Buchstäblicher Verdacht

Ich bin mir sicher: Den üblichen Aufdrucken auf T-Shirts und Pullis wird generell wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Eine Zeit­lang pfleg­te ich bei Klas­sen­ka­me­ra­den mei­ner Kin­der nach­zu­fra­gen: „Sag mal, was bedeu­tet eigent­lich die­se Auf­schrift, die du da auf dei­ner Brust spa­zie­ren­trägst: Chi­ca­go Slam Dunk Gre­at Com­pe­ti­ti­on Sin­ce 1978 We must win? Hast Du da mal an einem Wett­be­werb teil­ge­nom­men, in Chi­ca­go, oder was?“

Oder. „Du heißt doch gar nicht Tom Tail­or? Ist das ein Kum­pel von Dir? Und was heißt noch mal Retai­ned Hid­den Secret 1962?“ Weil nie auch nur eine halb­wegs ori­gi­nel­le Ant­wort kam, fand ich selbst mei­ne Nach­fra­gen irgend­wann omamä­ßig und been­de­te die Feldforschung.

Einen Rück­fall in alte Gewohn­hei­ten hat­te ich zur Schul­jah­res­ab­schluß­fei­er im ver­gan­ge­nen Som­mer. Da wur­den die Absol­ven­ten der vier­ten Klas­se vom „Eltern­ak­tiv“, wie das hier seit DDR-Zei­ten heißt, mit bedruck­ten Hem­den über­rascht, die ihnen sogleich über­ge­streift wur­den. Auf der Vor­der­sei­te stand „Abgän­ger 209“, auf der Rück­sei­te: „Die zwei­te Null steckt in die­sem Shirt“. Obwohl ich zurück­hal­tend bin mit sol­chen Voka­beln: Ich fand’s schlicht men­schen­ver­ach­tend und übel­keits­er­re­gend. Wit­zisch­keit hat durch­aus Gren­zen. Wie sah’s die Rek­to­rin auf die­sem gro­ßen Fest? „Ach, wenn sie wüß­ten, wie mich das grämt. Nur: ich mag mich nicht dau­ernd in die Nes­seln set­zen. Spre­chen Sie doch – sehr gern – die Eltern mal drauf an.“ Ich tat’s und hat­te folg­lich drei Damen, die mich nicht mehr grü­ßen. Selbst­si­che­re Ant­wort: „Das Pro­blem haben Sie. Uns gefällt’s, den Kin­dern auch. Nie­mand nimmt Anstoß, machen Sie sich mal locker.“

Über­haupt nicht locker hat sich jeden­falls gera­de das Land­ge­richt Neu­rup­pin gemacht. In einer Beru­fungs­ver­hand­lung bestä­tig­te es ein Urteil des Amts­ge­richts Prenz­lau und schick­te einen 33jährigen Mann wegen Ver­wen­dung von Kenn­zei­chen ver­fas­sungs­wid­ri­ger Orga­ni­sa­tio­nen für sechs Mona­te hin­ter Git­ter. Er hat­te über einem Ober­teil der Mar­ke „Con­sda­p­le“ eine Jacke getra­gen, die offen­stand, so daß, wer woll­te und genau hin­sah, die Buch­sta­ben­fol­ge NSDAP hät­te lesen kön­nen – gesetzt den Fall, daß die geöff­ne­te Jacke straff anlä­ge und exakt jene fünf ver­fas­sungs­wid­ri­gen Buch­sta­ben offen­stell­te. Aus einem ande­ren Urteil geht her­vor, daß das Tra­gen des “Consdaple”-Logos ohne Jacke (oder eben mit geschlos­se­ner…) nicht straf­be­wehrt ist.

Anzu­mer­ken ist, daß a) der Delin­quent bereits „ein­schlä­gig“ vor­be­straft war und b) der in Lands­hut ansäs­si­ge Kla­mot­ten-Ver­sand eben nicht das Geschäft eines omi­nö­sen Herrn Con­sda­p­le betreibt, son­dern außer­dem unter ande­rem als „Mili­tär­kap­pen“ dekla­rier­te Base­caps mit der unver­fäng­li­chen Auf­schrift „Wehr­macht“ und diver­se „his­to­ri­sche“ Flag­gen (Reichs­kriegs­fah­ne etc.) feil­bie­tet. Es steht folg­lich zu ver­mu­ten: Der Ver­ur­teil­te war kein fashion-vic­tim, son­dern woll­te es mit einem toll­küh­nen Gag „denen da“ zei­gen, und wenn “die da” auch nur die Mit­glie­der sei­ner eige­nen peer-group wären.

Die Fra­ge ist, wel­che tat­säch­li­che Gefahr für die All­ge­mein­heit oder den öffent­li­chen Frie­den von solch prä­po­ten­ter Pro­vo­ka­ti­on aus­geht? Ver­mut­lich die­sel­be, die man – längst nicht mehr ver­ge­be­nen – Auto­kenn­zei­chen wie HJ, SS oder Num­mern wie 88 und 18 nach­sagt. Scheint, als stün­de unse­re Demo­kra­tie auf töner­nen Füßen, als dro­he ohne sol­che Maß­nah­men eine Regie­rungs­über­nah­me von Neo-Nationalsozialisten.

Extre­me Vor­sicht ist allent­hal­ben die Mut­ter der Por­zel­lan­kis­te. Bei­spie­le sind man­nig­fal­tig: Mei­nen Töch­tern ist unter­sagt, zu behaup­ten, daß “dass” heu­te mit „ss“ geschrie­ben wer­de: „Bit­te! Wir wol­len uns auf Doppel‑S eini­gen, ja? “

Unser Bun­des­land, Sach­sen-Anhalt, darf seit län­ge­rem nicht mehr mit dem sinn­fäl­li­gen SA abge­kürzt wer­den (ana­log zu Rhein­land-Pfalz = RP, Schles­wig-Hol­stein= SH, Meck­len­burg-Vor­pom­mern = MV), es muß laut bun­des­of­fi­zi­el­ler Norm „ST“ hei­ßen, oder, weil ein­zel­ne Lan­des­ord­nun­gen quer­schie­ßen „LSA“.

Zu Beginn mei­nes Stu­di­ums beleg­te ich noch Semi­na­re und Vor­le­sun­gen in Som­mer­se­mes­tern, die durch­weg mit SS abge­kürzt wurden.

Bald hieß es statt „SS 94“ „SoSe 96“.

Liegt’s nah? Liegt’s fern? Wo endet die gut-deut­sche Nei­gung zur Hygie­ne, wo beginnt der patho­lo­gi­sche Putz­fim­mel? Klei­dungs­stü­cke mit Auf­dru­cken sind in unse­rer Fami­lie jeden­falls aus ästhe­ti­schen Grün­den eher verpönt.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.