Jud Süß revisited

Jeder hat schon vom berüchtigtsten Werk der deutschen Filmgeschichte, Veit Harlans Jud Süß (1940) gehört, gesehen haben es nur wenige, und wenn dann in der Regel lediglich in matschigen Raubkopien, die im Internet kursieren.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Der von Goeb­bels per­sön­lich betreu­te anti­se­mi­ti­sche Pro­pa­gan­da­strei­fen soll­te in Form eines his­to­ri­schen Aus­stat­tungs­me­lo­dra­mas, gepfef­fert mit Ero­tik, Sen­ti­men­ta­li­tät und Gewalt, Stim­mung für die Juden­ver­fol­gung machen; das ist ihm dank einer geschick­ten Insze­nie­rung und der Mit­wir­kung von Jahr­hun­dert­schau­spie­lern wie Hein­rich Geor­ge und Wer­ner Krauß auch so gut gelun­gen, daß er heu­te strengs­ter Indi­zie­rung unterliegt.

Daß das so blei­ben soll, fin­det auch Oskar Roeh­ler: “Das nöti­ge poli­ti­sche Bewußt­sein fehlt dem heu­ti­gen Publi­kum doch mehr als je zuvor.” Zumin­dest für sei­nen eige­nen, eben auf der Ber­li­na­le urauf­ge­führ­ten “Jud Süß – Film ohne Gewis­sen” scheint in Roeh­lers Augen das “poli­ti­sche Bewußt­sein” der Deut­schen aller­dings ent­wi­ckelt genug zu sein.  Die­ser dreht sich um die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Ori­gi­nals, mit des­sen öster­rei­chi­schem Haupt­dar­stel­ler Fer­di­nand Mari­an (Tobi­as Moret­ti) im Mit­tel­punkt, der sich eher unwil­lig und nur durch mas­si­ven Druck Goeb­bels’ in die Rol­le des las­zi­ven und skru­pel­lo­sen Schur­ken “Jud” Süß Oppen­hei­mer fügte.

Dabei haben sich die Dreh­buch­au­to­ren eini­ge gra­vie­ren­de Frei­hei­ten her­aus­ge­nom­men, und etwa Mari­ans Frau eine jüdi­sche Her­kunft ange­dich­tet, was den Pro­test sei­nes Bio­gra­phen Fer­di­nand Knil­li her­vor­ge­ru­fen hat, der den Machern “unnö­ti­ge Heroi­sie­rung” und “Betrof­fen­heits­kli­schees” vor­wirft. Was die­se mit einem Schuß unter die Gür­tel­li­nie quit­tier­ten (die Bewäl­ti­gungs­knöp­fe gehen eben in alle Rich­tun­gen los):

Des­sen Pro­du­zen­ten Mar­kus Zim­mer und Franz Novot­ny erklär­ten, Knil­li habe “eine sehr eige­ne Sicht­wei­se auf die Per­son des Schau­spie­lers Fer­di­nand Mari­an und auf die Ent­ste­hung des Fil­mes”, die man sich nicht zu eigen gemacht habe. Knil­li wol­le nicht erken­nen, wes­halb der Ori­gi­nal­film in Deutsch­land wei­ter­hin indi­ziert sei. (Der Stan­dard)

Wer die grel­len Melo­dra­men und Streß­ko­mö­di­en von Oskar Roeh­ler (“Ele­men­tar­teil­chen”) kennt, darf aller­dings skep­tisch sein, ob hier der Rich­ti­ge hin­ter der Kame­ra stand, und auch die Beset­zung Goeb­bels’ aus­ge­rech­net mit Moritz Bleib­treu ver­heißt nichts Gutes.  Den­noch lesens­wert und vol­ler uner­war­te­ter Blick­win­kel ist das Inter­view, das die Welt mit Roeh­ler geführt hat;  der Regis­seur macht dar­in ein paar tref­fen­de Bemer­kun­gen über den Ver­lust spe­zi­fisch deut­scher Film­tra­di­tio­nen nach 1945:

Die Welt: Das Werk des “Jud Süß”-Regisseurs Veit Har­lan wird heu­te fast voll­stän­dig unter der Pro­pa­gan­da­film­bril­le gesehen.

Roeh­ler: Er steht in einer spät­ro­man­ti­schen Strö­mung, die sich vom 19. weit ins 20. Jahr­hun­dert zieht, von Gus­tav Frey­tag über Richard Wag­ner bis Ste­fan Geor­ge. Die­se Art des Melo­drams hät­te sich wei­ter durch die deut­sche Kul­tur gezo­gen, wäre mit dem ver­lo­re­nen Krieg nicht die Öff­nung zum Wes­ten gekom­men. Wir hat­ten in der Bun­des­re­pu­blik ja eine lan­ge Pha­se – für mich reicht sie von den Sieb­zi­gern bis zur Jahr­hun­dert­wen­de -, in der wir uns am Kopie­ren ame­ri­ka­ni­scher Fil­me abar­bei­te­ten. Wir haben die­se Struk­tu­ren gelernt und begin­nen erst, sie für deut­sche Ver­hält­nis­se zu adaptieren.

Die Welt: Es ist seit einem Vier­tel­jahr­hun­dert schwie­rig, sich in Deutsch­land an etwas ande­rem zu ori­en­tie­ren als an ame­ri­ka­ni­scher Popkultur.

Roeh­ler: Genau. Die Amis sehen immer alles posi­tiv mit ihrer Küchen­psy­cho­lo­gie: Wie wer­de ich mei­ne schlech­ten Eigen­schaf­ten los und wie wer­de ich ein glück­li­cher Bür­ger? So sehen deren Main­stream-Fil­me aus, im Prin­zip. Das Grund­prin­zip der deut­schen Kul­tur basiert jedoch auch stark auf zer­stö­re­ri­schen Kräf­ten. Die­se dunk­len Kräf­te wur­den von den Schau­spie­lern kul­ti­viert. Sie hat­ten gelernt, ihre Dämo­nen auf der Lein­wand ein­zu­set­zen, und dar­in bestand die Fas­zi­na­ti­on unse­rer Fil­me in den Zwan­zi­gern, als das deut­sche Kino Welt­ruf besaß.

Roeh­lers Resü­mee steht dabei eher im Wider­spruch zu sei­nem volks­päd­ago­gi­schen Ver­dikt über das heu­ti­ge Publikumsbewußtsein:

Die Welt: Lan­ge Zeit muß­te ein Film über die Nazi-Zeit einen päd­ago­gi­schen Impe­tus vor­wei­sen: Auf­klä­rung, War­nung, Ent­schul­di­gung. Was hat Ihr “Jud Süß”?

Roeh­ler: Dar­über sind wir, glau­be ich, hin­aus. Es ist ein­fach ein Fas­zi­no­sum, wie das Drit­te Reich funk­tio­niert hat: ein Ver­bre­cher­fuß­volk, das plötz­lich einen Staat regiert. Mein Film ist eine klas­si­sche Para­bel über einen nicht beson­ders reflek­ti­ven Men­schen, der in die Müh­len eines Sys­tems gerät, nach oben gespült und durch eine Intri­ge zu Fall gebracht wird.

Die Welt: Es ist also nicht mehr beleh­rend, war­nend bei Ihnen?

Roeh­ler: Nicht mehr und nicht weni­ger als “Clock­work Oran­ge”. Der Zwang zur Beleh­rung, der durch­aus sei­ne Berech­ti­gung hat­te, ist nicht mehr gege­ben. Die Nazi-Zeit war nun ein­mal eine der haar­sträu­bend inter­es­san­tes­ten geschicht­li­chen Epo­chen. Es wer­den noch vie­le Fil­me übers Drit­te Reich gemacht werden.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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