschland eingeschleust. Außerdem organisierte Paetel im französischen Exil Schulungstreffen für junge Deutsche.
1941 floh Paetel in die USA, wo er unter ärmlichen Bedingungen lebte. In der Nachkriegszeit konnte er wieder als Publizist arbeiten, wurde Generalsekretär des Deutschen Presseclubs New York. Er schrieb gegen die Gleichsetzung Deutschlands mit dem NS-System und die deutsche Teilung an, propagierte aber – entgegen Strassers Parteigründung – die politische Arbeit innerhalb der etablierten deutschen Parteien. 1975 starb er in Forest Hills, New York. (9)
Der 1892 geborene Josef »Beppo« Römer, ein Jurist, war 1919 als einer der Führer des Freikorps Oberland maßgeblich an der Beseitigung der Münchner Räteregierung beteiligt. 1932 wandte er sich der KPD zu und trat als Herausgeber der nationalrevolutionären Zeitschrift Aufbruch in Erscheinung. Den Kampf gegen die Versailler Ordnung wollte er im Bündnis mit der Sowjetunion führen. Unmittelbar nach der NS-Machtergreifung wurde Römer in »Schutzhaft« genommen, 1934 unter dem Vorwurf »Vorbereitung zum Hochverrat« erneut eingesperrt.
Nachdem er 1939 entlassen worden war, organisierte Römer Aufbruch-Widerstandsgruppen in vielen deutschen Städten. Dabei wurden auch Attentatspläne gegen Hitler besprochen. In Flugblättern wurde das deutsche Volk zum Kampf gegen Hitler und zur Beendigung des Krieges aufgerufen. 1942 wurde Römer mit einigen Gefolgsleuten erneut verhaftet und 1944 wegen »Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung« durch das Fallbeil enthauptet. (10)
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(1) – Claus Wolfschlag: Hitlers rechte Gegner, Engerda 1995.
(2) – Claus‑M. Wolfschlag: Augenzeugen der Opposition, Dresden 2002.
(3) – Vgl. Hans Kopp: Geschichte der Ludendorff-Bewegung, Bd. 1, 1975; Gert Borst: Die Ludendorff-Bewegung 1919 – 1961, München 1969.
(4) – Vgl. Rudolf Pechel: Deutscher Widerstand, Erlenbach-Zürich 1947.
(5) – Vgl. Karl-Martin Graß: Edgar Julius Jung, Heidelberg 1966.
(6) – Vgl. Klaus Hornung: Der Jungdeutsche Orden, Düsseldorf 1958.
(7) – Vgl. Friedrich Kabermann: Widerstand und Entscheidung eines deutschen Revolutionärs. Leben und Denken von Ernst Niekisch, Köln 1972; Uwe Sauermann: Ernst Niekisch und der revolutionäre Nationalismus, München 1985.
(8) – Vgl. Günter Bartsch: Zwischen drei Stühlen. Otto Strasser, Koblenz 1990.
(9) – Vgl. Karl Otto Paetel: Reise ohne Uhrzeit, Worms 1982.
(10) – Vgl. Oswald Bindrich, Susanne Römer: Beppo Römer, Berlin 1991.