Hitlers Zähne

 

von Claus Wolfschlag

Boulevardseiten, ob in Printmedien oder im Internet, sind berechenbar. Boulevard dient der Kurzweil, der Ablenkung von den wichtigen Dingen des Lebens.

Ein biß­chen Ver­bre­chen oder Ner­ven­kit­zel, eini­ge Unglü­cke von irgend­wo auf der Welt; Umwelt­ka­ta­stro­phen, etwas Mode oder Tier­le­ben fürs Herz und dann aller­lei Pro­mi-Klatsch fül­len die Spal­ten und Durch­zugs­ka­nä­le zwi­schen den Ohren und Seh­ner­ven. Beson­ders bere­chen­bar wird das Bou­le­vard, wenn es um Adolf Hit­ler geht. Aber liegt das am Bou­le­vard oder dar­an, daß alles, was sich um Adolf Hit­ler dreht, bere­chen­bar ist?

Aller­lei wich­ti­ge Mel­dun­gen ereil­ten den auf­merk­sa­mem Leser jeden­falls die­ser Tage. Eine Ber­li­ner Bio­lo­gin hat erforscht, daß Rosen­kohl bei Befall von Schmet­ter­lings­ei­ern Wes­pen zu Hil­fe rufen kön­ne. Der Geschäfts­füh­rer des IGES- Insti­tuts, Hans-Die­ter Nol­ting, fand her­aus, daß die Finanz­kri­se bei vie­len Leu­ten zu Schlaf­stö­run­gen füh­re. Eine Putz­frau wur­de in Hong­kong von einer von einem Hoch­haus fal­len­den Senio­rin erschla­gen. Micha­el Jack­sons Ex-Frau Lisa Marie Pres­ley soll Kon­takt zum Geist des ver­stor­be­nen „King of Pop“ auf­ge­nom­men haben. Er hät­te sie aus dem Jen­seits um Ver­zei­hung gebe­ten. Und Ali­cia Keys hat in Rio bei einem Video­dreh ihre Kur­ven gezeigt.

Bei alle­dem darf gele­gent­lich auch der „Füh­rer“ nicht feh­len. Meist durch irgend­wel­che Mel­dun­gen, die noch ein­mal bewei­sen, was für ein mie­ser, ekli­ger Kerl das gewe­sen ist. Nun hat die Kre­fel­der Zahn­ärz­tin Men­ev­se Deprem-Hen­nen sich einen depri­mie­ren­den Bei­trag mit der atem­be­rau­ben­den Ver­mu­tung geleis­tet, daß der Füh­rer unter Mund­ge­ruch gelit­ten haben könn­te. In ihrer Dok­tor­ar­beit mit dem über­aus seri­ös klin­gen­den Titel „Den­tist des Teu­fels“ habe sie her­aus­ge­fun­den, daß Hit­ler unver­ständ­li­cher­wei­se offen­bar sehr schmerz­emp­find­lich gewe­sen sein muß und Zahn­arzt­be­su­che des­halb nicht beson­ders gern hatte.

Eine wahr­haft bahn­bre­chen­de Erkennt­nis, die den abar­ti­gen Cha­rak­ter die­ser Gestalt des 20. Jahr­hun­derts gera­de­zu belegt! Und wie die Mas­sen auf dem Reichs­par­tei­tags­ge­län­de wohl gelit­ten haben muß­ten, als ihnen wäh­rend den Reden die Dämp­fe aus jener Mund­höh­le ent­ge­gen­ge­wa­bert sind.

Die­se Mel­dung steht natür­lich in der Tra­di­ti­on unzäh­li­ger Mel­dun­gen über Hit­ler, die nicht nur durch die vie­len „History“-TV-Formate, die Popu­lär­wis­sen­schaft und Tri­vi­al­li­te­ra­tur geis­tern. Hit­ler war dem­nach schwul, hat­te einen unehe­li­chen Sohn namens Sieg­fried, der 1945 ster­ben muß­te, war impo­tent, hat­te Syphil­lis, war schi­zo­phren, dro­gen­süch­tig, hat­te angeb­lich nur einen Hoden und, auf­grund eines Zie­gen­bis­ses, einen defor­mier­ten Penis. Und so wei­ter und so fort.

In Thea­ter­auf­füh­run­gen durf­te er zudem vor­zugs­wei­se nackt oder als schwu­ler Irrer über die Büh­ne schrei­en. All die­se Spe­ku­la­tio­nen sagen indes meist wenig über die his­to­ri­sche Figur aus, viel jedoch über die­je­ni­gen, die sich so inten­siv damit beschäf­ti­gen: Ver­mut­lich sind das meis­te davon je eige­ne sadis­ti­sche und sexu­el­le Über­phan­ta­sien, für die Hit­ler als Pro­jek­ti­ons­flä­che her­hal­ten muß.

Irgend­wie ist das sehr bere­chen­bar und dadurch gar nicht pri­ckelnd. Doch Lan­ge­wei­le ist lang­fris­tig töd­lich für das Bou­le­vard. Das ist ein­fach auch eine Mar­ke­ting- und Über­le­bens­fra­ge ange­sichts der Kri­se der Unter­hal­tungs­in­dus­trie. Lus­tig und span­nend wür­de es hin­ge­gen viel­mehr, wenn es auch mal über­ra­schen­de Mel­dun­gen gäbe, die den „Füh­rer“ in ein unge­ahnt posi­ti­ves Licht rück­ten. Irgend etwas muß ja schließ­lich auch gut an ihm gewe­sen sein. Selbst der bis­sigs­te Pit­bull­ter­ri­er hat viel­leicht ein schön glän­zen­des Fell oder treu bli­cken­de Augen. Viel­leicht hat­ten Juli­us Cäser und Albert Ein­stein zum Bei­spiel viel mehr Mund­ge­ruch als Hit­ler? Und viel­leicht war der „Füh­rer“ ja ein aus­ge­zeich­ne­ter Mara­thon­läu­fer, trotz des einen Hodens? Viel­leicht lieb­te er es, beim Ein­kau­fen stets im hei­ßen String sei­nen Ado­nis-Kör­per samt Wasch­brett­bauch der stau­nen­den Frau­en­welt und den Foto­ka­me­ras zu prä­sen­tie­ren? Oder er hat­te nicht die bes­ten Zäh­ne, dafür aber die gesün­des­ten Fin­ger­nä­gel nörd­lich der Alpen? Oder er war Welt­re­kord­hal­ter im Rosen­kohl-Essen? Oder er hat mal eine Putz­frau vor einer vom Hoch­haus fal­len­den Senio­rin geret­tet? Oder er ist der heim­li­che Groß­va­ter von Micha­el Jack­son und Ali­cia Keys, die allein sei­nen Genen ihre sexy Kur­ven verdankt?

Nie­mand ist doch nur nega­tiv. Irgend etwas Posi­ti­ves muß schließ­lich in jedem Men­schen zu fin­den sein, oder? Jetzt sind zumin­dest alle dritt­klas­si­gen His­to­ri­ker, Den­tis­ten oder Jour­na­lis­ten nur noch gefragt, danach zu stö­bern und die eige­ne Phan­ta­sie zum Lau­fen zu bringen.

Foto­graf: Adel, Quel­le: pixelio.de

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