der jeden potentiellen Mitarbeiter über das Risiko einer Mitarbeit aufklärt. Und mehr: Ich habe einem guten Dutzend bereits promovierter oder habilitierter Akademiker mit Blick auf deren Karrieren eine Mitarbeit schlankweg ausgeredet oder ein Pseudonym verpaßt – immer mit Verweis auf folgenreiche Beispiele antifaschistischen Kesseltreibens, bei denen einer unserer Autoren oder Referenten angegriffen wurde, indem man auf die Gefährlichkeit der Sezession verwies.
Meine Argumentation ist in solchen Gesprächen also nie aus der Luft gegriffen, sondern beispielgesättigt, wobei ich nicht verschweige, daß es auch Autoren gibt, in deren Wade sich glücklicherweise nie ein Minenhund verbeißt. Aber das Risiko ist groß, und das ist etwas, das mir je länger, je mehr zusetzt: Wieso soll es nicht möglich sein, in einem ohne Zweifel exzentrischen Heft wie der Sezession zu veröffentlichen, ohne daß die Geschützrohre einschwenken? Der Konsequenzen der Diffamierung sind nämlich drei:
1. Die Sezession kann nicht so gut sein, wie sie sein könnte: Würde das Gefecht um die richtige Sicht der Dinge inhaltlich geführt und nicht persönlich-vernichtend, könnte ich noch einmal so viele gute Autoren präsentieren und sogar auf Prominenz zurückgreifen, die das Rentenalter noch nicht erreicht hat. Diese Prominenz reagiert bisher und bis auf weiteres nun nur im persönlichen Gespräch oder in Briefen, und daß der Schriftsteller Richard Wagner der Teilveröffentlichung unserres Briefwechsels zugestimmt hat, ist eine große Ausnahme. Auch ihm gegenüber sprach ich übrigens das Risiko dieses Abdrucks an.
2. Es ist ausgesprochen schwierig, der Verlockung des Jammertons nicht zu erliegen. Dazu eine Stelle aus einem Vortrag, den ich auf einer unserer Akademien hielt:
Man kann in der Rolle des erfolglosen Belagerers heimisch werden, und ich möchte sagen: Diese Rolle ernährt seltsamerweise ihren Mann, und das ist verlockend und hat furchtbare Konsequenzen: Stellen Sie bitte vor, daß Agamemnon, der griechische Heerführer, beim Blick auf die schlechte Versorgungslage seiner Truppen vor Troja einen jammervollen Rundbrief in die Etappe geschickt hätte, in dem zu lesen stand: „Liebe Freunde, es geht uns schlecht, wir bringens nicht, und neulich besaßen die Trojaner sogar die Unverschämtheit, heimlich des Nachts einen Teil unserer Schiffe anzuzünden. Bitte schreibt ihnen, daß das nicht fair war. Sie sollen uns in Ruhe lassen, vielleicht kriegen wir nämlich innerhalb der nächsten zehn Jahren doch noch eine Leiter gebastelt, mit der wir ihre Mauer übersteigen können. Für diese Leiter brauchen wir übrigens noch ein bißchen Knete. Euer Agamemnon.“
Ich kann Ihnen aus Erfahrung eines sagen: Agamemnons Brief würde ungeahnten Erfolg gehabt haben. Die Etappe, die rückwärtigen Räume sind voll von erschütterbaren Bürgern, Frauen mit Krankenschwester-Impuls, voll von des Mitleids fähigen Beobachtern der Szenerie. Also: Ein Strom aus neuen Schiffen, Wolldecken, Fressalien, Weinfässern ergießt sich über das Heerlager. Auch Holz für die große Leiter ist dabei, und Agamemnon weint in seinem Dankesbrief noch ein bißchen weiter, und der Segen hat kein Ende. Das einzige, was nicht mit nach vorne kommt, sind Krieger, hungrige junge Männer, Eroberer. Wer will schon unter einer Heulsuse dienen, unter einem Heerführer, der es sich im Scheitern gemütlich macht.
3. Man sieht sich mit der inquisitorischen Fragestellung durch fünft- bis sechstrangige Geister konfrontiert, sogar mit Wortmeldungen von Konvertiten, die ihre Existenz nicht aus sich selbst, sondern aus unserer Existenz ableiten. Auch ein Erich Vad sah sich wohl konfrontiert mit solchen Fragestellern. Er hat gleich den ersten Fehler gemacht und die Fragestellung akzeptiert.
Also: Verantwortungslosen Umgang mit Autoren kann man mir und der Sezession nicht vorwerfen. Die Schutzmechanismen und die Selbstbeschränkung nach Risikoabschätzung schlägt alles aus dem Felde, was sich Rostock oder andere Beobachterstandorte vorstellen können. Das ist an und für sich so skandalös für ein freies Land, daß man es immer wieder thematisieren muß, in der aktuellen Sezession also mittels des Briefwechsels zwischen Richard Wagner und mir. Das ist dann “politisches Verhalten” von der Kragenweite, die zu uns paßt: der Nachweis beleidigender, unwürdiger, stickiger Mechanismen.
Und: Sollte ich mich mit Merkels Vad ein wenig aus dem Fenster gehängt haben, so läge da richtig, wer Gründe vermutete, die im Umgang des Autors mit seinem Verleger zu suchen wären – und nicht umgekehrt.
Eumeswil
Der Agamemnon-Vergleich ist echt gut. Sollen die auf Endstation-rechts doch schreiben was sie wollen. Auch die taz ist keine Großmacht. Weiter so! Angriff!