Wie weiter? (X): Rumänien spielen

In Rumänien bezahlt man für 10 Eier zwischen 5 und 6 Lei, das sind: 1,20 bis 1,50 €. Zahlt man in Schnellroda auch, wenn...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

die Nach­ba­rin eine Packung über den Zaun reicht. Für einen Liter Milch muß man 4 Lei berap­pen, für ein Glas Honig 9 Lei. Die Frau, die bei dem alten Bau­ern, den wir besuch­ten, einen Tag lang Früh­jahrs­putz mach­te, erhielt 40 Lei und war sehr zufrie­den damit. Ein Land­ar­bei­ter hat am Abend nicht so viel in der Tasche.

Ges­tern war es in Schnell­ro­da so warm, daß ich ohne Hemd den Kar­tof­fel­acker umgra­ben konn­te. Heu­te habe ich die Knol­len gesteckt und gehäu­felt: Wir wer­den viel­leicht 100 Kilo ern­ten. Gear­bei­tet habe ich dafür locker 12 Stun­den. Die sechs Hüh­ner haben fünf Eier gelegt. Kositza hat Mohr­rü­ben aus­ge­sät, auch Radies­chen und Salat. In Keim­töpf­chen zieht sie Zuc­chi­ni- und Toma­ten­setz­lin­ge. Die gan­ze Arbeit hat einen mate­ri­el­len Gegen­wert von – groß­zü­gig auf deme­ter­ni­veau gerech­net – 200 €.

Den Kin­dern konn­te ich in Rumä­ni­en leicht plau­si­bel machen, war­um die jun­gen Zigeu­ner – von cha­rak­ter­li­cher Schlaff­heit abge­se­hen – nicht recht tun, wenn sie in der Son­ne sit­zen, wäh­rend hin­ter ihren Hüt­ten der Gar­ten ver­s­teppt. Man kann mit drei­ßig, vier­zig Hüh­nern eine Fami­lie grundversorgen.

Die­se ein­fa­che Rech­nung deckt sich mit dem, was mei­ne Oma aus den Nach­kriegs­jah­ren von ihrem klei­nen Hüh­ner­hof erzähl­te: Mein Vater trug die Eier zum Pfar­rer, zum Arzt, zum Leh­rer, in die gut­bür­ger­li­chen Häu­ser und auf den Markt, und davon leb­te die Fami­lie, bis irgend­wann in den Fünf­zi­gern alles teu­rer, bloß die Lebens­mit­tel immer bil­li­ger wur­den. Für eine Fla­sche Bier arbei­te­te 1955 ein Arbei­ter noch eine knap­pe Stun­de, in Rumä­ni­en bringt er es heu­te in der­sel­ben Zeit immer­hin auf einen Liter. Und im VW-Werk 2010? Da kann sich einer nach einer Stun­de am Band ins Koma saufen.

Wenn also eine der Töch­ter heu­te, nach­dem wir die Kar­tof­fel­hälf­ten mit den Augen nach oben gehäu­felt hat­ten, sag­te, daß wir nun “Rumä­ni­en gespielt” hät­ten, hat sie mei­nen wun­den Punkt getrof­fen: Das alles ist für ein paar Mark in her­vor­ra­gen­der Qua­li­tät zu haben, und so ist die Arbeit, die wir uns mit alle­dem machen, nicht exis­ten­ti­ell (also unaus­weich­lich auf­ge­ge­ben) oder auch nur nahe­lie­gend (wie für den, der in Rumä­ni­en einen Gar­ten besitzt), son­dern Selbst­er­zie­hung, Frei­zeit­be­schäf­ti­gung, Lebens­kon­zept, ein Ich-Bild sogar. Ich gestand das unum­wun­den ein und erzähl­te, war­um wir die­ses klei­ne Feld den­noch ange­legt hät­ten. Und ich glau­be, daß die Toch­ter nun den Markt­wert der Din­ge von ihrem ideel­len zu unter­schei­den gelernt hat.

Ich pflan­ze eben gern, gra­be gern, öff­ne mor­gens gern den Hüh­nern die Klap­pe und den Enten die Tür, ich ern­te gern und bin “sehr auf dem Lan­de”, wenn ich vom Schreib­tisch auf­ste­he und den Spa­ten oder die Baum­sche­re in die Hand neh­me. Das alles ist auch nicht so dau­er­ge­putzt wie die schi­cken Ern­te­körb­chen aus der Land­lust oder die immer sau­be­ren Werk­zeu­ge in irgend­ei­ner ande­ren Land-Roman­tik-Illus­trier­ten für Leu­te, die stets nur geis­tig und bei Son­ne auf dem Lan­de leben. Wir hat­ten den Fuchs im Stall, abge­fres­se­nes Kar­tof­fel­laub mit Hun­der­ten ekli­gen Käfern, Wühl­mäu­se, Salat­köp­fe, in denen zwan­zig Schne­cken schlei­mig siedelten.

Das alles gehört dazu. Ich muß mit einem Fuß immer in der Erde ste­cken, sonst wird’s im Kop­fe merk­lich dürr.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.