Enteignung, Protektionismus, buy american

Heute morgen habe ich innerhalb einer Stunde am Radio drei Begriffe vernommen, die vor einem halben Jahr schlechterdings...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

nicht vor­ka­men: Ent­eig­nung, Pro­tek­tio­nis­mus und buy ame­ri­can (eine Art “Kauft nur bei Deutschen”).

Wir alle hier sind in Wirt­schafts- und Finanz­fra­gen nur inter­es­sier­te Lai­en, und die meis­ten Leser die­ses Netz-Tage­buchs dürf­ten auch nicht mehr sein: inter­es­sier­te Lai­en, die täg­lich aufs neue ver­su­chen, Zusam­men­hän­ge und Ten­den­zen der welt­wei­ten Wirt­schafts­kri­se zu durchschauen.

Eine Ten­denz scheint mitt­ler­wei­le offen­sicht­lich zu sein:  Die Nati­on als Bezugs- und hand­lungs­fä­hi­ge Grö­ße kehrt zurück (sie war nie abge­schafft, son­dern nur zurück­ge­drängt), und mit ihr der im natio­na­len Rah­men han­deln­de Staat. Zu den drei Begriffen:

  1. Zur Ver­staat­li­chung der maro­den Bank Hypo Real Estate wur­de heu­te mor­gen im Deutsch­land­funk Jus­tiz­mi­nis­te­rin Zypries befragt: Recht läs­sig bekann­te sie sich zu die­ser ulti­ma ratio, die dann anzu­wen­den sei, wenn eine Gefahr für das Sys­tem an sich im Ver­zug sei. Einer Ent­eig­nung der Aktio­nä­re ste­he in solch einem Fall nichts im Wege. Wir erin­nern uns: “Sou­ve­rän ist, wer über den Aus­nah­me­zu­stand ent­schei­det” (Carl Schmitt).
  2. Die Regie­rungs­chefs und ihre Ver­tre­ter spre­chen auf ihren Kri­sen­sit­zun­gen inner­halb supra­na­tio­na­ler Gebil­de (EU, WTO, OSZE u.ä.) stän­dig von gemein­sa­men Lösun­gen und war­nen vor natio­na­len Allein­gän­gen. Aber zuhau­se ver­hal­ten sie sich anders, und mit Macht kehrt zurück, was als Teu­fels­wort galt: der Pro­tek­tio­nis­mus, der Schutz der hei­mi­schen Pro­duk­ti­on vor der aus­län­di­schen Kon­kur­renz. Die Jun­ge Frei­heit hat dazu ges­tern einen Bei­trag von Bernd-Tho­mas Ramb ver­öf­fent­licht. Der Merk­satz ist ein­fach: Wenn es kri­selt, wird selbst­ver­ständ­lich zwi­schen “Wir” und “die Ande­ren” unter­schie­den – und selt­sa­mer­wei­se gelingt die­se Unter­schei­dung spie­lend ent­lang natio­na­ler Grenzen.
  3. Ramb ver­weist in sei­nem Arti­kel auch auf das von Oba­ma aus­ge­ru­fe­ne “Buy ame­ri­can”. Es ist lehr­reich zu beob­ach­ten, daß angel­säch­si­sche Frei­han­dels­dog­men anschei­nend nur dann gel­ten, wenn sie von einer über­le­ge­nen Posi­ti­on aus gepre­digt wer­den. Das war schon 1887 so: Damals erließ das bri­ti­sche Unter­haus den “Mer­chan­di­se Marks Act”. Deut­sche Impor­te muß­ten mit “Made in Ger­ma­ny” gekenn­zeich­net wer­den, und die­se Kenn­zeich­nung war abwer­tend gemeint. Gleich­zei­tig wur­de “Buy bri­tish” als Paro­le aus­ge­ge­ben. Dumm nur, daß sich “Made in Ger­ma­ny” bereits zehn Jah­re spä­ter zum Güte­sie­gel gewan­delt hat­te. Das ändert aber nichts an der Tat­sa­che, daß die Frei­händ­ler bis heu­te in dem Moment auf ihre Prin­zi­pi­en pfei­fen, in dem der Schutz des eige­nen Wirt­schafts­raums pro­fi­ta­bler zu sein scheint.

Wie gesagt: Wir sind in sol­chen Fra­gen nur inter­es­sier­te Lai­en, die das Auf­tau­chen von Begrif­fen und Zei­chen zu deu­ten ver­su­chen, und zwar von Fel­dern her, auf denen wir wie­der­um mehr sind als Lai­en. Und so ist es kein Wun­der, wenn wir in sol­chen Fra­gen mit unse­ren Pro­gno­sen rich­tig lie­gen. Zum Bei­spiel Karl­heinz Weiß­mann in sei­nem Buch Nati­on? von dem wir ges­tern (!) das letz­te Exem­plar ver­kauf­ten. Er zitiert dar­in den ehe­ma­li­gen Innen­mi­nis­ter Frank­reichs, Jean-Pierre Chevenement:

Die Schwie­rig­keit liegt dar­in, daß die natio­na­len Iden­ti­tä­ten exis­tie­ren und in der Geschich­te ver­wur­zelt sind, wäh­rend die euro­päi­sche Iden­ti­tät eine Abs­trak­ti­on bleibt, da sie nicht einem vita­len Bedürf­nis der Völ­ker ent­spricht. Wenn es ernst wird, in Kri­sen­zei­ten, wen­den sich die Völ­ker immer an die Nation.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (5)

Martin Lichtmesz

19. Februar 2009 15:33

Siehe auch hier:

https://www.jf-archiv.de/online-archiv/file.asp?Folder=09&File=200904011619.htm

Nikodemus

19. Februar 2009 18:26

Grundsätzlich scheint auch der tschechische Präsident Klaus auf dieser Linie zu liegen, wenn er heute in seiner "Eklat-Rede" vor dem EU-Parlament festhält, dass es kein europäisches Demos, sondern nur Nationalstaaten gibt, in diesem Zusammenhang aber natürlich sofort als dem 19.Jhd. verhaftet ettiketiert wird.

Auch wenn man sicher eine (Rück-)wendung auf die Nationen feststellen kann, bleibt doch aber der fade Beigeschmack, dass ein Problem wie diese Wirtschaftskrise heute weniger denn je von einer einzigen Nation beeinflusst werden kann. Beispiele für solche Phänomene gibt es reichlich.

Arne Schimmer

20. Februar 2009 12:45

Ich habe mir auch ein paar Gedanken zur HRE-Enteignungsdebatte gemacht:

Beim praktisch insolventen Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE) sind nach einem Bericht der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ hochspekulative Geschäfte in hoher dreistelliger Milliardenhöhe getätigt worden, die nicht in der Bilanz auftauchen. Zusammen mit der offiziellen Bilanzsumme von etwa 400 Milliarden Euro ergibt sich so nach dem Bericht der Zeitung eine Summe von ungefähr einer Billion Euro (!), die laufend mit neuen Krediten refinanziert werden muß.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jochen-Konrad Fromme, der dem parlamentarischen Kontrollgremium des Bankenrettungsfonds SoFFin angehört, äußerte gegenüber der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“:

„Vor einem Jahr hätte ich mir nicht vorstellen können, daß wir es mit einer solchen Dimension zu tun bekommen könnten. Wir stecken in höllischen Verträgen.“

102 Milliarden Euro an Steuergeldern hat die Bundesregierung bereits im „schwarzen Loch“ Hypo Real Estate versenkt. Wenn die Laienspieltruppe um Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück diesen Kurs beibehält, dann wird mit jedem weiteren Versuch, das unrettbar sinkende Schiff HRE mit weiteren Steuergeldern über Wasser zu halten der ganze Staat gefährdet. Angesichts der nun im Raum stehenden Summen ist es denkbar geworden, daß ein Institut im Alleingang den Staatsbankrott verursacht.

Angesichts eines solchen Horror-Szenarios schrumpfen ordnungspolitische Streitigkeiten über die Zulässigkeit oder Nicht-Zulässigkeit von Enteignungen zu Nebensächlichkeiten.

Tatsächlich gibt es angesichts der singulären Dimensionen dieser Krise nur eine Möglichkeit um Staatsbankrotte und das darauf folgende Chaos zu vermeiden: Banken wie die HRE müssen sofort verstaatlicht werden, allerdings nur unter der Bedingung, daß die bestehenden Derivateverträge für null und nichtig erklärt und der Abschluß neuer Derivateverträge verboten wird.

Wenn dies, wie bei den bisherigen Versuchen, die Krise einzudämmen, unterbleibt, dann werden die Banken nicht verstaatlicht, sondern der Staat wird durch die Übernahme der Schulden und Verluste der Banken privatisiert.

Wer angesichts des Gedankens an die Annullierung bestehender Verträge „Sozialismus“ schreit, der verkennt, daß in einer Situation wie der gegenwärtigen Sozialismus die ultima ratio, die einzige Möglichkeit zur Rettung des Staates, sein kann. Die Masse der Verbindlichkeiten, die die Großbanken angehäuft haben, und die nun von den Regierungen auf die Steuerzahler überwälzt werden, besteht aus Derivatekontrakten, die weltweit ein Billiardenvolumen (!) erreichen und eine hyperinflationäre Bombe darstellen. In einem Ausnahmezustand wie der jetzigen Weltwirtschaftskrise muß der Staat in einem Akt der souveränen Entscheidung festlegen, welche Verträge noch gelten, und welche nicht mehr gelten, um das Chaos und den Bankrott zu verhindern. Die spekulativen Derivategeschäfte müssen abgetrennt und abgeschrieben werden, um dafür die Realwirtschaft verstärkt mit Krediten zu versorgen.

In Zukunft muß das Bankgeschäft auch wieder mit dem Prinzip der Haftung verbunden werden, da dies die einzige Möglichkeit darstellt, der grassierenden Verantwortungslosigkeit im internationalen Finanzsektor Zügel anzulegen. Neben Enteignungsgesetzen müssen Gesetze geschaffen werden, die Bankmanager für außerhalb der Bilanz angehäufte Milliardenverluste zur Rechenschaft ziehen und sie auch mit ihrem Privatvermögen haftbar machen. Es ist ein Skandal, daß der frühere HRE-Vorstandsvorsitzende Georg Funke, in dessen Verantwortungsbereich diejenigen spekulativen Geschäfte fielen, die Deutschland nun in die Nähe des Staatsbankrotts bringen, völlig unbehelligt eine Pension von 50 000 Euro im Monat verzehren kann. Ein System, das extremste Verantwortungslosigkeit auch noch so belohnt, stellt seinen eigenen Bestand in Frage.

Philipp

20. Februar 2009 20:12

Wie kann man dieses Verhalten dann deuten? Die Nation nur als Rückzugsort in schwierigen Zeiten oder zeigt sich in der Krise erst, daß das ganze One-World-Denken nur im Wohlstand funktionieren kann? Kommt es in der Krise erst zum Konstituieren des Wir in Abgrenzung zum Sie oder legt die Krise das was ist nur offen?

Fritz

20. Februar 2009 23:37

Eine zweifellos sehr interessante politische Woche liegt hinter uns. Es herrschen jetzt Krisenzeiten, in denen auf vielerlei Feldern gewichtige Probleme aufgetreten sind und politische Schönwetter-Akteure plötzlich handeln müssen. Das Rad dreht sich schneller. Alte Gewissheiten werden fraglich, neue Antworten müssen gefunden werden. Wer agiert und wer reagiert wie?

Ach Europa. Der Volkswirt Ludwig Daffner hat für sein Büchlein von 1994 - voller Aphorismen zum Zeitgeschehen - den folgenden Spruch Arthur Schopenhauers als Titel gewählt: "Die Wahrheit hat ein langes Leben. Sie kann warten." Ein Aphorismus daraus: "1. Januar 1993: Heute beginnt die Europäische Union. La Grande Illusion. ... Das natürliche Ende der EU wird kommen, wenn Deutschland nicht mehr zahlen kann." Und eine weitere Betrachtung: "21.12.1992, Herr Kohl hat sich geirrt: Man konnte nicht wissen, was die SED in Wirtschaft und Umwelt angerichtet habe. - Und diese Leute haben uns 40 Jahre lang weisgemacht, das Wesen des Kommunismus zu kennen."

Auch der Franzose Emmanuel Todd ( https://de.wikipedia.org/wiki/Emmanuel_Todd ) hat sich bereits 1996 sehr kritisch hinsichtlich einer weiteren Vertiefung der EU und den Aufbau eines gemeinsamen Währungsraumes geäußert. Hier in einem Interview des Hamburger Abendblatts "Der Euro funktioniert nicht": https://www.abendblatt.de/extra/service/944949.html?url=/ha/1996/xml/19961219xml/habxml961012_14467.xml
Ein Interview-Auszug:
Emmanuel Todd: "Für mich ist Europa eine Problematik der Vergangenheit. Es gab in der Geschichte unseres Kontinents nach dem Krieg eine Phase, in der die Idee der wirtscnaftlichen Integration absolut positiv war. Im Zentrum dieser Idee standen deutsch-französische Aussöhnung und Zusammenarbeit. Die Aussöhnung war einfach Grundvoraussetzung für eine neue Zukunft."

Abendblatt: Gilt das nicht mehr?

Todd: "Wenn wir das jetzt angestrebte Europa schaffen, dann bauen die Amerikaner ihr großes Amerika und die Japaner ihr Asien. Der Europäismus ist eine Konflikt-Strategie. So um 1985 herum waren eigentlich alle wesentlichen Ziele erreicht. ... Doch dann, Mitte der 80er Jahre, wuchs etwas Neues. Etwas, was nicht mehr der ursprünglichen Europa-Idee entsprach. Es entstand der Europäismus. Ich wähle ein Wort mit einem ,- ismus' am Ende, um zu zeigen, daß es sich um eine Ideologie handelt. Eine Ideologie ist für mich eine Idee, die die Realität vergewaltigen und verändern wil. Der Kommunismus ist eine Ideologie. Und eben auch der Europäismus, denn er will die Realität der Verschiedenheit unserer Völker verändern."

Und Emmanuel Todd im Jahre 1996 mit Blick auf die künftige Entwicklung der Währung: "Der Euro kann einfach nicht funktionieren. Ich weiß nicht, ob der Euro existieren wird, irgendwann zwischen 2000 und 2005, aber im Jahr 2010 gibt es keine europäische Einheitswährung. Das System kann nicht funktionieren. ... Bei den Politikern, das will ich gern zugeben, würde das eine ideologische Krise bewirken. Doch für die Wirtschaft wäre das sehr gesund. Anfangs vielleicht ein paar Probleme, aber dann schnelle Gesundung aus jeweils eigener Kraft. Wirklich nicht das Drama, das man uns ausmalt." Und Todd 1996 prophetisch: "Deshalb meine Überzeugung, daß eine Währungskrise ausgesprochen hilfreich wäre. Sie wäre auf monetärem Gebiet das, was im Zivilleben eine Scheidung im gegenseitigen Einverständnis ist. Das würde allen Seiten helfen. Anfangs stärker den Franzosen, weil sich der Franc gegenüber der Mark abschwächen würde und Frankreichs Exporte damit erleichtert würden. In einer zweiten Phase dann aber auch sehr stark den Deutschen, denn ihr wichtigster Handelspartner Frankreich wäre wirtschaftlich sehr viel gesünder und damit auch ein noch besserer Abnehmer als heute."

Nun, die Euro-Scheidung im gegenseitigen Einvernehmen werden deutsche Politiker mental nicht schaffen, dafür sind sie zu verbiestert in die Europäismus-Ideologie verknallt und werden in unseeliger deutscher Tradition die Euro-Fahne in Nibelungentreue hochhalten, bis sie ganz am Schluß merken, dass alle anderen Länder diese Ideologie schon längst begraben haben und von der Fahne gegangen sind. Nun, die deutschen Milliarden werden sie solange mitnehmen bis Deutschland halt wirklich nicht mehr zahlen kann. Ach deutsche Politiker und ihre Utopie-Träume! Scheint wirklich eine deutsche Krankheit zu sein.

Aktuelles Streiflicht: Aus dem europäischen Parlament eine europäische Debatte mit deutschen Europa-Ideologen und typisch deutscher Ideologie-Vehemenz an der Front:
https://www.youtube.com/watch?v=KMZbs6zu5PU&NR=1

Nun, auch die deutsche Silvana Koch-Mehrin von der FDP hat sich dieser Tage als Lehrerin in Sachen Europäismus stolz präsentiert "Peinlich, Tschechen": https://blog.focus.de/kochmehrin/archives/348
Auch der Liberalismus kann die Liberalität ganz schnell zur Seite kehren, aber wir wissen ja, die Ideologie. Ja, ja, den Sozialismus bzw. den Europäismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Wer sagte das damals 1989?

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