Hommage à Luis Buñuel

Ganz rund ist der Jahrestag meines heutigen Kalenderblatts zwar nicht, dennoch möchte ich heute ein paar Zeilen dem Werk von Luis Buñuel widmen, ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

… der am 22. Febru­ar 1900 im ara­go­ni­schen Calan­da gebo­ren wur­de. Zwi­schen 1929 und 1977 dreh­te Buñuel über drei­ßig Fil­me in Frank­reich, Spa­ni­en und Mexi­ko. Er gilt als einer der gro­ßen Sub­ver­si­ven, Pro­vo­ka­teu­re und Umstürz­ler des Kinos mit einer von Skan­da­len gesäum­ten Karriere.

Der aus einem groß­bür­ger­li­chen (sein Vater war ein ver­mö­gen­der Self­ma­de-Mann und Guts­be­sit­zer), streng katho­li­schen Milieu stam­men­de Buñuel schloß sich im Paris der zwan­zi­ger Jah­re den Sur­rea­lis­ten um André Bre­ton an und wur­de zum glü­hen­den Sym­pa­thi­san­ten des Kommunismus.

Sein Regie­de­büt, der gemein­sam mit Sal­va­dor Dalí geschrie­be­ne Kurz­film “Ein anda­lu­si­scher Hund, eine wüs­te Bil­der­fol­ge aus Traum- und Schock­bil­dern, wur­de zum kano­ni­schen Werk der Avant­gar­de. Nach einem lan­gen Kar­rie­re­tief tauch­te Buñuel in den fünf­zi­ger Jah­ren wie­der aus der Ver­sen­kung auf. Im mexi­ka­ni­schen Exil, in das er sich über die Zwi­schen­sta­ti­on USA nach Aus­bruch des Spa­ni­schen Bür­ger­kriegs zurück­ge­zo­gen hat­te, enstan­den Klas­si­ker wie “Los Olvi­d­ados” (1950) und “Naza­rin” (1958), in Frank­reich sei­ne heu­te bekann­tes­ten Fil­me wie “Bel­le de Jour” (1967) und “Der dis­kre­te Charme der Bour­geoi­sie” (1972).

Buñuel zählt auch heu­te noch zu den Cine­as­ten-Göt­tern, wenn­gleich die kul­ti­sche Ver­eh­rung, die er in den sech­zi­ger und sieb­zi­ger Jah­ren genoß, gewiß abge­nom­men hat. Ich kann mich an einen Arti­kel in einer alten JF erin­nern, in dem er als Lieb­ling der lin­ken Cine-Snobs und sei­ne Fil­me als Schnee von vor­ges­tern aus der Zeit der Pro­gramm­ki­nos hin­ge­stellt wur­de. In der Tat hat Buñuel sei­ne stärks­te öffent­li­che Wir­kung ent­fal­tet, als die poli­ti­schen Schlach­ten noch nicht so nach­hal­tig ent­schie­den waren wie heu­te. Die Zita­del­len, die Buñuel zu stür­men such­te, wie Kir­che, Mili­tär, Bür­ger­tum sind längst eingenommen.

Vie­le der “blas­phe­mi­schen” Wit­ze und sozia­len Gags Buñuels wer­den vom heu­ti­gen Publi­kum zum Teil kaum mehr ver­stan­den. Um ihn voll zu erfas­sen, muß man mit dem kul­tu­rel­len Reso­nanz­raum sei­ner Bil­der ver­traut sein, einen “Draht” zu sei­ner spe­zi­fi­schen Sen­si­bi­li­tät besit­zen.  Die “sub­ver­si­ve” Span­nung und die sub­ti­le Ero­tik sei­ner Fil­me fußt auf einer Dia­lek­tik zwi­schen Ver­bot und Über­tre­tung, die in einer weit­ge­hend per­mis­si­ven Zeit auf­ge­ho­ben ist. In sei­nem Lebens­rück­blick “Mein letz­ter Seuf­zer” (eines der schöns­ten Erin­ne­rungs­bü­cher über­haupt) schrieb er:

Tod und Glau­be. Ihre All­ge­gen­wart und Macht. Im Kon­trast dazu war die Lebens­freu­de um so stär­ker. Die Ver­gnü­gen, stets ersehnt, gewan­nen an Inten­si­tät, wenn es gelang, sie zu befrie­di­gen. Hin­der­nis­se ver­stärk­ten die Freu­de noch.

Die­ser Zwie­spalt zog sich auch durch die wider­sprüch­li­che Per­son des Regis­seurs. Fas­zi­niert vom Radi­ka­lis­mus, führ­te er ein beschau­li­ches gut­bür­ger­li­ches Leben mit einer Jahr­zehn­te anhal­ten­den glück­li­chen Ehe. Als “Athe­ist von Got­tes Gna­den” war er zeit­le­bens von der Welt des Katho­li­zis­mus, in der er auf­ge­wach­sen war, eben­so fas­zi­niert wie abge­sto­ßen. Zu sei­nen engen Freun­den zähl­ten Pries­ter eben­so wie radi­ka­le Kom­mu­nis­ten. Und immer­hin stand die Welt des Glau­bens auf ver­que­re Wei­se der Welt des Irra­tio­na­len und Uner­klär­li­chen nahe, die der Sur­rea­lis­mus gegen die Ratio­na­li­sie­rung, Mecha­ni­sie­rung und Ent­zau­be­rung der Welt ins Spiel gebracht hatte.

“Die Milch­stra­ße” (1969) erschien den einen als “anti­re­li­giö­ser Kampf­film”, den ande­ren, wie etwa Julio Cor­tá­zar, kam der Film vor, “als wäre er vom Vati­kan bezahlt.”  Fil­me wie “Naza­rin” und “Viri­dia­na” (1961) sind weit davon ent­fernt, anti­re­li­giö­ser Agit­prop zu sein wie noch “L’A­ge d’Or” (1930). Im Gegen­teil zei­gen sie mit einer durch fei­ne Iro­nie gebro­che­nen Sym­pa­thie christ­li­che Toren, deren kon­se­quent umge­setz­tes Ide­al an den Rea­li­tä­ten der Welt, der Gesell­schaft und des Mensch­seins scheitert.

Auch Buñuels frü­he Lei­den­schaft für den Kom­mu­nis­mus beruh­te weni­ger auf einem sozia­len Enga­ge­ment als auf der Fas­zi­na­ti­on an der Gewalt, dem Umsturz, der Iko­no­klas­tik und der Umwer­tung aller Wer­te, gemäß dem berühm­ten Dik­tum von Bre­ton, daß der ein­fachs­te sur­rea­lis­ti­sche Akt dar­in bestün­de, mit einem Revol­ver wahl­los in die Men­ge zu feu­ern.  Noch am Ende sei­nes Lebens bekann­te er:

Die Sym­bo­lik des Ter­ro­ris­mus, die unse­rem Jahr­hun­dert zu eigen ist, hat mich immer ange­zo­gen. Ich mei­ne den tota­len Ter­ro­ris­mus, der auf die Zer­stö­rung jeder Gesell­schaft zielt, der gan­zen mensch­li­chen Ras­se. Aber ich habe nur Ver­ach­tung für die, die aus dem Ter­ro­ris­mus eine poli­ti­sche Waf­fe im Kampf um irgend­ei­ner Sache wil­len machen.

Unty­pisch links ist auch, daß Buñuels Men­schen­bild alles ande­re als rous­se­au­is­tisch war.  In der absur­den Para­bel “Der Wür­ge­en­gel” (1960) fin­det sich eine Abend­ge­sell­schaft unter uner­klär­li­chen Umstän­den in ein Zim­mer gebannt, das sie wie unter Zwang nicht ver­las­sen kann. Nach nur weni­gen Stun­den Gefan­gen­schaft beginnt der Lack der Zivi­li­sa­ti­on wie in Gol­dings “Herr der Flie­gen” nach­hal­tig abzu­blät­tern.  Die Armen und Unter­drück­ten aus dem sozi­al­kri­ti­schen Klas­si­ker “Los Olvi­d­ados”, die Bett­ler und Obdach­lo­sen, denen die ehe­ma­li­ge Non­ne Viri­dia­na ein Heim zu geben ver­sucht, sind ver­schla­gen, faul, ego­is­tisch und gewalt­tä­tig. Jeder Aus­ge­beu­te­te trägt einen poten­ti­el­len Aus­beu­ter in sich.

Das Lei­den der Men­schen und der Tie­re hat tie­fe­re Wur­zeln, als irgend­ei­ne sozia­le Theo­rie jemals erfas­sen oder gar kurie­ren könn­te. Der Doku­men­tar­film “Las Hur­des – Land ohne Brot” (1934) schil­der­te das Elend einer ver­arm­ten Regi­on Spa­ni­ens in der­art dras­ti­schen (und vom Regis­seur bewußt mani­pu­lier­ten) Bil­dern, daß am Ende eine bei­nah sur­rea­lis­ti­sche Visi­on einer – frei nach Cioran – “ver­fehl­ten Schöp­fung” her­aus­kam. Spä­ter bekam Buñuels Pes­si­mis­mus apo­ka­lyp­ti­sche Dimen­sio­nen, und als die moder­nen vier Rei­ter der End­zeit nann­te er “die Über­be­völ­ke­rung, die Wis­sen­schaft, die Tech­nik und die Medien.”

Den­noch gibt es kei­nen Zwei­fel an der Echt­heit des wüten­den sozia­len Pro­tests der Fil­me Buñuels. Hin­ter der schein­ba­ren Grau­sam­keit, dem schwar­zen Humor und dem Sar­kas­mus sei­ner Bil­der und Sze­nen steckt eine sen­si­ble und unsen­ti­men­ta­le Anteil­nah­me für  Lei­den und Ver­wor­fen­heit der Krea­tur gleichermaßen.

Tat­säch­lich gibt es in den rei­fen Fil­men Buñuels kaum mehr “gute” und “böse” Men­schen, weder Hel­den noch Schur­ken, nicht ein­mal mehr ein­deu­ti­ge Sym­pa­thie­trä­ger. Fran­çois Truf­f­aut schrieb, daß Buñuels Dreh­bü­cher “auf dem Prin­zip des Wech­sel­ba­des” beru­hen, durch “abwech­selnd freund­li­che und unfreund­li­che, posi­ti­ve und nega­ti­ve, logi­sche und unsin­ni­ge Fest­stel­lun­gen – und dies sowohl hin­sicht­lich der Figu­ren als auch der Situa­tio­nen. (…) Dar­aus rührt das Para­do­xon, das weg­führt von der Psy­cho­lo­gie und hin zum Leben.”

Buñuel war einer die­ser Geschich­ten­er­zäh­ler, die zu den erklär­ten Fein­den der Ideo­lo­gen und “schreck­li­chen Ver­ein­fa­cher” zäh­len.  Andrej Tar­kow­skij schrieb:

In sei­nen Fil­men sto­ßen wir immer auf das Pathos des Non­kon­for­mis­mus. Buñuels lei­den­schaft­li­cher, unver­söhn­li­cher und uner­bitt­li­cher Pro­test kommt vor allem in der emo­tio­na­len Struk­tur sei­ner auch emo­tio­nal anste­cken­den Fil­me zum Ausdruck. (…)

Buñuel ver­fügt über genü­gend künst­le­ri­sches Gespür, um nicht in rein poli­ti­sches Pathos zu ver­fal­len, das mei­ner Mei­nung nach stets ver­lo­gen ist, wenn es in einem Kunst­werk unmit­tel­bar zum Aus­druck kommt. Buñuel ist aber vor allem von poe­ti­schem Bewußt­sein bestimmt.  Er weiß, daß eine ästhe­ti­sche Struk­tur kei­ner­lei Dekla­ra­tio­nen bedarf. Daß die Stär­ke der Kunst viel­mehr in etwas ganz ande­rem liegt, in ihrer emo­tio­na­len Überzeugungskraft. (…)

Buñuels Schaf­fen ist tief in der klas­si­schen spa­ni­schen Kul­tur ver­wur­zelt. Ohne lei­den­schaft­li­chen Bezug zu Cer­van­tes und El Gre­co, zu Goya, Lor­ca und Picas­so, zu Sal­va­dor Dalí und zu Arra­bal ist er nicht denk­bar. Deren Schaf­fen vol­ler wüten­der und zärt­li­cher, voll span­nungs­ge­la­de­ner und pro­tes­tie­ren­der Lei­den­schaf­ten ent­springt sowohl tiefs­ter Hei­mat­lie­be als auch einem sie stets beherr­schen­den Haß auf lebens­feind­li­che Scha­blo­nen, auf ein herz­lo­ses und kal­tes Aus­quet­schen der Gehirne.

Mehr noch als das Werk irgend­ei­nes ande­ren Regis­seurs gewin­nen Buñuels Fil­me mit jedem wie­der­hol­ten Sehen, wer­den, wie Jac­ques Rivet­te ein­mal anmerk­te, “geheim­nis­vol­ler, stär­ker und prä­zi­ser”.  In ihnen fin­det sich alles, was Armin Moh­ler gegen die Herr­schaft der “All-Gemein­hei­ten” ins Fel­de führ­te: die Erkennt­nis, daß die Welt und der Mensch “nicht auf­ge­hen”, daß die mensch­li­che Exis­tenz von Para­do­xien bestimmt ist, Emo­tio­nen stär­ker sind als die nack­te Ratio und daß unse­re Erkennt­nis­fä­hig­keit begrenzt ist. Im Werk Buñuels ist genau hier aber auch der Ort des Wun­der­ba­ren, des Eigen­sinns und der Revolte.

Bild: Wiki­pe­dia

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.