Der von Goebbels persönlich betreute antisemitische Propagandastreifen sollte in Form eines historischen Ausstattungsmelodramas, gepfeffert mit Erotik, Sentimentalität und Gewalt, Stimmung für die Judenverfolgung machen; das ist ihm dank einer geschickten Inszenierung und der Mitwirkung von Jahrhundertschauspielern wie Heinrich George und Werner Krauß auch so gut gelungen, daß er heute strengster Indizierung unterliegt.
Daß das so bleiben soll, findet auch Oskar Roehler: “Das nötige politische Bewußtsein fehlt dem heutigen Publikum doch mehr als je zuvor.” Zumindest für seinen eigenen, eben auf der Berlinale uraufgeführten “Jud Süß – Film ohne Gewissen” scheint in Roehlers Augen das “politische Bewußtsein” der Deutschen allerdings entwickelt genug zu sein. Dieser dreht sich um die Entstehungsgeschichte des Originals, mit dessen österreichischem Hauptdarsteller Ferdinand Marian (Tobias Moretti) im Mittelpunkt, der sich eher unwillig und nur durch massiven Druck Goebbels’ in die Rolle des lasziven und skrupellosen Schurken “Jud” Süß Oppenheimer fügte.
Dabei haben sich die Drehbuchautoren einige gravierende Freiheiten herausgenommen, und etwa Marians Frau eine jüdische Herkunft angedichtet, was den Protest seines Biographen Ferdinand Knilli hervorgerufen hat, der den Machern “unnötige Heroisierung” und “Betroffenheitsklischees” vorwirft. Was diese mit einem Schuß unter die Gürtellinie quittierten (die Bewältigungsknöpfe gehen eben in alle Richtungen los):
Dessen Produzenten Markus Zimmer und Franz Novotny erklärten, Knilli habe “eine sehr eigene Sichtweise auf die Person des Schauspielers Ferdinand Marian und auf die Entstehung des Filmes”, die man sich nicht zu eigen gemacht habe. Knilli wolle nicht erkennen, weshalb der Originalfilm in Deutschland weiterhin indiziert sei. (Der Standard)
Wer die grellen Melodramen und Streßkomödien von Oskar Roehler (“Elementarteilchen”) kennt, darf allerdings skeptisch sein, ob hier der Richtige hinter der Kamera stand, und auch die Besetzung Goebbels’ ausgerechnet mit Moritz Bleibtreu verheißt nichts Gutes. Dennoch lesenswert und voller unerwarteter Blickwinkel ist das Interview, das die Welt mit Roehler geführt hat; der Regisseur macht darin ein paar treffende Bemerkungen über den Verlust spezifisch deutscher Filmtraditionen nach 1945:
Die Welt: Das Werk des “Jud Süß”-Regisseurs Veit Harlan wird heute fast vollständig unter der Propagandafilmbrille gesehen.
Roehler: Er steht in einer spätromantischen Strömung, die sich vom 19. weit ins 20. Jahrhundert zieht, von Gustav Freytag über Richard Wagner bis Stefan George. Diese Art des Melodrams hätte sich weiter durch die deutsche Kultur gezogen, wäre mit dem verlorenen Krieg nicht die Öffnung zum Westen gekommen. Wir hatten in der Bundesrepublik ja eine lange Phase – für mich reicht sie von den Siebzigern bis zur Jahrhundertwende -, in der wir uns am Kopieren amerikanischer Filme abarbeiteten. Wir haben diese Strukturen gelernt und beginnen erst, sie für deutsche Verhältnisse zu adaptieren.
Die Welt: Es ist seit einem Vierteljahrhundert schwierig, sich in Deutschland an etwas anderem zu orientieren als an amerikanischer Popkultur.
Roehler: Genau. Die Amis sehen immer alles positiv mit ihrer Küchenpsychologie: Wie werde ich meine schlechten Eigenschaften los und wie werde ich ein glücklicher Bürger? So sehen deren Mainstream-Filme aus, im Prinzip. Das Grundprinzip der deutschen Kultur basiert jedoch auch stark auf zerstörerischen Kräften. Diese dunklen Kräfte wurden von den Schauspielern kultiviert. Sie hatten gelernt, ihre Dämonen auf der Leinwand einzusetzen, und darin bestand die Faszination unserer Filme in den Zwanzigern, als das deutsche Kino Weltruf besaß.
Roehlers Resümee steht dabei eher im Widerspruch zu seinem volkspädagogischen Verdikt über das heutige Publikumsbewußtsein:
Die Welt: Lange Zeit mußte ein Film über die Nazi-Zeit einen pädagogischen Impetus vorweisen: Aufklärung, Warnung, Entschuldigung. Was hat Ihr “Jud Süß”?
Roehler: Darüber sind wir, glaube ich, hinaus. Es ist einfach ein Faszinosum, wie das Dritte Reich funktioniert hat: ein Verbrecherfußvolk, das plötzlich einen Staat regiert. Mein Film ist eine klassische Parabel über einen nicht besonders reflektiven Menschen, der in die Mühlen eines Systems gerät, nach oben gespült und durch eine Intrige zu Fall gebracht wird.
Die Welt: Es ist also nicht mehr belehrend, warnend bei Ihnen?
Roehler: Nicht mehr und nicht weniger als “Clockwork Orange”. Der Zwang zur Belehrung, der durchaus seine Berechtigung hatte, ist nicht mehr gegeben. Die Nazi-Zeit war nun einmal eine der haarsträubend interessantesten geschichtlichen Epochen. Es werden noch viele Filme übers Dritte Reich gemacht werden.