Philosophieprofessor Dieter Thomä hat es getan und mit Sicherheit das lesenswerteste Buch des Neue-Väter-Genres geschrieben. Fundiert und flott im Ton hat er eine breitangelegte Philosophiegeschichte des Vaters verfaßt. Sophies Welt läßt ebenso grüßen wie, ja, Joachim Fernau, denn Thomä (Selbstbezeichnung: »Fanatiker der Bestandsaufnahme«) versteht es, seinen Leser bei der Hand zu nehmen, ohne ihn für dumm zu verkaufen. Die 19 Kapitel reichen vom »Niedergang« bis zur »Wiederkehr« des Vaters. Ersteren läutet er mit John Locke und der Todesstunde des Patriarchats ein. Ab dem 17. Jahrhundert habe man den Vater gleich dreifach aufs Schafott geführt – den himmlischen, den politischen und den Familienvater. Den beharrlichen, durch wiederkehrende Restitutionen sich unbeugsam zeigenden Rest der Herrschaft erledigten mit groben Schnitten die französische und noch später die industrielle Revolution. Der Vater und die durch ihn verkörperten Attribute wurden durch die Trennung von Arbeit und Wohnen vollends aus den häuslichen Gefilden verdrängt. Eine Rückkehr wohlverstandener Väterlichkeit hält Thomä gleichwohl für möglich. Und so lautet sein letzter Satz. »Die Heldengeschichte der Väter (…) endet damit, daß sie ihre Kinder (freilich nicht: Söhne, E.K.) als Helden willkommen heißen. « Ein Buch, das bis dato gefehlt hat.
Wer an Thomäs Buch die ganz konkrete Zeitgenossenschaft vermißt (der Autor ist als Fünfzigjähriger freilich nah, aber eben nicht unmittelbar dran am unruhigen Väterpuls der Zeit; sprich: er ist kein Trendvater), darf sich an den ein Jahrzehnt jüngeren Grünen-Politiker Robert Habeck wenden. Neben seinem politischen Tun pflegt Habeck ebenso wie seine Frau Andrea Paluch – man lebt dörflich nahe der dänischen Grenze – ein reges publizistisches Dasein. Das ist allein durch diese offenkundige Bodenhaftung, durch das Argumentieren aus dem prallen Leben heraus, authentisch und durchaus role-model-tauglich: Beruflich hochengagierte Eltern, die daneben vier Söhne erziehen. Der sympathischste Satz des Buchs steht auch gleich vorn: Habeck widmet das Buch seinen Söhnen (»ohne die ich nicht wäre, was ich bin«) und seinem Vater (»der das für mich war«).
Ansonsten zeigt sich Habeck als zwar aufgeweckter, aber unterm Strich theoretisch junglinker Konformist. Er beklagt die angeblich konservative Dominanz in der Vereinbarkeitsdebatte (Kinder und Beruf) und zitiert als »Beleg« für sein doch recht gendermäßiges Geschlechter-Rollenverständnis einen Text der deutschen Hip-Hop-Kapelle »Fettes Brot«, die im übrigen auf der gleichen Nettigkeitsstufe (also: passabler, weil immerhin mitdenkender mainstream) rangieren wie Habeck selbst. Die Väterlichkeitskrise ist für ihn im Kern ein materialistisches Problem. Die notwendig zu drehenden Stellschrauben lokalisiert er auf dem Arbeitsmarkt: Wenn alle – Männlein wie Weiblein; Kategorien, die er für immerhin begründbar, aber überholt hält – durch wohlfahrtsstaatliche Abfederung weniger arbeiten müßten und privathäusliches Engagement »schick« wäre und «eine geachtete solidarische Haltung«, würden nicht nur Arbeitsplätze geschaffen. Zugleich könnten Männer dadurch endlich »die Emanzipation der Frauen vollenden« und Vaterschaft selbst »als Möglichkeit, alte Freiheiten neu zu erlangen« begreifen. Daß Habeck aus der Position eines gelingenden Lebens heraus und nicht entlang der »abstrakten Richtschnur ›Gerechtigkeit‹« argumentiert, macht die Lektüre zu einem Gewinn. Überhaupt: Scheint so, als sei Vaterschaft eine Art Glücksgarant. Was ja bei den Müttern keineswegs so ist, betrachtet man nur den Rummel, der in diesen Wochen um Bücher wie jenes Unaussprechliche der schwedischen Mißmutter Maria Sveland getrieben wird. Elternschaft scheint den schreibenden Müttern (Charlotte Roches Heldin ließ sich gleich bei Erreichen der Volljährigkeit sterilisieren) eine Bürde, den Vätern eine Zier. Das gilt auch für den amerikanischen Punkrock-Veteran Jim Lindberg, der als Vater dreier Töchter ein intellektuell gänzlich unbelecktes, aber überaus lebenskluges und liebenswürdiges Büchlein darüber geschrieben hat, wie es sich anfühlt, als alternder Szenestar einer Anti-Bewegung die Rolle des verantwortungsvollen Erziehers zu meistern.
Es ist symptomatisch, daß die zeitgenössischen Vatererzählungen selten ernsthaft mit den Erkundungen der Jungenwelt in eins fallen. Alexander Mitscherlichs Verlust der Väterlichkeit von 1963 harrt dringend einer Fortschreibung. (In den esoterischen Bereich mag meinetwegen die vielfache Beobachtung gehören, daß Mann-Männer sich vorwiegend in Töchtern reproduzieren…) Das Genre der Abenteuer- und Werkbücher für Jungs erlebt zwar aktuell erfreulichen Zulauf, und kluge Psychopädagogen wie der omnipräsente Wolfgang Bergmann kommen auf vielfältigen Kanälen zu Wort. Eine umfassende historische Bestandsaufnahme der heutigen Knabensozialisation steht aber noch aus. Sie hätte die geschichtliche Bedingtheit zu berücksichtigen, unter der die vierte männliche Generation der Weltkriegsverlierer aufzuwachsen hat. Erziehung unter dem Vorzeichen sexueller (also feministischer) Korrektheit findet ihren Niederschlag zwar auch in den Siegerstaaten – die Knute des patriarchalen Verdachts aber drückt von Land zu Land mit unterschiedlicher Vehemenz.
Auch Arne Hoffmann, rühriger Publizist in Diensten der Männerbewegung, richtet sein Augenmerk mehr auf die Auswüchse des Staatsfeminismus denn auf dessen historische Ursachen. Hier muß man eingangs fragen, ob es eigentlich ein Zufall ist, daß unter den hier vorgestellten Autoren mit Hoffmann ausgerechnet der einzige Kinderlose das pessimistischste Bild unserer Gegenwart zeichnet? In seinem neuen Buch nimmt der Medienwissenschaftler vor allem die Bildungspolitik und schulische Realität ins Visier. Jungs seien die »neuen Bildungsopfer«. Er sieht sie in Lebenswelten aufwachsen, die für sie befremdlich seien, »in denen ihre Eigenschaften und Qualitäten nicht geschätzt, sondern herabgewürdigt und zurückgewiesen werden.« Natürlich hat Hoffmann mit seiner abwägenden (sein Anliegen nennt er »nicht frauenfeindlich, sondern jungenfreundlich«) Beurteilung recht: Was bei Mädchen als »temperamentvoll« und »durchsetzungsfähig« gepriesen wird, wird bei gleichem Ausdruck bei Jungs als »Aggressivität« oder »Verhaltensauffälligkeit « kritisiert. Die Zwickmühle für Knaben ist schier unausweichlich: Während fleißige und brave Schülerinnen sozial unauffällig bleiben und nebenbei hervorragende Noten einfahren, finden die fachlichen Interessen begabter Jungs wenig Niederschlag in einem Lehrplan, der auf soft skills wie Kommunikationsfähigkeit und vorwiegend mädchenaffine Inhalte setzt (in der Tat: unsere Sechstkläßlerin liest im gymnasialen Deutschunterricht ihrer koedukativen Schule gerade Mathe, Streß und Liebeskummer aus einer Freche Mädchen-Reihe). Und: Folgsame Jungs (oft die intellektuell ansprechbarsten) zahlen ihr »sehr gut« in den Kopfnoten meist mit Dresche oder Hänseleien auf dem Schulhof. Als der Amoklauf von Winnenden geschah, war das Buch bereits im Druck. Hoffmann weist allerdings darauf hin, daß solche blindwütigen Massenmorde fast ausschließlich von Jungs verübt werden, und daß das gehäufte Auftreten solcher Vorfälle zeitlich mit der Feminisierung unserer Erziehungskultur zusammenfalle. Daß der Autor das durch Medien und Politik angefachte gesellschaftliche Klima in bezug auf die Geschlechterthematik »fast totalitär« nennt, mögen nur diejenigen für eine Übertreibung halten, die Hoffmanns hier in beängstigender Vielfalt zusammengetragene Beispiele aus Medien, Werbung und Politik nicht kennen. Die umgekehrt zahlreichen Starke-Mädchen-Kampagnen könnten übrigens zu einem paradoxen backlash führen. Hoffmann sieht sich als Mitglied einer Generation, die »durchaus zu einem neuen Geschlechtervertrag« bereit gewesen wäre. Eine Universitätsstudie unter 14- bis 16jährigen Jungen habe aber gezeigt, daß sich die Mehrzahl der Heranwachsenden zuverlässige und angepaßte Frauen als Gefährtinnen wünsche – dreiviertel der Befragten lehnten »durchsetzungsstarke« Mädchentypen ab. Klar, hier haben augenscheinlich erstmal die Jungs ein Problem! Ihre Schwierigkeit, den eigenen Stellenwert zu formulieren, liegt an fehlenden Leitbildern. Wir haben das medial vermittelte Weichei, den Jammerlappen und Volltrottel und dessen ebenso einfältige Umkehrung, das Großmaul auf den Plauderplätzen des Internet und die Ballerfiguren aus Computerspielen. Ob sich die solcher Medienwelt ausgesetzten Jungs den Schlappschwanz- Schuh anziehen oder den virtuellen Kampstiefel: Gesundes kann dabei nur schwer herauskommen, stattdessen Borderline-Persönlichkeiten und neurotische Maulhelden. Hoffmann fordert, endlich wieder auch klassische männliche Rollenbilder (mit positiv verstandener Aggressivität, Disziplin und Durchsetzungsstärke als Wesenszügen) zum Zug kommen zu lassen. »Perfide« nennt er die kaltlächelnde Behauptung Ursula von der Leyens, wonach Männer, die sich nicht den neuen, »gegenderten« Verhältnissen anpassen, »keine Partnerin mehr finden« würden. Ungezählte Untersuchungen haben das Gegenteil erwiesen: Frauen wollen Männer, und keine Homunkuli aus dem Baukasten von Sozialingenieuren.