in die ich schnell geschlüpft war, auf dem Weg zur „Gelben Tonne“ im Schnee ausrutschte und hinfiel, war mein erster Gedanke ziemlich absurd:
Gott sei Dank, daß ich a) auf’m Dorf wohne, wo alle längst „auf Arbeit“ sind und b) eine unbedeutende Person bin. Keiner da und keine Notwendigkeit, diesen Ausrutscher boshaft zu kommentieren. Nicht auszudenken, Henryk M. Broder wohnte a) gegenüber (in den alten Gesindehäusern des Ritterguts) und schaute b) grade aus dem Fenster, und ich sei c) jemand, der publizistisch in seinem Terrain wilderte! Was hätte es da zu lachen gegeben!
Aber all dies traf nicht zu, und ich sammelte, wieder gefaßt, den Plastemüll auf. Von Broder ist bekannt, daß er die „Splitter im Auge des Bruders“ für Baumstämme nimmt und dabei den Balken im eigenen Auge nonchalant übersieht, selbst eine Seite wie Endstation-rechts hatte unlängst mit gutem Grund darauf aufmerksam gemacht. Daß Broder keinesfalls zwischen allen Stühlen sitze, sondern über ihnen throne, mag eine im wohlgefällige Beschreibung sein.
Auch der 81jährige Reuven Moskovitz, der sich gelegentlich offenbar ungerechtfertigt “Dr.” nennen ließ – etwa 2003 bei der Verleihung des Aachener Friedenspreises an ihn – ist bereits Zielscheibe seines bloßstellenden Hohns geworden.
Moskovitz ist Friedensaktivist im israelisch-palästinensischen Konflikt und daneben bemüht um eine deutsch-israelische Verständigung. In der gerade noch aktuellen und wieder äußerst lesenswerten Jüdischen Zeitung (Februar 2010, die Netzpräsenz wird nicht regelmäßig aktualisiert), setzt er sich mit dem nach seiner Sicht symbiotischen Verhältnis zwischen Juden und Deutschen auseinander: Juden und Deutsche – Zwischen aufgeklärter und verklärter Symbiose ist sein Großartikel betitelt.
Moskovitz meint, die Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Deutschen (mit Höhepunkten zu Zeiten der Aufklärung und in der Weimarer Republik), seien durch Nationalsozialismus und Holocaust nicht zu einem letztgültigen Ende gekommen. „Heute“, so der aus Rumänien stammende Jude, „kann man von einer fast kriminellen deutsch-jüdischen Symbiose sprechen“. Die Tragik der Geschichte
„führte dazu, daß die meisten Juden sich als ultimative Opfer darstellen und fühlen, auch wenn sie eigentlich schon Täter geworden sind. Dagegen nehmen die Deutschen eine Schuldidentität an, auch wenn sie schon keine Täter mehr sind. Die Folgen zeigen sich katastrophal. Die deutsche Außenpolitik hat sich seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel total der israelischen „Sicherheitspolitik“ unterworfen. (…) Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die Erklärung der Bundeskanzlerin Merkel, daß bedingungslose Solidarität mit Israel deutsche Staatsraison ist. “
Moskovitz spricht vom Ausspielen einer „Auschwitz-Trumpfkarte“ durch Israel und viele deutsche Juden, die „oft Formen von geistiger Erpressung“ annehme.
“Dadurch werden viele anständige und sensible Deutsche traumatisiert. Sie haben Angst, als Antisemiten verunglimpft zu werden. So haben sie sich damit abgefunden, Israel als sakrosankt zu betrachten.“
Für Moskovitz hinsichtlich der gewandelten (er sagt: „pervertierten“) symbiotischen Beziehung sowohl ein „moralisches Versäumnis“ als auch ein „realpolitischer Fehler“, weil Deutschland damit als „ehrlicher Vermittler“ im Nahost-Konflikt nicht ernsthaft tauge.
Maßlosigkeit habe zu den Niederlagen Deutschlands im 20. Jahrhundert geführt, und eine ähnliche Maßlosigkeit zeige sich heute – Moskovitz will dies wohl auch unter die Gemeinsamkeiten fassen – in der israelischen Politik und Gesellschaft. Womit wir auch wiederum bei Broder wären.