Enzensberger selbst will sich freilich nicht derart diskursiv ausmerzen lassen, er ist als Autor ja auf Öffentlichkeit angewiesen. Das passiere nicht noch einmal, beeilte sich der Autor daher 1999 gegenüber der Jungle World zu versichern, als ihn dieses Organ ermahnte wegen des Abdrucks eines seiner Essays in der nationalrevolutionär getönten Zeitschrift wir selbst. »seht in den spiegel: feig, / scheuend die mühsal der wahrheit, / dem lernen abgeneigt, das denken / überantwortend den wölfen, / der nasenring euer teuerster schmuck«, hatte er einst zur verteidigung der wölfe gegen die lämmer letzteren ins Stammbuch geschrieben, in seinem lyrischen Debüt von 1957 als »rabiater Randalierer «, wie ihn, nicht ohne Respekt, der Autor, Kritiker und kriegsgediente SS-Mann Hans Egon Holthusen seinerzeit nannte.
Enzensberger, Sohn gutsituierter Bürgerlicher aus Süddeutschland, blieb als kluges Lamm immer bei der Herde, aber das sehr reflektiert. Unter den nationalen Sozialisten wurde er nur zur Hitlerjugend und dann gegen Kriegsende als 15jähriger noch zum Volkssturm gezogen, hat aus dieser Zeit also kraft später Geburt keine »Leichen im Keller«. Mit einer Dissertation über den katholischen Romantiker Clemens Brentano wies er sich 1955 als akademischer Intellektueller aus, den es sogleich auch als Autor zur ›Gruppe 47‹ zog, zur »Degussa der schönen Literatur«, wie sie Peter Rühmkorf 1972 im Rückblick nannte. Enzensberger bediente fortan ein breites publizistisches Spektrum sehr fleißig mit Texten, vom Radioessay und Hörspiel über den Fernsehfilm, vom formal variablen Gedicht über das essayistische und erzählerische Genre bis hin zu szenischen Arbeiten einschließlich einiger Opernlibretti.
Der versierte Literat zählte als zeitweiliger Rundfunkredakteur und Hochschuldozent, als Suhrkamp-Lektor, Herausgeber und schreibfreudiger Feuilletonist, als Übersetzer und Editeur der Anderen Bibliothek zweifellos zu den einflußreichen Autoren in Westdeutschland.Das von ihm begründete und lang verantwortete Kursbuch avancierte zu einem Theorieorgan für die sogenannte Neue Linke, wobei Enzensberger selbst nie ein harter Marxist war, mit einschlägigen Theoremen aber virtuos hantierte. Sein Reden vom absehbaren »Ende der zweiten deutschen Demokratie« 1967, angesicht dessen die Revolution auf der Tagesordnung stehe, entpuppte sich schnell als Metapherngewitter, als »große therapeutische Situation «, wie Karl-Heinz Bohrer damals wohlwollend urteilte.
Der therapeutische Erfolg resultierte bei Enzensberger in einem konservativen Skeptizismus, der seine Autorschaft von Beginn an grundiert hatte und nun dominierte. Auch wenn dem Medienkritiker im reifen Alter die Spiegel-Sottise unterlief, Saddam Hussein als »Hitlers Wiedergänger« zu verkaufen, um den ersten Golfkrieg zu rechtfertigen, sind doch fast alle seine Essays und Gedichte Versuche im besten Sinn: Sie präsentieren selten Resultate, sondern regen das Selbstdenken an. Beispiele hierfür sind Enzensbergers frühe Überlegungen zur »Bewußtseins-Industrie«, die sich heute mit dem Franzosen Bernard Stiegler fortführen lassen, oder jener auch von rechts adaptierte Begriff vom »molekularen Bürgerkrieg«. Seine Texte weisen ihn als wachen Beobachter aus, der freilich bestimmte Folgerungen stets geschmeidig vermeidet. Enzensberger lesen lohnt sich aber immer, und er ist im übrigen auch Autor geglückter Kinderbücher.
Nase im Wind. 80 Jahre Enzensberger
pdf der Druckfassung aus Sezession 32 / Oktober 2009
von Adolph Przybyszewski
Er habe die Nase immer im Wind, sagte Jürgen Habermas einmal etwas despektierlich von Hans Magnus Enzensberger, der am 11. November auf 80 Jahre seines Lebens und über 50 Jahre Textproduktion zurückblicken darf. Ideologischen Zickzack warf man diesem von der Linken kommenden Schriftsteller bisweilen vor, geistige Rassehygieniker verorteten ihn später gar in fatalen Nachbarschaften: »Die neue Dreieinigkeit Enzensberger/Strauß und Walser« definiere in einer anhaltend »bleiernen Zeit«, »was als deutsche Dichtkunst und Nation gilt«, liest man noch im Jahr 2000 in einer Traktatsammlung des Duisburger Instituts für Sozialforschung.
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