Samtene Revolutionen im 21. Jahrhundert

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Lettre International blickt der britische Historiker Timothy Garton Ash auf die „samtenen Revolutionen“ des Jahres 1989 zurück ...

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

… und wagt vor­sich­tig opti­mis­tisch die Pro­gno­se, daß sich fried­li­che Umwäl­zun­gen glo­bal betrach­tet durch­set­zen werden.

Der Auf­satz ist hier in Eng­lisch zu fin­den. Gar­ton Ash führt zunächst an, wel­che Revo­lu­tio­nen es in den letz­ten Jah­ren gege­ben hat und wie die­se benannt wurden:

Wir haben „sin­gen­de“ (Bal­ti­kum), „fried­li­che“ und „aus­ge­han­del­te“ (Süd­afri­ka, Chi­le), „rosa“ (Geor­gi­en), „oran­ge­ne“ (Ukrai­ne), gene­rell „far­bi­ge“ (seit der ukrai­ni­schen), „Zedern-“ (Liba­non), „Tul­pen-“ (Kir­gi­si­stan), „Wahl-“ (all­ge­mein), „Safran-“ (Bir­ma) und im Iran „grü­ne“ Revo­lu­tio­nen kennengelernt.

Alle die­se gelun­ge­nen oder ver­such­ten Umwäl­zungs­ver­su­che wür­den nach dem Mus­ter von 1989 ablau­fen. Es han­de­le sich um fried­li­che Mas­sen­pro­tes­te, die auf ein brei­tes gesell­schaft­li­ches Bünd­nis zurück­ge­hen. Im Gegen­satz zum gewalt­tä­ti­gen, uto­pis­ti­schen und klas­sen­kämp­fe­ri­schen Typus von 1789 (der 1917 in Ruß­land und 1949 in Chi­na wei­ter­ent­wi­ckelt wur­de) enden die „bun­ten“ Revo­lu­tio­nen im Kom­pro­miß. Ihr Totem sei des­halb der „Run­de Tisch“.

Gar­ton Ash räumt nun ein, daß die Gewalt­lo­sig­keit nicht aus mora­li­schen Grün­den resul­tie­re, son­dern aus stra­te­gi­schen. Da Sym­pa­thien des In- und Aus­lands im Zeit­al­ter der „TV-Krie­ge“ wich­ti­ger sind als Fäus­te, gehen die Umwäl­zun­gen wei­test­ge­hend fried­lich von­stat­ten. Damit wird klar, wie stark die Revo­lu­tio­nen des Typus 1989 auf einer PR-Masche beru­hen. Das erklärt auch die blu­mi­gen Namen.

Mit die­sen stra­te­gi­schen Erwä­gun­gen ver­bun­den sind aber auch Zuge­ständ­nis­se der Revo­lu­tio­nä­re an die alten Eli­ten, denen im neu­en Staat eine erträg­li­che Zukunft zuge­si­chert wird. Das brin­ge häu­fig eine „post­re­vo­lu­tio­nä­re Patho­lo­gie“ mit sich, so Gar­ton Ash, da den Men­schen „eine revo­lu­tio­nä­re Kathar­sis ent­gan­gen ist“. Die­se ver­su­che man sym­bo­lisch durch eine gründ­li­che Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung nach­zu­ho­len, was aller­dings zu vie­len Pro­ble­men führt, die der His­to­ri­ker von der Uni­ver­si­tät Oxford nicht anspricht.

Wir kön­nen dies gegen­wär­tig in der Ukrai­ne mit­ver­fol­gen. Die „oran­ge­nen“ Ver­spre­chun­gen konn­ten nicht ein­ge­hal­ten wer­den, die „blü­hen­den Land­schaf­ten“ blü­hen doch nicht so schön und so stellt sich eini­ge Jah­re nach der Revo­lu­ti­on Frus­tra­ti­on beim Volk ein. Dies liegt auch dar­an, daß die nach PR-Geset­zen auf­ge­bau­ten Umstür­ze kei­ne gene­rell neu­en Ideen her­vor­brin­gen. Sie leh­nen sich ledig­lich an ein bereits vor­han­de­nes, ver­meint­lich bes­se­res Sys­tem an und ver­su­chen, die zumeist libe­ral-demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen zu kopieren.

Wenn Gar­ton Ash nun nach der Wahr­schein­lich­keit von sam­te­nen Revo­lu­tio­nen im 21. Jahr­hun­dert über­all auf dem Erd­ball fragt, impli­ziert dies die Vor­stel­lung der Über­le­gen­heit frei­heit­lich-demo­kra­ti­scher Wer­te. Der Wunsch schim­mert hier durch, die Men­schen aus Dik­ta­tu­ren in Asi­en, Afri­ka, Latein- und Süd­ame­ri­ka mögen doch bit­te ihren Staat nach dem euro­päi­schen Vor­bild von 1989 gesund revolutionieren.

In etwa soll das also so funk­tio­nie­ren: Durch Selbst­be­ob­ach­tung und eige­ne Medi­en der Gegen­öf­fent­lich­keit (im Iran etwa spie­len oppo­si­tio­nel­le Blogs eine gro­ße Rol­le) klärt das Volk über Miß­stän­de auf. Durch eine mani­pu­lier­te Wahl gewin­nen die­se Miß­stän­de dann an Spreng­kraft, was zur Mobi­li­sie­rung der Oppo­si­ti­on führt und den Wes­ten für die Lage sen­si­bi­li­siert. Die­ser schickt TV-Krie­ger, die als Fremd­be­ob­ach­ter für eine Welt­öf­fent­lich­keit sor­gen und die Dik­ta­tur so stark unter Druck set­zen, daß die­se auf dem Ver­hand­lungs­weg abdankt.

Und, ist das nun rea­lis­tisch? Allein die Jugend­über­schüs­se („youth bul­ges“) in Afri­ka und den isla­mi­schen Regio­nen wer­den wei­ter­hin für reich­lich blu­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zun­gen sor­gen. Es kann eigent­lich kein Zwei­fel dar­über bestehen, daß die nicht gebrauch­ten jun­gen Män­ner in den nächs­ten 20 bis 30 Jah­ren den einen oder ande­ren Mas­sen­mord aus­lö­sen. Und auch Euro­pa ist nicht immun gegen gewalt­tä­ti­ge Aus­brü­che an eth­ni­schen und/oder sozia­len Kon­flikt­li­ni­en, da Men­schen­mas­sen lang­fris­tig im Kern immer unbe­re­chen­bar bleiben.

Ohne dies expli­zit aus­zu­spre­chen, ist Gar­ton Ash der Mei­nung, auf­grund des gegen­wär­ti­gen Stan­des der Medi­en­evo­lu­ti­on (Fern­se­hen, Gegen­öf­fent­lich­kei­ten im Inter­net) brau­che es kei­ne Gewalt mehr. Das ist dann doch eine etwas rosi­ge Vor­stel­lung, was natür­lich nicht aus­schließt, daß bald irgend­wo eine „rosi­ge Revo­lu­ti­on“ stattfindet.

(Bild: buergergesellschaft.de)

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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Kommentare (3)

Sebastian

18. Januar 2010 16:10

Prinzipielle Zustimmung. Nur: sich an einem Autoren abzuarbeiten, der - wie Du richtig schreibst - naiv von einer prinzipiellen oder apriorischen Überlegenheit freiheitlich-demokratischer (sprich angelsächsisch-modernistischer) Werte ausgeht, ist doch keine Herausforderung. Es genügt, die mediale "Gemachtheit" der momentanen Unruhen im Iran als aktuelles Beispiel zu liefern, um dahinterstehende Interessen klar hervortreten zu lassen, die je nach strategischer Lage die eine oder die andere Gruppe als im Recht und "freiheitskämpferisch" erscheinen zu lassen.

Faustus

18. Januar 2010 21:57

,,Der Aufstieg Chinas versetzt uns heute bereits in fassungsloses Staunen. Wir haben den Punkt erreicht, wo die westlichen Vorstellungen von parlamentarischer Demokratie, entfesseltem Kapitalismus und technisch perfektionierter Kriegsführung für die übrige Welt nicht mehr zu taugen scheinen. Die Vorstellung des US-Publizisten Francis Fukuyama vom erreichten Ende der Geschichte, das heißt die Bekehrung der ganzen Welt zum amerikanischen Lebensmodell, erweist sich heute als absolut irrig. Es sind ja nicht nur die westlichen Weißen, die aus ihren ehemaligen Kolonialgebieten verdrängt wurden, sondern ebenso die Russen, die nach dem Verlust Zentralasiens und dem Vordringen des Islam das Trauma des Tatarenjochs wiedererleben" Peter Scholl-Latour

Mehr muss man nicht sagen.

derherold

19. Januar 2010 14:00

Na ja, die "friedlichen, bunten Revolutionen" dürften ja nicht völlig ungelenkt abgelaufen sein.

Wenn man davon ausgeht (s.o.), daß sie allein/hauptsächlich so friedlich ablaufen (können), weil man eine "Übereinkunft" mit den bisherigen Mächtigen getroffen hat, darf man fragen, ob dann wirklich eine Revolution stattgefunden hat oder nur der Austausch einiger Eliten - bei weitem nicht aller - des Apparates. Als Beispiel könnte man in der Tat Ostdeutschland anführen, wo die transformierte ehemals herrschende Partei weiterhin das Kultur- und Verwaltungsestablishment bildet.

Ob es so friedlich bleibt, wird man sehen. Das wird wohl von der Korrumpierbarkeit der jeweiligen Oligarchie abhängen. Würde die chin. Partei- und Militärelite eine "Demokratisierung" hinnehmen, würde tatsächlich "an Rußland vorbei" eine Energieversorgung möglich sein, obwohl eine popelige Luftlandedivision ausreicht, um Aserbaidschan "verhandlungsbereit" zu machen ?

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