Zuletzt kostümierte ich mich, als meine Töchter wegen ihrer Zöpfe und Lederränzen in der Schule von übermütigen Knaben gehänselt wurden. Weil in den siebziger Jahren Perücken bei Damen auch in außerkarnevalistischen Zusammenhängen en vogue waren und meine Mutter eine modebewußte Frau war, zählen ein paar sehr schöne Echthaarperücken zum häuslichen Fundus. Mit dunkler Lockenmähne, dazu Lederjacke, Bundeswehrhose und einer Kippe im Mundwinkel, verkleidete ich mich als obskure Type.
Diese ertappte die Rüpel an der Schulbushaltestelle auf frischer Tat, rüttelte sie am Schul-Rucksack und gebot herrisch Einhalt. Schockschwerenot: „Wer sind Sie denn?!” – „Ich bin deine gute Fee. Und glaub mir, es ist besser für Dich, wenn Du Dir Dein Maulheldentum sparst!” Die Töchter berichten, der kostümierte und nie enttarnte Auftritt habe erfolgreich für nachhaltige Verwirrung gesorgt.
Maske & Mimesis - wir finden vor: eine Sehnsucht nach Authentitizität, nach unmaskierter Wahrhaftigkeit in einer Welt voller Entfremdungsphänomene einerseits, ein Illusionsbedürfnis andererseits: weil alles entzaubert und entmythisiert ist. Es ist doch so: Das Schöne & Gute können wir leichter identifizieren als das Wahre. Was ist schon wahr und wer wahrhaftig; was Schein, was Sein, gerade unterm gängigen Zeichen voluntaristischer Identitätskonzepte? Das Gebot „Werde, der du bist” zieht sich von Pindar über Hölderlin bis Nietzsche durch den abendländischen Katechismus. Wer spielt welche Rolle, und mit welcher Notwendigkeit?
Merke: Das Wort „Kostüm” stammt von lat. consuetudo und wurde einst in Zusammenhängen mit „Sitte” und „Herkommen” (vor allem in Bezug auf Trachten, Waffen und Gebäude, also: das Eigene) verwendet. Das ebenfalls lateinische persona, das wir heute mit persönlicher Individualität assoziieren, meinte das Gegenteil, nämlich die Maske, die zu spielende Rolle. Auch das altgriechische prosopon meinte Gesicht/Mensch ebenso wie Maske.
Was sagt uns das heute? Der Begriff der „Uniform” jedenfalls ist weithin negativ konnotiert, er mutet soldatisch an oder wenigstens kollektivistisch. Dennoch finden wir selbstgewählte Uniformierungen heute reichlich genug. In der Mode, der denkbar kollektivsten Verkleidungsart, sowieso, zudem in zahlreichen nominell individualistischen Gruppierungen: Unter Karnevalisten (Funkenmariechen, Elferrat) mit ihrem an alte Uniformen angelehnten Dreß sowieso, zudem etwa unter Fußballfans, Manga-Jüngern, den sogenannten Transgendern, Punks oder Gothics oder den Freunden des historischen Re-Enactment.
Alles, was tief ist, liebt die Maske, sagt Friedrich Nietzsche. Als was gehst Du? , fragt der Gatte, der sich für “Yukio Mishima” entschieden hat. „Alice Schwarzer”, sag ich, was sonst? Weil die Luftballons vorne dauernd und lästigerweise verrutschten, disponiere ich um. Lou Salomé, yes, mit Peitsche, da erkennt mich wenigstens keiner.
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