Biedermänner und Brandstifter (Rückblick auf Dresden)

Die Berichterstattung der Mainstream-Medien über die Demoblockade von Dresden geriet wie erwartet zum diffusen Feelgood-Geschunkel, ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

… gepflas­tert mit dem übli­chen abge­dro­sche­nen Voka­bu­lar, das auf Refle­xe und Emo­tio­nen, nicht aber auf Erhel­lung der Situa­ti­on abzielt.

Eine klei­ne Aus­wahl, erstellt via Goog­le-News-Suche:  “Ein Boll­werk gegen die Ewig­gest­ri­gen” (Zeit online).“Dresden und die Neo­na­zis: die anstän­di­gen Auf­stän­di­schen” (Stern).  “Dres­den bie­tet Neo­na­zis die Stirn” (Focus). “Dresd­ner Deba­kel für die Neo­na­zis stärkt die Zivil­ge­sell­schaft” (Wie­ner Zeitung).“Buntes Dres­den stoppt brau­ne Ein­falt” (Neu­es Deutsch­land).  “Dres­den wehrt sich erfolg­reich gegen Rechts” (Welt).  “Dres­den stemmt sich gegen die Geschichts­klit­te­rer” (Spie­gel Online).

Kri­tisch-ana­ly­ti­sche Betrach­tun­gen konn­te man in den letz­ten Tagen allen­falls in den Nischen der Blogo­sphä­re fin­den. Dar­um ist es Eck­hard Jes­se hoch anzu­rech­nen, daß er als einer der weni­gen Kom­men­ta­to­ren unbe­stech­lich geblie­ben ist und nun deut­lich aus­ge­spro­chen hat, daß sich die Demo-Blo­ckie­rer “über Recht und Gesetz hin­weg­ge­setzt“ haben.  Der Tri­umph der Gegen­de­mons­tran­ten war zugleich eine “Nie­der­la­ge des Rechtsstaates”.

Nie­mand, der die Lage nüch­tern betrach­tet, wird Jes­se hier wider­spre­chen kön­nen, und nüch­ter­nes Den­ken ist in einem Deutsch­land, des­sen Ver­stand von “Nazi”-Komplexen und ‑affek­ten ver­ne­belt ist, eine Sel­ten­heit gewor­den. Wäh­rend die Medi­en stän­dig von “Dres­den” spra­chen, das ver­eint den JLO-Marsch ver­hin­dert hät­te, sah die kon­kre­te Arbeits­tei­lung anders aus: Wäh­rend sich in der Alt­stadt die Bür­ger­li­chen, die sau­ber blei­ben wol­len­den Poli­ti­ker und die eher weich-gut­mensch­lich Moti­vier­ten risi­ko­los an den Händ­chen hiel­ten und im “Lichterkette”-Rausch schwelg­ten, erle­dig­te die radi­ka­le bis mili­tan­te Lin­ke in der ver­bar­ri­ka­dier­ten Neu­stadt die Drecks­ar­beit. Sie, und nicht etwa die Händ­chen­hal­ter mit den wei­ßen Blüm­chen und den demons­tra­tiv wei­ßen Wes­ten (“gewalt­los und bunt”), schaff­ten es, den Staat durch eine laten­te Eska­la­ti­ons­an­dro­hung in ihrem Sin­ne zu erpressen.

Damit ist weit mehr gesche­hen, als “Nazis” von den Stra­ßen fern­zu­hal­ten. Eine gän­gi­ge Phra­se der Bericht­erstat­tung war der Vor­wurf, die Trau­er­mär­sch­ler wür­den das Geden­ken zu poli­ti­schen Zwe­cken “miß­brauchen” und in eige­ner Sache “instru­men­ta­li­sie­ren”.  Wenn  man aber schon von “Miß­brauch” spricht, dann darf man über die mas­si­ve Instru­men­ta­li­sie­rung des Anlas­ses – sowohl des Gedenk­ta­ges als auch der JLO-Demo – durch eine ver­ein­te Lin­ke (das inklu­diert eine Qua­si-Volks­front von den Anti­fas über “Die Lin­ke”, über die Grü­nen bis zu “Ver.di” und den Jusos) nicht schweigen.

Die gan­ze Neu­stadt Dres­dens wur­de mit Bil­li­gung der Men­schen­ket­te-Bie­der­män­ner den Brand­stif­tern über­las­sen, die die­se Platt­form mas­siv zur poli­ti­schen Wer­bung und Auf­peit­schung benutz­ten, und die es eben nicht nur auf das nach Kräf­ten dämo­ni­sier­te brau­ne Schreck­ge­spenst, son­dern auch und vor allem auf die Bie­der­män­ner in der Mit­te selbst abge­se­hen haben. Die Sturm­trup­pen, deren Anwe­sen­heit aus­schlag­ge­ge­bend war, um den Trau­er­marsch zu stop­pen, kamen zum Groß­teil nicht aus Dres­den selbst, tru­gen indes­sen Trans­pa­ren­te mit Auf­schrif­ten wie “Die Bom­bar­die­rung Nazi-Dres­dens war gerecht”, “Nati­on. Dres­den. Schei­ße” und orga­ni­sier­ten am sel­ben Tag eine laut Indy­me­dia über 1.200 Mann star­ke Demo unter dem Mot­to “Kei­ne Ver­söh­nung mit Deutsch­land”, die auch gegen das mode­ra­te Geden­ken Front mach­te: “Mit der Demo soll­te das Geden­ken an soge­nann­te deut­sche Opfer kri­ti­siert werden…”

Der Vor­wurf des poli­ti­schen “Miß­brauchs” an die JLO ist nicht der ein­zi­ge, der sich mühe­los auf die Gegen­sei­te anwen­den läßt. Man neh­me zum Bei­spiel die Wochen­end­aus­ga­be der Säch­si­schen Zei­tung, die auf der Titel­sei­te eine Zeich­nung mit Hun­der­ten Figür­chen brach­te, die eine gro­ße “bun­te” Ket­te bil­den, in der Mit­te ein Fens­ter in Dun­kel­braun mit einer wei­ßen Rose und der Über­schrift: “Am 13. Febru­ar Hand in Hand gegen den brau­nen Haß”. Der Text dazu ist durch­aus exem­pla­risch und bringt den Geist des offi­zi­el­len, “mit­ti­gen” Geden­kens auf den Punkt:

Seit eini­ger Zeit stö­ren Neo-Nazis die­se stil­le Suche nach Trost und Ver­söh­nung. Sie set­zen auf Haß, sie heu­cheln Trau­er – und besu­deln damit die Opfer und damit Dresden.

Nun gibt es an dem JLO-Marsch und dem Milieu, das ihn trägt, vie­les zu kri­ti­sie­ren (ich und ande­re haben dies hier im Netz-Tage­buch auch aus­führ­lich getan). In der Kon­zep­ti­on, dem dekla­rier­ten Anlie­gen und dem Stil des Trau­er­mar­sches kann ich nun beim bes­ten Wil­len kei­nen “Haß” ent­de­cken (genau­so­we­nig wie irgend­et­was “Unde­mo­kra­ti­sches”).  Statt­des­sen sah ich aller­dings eine Men­ge Zorn, was nicht das­sel­be ist wie Haß, ein Zorn, der durch­aus nach­voll­zieh­bar und berech­tigt ist, und kei­nes­wegs einer “dump­fen Ein­falt”, wie ein wei­te­res belieb­tes Schlag­wort lau­tet, ent­springt. Es ist der Zorn über die Lüge, die Unge­rech­tig­keit und die dop­pel­te Moral, die den Staat und die Medi­en zur Bür­ger­kriegs­par­tei machen.

Denn wenn nun Anti­fan­ten Müll­con­tai­ner anzün­den, Autos demo­lie­ren, poli­ti­sche Geg­ner und Poli­zis­ten tät­lich angrei­fen und “Nazis töten” auf die Pla­ka­te schrei­ben, dann ist das offen­bar kein “Haß”.  Wenn zu lau­ter Par­ty­mu­sik und Volks­fest­stim­mung Pogo getanzt wird, dann stört das offen­bar nicht “die stil­le Suche nach Trau­er und Ver­söh­nung”.  Wenn an die­sem Tag schrill geklei­de­te Clowns fröh­lich trom­melnd her­um­hüp­fen, wenn die Bom­bar­die­rung der Stadt für gerecht­fer­tigt erklärt wird, wenn die Fah­nen der Zer­stö­rer Dres­dens und der Sie­ger des Krie­ges geschwenkt wer­den, dann wer­den “die Opfer und damit Dres­den” offen­bar nicht “besu­delt”.  Und wenn die vom Bahn­hof Neu­stadt depor­tier­ten Juden als feti­schi­sier­tes Schlag­wort her­hal­ten müs­sen, um alle ande­ren Ver­bre­chen des Krie­ges zu recht­fer­ti­gen oder zu beschö­ni­gen und um sich selbst eine poli­tisch-mora­li­sche Legi­ti­ma­ti­on auf die Brust zu hef­ten, dann wird nicht “Trau­er geheuchelt”.

Zu die­ser empö­ren­den Ver­lo­gen­heit kommt eine ver­rä­te­risch ver­kitsch­te Spra­che hin­zu, die im Kern all das ent­hält, was das offi­zi­el­le Geden­ken von Dres­den so pro­ble­ma­tisch macht. Noch­mal die Titel­sei­te der Säch­si­schen Zei­tung:

Dres­den vor 65 Jah­ren (…) – seit fünf­ein­halb Jah­ren tobt der Krieg, von Nazi-Deutsch­land über die Welt gebracht. Doch des­sen Ende, der Sieg der Opfer über die Täter, naht. (…) Jahr um Jahr wird am 13. Febru­ar der Opfer die­ses Grau­ens gedacht – der Opfer von Dres­den, Coven­try oder War­schau, der Mil­lio­nen, die in die­sem Krieg ster­ben mußten.

Die Gene­ral­klau­sel der deut­schen Allein­kriegs­schuld (die übri­gens nicht ein­mal zu hal­ten ist, wenn man der eta­blier­ten Geschichts­schrei­bung folgt) und damit die impli­zi­te Recht­fer­ti­gung und Ent­schul­dung des Han­delns der ande­ren Kriegs­par­tei­en, die Umdeu­tung der Sie­ger des Kriegs zu “Opfern” (ein ziem­lich kras­ses Bei­spiel für grob sim­pli­fi­zie­ren­de, pro­pa­gan­dis­ti­sche Ver­schlag­wor­tung), schließ­lich die Auf­lö­sung der kon­kre­ten Opfer eines kon­kre­ten Kriegs­ver­bre­chens in die unun­ter­schie­de­ne All­ge­mein­heit aller im Krieg Umge­kom­me­nen –  das sind Axio­me, die die Offi­ziö­sen mit dem lin­ken Rand ver­bin­den, der sie radi­ka­li­siert und auf die Spit­ze treibt, und die das offi­zi­el­le Geden­ken so ver­korkst, halb­gar und fei­ge machen.

In der Tat wur­de selbst der öku­me­ni­sche Gedenk­got­tes­dienst in der Kreuz­kir­che dazu benutzt (“miß­braucht”?), eben nicht hin­zu­se­hen auf die Opfer des 13. und 14. Febru­ar und um sie zu trau­ern, son­dern um mit dem Hin­weis auf die “70 Gerech­ten” erneut das Bewußt­sein der deut­schen Schuld zu stärken:

Beim öku­me­ni­schen Got­tes­dienst in der Kreuz­kir­che wur­den Tex­te von Vic­tor Klem­pe­rer ver­le­sen und all den ande­ren Dresd­ner Juden gedacht, die, den Depor­ta­ti­ons­schein schon in der Tasche, durch die Bom­ben­nacht wie ein Wun­der mit dem Leben davonkamen.

In die­ser Schief­la­ge ist es kein Wun­der, wenn das Ver­dräng­te in Form eines JLO-Trau­er­mar­sches wie­der­kehrt und den ver­ängs­tig­ten Bür­ger an sei­ne ver­schüt­te­te Geschich­te, an sein ver­leug­ne­tes Ich erin­nert. “Ver­söh­nung” bedeu­tet ihm, sich selbst zu ver­ges­sen, bis er nicht mehr Roß noch Rei­ter zu nen­nen imstan­de ist. Der “Nazi” ist nichts ande­res als sein “Schat­ten” im Sin­ne C. G. Jungs. Er reagiert regres­siv und mit der Flucht in den Kitsch, was schon allein der häu­fi­ge Gebrauch der infan­ti­len Voka­bel “bunt” signa­li­siert. Kitsch ist es auch, eine Gegen­de­mo am Jah­res­tag der Bom­bar­die­rung unter anlaß­fer­ne Mot­ti wie “gegen Frem­den­feind­lich­keit” und den Klas­si­ker “für Welt­of­fen­heit und Tole­ranz” zu stel­len. Wäh­rend die Läm­mer artig blö­ken und in ihrer eige­nen Sen­ti­men­ta­li­tät Voll­bä­der neh­men, schi­cken sie die Sturm­trup­pen los, um all das Häß­li­che, Ver­dräng­te und Unbe­que­me, das da in Form eines rechts­ra­di­ka­len Trau­er­zugs her­an­naht, mit Gewalt zu unter­drü­cken, um den Preis, bald selbst zu den nütz­li­chen Dep­pen ihrer Boden­trup­pe und zu ihren eige­nen Ker­enskis zu werden.

Aber kei­ne Angst. Die Schwen­ker der roten Fah­nen, der fünf­za­cki­gen Ster­ne, der Ham­mer-und-Sichel-Emble­me sind nicht mehr die knall­har­ten Kämp­fer, die der Welt einst Bür­ger- und Gue­ril­la­krie­ge, Hun­gers­nö­te, Gulags und Umer­zie­hungs­la­ger, Depor­ta­tio­nen, Geno­zi­de, Mas­sen­er­schie­ßun­gen, Gedan­ken­kon­trol­le und Poli­zei­staa­ten beschert haben. Was in Dres­den in allen sozia­lis­ti­schen Farb­schat­tie­run­gen schil­ler­te, waren alte Dep­pen, ein­fäl­ti­ge Bie­der­män­ner und ver­hetz­te Kin­der ohne Lebens­sinn und ohne Zukunft, mit “bun­ter” Klei­dung und schwarz-wei­ßer Den­ke, der patho­lo­gi­sche Ent­zün­dungs­herd eines Vol­kes, das einen fre­ne­ti­schen Mehr­fron­ten­krieg für sei­ne eige­ne Abschaf­fung kämpft, um letzt­lich den Platz frei zu machen für stär­ke­re Batail­lo­ne, die gewiß kom­men werden.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.