…läßt er zu Beginn in einer knappen Epochenschau die Stadien der literarischen Moderne Revue passieren. Beim Avantgardismus angelangt heißt es:
»Das Gründungsereignis der modernen Kunst in Europa war die Herausgabe des Futuristischen Manifestes von Marinetti, das am 20.02.1909 in Paris im Figaro erschien. ›Nous allons a sister à la naissance du Centaure – wir werden der Geburt des Zentauren beiwohnen‹ – schrieb er und: ›ein brüllendes Automobil ist schöner als die Nike von Samothrake.‹ Dies waren die Avantgardisten, sie waren aber im einzelnen auch schon die Vollender.«
Benn rechnet dem Futurismus die Stellung des Gründungsmythos moderner Kunst zu und unterstreicht damit eine Sichtweise, die er in ähnlicher Situation, gleichwohl unter anderen politischen Rahmenbedingungen, 17 Jahre zuvor schon einmal artikuliert hat:
Im Gruß an Marinetti, vorgetragen am Abend des 29. März 1934, anläßlich eines Empfangs der Union Nationaler Schriftsteller zu Ehren des Futuristen Filippo Tommaso Marinetti.
Diese Rede stellt ein auch noch heute bemerkenswertes Plädoyer für die moderne Kunst in Deutschland dar, als deren literarischer Vorkämpfer sich Benn zu präsentieren sucht, um nur wenige Monate später – man weiß es – Gewißheit über sein gnadenloses Scheitern zu erlangen. Die Zeiten sind faschistisch, darin erkennt Benn die historische Chance, dem gliedernden Machtstaat die Weiterentwicklung der avantgardistischen Periode, das Massieren ihrer durch permanente Sprach-Zertrümmerung freigesetzten poetischen Kräfte zu übertragen. Und diese Phase des Aufstiegs ist unverzüglich zu nutzen, soll sich die tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung realisieren, jene gesteigerte Lebenskultur als Voraussetzung der Übermenschen-Existenz, der finalen Austreibung des europäischen Nihilismus. Diese Moderne Kunst ist grundsätzlich, da eben modern, also ohne Einbettung in ein harmonisches Weltbild, der Zersplitterung anheimgegeben. Diesen Zustand nun abstellen zu können ist die Angelegenheit der Stunde, die Torso gewordene Kunst, wenn schon nicht gänzlich zurück in eine vormoderne »All-Einheit« zu führen, so doch an das mit eiserner Hand ordnende Regime zu binden – freilich als metaphysisches Gestirn, der rein funktionalen Betriebsamkeit des Staates übergeordnet.
Benn sieht in der Modernität des (runderneuerten) Expressionismus alles angelegt, um die mythenschwere Dichtung des Gestern mit den Ansprüchen diverser zeitgenössischer Wissenschaftsdiskurse zu versöhnen. »In diesem Fall ist die Kunst nicht der manipulierte, sondern der manipulierende Wirt, der den implementierten Keimlingen, sprich: Sprachmaterialien unterschiedlichster Herkunft erst Form und Gestalt verleiht« (Wegmann). Oder anders ausgedrückt: Das technische Zeitalter erfährt seine ästhetische Disziplinierung.
Doch immer noch zu deutlich droht Nietzsches artistischer Größenwahn aus den Untiefen des 19. Jahrhunderts, sein Untergang im rein Geistigen, als daß Benn dieses Menetekel ignorieren kann. Seine moderne Vision braucht also einen Kronzeugen, einen, der Deutschland zum Vorbild dienen kann, einen, der möglichst das gleiche Ansinnen unter gleichen Umständen durchzusetzen gewußt hat. Es braucht einen wie Marinetti, den »Hersteller und Direktor des Futurismus« (Benn). Doch was hat es auf sich mit dem Futurismus in Italien? Was bewirkt seine Kunst, was stellt er überhaupt dar?
Bezeichnend ist die Nähe zur politischen Praxis, der die Strömungen der Avantgarde, freilich in unterschiedlicher Ausprägung, wie nie zuvor in der Geschichte der schönen Künste huldigen. In Rußland inspiriert der Futurismus Majakowski und Tretjakow, in England den Vortizismus. Das deutsche Pendant, der Expressionismus, verliert hingegen nie eine gesunde Skepsis vor dem allzu Geharnischten aus dem Süden, zudem gesellt sich die Tatsache einer eigenständigen Entwicklung in Literatur und bildender Kunst, die deutlicher in der Tradition des 19. Jahrhunderts steht oder sich an deren Einflüssen abarbeitet. Dennoch: Die Gesellschaft, das öffentliche Leben des noch jungen technischen Zeitalters mit dem Stimulans des Ästhetischen, also der Anschauung als scharfem Kontrast zur systematischen Prozedur der Aufklärung, in irgendeiner Weise zu durchdringen, zu verändern – dieser heutigen Lesern mitunter kurios anmutende Aktionismus findet sich in allen Schulen; im italienischen Futurismus am heftigsten und in seiner ganzen Absurdität.
Die Literaturwissenschaft hat drei Phasen des Futurismus herausgestellt: Die erste Phase (1909 – 1915) ist ohne ernstzunehmende parteipolitische Vorstellungen, dafür um so reichhaltiger gesegnet mit einer metapolitischen Brisanz, die ganz avantgardistisch der Auflösung von Traditionen gewidmet ist. Nichts geringeres als das Ende der Geschichte stehe bevor, ein Ausbruch aus dem »Käfig der Logik« und die Etablierung eines zukünftigen Lebensgefühls, dem Gestus der puren Bewegung. Der futuristisch erleuchtete Mensch ahne bereits das befreite Gefühl der umfassend mobilisierten Gesellschaft, vorerst nur räumlich begrenzt, doch stehe er hierarchisch bereits über jenen noch geschichtlichen Individuen, deren Dasein sich noch ganz im Rückständigen sammle. Gefordert wird ein Hang zur Zerstörung, der als Katalysator im Krieg als »einzige Hygiene der Welt« auftrete, und keinesfalls imperialistische Ziele, sondern einzig den Krieg als reinsten »Dinamismo«, als Beschleunigungsritual begreife. Der Nationalstaat, der, dem Berichterstatter Marinetti folgend, schon 1911 im Krieg gegen das Osmanische Reich als Träger der futuristischen Ideen fungierte; ja der ganze, sich wenig später im Ersten Weltkrieg erneut leidenschaftlich entfaltende Panitalianismus habe nur eine Existenzberechtigung: die Errichtung einer Weltordnung, die getragen werde von einem »begeisterten Ja des Menschen zu der Form der Zivilisation, die sich unter unseren Augen gestaltet.« (Boccioni) Was hier Raum greift, ist die »Schaffung eines a‑humanen Typus«, dessen Überlegenheit keine Fragen offenlasse: »Gewissenspein, Güte, Gefühl und Liebe stellen nichts als zerfressende Gifte der unerschöpflichen vitalen Energie dar, bloße Barrieren für den Fluß unserer mächtigen physiologischen Elektrizität.« (Marinetti). Der Futurismus, so ist er sich sicher, werde den Menschen als riskiertes, auf Ordnung angewiesenes und sich in seiner Existenz als historisch verstehendes Wesen endgültig eliminieren. Er schaffe eine maximale Todesnähe durch die ewige Wiederkehr der Hochgeschwindigkeit, des permanenten Überholvorgangs via Standstreifen. So ist denn jene »literarisch-weltanschauliche Erneuerungsbewegung« (Christa Baumgarth: Geschichte des Futurismus, Reinbek 1966) im Kern die Übertragung einer bedingungslosen Affirmation des technischen Fortschritts in die Kunst.
Die zweite Phase (1918 – 1920) zeichnet sich durch einen pragmatischen Zug aus. In der Nachkriegszeit nimmt sich Marinetti gesellschaftlicher Probleme an und geht auf Distanz zu seiner höchsten Tugend, der Destruktion. Sein Gastspiel im Parteiensektor soll jedoch nicht lange währen. Die 1918/19 regional entstehenden fasci und deren Zusammenschließung zur Futuristischen Politischen Partei auf der einen sowie der 1919 ins Leben gerufene Frontkämpferverband der – zum Teil auch aus Futuristen bestehenden – Eliteeinheit der Arditi auf der anderen Seite sind noch im selben Jahr das Zünglein an der Waage, als Mussolini die fasci di combattimento aus der Taufe hebt. Marinetti wird in das Zentralkomitee gewählt und ist begeistert. Nun beschäftigen ihn die Reform des Beamtentums oder die Durchsetzung des Achtstundentages. Doch noch im selben Jahr kriselt es, bei den Wahlen im November fährt Mussolinis Partei eine herbe Niederlage ein, und im Jahr darauf ist endgültig Schluß: Eine zu große Distanz gegenüber sozialpolitischen Ansätzen und ein sträfliches laisser-faire im Umgang mit der verhaßten Monarchie sowie dem Klerus. Die Antithese ist offensichtlich, Marinetti sieht sich als individuellen Anarchisten, Mussolini hingegen beginnt unverhohlen sein Streben nach größtmöglicher Machtfülle, die durch einen restriktiven Ein-parteienstaat erreicht werden soll. Ab 1920 mutiert der radikale und revolutionäre Faschismus zu einer durch taktisches Geplänkel und Kompromißbereitschaft geprägten Bewegung. Es entsteht eine »charismatische Patronagepartei der politischen Rechten« (Stefan Breuer).
Wer mit dem »Physiognomischen Zugriff« Armin Mohlers (Der faschistische Stil, zuletzt Schnellroda 2001) vertraut ist, wird an jener Sollbruchstelle zudem mehr als nur ein Ränkespiel unter Polit-Hasardeuren erkennen. Es findet eine Akzentverschiebung statt, weg vom tonangebenden faschistischen Stil der Tatmenschen, hin zum etatistischen der Verwaltungscharaktere und deren Status-quo-Prinzip. Dieser Stil bleibt denn auch vorherrschend, bis zum Herbst 1943 in der Republik von Salò, nach vorangegangenem Bruch Mussolinis mit dem König, die Abwicklung des totalitären Apparates auch jenen ihn stützenden, funktionalen Typus wieder ins zweite Glied treten läßt. Die nun »alle Verbürgerlichung, alle Verfilzung mit dem italienischen Establishment« (Mohler) abwerfende Nomenklatura degeneriert auf ein Mindestmaß, und es vollzieht sich die Rückkehr des faschistischen Tatmenschen auf die Bühne der Öffentlichkeit.
Doch zuvor, mit Beginn der dritten Phase (1923/24 – 1944), geschieht nach drei Jahren der Abstinenz die Kehrtwende; Marinetti nähert sich der Partei an und versucht, dem nunmehr zahnlosen Futurismus wieder politisches Gewicht zu verleihen. Er erteilt politischen Alternativen, etwa dem Kommunismus, als einer »alten Formel für Mittelmäßigkeit« eine klare Absage und deklamiert den sich durchsetzenden Faschismus als der futuristischen Anschauung am dienlichsten. Unbeirrt hält er bis zu seinem Tod 1944 am Glauben fest, daß sich die »wunderbare, uneigennützige, kühne, antisozialistische, antiklerikale und antimonarchistische Seele von 1919« letzten Endes doch im Faschismus verwirklichen lassen könne. Aber vergebens – Mussolini festigt die 20er Jahre hindurch seine Macht, hofiert die Eliten und gibt der klassisch orientierten Kunst den Vorzug. Die avantgardistische Kunst steht als politischer Faktor fortan im Abseits, wenn auch in ihrer Existenz keinesfalls von Zensur bedroht und sich im Geistesleben durchaus behauptend.
Die Gretchenfrage der Literaturwissenschaft in bezug auf Marinetti ist seit jeher der faschistische Lackmustest. Hat er oder hat er nicht? Ist der Futurismus ein Trabant Mussolinis, oder dessen Kraftquelle? Läßt man die mäandernde Landschaft der Totalitarismustheorien vergangener Jahrzehnte in den Hintergrund treten, so leuchtet die Analyse ein, daß es sich beim Faschismus um mehr als einen irgendwie vom Bürgertum gesteuerten Abwehrkampf gegen wen auch immer, sondern um ein Phänomen handelt, dessen Erscheinung eine Gleichzeitigkeit zweier Prinzipien unbedingt voraussetzt: Idee und Affekt. Abstrakter: eine Melange aus Ideologien und Interessen. Dabei verblaßt die handelsübliche Erscheinung des Nationalismus als Ahnherr des Faschismus, und es wird ein Widerstreit beider deutlich. Ersterer bewegt sich von einer geistigen Idee getragen in Richtung Politik, um dort ohne Zugeständnisse an vorhandene Gegner dieselbige umzusetzen. Zweiter wurzelt partiell ebenfalls im Intellektuellen, setzt seinen Schwerpunkt aber im politischen Bereich, indem dieser den Rahmen der oben aufgeführten Melange bildet und so einer ideologischen Starre wie einem Sektierertum die Grundlage entzieht. Denn immer ist in Bewegung, was nach vorne geht.
Diese Darstellung ist als eine Erweiterung der Mohlerschen Physiognomie zu verstehen, die den faschistischen Stil als eine unter mehreren, immer gleichzeitig auftretenden Verhaltensweisen ausweist. Zwar später mit eindeutig geschwächter Position im Machtkampf innerhalb des italienischen Regimes, doch von grundsätzlicher Tätigkeit. Dies durchgeführt als »typologische Erörterung« vom Soziologen und Kenner der Materie Stefan Breuer (Nationalismus und Faschismus, Darmstadt 2005), bietet den plausibelsten Zugriff, eben auch auf das Verständnis des Futurismus, der unter allen Umständen Zukunft sein will, also Anti-Stillstandspolitik, bei Vernachlässigung ideologischer Elaborate. Er will global ausgerichtet agieren und betrachtet den Nationalstaat, wie erwähnt, als eine Art Individuen-Beschleuniger, dessen Form selbstredend der Überwindung anheimfallen wird, wenn das »mechanische Nomadentum« (Ciotti) erst einmal die Lebenswirklichkeit bestimmt.
Folgerichtig bezeichnet Marinetti die Beziehung von Futurismus und Faschismus als das Verhältnis zwischen Maximal- und Minimalprogramm – globales Endziel versus nationalstaatliche Sicherung. Der Faschismus ist die politische Filiale des Futurismus, das Komplement einer sich genuin als wirklichkeitsgestaltend verstehenden Avantgarde, die sich einer notwendigen Bindung an den Bezirk außerhalb der Ateliers und Lesesäle – also den politischen Raum – ohne Zweifel und zu jeder Zeit bewußt ist. Zwar gerät dieser schon bald zu einem Dickicht, das den Radius erheblich einschränkt, doch schmälert das die Absicht nicht.
Es sei noch einmal an das ästhetische Prinzip erinnert, dessen Geist die »nominalistische Wendung der Neuzeit« gebar und das so charakteristisch für die Moderne eine Konzentration auf das Besondere, Einzelne zur Folge hat, das als »Gestalt vom Gestaltlosen abgehoben wird« (Mohler). Jene Gestalt entsteht im Formungsprozeß, der keinen angestammten Platz mehr innerhalb eines Systems benötigt, geschweige denn eine egalitaristische Planung oder ideologisch ausgetüftelte Agenda.
Zum Reaktionären neigt, wer hier einen Widerspruch erkennen möchte. Denn mit der nationalen Formgebung entsteht erst das Trapez als Gerät der zukünftigen Aufgabe, des Hinaufkatapultierens der Menschheit und dessen Gestaltung als ein weltweites Kollektiv, einer »Neukonstruktion des Universums« (Balla). Freilich, ein kühner Plan. Bemerkenswert ist vor allem, daß der in avantgardistischen Zusammenhängen gerne apostrophierte Friedrich Nietzsche unter diesem Eindruck lediglich als moderner Souffleur erscheint, vergegenwärtigt man sich dessen Idee einer antik beseelten Züchtigung des neuzeitlichen Gedränges. Nicht den Nihilismus, also das gesellschaftlich-kulturelle Klima sollte der gründlichen Revision unterzogen werden, sondern gleich der ganze Mensch mitsamt seines angestammten Areals, der Erde. Das versteht Marinetti ganz über den Schreibtisch hinaus, wenn er »Lamarcks transformistische Hypothese« erwähnt und das Organische wie selbstverständlich zur Konkursmasse erklärt. Und Rettung naht nur in Form der Ersatzteillager-Welt. So findet die Theorie ihre Verwirklichung im Praktischen; Nietzsche scheiterte bekanntermaßen an genau dieser Umsetzung.
Daß sich diese Perspektive eher mit Ernst Jüngers Arbeiter oder Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes verträgt, also das historische zugunsten eines globalen Bewußtseins zurückdrängend, ist der interessanteste Ansatz Stefan Breuers (Anatomie der Konservativen Revolution, zuletzt Darmstadt 2009). Die Differenzen des ästhetisch unterlegten romanischen Modells gegenüber dem eher militärisch orientierten deutscher Machart sehr wohl erkennend, sieht er in der Kategorie der bedingungslosen Überwindung abgelebter Kategorien eine gewichtige Gemeinsamkeit. Bei alledem bleibt irgendwann die Kunst auf der Strecke, was Marinetti und Entourage nicht weiter stört – sie wird eines Tages ihren Dienst getan haben. Dann, wenn gegen alle Klassenschranken das Genie quer durch das Volk aufgestiegen ist, das am technisch-zeitgenössischen Alltag, nicht am traditionellen Ideal der metaphysischen Formgebung geschult, unerbittlich Kunst betreiben wird. Das Kunstwerk ist dann Realität, sich ganz aus sich selbst heraus erklärend, sagen wir: aus einer flambierten Ölpumpe. Eine »Verleugnung der traditionellen Statthalterfunktion der Kunst« (Manfred Hinz: Die Zukunft der Katastrophe, New York und Berlin 1985) degradiert alles Ästhetische zum Dinglichen, und es fallen Naturalismus und Formalismus zusammen.
Diese Konsequenz muß sehen, wer im Futurismus eine Inspirationsquelle ausmacht – unter welchem Eindruck auch immer. Das soll den Stellenwert der Avantgarde nicht schmälern, im Gegenteil: Unersetzlich ist sie für die, deren wacher Geist die Verwerfungen der Zeit wahrnimmt, die ihre Bilder aber weder in Weimar bestellen, noch im kommenden Jahrtausend aufhängen. Die Neue Sachlichkeit etwa, und besonders die kommunistischen Parteigänger der Literatur wie Johannes R. Becher, wissen nur zu gut, woher sie gekommen sind, welches Anliegen das dringendste ist. Im Rückblick faßt es Benn 1955 zusammen: »Form und Zucht steigt als Forderung von ganz besonderer Wucht aus jenem triebhaften, gewalttätigen und rauschhaften Sein, das in uns lag und das wir auslebten, in die Gegenwart auf. Gerade der Expressionist erfuhr die sachliche Notwendigkeit, die die Handhabung der Kunst erfordert, ihr handwerkliches Ethos, die Moral der Form.« Ein Eindruck, der stellvertretend für viele gilt. Auch für Marinetti, aber bei ihm einen gewaltigen Schritt zu weit gedacht. Genau dagegen stellt sich Benn, den Weg in die Aporie ahnend und daher die transzendente Reißleine ziehend: Er klammert die krude Poetik des Futurismus aus und setzt auf dessen gesellschaftspolitisches Prinzip der Form – den Faschismus. Ihm stellt er seine abendländische Dichtung zur Seite, auf den Neuanfang des Kulturkreises hoffend: »Die ganze Zukunft, die wir haben, ist dies: der Staat und die Kunst – die Geburt des Zentauren hatten Sie in Ihrem Manifest verkündet: dies ist sie.« Wie es mit dem deutschen Staat weitergeht, ist hinlänglich bekannt. Der Formzwang der Kunst hingegen ist nicht historisch, ihr Status als Bewahrungscharakter bedarf nach wie vor eines schöpferischen Umfelds. Erst dann kann sich seriös um den Kulturkreis bemüht werden.
Weitere Links:
- Der lesenswerte Artikel des jungen Germanisten Johannes Schüller zum Jubiläum.
- Und nochmals Johannes Schüller, der nun die Linie bis ins Heute auszieht.