Jahre 2008 angenommenen rund 25000 Menschen umkamen (verbrannten, erstickten, erschlagen und zerfetzt wurden), hätte die Bundesregierung Jahr für Jahr in einer großen Veranstaltung einem unvergleichlichen Vernichtungsverbrechen zu gedenken.
Aber sie kommt dieser nationalen Erinnerungspflicht nicht nach, die Repräsentanz der Nation, und daß offiziell also nicht angemessen gedacht wird – auch in Hamburg oder Pforzheim oder Halberstadt oderoderoder nicht – ist geschichtspolitisch so bedeutsam, daß man vor dieser Lücke nicht unentschieden stehen kann.
Es gibt jetzt, wenn man staats- und nationalbewußt auf die Gedenk-Lücken schaut, zwei Möglichkeiten. Entweder man hofft auf das eigentlich Wünschenswerte, darauf also, daß sich die “Mitte” in einem breit getragenen Konsens des Themas annehmen möge. Alle Erfahrung aber zeigt, daß die “Mitte” nie aus eigenem Impuls ein Thema anfaßt, das Gegenwind garantiert – oder aber, daß sie es zwar angeht, aber beim ersten Widerstand sofort wieder fahren läßt.
Es gehört zu den Charakteristika der Mitte (die sich gern “bürgerlich” nennt und “vernünftig” gibt), daß sie jedem Druck ausweicht, um sich nie rechtfertigen zu müssen und nie in eine ungemütliche Situation zu kommen. Die “Mitte” läßt sich so unter Druck setzen und verschieben, sei es in Bildungs‑, Geschlechter‑, Überfremdungsfragen – oder in der Beurteilung geschichtspolitischer Kämpfe.
Das bedeutet nichts anderes, als daß ein Thema verschwindet oder in sein Gegenteil verzerrt wird, wenn man es der Mitte gegen eine geschichtspolitisch aggressive Linke überläßt. Denn die “Mitte”, die “Vernünftigen”, die “Bürgerlichen” machen ihre Ausweichmanöver im Zweifelsfall immer auf Kosten des Themas. Und so wird es morgen zu der grotesken Situation kommen, daß CDU‑, SPD- und FDP-Wähler unter dem Banner “Do it again, Harris” auf die Straße gehen werden, nur um auf der Seite zu stehen, die den größeren Druck aufzubauen in der Lage ist.
Bleibt also seit Jahren die zweite Möglichkeit: Annektierung und damit Kontamination des Themas durch eine radikale Rechte, mithin: einen Teil unseres Volkes). Im Falle Dresdens ist das aus übergeordneter Perspektive tragisch, denn die Zerstörung der Stadt steht symbolisch für die Zerstörung der deutschen Städte im Bombenhagel – und ist so ein gesamtnationales Thema. Aber unsere Zeit ist nicht normal, und so hat die jetzt agierende Rechte alles Recht, die Erinnerung wachzuhalten und ein Thema vor dem Verschwinden zu bewahren.
In Dresden morgen kulminiert die Pathologie unseres Landes. Hierin gehe ich mit Lichtmesz überein, der sich seine Stellungnahmen nicht leicht macht. Auch er würde an jedem 13. Februar am liebsten eine große Stille in der Stadt wahrnehmen und sähe die Repräsentanten der Nation die Schleifen ihrer Kränze richten, die im Gedenken an unsere Opfer niedergelegt würden.
Aber diese Chance ist vertan, wie so vieles, von dem wir hofften, daß es nach 1990 zur Selbstverständlichkeit werden würde. Deshalb sage ich: Selbst wenn auf Seiten der Rechten neben der Trauer schon viel Lust zur Provokation und zur Konfrontation Raum gegriffen hat – so will ich da jetzt gar nicht mit dem Sortieren und der Moralkontrolle anfangen. Insgesamt sehe ich die trauernden Marschierer im Recht, während doch jeder, der “Do it again, Harris” plakatiert, weit jenseits dessen agiert, was ihm gestattet sein kann: Denn er wünscht sich nichts anderes als einen weiteren Massenmord.