Spengler und die Ibsenweiber

von Felix Springer

Gerhard Henschel (links nicht im Bild) ist ein Intellektueller. Er kann Buchstaben zu Wörtern, Wörter zu Sätzen und Sätze zu Texten formen.

Wenn er damit fer­tig ist, kann man sich das Ergeb­nis meis­tens irgend­wo anse­hen. Zum Bei­spiel im aktu­el­len CICERO – ein Maga­zin, das Außen­ste­hen­de manch­mal gern als „kon­ser­va­tiv“ bezeich­nen, weil Papier und Lay­out teu­er waren und die Recht­schrei­bung stimmt. In der Kate­go­rie „Salon“ blickt in die­sem Monat unter einem Arti­kel mit dem Titel „Speng­ler und die Ibsen­wei­ber“ Hen­schels Ant­litz durch eine zart gerahm­te Bril­le visio­när in die Ferne.

Das Werk des Geschichts­phi­lo­so­phen Oswald Speng­ler, meint er, kön­ne nur dann gerecht rezi­piert wer­den, wenn die pri­va­ten, nie zur Ver­öf­fent­li­chung bestimm­ten Noti­zen Speng­lers aus sei­nem Nach­laß eben­falls gründ­lich unter­sucht und aus­ge­wer­tet sind. Also macht er sich, getrie­ben von sei­ner Sehn­sucht nach Gerech­tig­keit, an die Arbeit.

Ange­sichts der deut­schen – nein: abend­län­di­schen Zustän­de des frü­hen 20. Jahr­hun­derts war Speng­ler ver­zwei­felt. Als fein­sin­ni­ger Mensch sah er die Sym­pto­me fort­schrei­ten­der Deka­denz, litt als Aris­to­krat des Geis­tes an der sicht­ba­ren Ver­mas­sung von allem, an der kul­tu­rel­len Dege­ne­ra­ti­on, Ver­fall und Nie­der­gang von Geist und Volks­kör­per. Und er erkann­te auch, wel­che zen­tra­le Rol­le die Frau in die­sen Pro­zes­sen spielt. Das Urbild der Mut­ter als Hüte­rin, Bewah­re­rin, Ort und Quel­le aller Sicher­heit, die Mut­ter als mensch­ge­blie­be­ne Hei­mat und das Urbild der Jung­frau als das Reins­te, Unschul­digs­te, Schüt­zens­wer­tes­te, Kost­bars­te gehen als Idea­le und so auch als Rea­li­tät ver­lo­ren in einer Fleischwelt, deren ein­zi­ge Struk­tur und ein­zi­ge Norm der Trieb ist, in der die Beschäf­ti­gung mit sich selbst das ein­zi­ge Moment der Sinn­ge­bung darstellt.

Die Frau, die kei­ne Kin­der bekommt, weil sie sich selbst in Beruf oder Lite­ra­tur­stu­di­um („Ibsen­wei­ber“) ver­wirk­licht, gehört zwar sich selbst, aber das ist auch schon ihr gan­zer Sinn. Das ist für Speng­ler kein Ein­wand gegen das, was man heu­te Frau­en­rech­te nennt, son­dern es ist sein Plä­doy­er für das Leben, für das pro­duk­ti­ve Wesen, das sinn­haf­te Dasein von Indi­vi­du­um, Volk und Mensch­heit! Es ist sei­ne Über­win­dung des Nihilismus.

Dem kran­ken Speng­ler, der sich immer nach dem für ihn uner­reich­ba­ren Tat­men­schen­da­sein sehn­te, war es eine Qual, sehen zu müs­sen, wie im erst ges­tern ent­stan­de­nen Deutsch­land die Frau­en eine Ära der Unfrucht­bar­keit und sozio­bio­lo­gi­schen Nega­tiv­se­lek­ti­on ein­läu­te­ten: ein Selbst­mord im Namen der Frei­heit! Kla­rer als ande­re sah Speng­ler die Fol­gen die­ser Pro­zes­se kom­men, und sei­ne Macht­lo­sig­keit ver­bit­ter­te ihn.

Hen­schel kann das so nicht ver­ste­hen. Er meint, sich der Per­son Speng­lers anzu­nä­hern, glaubt, die­sen Aus­nah­me­den­ker ent­larvt zu haben und prä­sen­tiert sei­nen Lesern stolz sei­ne kurz­schrit­ti­ge Argu­men­ta­ti­on: Speng­ler war in Wirk­lich­keit des­halb so unglück­lich, weil er zu ver­klemmt war die Seg­nun­gen der Moder­ne als sol­che anzu­er­ken­nen. Er hat­te gar kei­ne Ahnung, wie groß­ar­tig die auf­kom­men­de Ver­gnü­gungs­kul­tur sein konn­te, wenn man sich in die­ser erst mal ein Plätz­chen gesi­chert hat und des­halb ist sei­ne Kri­tik dar­an von vorn­her­ein nicht ernst zu neh­men. Einer, der sich so auf sei­ne Arbeit kon­zen­triert, wäh­rend drau­ßen die leich­ten Mäd­chen war­ten – der muß neu­ro­tisch sein! Einer, der den Wert der Mut­ter über den einer vor lau­ter „Frei­heit“ kin­der­lo­sen Künst­le­rin, Kar­rie­re­frau, Lite­ra­te­neman­ze, die sich selbst beschlag­nahmt hat, stellt – das ist ein „Haß­pre­di­ger“, geht gar nicht anders.

Die­se Art der nicht-ver­ste­hen-wol­len­den Kri­tik an Speng­lers Per­son ist nicht neu. Bereits 1934 ord­net der über­zeug­te NSDAP-Schrei­ber­ling Ernst G. Grün­del Speng­ler in sei­ne Welt­ge­schicht­li­che Sinn­deu­tung des Natio­nal­so­zia­lis­mus ein und macht ihm die Dis­kre­panz zwi­schen sei­ner Per­son und sei­nem Werk zum Vor­wurf. Außer­dem sei Speng­ler nur des­halb gegen die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Bewe­gung, weil er nie direkt an ihr mit­ge­wirkt habe und habe ja gar kei­ne Ahnung, wie groß­ar­tig die­ses neue Deutsch­land auch für ihn sein könn­te, wenn er nur gewillt wäre, das ihm zuge­si­cher­te Plätz­chen ein­zu­neh­men. Wenn Speng­ler nur nicht so ver­klemmt wäre, „unfä­hig zur Begeis­te­rung“ nennt Grün­del es.

Man weiß nicht, ob Grün­del, leb­te er heu­te, für den CICERO schrei­ben wür­de. Jeden­falls bemer­ken bei­de, Hen­schel und Grün­del, nicht die Lächer­lich­keit ihrer Unter­neh­mung, an Oswald Speng­ler die klein­li­chen Maß­stä­be ihres Fort­schritts­glau­bens anzu­le­gen. Daß Hen­schel aber dazu noch den Ver­such unter­nimmt, sei­nen Arti­kel mit dem Wunsch nach einer „gerech­ten Her­an­ge­hens­wei­se“ zu legi­ti­mie­ren, zeugt von einer gehö­ri­gen Por­ti­on Selbst­über­schät­zung. Der Typus Hen­schel bringt es heu­te fer­tig, sich „kri­tisch“ nen­nen zu dür­fen, weil er selbst­ge­recht ist, und sich als „Frei­geist“ zu betrach­ten, weil er die Hin­ter­fra­gung sei­ner Dog­men unter Stra­fe stellt oder als unein­sich­tig abqua­li­fi­ziert. Das ist Hen­schels Wider­sprüch­lich­keit, ganz ohne Tra­gik, ohne Grö­ße und vor allem: ohne Einsicht.

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