Ihr Gründungsslogan „Entwaffnet die Finanzmärkte“ bekam mit Anbruch der weltweiten Wirtschaftskrise im Herbst 2008 enorme Aktualität. Inzwischen schreiben sich selbst Regierungspolitiker solche Parolen auf die Fahnen.
Aus diesem Grund habe attac „intellektuell gesiegt“, sagt eines der prominentesten Mitglieder, das CDU-Urgestein Heiner Geißler, zum heutigen Jubiläum der Chemnitzer Freien Presse.
Die Idee, wegen der attac gegründet worden ist, die Einführung einer internationalen Transaktionssteuer, steht inzwischen auf der Agenda der Staaten. Neben Kanzlerin Angela Merkel plädiert mittlerweile auch der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy für die Transaktionssteuer.
Dennoch leidet die Protestorganisation in gewisser Weise darunter, daß viele Regierungen ihre Ziele übernommen haben, denn dadurch werden ihre eigenen Aktionen weniger stark wahrgenommen. Auf ein richtig großes neues Leitthema haben sich die Globalisierungskritiker noch nicht einigen können. Würde der Soziologe Pierre Bourdieu, einer der bekanntesten Mitbegründer in Frankreich, noch leben, würde er wahrscheinlich vorschlagen, die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Sozialstaates zur Bekämpfung des Neoliberalismus als eine Kernaufgabe zu begreifen. attac aber positioniert sich zu diesem Thema genauso schwammig wie alle großen Parteien. Man kämpfe „für ein soziales, friedensfähiges und demokratisches Europa“, heißt es auf ihrer Netzseite.
Diese Forderungen zeigen, daß die linke Globalisierungskritik am falschen Hebel ansetzt, denn die Hauptursache der Finanzkrise ist struktureller Art. Diese kann auch nicht mittels wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen, neuer Steuern oder Restriktionen seitens der EU gelöst werden.
Mit Arnold Gehlen gesprochen sehen wir heute die Auswirkungen ethisch indifferenter Superstrukturen. Die Finanzmärkte und die EU sind solche Superstrukturen, die vollkommen entortet und losgelöst von den Problemen der einfachen Menschen ein Eigenleben fristen. In Die Seele im technischen Zeitalter (1957) kritisierte Gehlen den „schwindenden personalen Charakter der ökonomischen und politischen Gewaltverhältnisse“. Ohne diesen seien Institutionen nicht kontrollierbar und verlören ihr Verantwortungsbewußtsein.
Solange die Konsumkultur allerdings einigermaßen funktioniert, rebellieren die Menschen gegen diese wurzellosen Gebilde nicht wirklich. Sie passen sich vielmehr an, weil sie glauben, nur durch die Erfüllung der Ansprüche dieser entorteten Welt (z.B. Flexibilität) ihre Konsumbedürfnisse stillen zu können.
Welcher Weg könnte nun aus dieser Situation herausführen? Gehlen sprach schon vor über 50 Jahren davon, man müsse „ein stabiles moralisches Verhältnis zur industriellen Kultur“ finden. Davon sind wir auch in der heutigen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft meilenweit entfernt. Es klingt zwar utopisch, aber letztendlich hilft doch nichts anderes, als die Superstrukturen zu zerschlagen und neue einfach aufgebaute Hierarchien mit örtlichem Bezug zu konstruieren?