Smudo gegen Kulturpessimismus

Begründen kann ich´s kaum, rechfertigen erst recht nicht. Aber in einer aus heutiger Sicht undurchschaubaren Phase meines Lebens war ich mal Smudo-Fan.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Also: nicht wirk­lich fana­tisch, aber in einer alten Kis­te, die beim Anzünd­ma­te­ri­al für unse­ren Holz-und-Koh­le-Ofen steht, hab ich anti­quier­te Ein­tritt­kar­ten für Kon­zer­te sowohl der Fan­tas­ti­schen Vier, der Mega­vier und gar der Jazz-Kan­ti­ne entdeckt.

Smu­do, einst Teil die­ser Kapel­len, ist mitt­ler­wei­le ziem­lich alt, beim alt­ba­cke­nen Kampf gegen rechts war er früh und ste­tig dabei. Nun hat er eine klei­ne Toch­ter, die süch­tig ist. Lei­der? Nein. Denn Smu­do ist kein Kul­tur­pes­si­mist, wie er der Frank­fur­ter Rund­schau ver­rät.

Jetzt schon? Ist sie nicht erst zwei Jah­re alt?

Zwei­ein­halb. Mei­ne Toch­ter hat auf mei­nem iPho­ne sogar ihre eige­ne Sei­te – sie weiß auch schon, wie sie dahin kommt. Wirk­lich unfaß­bar, was die in ihrem Alter schon für Puz­zle­spie­le löst. (Blät­tert auf die letz­te Sei­te sei­nes Mobil­te­le­fons.) Die­ses Spiel hier ist gera­de der Ober­hit: Da muß sie mit dem Fin­ger geo­me­tri­sche For­men in die pas­sen­den Sil­hou­et­ten zie­hen, und wenn sie es geschafft hat, dann kommt Applaus. Danach ist sie total süchtig.

Süch­tig?

Ach Gott ja, ich weiß. Mein Vater erzähl­te mir, daß es in sei­ner Kind­heit hieß, zu viel Radio macht doof. In mei­ner Kind­heit waren’s die Comics und das Fern­se­hen. Heu­te sind es Video­spie­le. Aber das stimmt nicht. Es kommt auf den rich­ti­gen Umgang an, und es ist Sache der Eltern, bei die­sem The­ma am Ball zu blei­ben. Ich den­ke, ich erzie­he mei­ne Toch­ter da kompetent.

Was ver­bie­ten Sie ihr?

Ich weiß nicht, ob man den gesun­den Umgang mit einem Medi­um über Ver­bo­te erreicht. Mit Grau­sen muß man ja fest­stel­len, daß sich der dog­ma­ti­sche Ansatz mei­ner Kind­heit, in der Fern­se­hen mit einem tota­len Stig­ma belegt war, beim The­ma Video­spie­le heu­te wie­der­holt. Aber das wird auch vorübergehen.

War­um sind Sie da so sicher?

So war es doch mit jedem Medi­um in den letz­ten tau­send Jah­ren. Schon Sokra­tes hat sich über den Sit­ten­ver­fall der Jugend beklagt. Kul­tur­pes­si­mis­mus ist so ziem­lich die ein­fachs­te Form von Spie­ßer­tum. Ich fra­ge mich, was Kul­tur­pes­si­mis­ten gemacht haben, als es noch kei­ne Video­spie­le gab. Die Gesell­schaft, in der wir leben, ist viel zu kom­plex für der­art simp­le Sinnzusammenhänge.

Spie­ßer! Kul­tur­pes­si­mis­mus! In eins gesetzt! Bered­te Wor­te aus beru­fe­nem Munde!

Wiki­pe­dia läßt den Arti­kel über Spie­ßer mit einer Defi­ni­ti­on begin­nen, die all­ge­mein­gül­tig sein dürfte:

Als Spieß­bür­ger oder Spie­ßer wer­den in abwer­ten­der Wei­se Per­so­nen bezeich­net, die sich durch geis­ti­ge Unbe­weg­lich­keit, aus­ge­präg­te Kon­for­mi­tät mit gesell­schaft­li­chen Nor­men, Abnei­gung gegen Ver­än­de­run­gen der gewohn­ten Lebens­um­ge­bung und ein star­kes Bedürf­nis nach sozia­ler Sicher­heit hervortun.

So ist es wohl. Der Spie­ßer als Unter­tan im schlech­ten, im Hein­rich Mann­schen Sin­ne. Spie­ßig ist heu­te, das lie­ße sich u. v.a. ergän­zen, gna­den­lo­ser Kul­tur­op­ti­mis­mus. Schon des­halb, weil das Ver­dikt, „kul­tur­pes­si­mis­tisch“ zu argu­men­tie­ren, heu­te als (ela­bo­rier­te) Tot­schlag­wen­dung in Gebrauch ist. Laut Ödön von Hor­vath ist „Der ewi­ge Spie­ßer“ (1930) der­je­ni­ge, „der danach trach­tet, sich über­all fei­ge anzu­pas­sen und jede neue Idee zu ver­fäl­schen, indem er sie sich aneig­net.” Zu Smu­dos Fra­ge, was die ver­ma­le­dei­ten Kul­tur­pes­si­mis­ten ohne Video­spie­le gemacht haben: sie­he oben, wie seltsam.

Mei­ne Töch­ter, anders als Smu­dos gelen­ki­ge klei­ne i‑Phonerin, haben noch nie „mit dem Fin­ger geo­me­tri­sche For­men in die rich­ti­gen Sil­hou­et­ten gezo­gen“. Sol­che Übung  fän­den sie in all ihrer Norm­fi­xiert­heit wohl auch spie­ßig. Bewahre!

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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