Man hat sich daran gewöhnt, in den Kammern voller Roths, Dittrichs, Hummes und Glos-Typen geistig, charakterlich und körperlich fehlgeformte Souveränitätsoperatoren agieren zu sehen.
Dieser Mißstand tritt im Europäischen Parlament am traurigsten zutage: auf jedem Brüsseler Polstersesselchen ein abgeschobener Charismakrüppel, den es von den heimischen Bevölkerungen fernzuhalten gilt, der aber schon zu fest im Parteiendickicht verwachsen ist, als daß man ihn einfach fallenlassen könnte. Parteiasylanten.
Um so erfrischender das Auftreten des britischen Abgeordneten Nigel Farage von der United Kingdom Independence Party (UKIP): Anders als die überwiegende Mehrheit seiner politischen Gegner hat er sein Mandat nicht deshalb inne, weil er in der Heimat zum Altöl der Parteimaschine gehört. Und anders als diese beharrt er nicht deshalb darauf, weil ihn der hohe Lebensstandard reizt, den Diäten und Pension einem Parlamentarier sichern. „Meine Kollegen und ich sind keine Berufspolitiker“, sagt er. „Ich bin ein Mann aus der Wirtschaft – mit der Politik habe ich angefangen, weil ich merkte, daß niemand mich repräsentiert.“
Farage unterscheidet sich von dem, was man sonst aus Bundestag und Europaparlament kennt: Eloquent, sehr genau und konsequent in dem, was er denkt, sagt und tut, verkörpert er einen Elitetypus, von dem man meinen konnte, daß selbst sein Schatten bereits verschwunden sei. Farage wird nicht müde, die Funktionäre der EU darauf hinzuweisen, daß sie nicht einmal ihren eigenen Ansprüchen genügen können, daß ihr ständiges Geschwafel von Demokratie sich in den immer gleichen Phrasen erschöpft und daß, wer sich ständig selbst feiert, wenigstens irgendwann schon mal was geleistet haben sollte.
Die Begriffe der „politischen Klasse“, der sich ja auch bei uns etabliert, und des „postdemokratischen Zeitalters“ benutzt er häufig. Er spricht von der „Freiheit der europäischen Völker“, trat gegen den Vertrag von Lissabon ein und macht sich über die Selbstbedienungsmentalität der Brüsseler Beamten lustig. Für Tumult im Europäischen Parlament sorgte er zu Beginn letzten Monats, als er in Anlehnung an den „eisernen Vorhang“ die EU als „eine eiserne Faust über Europa“ bezeichnete und damit die beiden „Völkerkerker“ EU und SU nebeneinander stellte. Dies, nachdem er bereits im vergangenen November darauf hingewiesen hatte, daß die neue EU-Außenministerin Ashton in ihrem gesamten Leben noch nie in ein öffentliches Amt gewählt worden ist und in dem sehr begründeten Verdacht steht, Organisationen aus dem Umfeld der sogenannten „Friedensbewegung“ und KP mit Geld des sowjetischen Geheimdienstes finanziert zu haben.
Letzte Woche brachte Farage sein Anliegen ein weiteres Mal aufsehenerregend auf den Punkt: Im Plenum des Parlaments sprach er dem Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy die demokratische Legitimation ab und attestierte diesem das „Charisma eines feuchten Waschlappens und das Auftreten eines niederen Bankangestellten“. Er sprach an, daß der wichtigste Posten der EU von jemandem besetzt ist, den in ganz Europa faktisch niemand kennt und, was noch viel schlimmer ist, dieser Mann auch weder gewählt ist noch daß die Wähler irgendeine gesetzeskonforme Möglichkeit haben, sich dieser Person zu entledigen. Das sind ja keine Meinungen, sondern Tatsachen, die sich einfach nicht bestreiten lassen – trotzdem reagierten die anwesenden Parlamentarier der anderen Parteien mit Buhrufen und wüsten Schmähungen. Das wiederum läßt die Frage aufkommen, wer in diesem Parlament eigentlich der Störenfried ist: der Parlamentarier, der sein Recht auf Opposition wahrnimmt oder derjenige, der seinen politischen Gegner niederlärmt?
Sicher kann man Farage seinen Idealismus zum Vorwurf machen. Sein Ziel, den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union oder eine totale Umstrukturierung und Demokratisierung Europas durch Parlamentsarbeit zu erzwingen, gleicht einer Sisyphosarbeit. Nichtsdestotrotz beeindruckt die Konsequenz, mit der er seine Überzeugungen nach außen trägt, die Kompetenz, mit der er in Debatten regelmäßig die argumentative Überlegenheit behält, die persönliche Integrität, die ihn unangreifbar macht und die Entschlossenheit, mit der er für die Freiheit seines Volkes arbeitet.
Beachtenswert ist die integrative Leistung von Farage und seiner UKIP: Der Mann aus der Wirtschaft gewinnt durch seine ökonomische Kompetenz die Sympathien der Nationalliberalen, durch seinen vernünftigen Habitus die Stimmen der enttäuschten Tories, zu denen er ursprünglich selbst gehörte, durch seinen Willen zur Provokation die Aufmerksamkeit der Jugend, die die verfettete Brüsselage eigentlich bloß langweilig findet, durch sein Vokabular die Zustimmung der Rechtsintellektuellen, die es ja auch im Vereinigten Königreich gibt, und durch seine klare Feindbestimmung zumindest stilles Einvernehmen der Nationalen und Völkischen, wobei diese in der Masse eher der British National Party ihre Stimme geben, die weniger akademisch auftritt.
Käme aus jeder Nation ein Farage nach Brüssel, diese Erste Bürokratistische Internationale sähe schon sehr bald ganz anders aus. Ein sehr informatives Interview mit Nigel Farage findet sich hier.