… in dem er die mangelnde Pflege nationaler Mythen im deutschen Film beklagt und auf ebendiese Pflege im amerikanischen Film abhebt.
Dabei kommt er zu dem Resümee:
Das Medium Film und die nationale Identität stehen in der Moderne in einem engen Zusammenhang. Sie beeinflussen sich gegenseitig. Solange deutsche Filme keine mitreißenden Mythen erzählen, in denen sich Helden auch kämpfend bewähren, so lange wird es kein entspanntes Verhältnis zur eigenen Nation geben – mit allen Konsequenzen jenseits der Leinwand. Einem Land ohne positive Geschichtsmythen wird auch die Reproduktion solcher Mythen im künstlerischen Bereich fehlen.
Der Artikel ist eine Art Zusammenfassung des Fazits, das Hug in seinem unlängst erschienenen Buch Hollywood greift an! Kriegsfilme machen Politik. gezogen hat. Darin versucht der Autor nachzuweisen, wie der US-amerikanische Film (vor allem der Kriegsfilm) seit der Stummfilmzeit im Gewand der Unterhaltung politischen Zwecken gedient hat. Dabei sollen die US-Filme gezielt “demaskiert” werden als
raffinierte Propagandawerke, welche die weltweite Herrschaft der USA legitimieren und beförden. Wir müssen davon abkommen, sie sentimental nur als künstlerische Produkte zu sehen, die menschliche Träume von Individuen inszenieren. Denn letztlich enthalten alle zumindest implizit die Vision der US-amerikanischen Hegemonie und die Propagierung des “american way of life” als besten und erstrebenswertesten aller Lebensstile.
Hug breitet seine Polemik auf der Folie eines schematischen und holzschnittartigen Antiamerikanismus aus, der vorausgesetzt und nicht weiter begründet wird, und der sein genaues Gegenstück in einer ebenso holzschnittartigen Vorstellung davon findet, wie sich denn eine intakte nationale Identität, die sich nicht-amerikanisch definiert, künstlerisch zu artikulieren hat.
Seine Empfehlung etwa die “Schlacht von Liegnitz 1241, die Seeschlacht von Lepanto 1571, die Belagerungen Wiens 1529 und 1683” als Stoffe für Monumentalschinken aufzugreifen, die die europäische Identität gegenüber der amerikanischen stärken sollen, erscheint mir mehr als verquer, wie auch überhaupt die gesamte, allzu pauschalisierende Argumentation des Buches und des Artikels. Und das hat verschiedene Gründe, die ich hier nur umreißen kann.
Da wäre zunächst einmal die von Hug selbst festgestellte Tatsache, daß “Hollywood”, wie man vereinfachend sagt, spätestens seit dem Vietnamkrieg keineswegs vorbehaltslos der US-amerikanischen Außenpolitik zur Verfügung steht. Eher ist das Gegenteil der Fall. Der einzige Pro-Vietnam-Film, John Waynes “The Green Berets” (1968) war künstlerisch und kommerziell ein Flop. Von einem kurzen Backlash während der konservativen achtziger Jahre mit Filmen wie “Red Dawn” (1984), der “Rambo”-Trilogie (1982–85) und “Top Gun” (1988) abgesehen, zieht sich diese kritische Tradition ungebrochen fort: selbst nach 9/11 war die überwiegende Zahl der Filme über den Irak-Krieg und den “Krieg gegen den Terror” ablehnend bis kritisch eingestellt, freilich häufig mit einer grundsätzlichen Inschutznahme amerikanisch-demokratischer Werte (Robert Redfords “Lions for Lambs” ist dafür exemplarisch.)
Mindestens seit den späten vierziger Jahren, spätestens seit der Generation des New Hollywood (Coppola, Scorsese, Bogdanovich et al) ist der Blick der bedeutenden amerikanischen Filmemacher auf God’s Own Country und den American Way of Life alles andere als unkritisch oder ungebrochen. Perspektiven, die aus dem Autorenfilm und der kritischen Kultur der sechziger Jahre stammen, sind weit ins Mainstreamkino vorgedrungen und wirken dort in verflachter Form fort. Ein Mega-Blockbuster wie Camerons “Avatar” etwa betreibt parabelhaft massive Kritik am US-amerikanischen Imperalismus und Kapitalismus, und hat dafür scharfe Ablehnung von konservativer Seite bekommen. Sein Thema ist indessen durchaus nicht neu: schon Kevin Costners Oscar-Abräumer “Dances With Wolves” (1990) hatte ein ähnliches Sujet. Viele der preisgekrönten und erfolgreichen Filme der letzten Jahrzehnte hatten eher die Demontage als die Affirmation amerikanischer Mythen zum Thema – und freilich gibt es auch genügend Gegenbeispiele von “Forrest Gump” bis zu “Saving Private Ryan”.
Propaganda ist eben nicht immer gleich Propaganda, und nicht selten ist sie von Kunst oder Kommerz (und diese wieder untereinander), gerade in einem Massenmedium wie dem Film, kaum zu unterscheiden. Aber dennoch sollte man die Stränge im Auge behalten, und gerade da, wo Hug nur “Propaganda” sehen will, scheinen ihm die differenzierten Töne zu entgehen, und hier fängt gewiß auch die Kunst an, die man vom bloßen Kommerz trennen muß. Indem er diese Unterscheidung weitgehend ausblendet, wird der Autor der Komplexität und dem Reichtum des US-Kinos, ja allgemein des Kinos als Kunstform nicht gerecht.
Hug führt nun in seinem Buch ironischerweise als exponierte Beispiele vor allem Filme an, die alles andere als “Propagandawerke” sind. Von “All Quiet on the Western Front” (1930) über Kubricks “Paths of Glory” (1957) oder gar “M.A.S.H.” (1969), “The Deer Hunter” (1979) und “Apocalypse Now” (1979) hat Hug fast durchweg pazifistische, ambivalente oder mythenzerstörende Filme ausgewählt, die zudem allesamt stark von europäischen Vorbildern beeinflußt sind. Das gilt sogar für Tarantinos doppelbödigen Quasi-Italowestern “Inglourious Basterds” (2009), der sich keinesfalls als “Propaganda” schubladisieren läßt. Allein aus dieser Auswahl kann man indessen ersehen, daß es selten die Filme sind, die simple mobilisierende Schlachtengemälde auf die Leinwand werfen, die künstlerisch noch nach Jahrzehnten Bestand haben und wiedergesehen werden können – ganz im Gegenteil.
Insofern klingt auch Hugs Empfehlung, die Deutschen und die Europäer nun mit “mitreißenden Mythen” zu versorgen, “in denen sich Helden kämpfend bewähren” naiv, verengend und rein zweckmäßig, mit einem Wort: wie eine bloß propagandistische Forderung. Mithin argumentiert Hug hier kunstfeindlich und kunstfremd, auf einer rein politischen Ebene: auch wenn zweifellos jeder Film mehr oder weniger, bewußt oder unbewußt bis zu einem gewissen Grad “Identitätspolitik” betreibt, kann die Aufgabe des ernstzunehmenden Films (noch einer anderen Kunstform) nicht primär die Vermittlung nationaler Gefühle oder die “Konstruktion nationaler Identität” sein.
Man muß sich hier schon entscheiden, was einem wichtiger ist: das Gedeihen der Kunst um ihrer selbst willen oder ihre politische Instrumentalisierung, so gut die Zwecke auch sein mögen, denen sie dienen soll. Hier fehlt es dem Autor an einem klaren ästhetischen Standpunkt. Die in politisch korrekte Watte eingepackten “revisionistischen” Filme wie “Die Gustloff” (2008), “Die Flucht” (2007) und “Dresden” (2006) würden durch forcierte Monumentalisierung und emotionale Zuspitzung à la Hollywood nicht unbedingt besser werden. Vermutlich wären dadurch das kathartische Potential und die epische Wucht des Stoffes auf eine ganz andere Art verraten, als durch die volkpädagogisch motivierte Verwässerung. Es macht einen entscheidenden Unterschied ob ein Wajda, Kubrick oder Tarkowskij bei einem Epos hinter der Kamera steht oder ein Emmerich oder Spielberg.
Und schließlich: Fatal ist die Verengung des nationalen Moments auf das Epische und das Schlachtengemälde, wie Hug nahezulegen scheint. Es gab auch in der kurzen, bis heute unübertroffenen Blütezeit des deutschen Films zwischen 1919 und 1933 Bearbeitungen nationaler Mythen, “in denen sich Helden kämpfend bewähren”. Aber das waren keineswegs die besten, nicht einmal die “deutschesten” Filme mit dem international größten Einfluß und Erfolg. Aus der Weimarer Zeit sind nicht etwa die “Fridericus Rex”-Filme mit Otto Gebühr geblieben, die für die geschlagene Nation den Zweck erfüllen sollten, von dem Hug heute träumt, als hieße er Hugenberg, sondern sozialkritische, “neusachliche” und “expressionistische” Filme wie “Das Cabinet des Dr. Caligari”, “Der letzte Mann”, “Die freudlose Gasse” und “Metropolis”. Selbst aus der NS-Zeit haben all die am Reißbrett entworfenen Kämpfer und Helden aus “Reitet für Deutschland”, “Kampfgeschwader Lützow” oder “Kolberg” nicht überdauert, sondern “Münchhausen”, “Romanze in Moll”, “Immensee” und “Unter den Brücken”.
Das Spiel könnte man beliebig weiterführen: Der bedeutendste und “italienischte” Beitrag Italiens zur internationalen Filmkunst war nicht etwa das “nationale Mythen” pflegende Monumentalkino des Faschismus, sondern der Neorealismus, der die kleinen Leute, die Laiendarsteller, die soziale Misere und den Originalschauplatz entdeckte. Die bedeutendsten Beiträge Frankreichs waren der “poetische Realismus” eines Renoir, Carné und Pagnol und das subjektive, persönliche Kino der “Nouvelle Vague”. Aus Skandinavien kam die Entdeckung der Landschaft als Gestaltungselement und die nordische Gedankenschwere und Spiritualität eines Bergman oder Dreyer.
Hieran läßt sich auch ablesen, daß jede Kunst, sei es Film, Literatur oder Malerei selbstverständlich einer Verortung bedarf und nur auf dem Boden einer nationalen Kultur und Tradition gedeihen kann. Insofern haben die nationale Kunst und die nationale Propaganda dieselben oder zumindest verwandte Wurzeln, wenn daraus auch höchst unterschiedliche Blüten entspringen. Es ist unzweifelhaft, daß die Misere des gegenwärtigen deutschen Films viel mit der “seelischen Enterbung” Deutschlands, wie Hans-Jürgen Syberberg formulierte, und seiner “Entortung am Ort” (Hans-Dietrich Sander) zu tun hat. Die Nation allerdings nun mit heroischer Propaganda nach amerikanischen Vorbildern auffrischen zu wollen, hieße, das Pferd von hinten herum aufzuzäumen.