Entkommen – Thilo Sarrazin

aus Sezession 33 vom Dezember 2009

von Wig­go Mann

Zwei Mona­te sind ver­gan­gen, seit das Kul­tur­ma­ga­zin Lett­re Inter­na­tio­nal in sei­ner Aus­ga­be zum 20. Jah­res­tag des Mau­er­falls ein Inter­view mit Thi­lo Sar­ra­zin (SPD) ver­öf­fent­licht hat. Die­ses Inter­view schlug Wel­len bis in die Füh­rungs­spit­ze des Zen­tral­rats der Juden und auf die Redak­ti­ons­stu­be jeder ein­zel­nen deut­schen Tages­zei­tung. Für einen Moment sah es so aus, als wür­de der »Fall Sar­ra­zin« enden wie zuvor der Fall Mar­tin Hoh­mann oder der Fall Eva Her­man – in der Tabui­sie­rung der Inhal­te und der Sta­tu­ie­rung des »Exem­pels Sar­ra­zin«, zur Stra­fe für ihn selbst und zur Abschre­ckung für jeden, dem ähn­li­che Äuße­run­gen vor­schwe­ben könnten.
Jedoch: Die Tabu-Wäch­ter sind geschei­tert. Sar­ra­zin hat mitt­ler­wei­le zwar als Spit­zen­be­am­ter der Bun­des­bank einen ande­ren Zustän­dig­keits­be­reich zuge­wie­sen bekom­men, aber sei­ne Aus­sa­gen sind wei­ter­hin Gegen­stand einer Debat­te, und auch über die Art, wie mit ihm und sei­nen Wor­ten ver­fah­ren wur­de, wur­de öffent­lich diskutiert.

Was hat Sar­ra­zin eigent­lich gesagt? Der Skan­dal ent­zün­de­te sich an weni­gen Wen­dun­gen aus einem Gespräch, das sich in sei­ner gedruck­ten Form über fünf hoch­for­ma­ti­ge und eng­be­druck­te Sei­ten zieht und die Situa­ti­on Ber­lins zwan­zig Jah­re nach dem Mau­er­fall zum The­ma hat:

»Eine gro­ße Zahl an Tür­ken und Ara­bern in die­ser Stadt, deren Anzahl durch fal­sche Poli­tik zuge­nom­men hat, hat kei­ne pro­duk­ti­ve Funk­ti­on, außer für den Obst- und Gemü­se­han­del, und es wird sich ver­mut­lich auch kei­ne Per­spek­ti­ve entwickeln.

Ber­lin ist belas­tet von zwei Kom­po­nen­ten: der Acht­und­sech­zi­ger­tra­di­ti­on und dem West­ber­li­ner Schlampf­ak­tor. Es gibt auch das Pro­blem, daß vier­zig Pro­zent der Gebur­ten in der Unter­schicht statt­fin­den. Je nied­ri­ger die Schicht, um so höher die Gebur­ten­ra­te. Die Ara­ber und Tür­ken haben einen zwei- bis drei­mal höhe­ren Anteil an Gebur­ten, als es ihrem Bevöl­ke­rungs­an­teil ent­spricht. Gro­ße Tei­le sind weder inte­gra­ti­ons­wil­lig noch inte­gra­ti­ons­fä­hig. Die Lösung die­ses Pro­blems kann nur hei­ßen: Kein Zuzug mehr, und wer hei­ra­ten will, soll­te dies im Aus­land tun. Stän­dig wer­den Bräu­te nachgeliefert.

Es ist ein Skan­dal, daß die Müt­ter der zwei­ten, drit­ten Gene­ra­ti­on immer noch kein Deutsch kön­nen, es allen­falls die Kin­der kön­nen, und die ler­nen es nicht wirk­lich. Es ist ein Skan­dal, wenn tür­ki­sche Jun­gen nicht auf weib­li­che Leh­rer hören, weil ihre Kul­tur so ist. Inte­gra­ti­on ist eine Leis­tung des­sen, der sich inte­griert. Jeman­den, der nichts tut, muß ich auch nicht aner­ken­nen. Ich muß nie­man­den aner­ken­nen, der vom Staat lebt, die­sen Staat ablehnt, für die Aus­bil­dung sei­ner Kin­der nicht ver­nünf­tig sorgt und stän­dig neue klei­ne Kopf­tuch­mäd­chen pro­du­ziert. Das gilt für sieb­zig Pro­zent der tür­ki­schen und für neun­zig Pro­zent der ara­bi­schen Bevöl­ke­rung in Berlin.

Die Tür­ken erobern Deutsch­land genau­so, wie die Koso­va­ren das Koso­vo erobert haben: durch eine höhe­re Gebur­ten­ra­te. Das wür­de mir gefal­len, wenn es ost­eu­ro­päi­sche Juden wären mit einem um 15 Pro­zent höhe­ren IQ als dem der deut­schen Bevöl­ke­rung. […] Man muß davon aus­ge­hen, daß mensch­li­che Bega­bung zu einem Teil sozi­al bedingt ist, zu einem ande­ren Teil jedoch erblich.«

Es ist müßig, aus­ein­an­der­zu­dif­fe­ren­zie­ren, ob die »Empö­rungs­ma­schi­ne « auf­grund des Inhalts oder des Tons sol­cher Wor­te ange­wor­fen wird; sie läuft, wenn sie lau­fen soll, und sie lief bereits nach weni­gen Tagen »auf Hoch­tou­ren«, wie es Frank Plas­berg in sei­ner Sen­dung »Hart aber fair« vom 7. Okto­ber 2009 tref­fend for­mu­lier­te. Und Thi­lo Sar­ra­zin, ehe­ma­li­ger Finanz­se­na­tor Ber­lins, ist tat­säch­lich eine Ziel­schei­be, die man leicht tref­fen kann: Vie­len war leicht ins Gedächt­nis zu rufen, daß er es war, der Hartz-IV Emp­fän­gern emp­foh­len hat­te, sich wär­mer anzu­zie­hen, statt über hohe Heiz­kos­ten zu lamentieren.

Doch mit sei­nen Aus­sa­gen zur Nicht-Inte­grier­bar­keit gan­zer Ein­wan­de­rer­seg­men­te schien auch Sar­ra­zin an eine Gren­ze gesto­ßen zu sein. Indem er die Pro­blem-Aus­län­der aufs Korn nahm, betrat er tabui­sier­ten Bereich, und die Reak­tio­nen kamen wie aus der Pis­to­le geschos­sen: Ken­an Kolat, Vor­sit­zen­der der Tür­ki­schen Gemein­de in Deutsch­land (TGD), hält Sar­ra­zins Äuße­rung für »uner­hört«, und die Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de der Grü­nen, Rena­te Kün­ast, sag­te gegen­über der FAZ: »Sar­ra­zins Men­schen­ver­ach­tung ist untrag­bar«. Die Zeit gab sogar die Titel­sei­te her, damit Jörg Lau sein Urteil ver­hän­gen durf­te: Sar­ra­zin dozie­re »in schnodd­ri­gem Ton […] über die Miß­stän­de des Ein­wan­de­rungs­lan­des Deutsch­land […] Er koket­tiert auch mit rechts­ra­di­ka­len Denk­fi­gu­ren […] Wer die fünf eng bedruck­ten Sei­ten in Lett­re Inter­na­tio­nal liest […], steht ver­blüfft vor der Tat­sa­che, daß ein pro­mi­nen­ter SPD-Mann am rech­ten Rand ent­lang­gran­telt, wäh­rend die kon­ser­va­tiv-libe­ra­len Koali­tio­nä­re über einer moder­nen Inte­gra­ti­ons­po­li­tik brü­ten.« Den Gip­fel aber erreich­te sicher Ste­phan Kra­mer, Gene­ral­se­kre­tär des Zen­tral­rats der Juden: »Ich habe den Ein­druck, daß Sar­ra­zin mit sei­nem Gedan­ken­gut Göring, Goeb­bels und Hit­ler gro­ße Ehre erweist. Er steht in geis­ti­ger Rei­he mit den Herren.«

Die­ser Höhe­punkt der Dif­fa­mie­rung, der so recht ein Abgrund ist, war aber bereits der Wen­de­punkt in die­sem »Fall«: Kra­mer hat­te die Faschis­mus- Keu­le aus­ge­packt, wo doch das Faschis­mus-Flo­rett genügt hät­te. Denn eigent­lich lief alles wie immer: Da kommt jemand und sagt sei­ne Mei­nung oder legt unbe­que­me Fak­ten dar. Die öffent­li­che Empö­rung ist groß. Man schreit nach Kon­se­quen­zen, am bes­ten wäre es, der Ket­zer ver­lö­re sei­ne Anstel­lung oder öffent­li­che Posi­ti­on, damit weder er noch ein mög­li­cher Nach­ah­mer je wie­der auf den Plan tre­te. Was noch bei Mar­tin Hoh­mann (ehe­mals CDU) und Eva Her­man effek­tiv funk­tio­nier­te, näm­lich die öffent­li­che Stig­ma­ti­sie­rung und Unter­drü­ckung unbe­que­mer Mei­nun­gen, das ist mit Sar­ra­zin an sei­ne Gren­zen gestoßen.

Einer der Grün­de dafür ist, daß nach und nach vie­le Pro­mi­nen­te Sar­ra­zin den Rücken stärk­ten. So führ­te der Deutsch­land­funk am 5. Okto­ber 2009 ein Inter­view mit Hans-Olaf Hen­kel, dem ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten des Bun­des­ver­ban­des der Deut­schen Indus­trie. Er sag­te über Sar­ra­zin: »Nicht das, was er gesagt hat, ist ein Skan­dal, son­dern ein Skan­dal ist, wie die deut­schen, die meis­ten deut­schen Medi­en und vie­le poli­ti­sche Vor­bil­der mit ihm umge­hen. Das ist nach mei­ner fes­ten Über­zeu­gung eine wirk­li­che Gra­na­te, denn hier wird erst mal ein Anschlag auf unse­re im Grund­ge­setz doch zuge­si­cher­te Mei­nungs­frei­heit vor­ge­nom­men; außer­dem ist die Reak­ti­on völ­lig kon­tra­pro­duk­tiv, denn man hät­te sich auch mit sei­nen Vor­schlä­gen aus­ein­an­der­set­zen müs­sen, das hat man nicht getan; und drit­tens, und das ist eigent­lich das Aller­schlimms­te: Wir wer­den hier Zeu­gen eines, wie ich fin­de, unglaub­li­chen und schänd­li­chen Ver­nich­tungs­feld­zu­ges gegen einen Men­schen.« Bild.de zitier­te den Poli­tik­for­scher Pro­fes­sor Arnulf Baring:

»In der Sache kann Sar­ra­zin nie­mand wider­le­gen: Deutsch­land hat ein mas­si­ves Pro­blem mit Zuwan­de­rern aus der Tür­kei und dem ara­bi­schen Raum! Nur: Im Lan­de der Lei­se­tre­ter und der poli­ti­schen Kor­rekt­heit wird jeder, der Klar­text redet, gleich nie­der­ge­macht. Erbärm­lich!« Und der Phi­lo­soph Peter Slo­ter­di­jk mel­de­te sich im Cice­ro zu Wort: »Wir haben uns – unter dem Deck­man­tel der Rede­frei­heit und der unbe­hin­der­ten Mei­nungs­äu­ße­rung – in einem Sys­tem der Unter­wür­fig­keit, bes­ser gesagt: der orga­ni­sier­ten sprach­li­chen und gedank­li­chen Feig­heit ein­ge­rich­tet, das prak­tisch das gan­ze sozia­le Feld von oben bis unten para­ly­siert. […] Man möch­te mei­nen, die deut­sche Mei­nungs-Besit­zer-Sze­ne habe sich in einen Käfig vol­ler Feig­lin­ge ver­wan­delt, die gegen jede Abwei­chung von den Käfig­stan­dards kei­fen und het­zen.« Slo­ter­di­jk spricht von einer »Skla­ven­spra­che« und der Stra­fe, die dem­nächst auf Wahr­heit ste­hen soll: »Exis­tenz­ver­nich­tung«.

Wenn Sar­ra­zin auch nicht mit Unter­stüt­zung durch Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens rech­nen konn­te, so konn­te er sich doch sicher sein, daß er mit sei­nen Äuße­run­gen den deut­schen Nor­mal­bür­gern aus dem Her­zen spre­chen wür­de. Laut einer soge­nann­ten reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge von TNS Emnid, die Bild am Sonn­tag in Auf­trag gab, stim­men 51 Pro­zent der Deut­schen den Aus­sa­gen Sar­ra­zins zu. Ver­gleicht man die­sen Wert jedoch mit zahl­rei­chen ande­ren aus Inter­net­fo­ren oder Online-Por­ta­len eta­blier­ter Medi­en, weiß man nicht mehr, ob man der Emnid-Umfra­ge ihre Reprä­sen­tanz noch abneh­men soll: Die Inter­net­prä­senz der Zei­tung Die Welt star­te­te eine neue Umfra­ge, nach­dem die ers­te über Nacht gefälscht und dann schließ­lich ent­fernt wor­den sein soll. Das Ergeb­nis dort: 71 Pro­zent hal­ten die Kri­tik an Sar­ra­zin nicht für gerecht­fer­tigt. Und eine Umfra­ge auf Bild.de ergab 83 Pro­zent pro Sar­ra­zin. Auch inter­es­sant sind die vie­len posi­ti­ven Leser­brie­fe, die die FAZ im Lau­fe der Debat­te abge­druckt hat. Zwar sind sie nicht reprä­sen­ta­tiv für die Deut­schen, aber hier läßt sich eben­falls eine Zustim­mung von 80 Pro­zent für Sar­ra­zin errech­nen. Am 9. Okto­ber 2009 hat­te Bert­hold Koh­ler, einer der Her­aus­ge­ber der FAZ, bereits auf der Titel­sei­te dar­auf hin­ge­wie­sen: »Leser­brie­fe sind nicht die Frucht reprä­sen­ta­ti­ver Befra­gun­gen. Doch zeigt der Post­ein­gang einer Zei­tung recht ver­läß­lich an, ob ein The­ma die Leser lang­weilt oder auf­wühlt. […] Aus den meis­ten der vie­len Brie­fe, die die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung dazu errei­chen, spricht Empö­rung – sel­ten über Sar­ra­zin, in gro­ßer Mehr­heit aber über die Kri­tik an ihm. Der Tenor lau­tet: Da wird einer dafür gegei­ßelt und viel­leicht sogar noch mit dem Ver­lust sei­nes Amtes bestraft, daß er die Wahr­heit gesagt hat.« Wei­ter heißt es dort: »Sar­ra­zins Sekre­ta­ri­at wird in die­sen Tagen Schwie­rig­kei­ten haben, die Zustim­mung zu bewäl­ti­gen. Alles klei­ne Nazis? Es schreibt viel­mehr die poli­ti­sche Mit­te, die es satt­hat, als frem­den­feind­lich beschimpft zu wer­den, nur weil sie nicht län­ger mit den Dog­men eines geschei­ter­ten Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus trak­tiert wer­den will, für den jeder geschäch­te­te Ham­mel eine kul­tu­rel­le Berei­che­rung ist.«

Die­se Sät­ze berüh­ren den wohl ent­schei­den­den Punkt: Die erfahr­ba­re Rea­li­tät des mul­ti­kul­tu­rel­len Expe­ri­ments gibt Sar­ra­zin recht. Wer ihm zustim­men will, muß nicht zuvor dicke Bücher lesen, um sei­ne Zustands­be­schrei­bung nach­voll­zie­hen zu kön­nen. Die brei­te Mas­se erlebt die mul­ti­kul­tu­rel­le Rea­li­tät jeden Tag. Das ist ein ent­schei­den­der Unter­schied zu dem, was etwa Eva Her­man als Pro­blem­be­reich ansprach und wor­aus ihr ein Strick gedreht wur­de. 2007 äußer­te sie sich in einem Gespräch über ihr neu­es Buch zur Fami­li­en­po­li­tik und stol­per­te dabei in ein Minen­feld: »Mit den 68ern wur­de damals prak­tisch alles das, alles, was wir an Wer­ten hat­ten, – es war ’ne grau­sa­me Zeit, das war ein völ­lig durch­ge­knall­ter, hoch­ge­fähr­li­cher Poli­ti­ker, der das deut­sche Volk ins Ver­der­ben geführt hat, das wis­sen wir alle, – aber es ist damals eben auch das, was gut war, und das sind Wer­te, das sind Kin­der, das sind Müt­ter, das sind Fami­li­en, das ist Zusam­men­halt – das wur­de abgeschafft.«

In der dar­auf­hin ein­set­zen­den Medi­en­kam­pa­gne hat­te Her­man mit dem Pro­blem zu kämp­fen, daß sie und ihre Ver­tei­di­ger argu­men­ta­tiv stets weit aus­ho­len und his­to­ri­sche Ein­ord­nun­gen und Klar­stel­lun­gen vor­neh­men muß­ten, letzt­lich also den dif­fe­ren­zier­ten Blick auf die Geschich­te ein­zu­for­dern hat­ten. Die Anstren­gungs­be­reit­schaft des Durch­schnitts­deut­schen reicht dafür jedoch nicht aus. Dicke Bücher zu wäl­zen, um zu einem aktu­el­len Streit­punkt Stel­lung bezie­hen zu kön­nen, ist nun ein­mal nicht jeder­manns Sache. Also ver­ließ man sich auf die Medi­en, die ja als vier­te Gewalt eigent­lich kri­ti­sche Auf­klä­rung betrei­ben sol­len. Daß die­se kri­ti­sche Auf­klä­rung nicht gelang, son­dern viel­mehr schnur­stracks zur ein­mü­ti­gen öffent­li­chen Hin­rich­tung mutier­te, fiel nur den­je­ni­gen auf, die etwa den Fall Hoh­mann noch nicht ver­ges­sen hatten.

Die­ses sys­te­ma­ti­sche Vor­ge­hen gegen freie Geis­ter hat Felix Men­zel in sei­nem Buch Medi­en­ri­tua­le und poli­ti­sche Iko­nen in der Theo­rie beschrie­ben. Die »ein­ge­üb­ten Rede­wen­dun­gen, die unter ver­schie­de­nen Spre­chern Soli­da­ri­tät her­vor­ru­fen«, nennt er Mikro­ri­ten: »Wer sich dem nicht fügt, wird aus­ge­grenzt. « Das funk­tio­nier­te bei Her­man und ein­ge­schränkt auch noch bei Sar­ra­zin. Das beson­de­re an die­sem Aus­gren­zungs­me­cha­nis­mus ist, daß er kei­nes offen­kun­di­gen Befehls bedarf, son­dern von jedem Ange­hö­ri­gen der soge­nann­ten »Zivil­ge­sell­schaft« mit gutem Gewis­sen im täg­li­chen Sprech­vor­gang zur Anwen­dung gebracht wird: Wer einen Mikro­ri­tus begeht, lebt mit dem guten Gewis­sen, der all­ge­mei­nen Ord­nung zuträg­lich gewe­sen zu sein.

Was kaum jemand bedenkt, ist jedoch, daß Mikro­ri­tua­le die nächs­te Stu­fe vor­be­rei­ten: Meso­ri­tua­le schaf­fen Hier­ar­chien in Sub­kul­tu­ren und Sys­te­men: »Im Jour­na­lis­mus und in der Poli­tik haben Meso­ri­tua­le ins­be­son­de­re die Funk­ti­on, Ehr­erbie­tung und sozia­len Sta­tus anzu­zei­gen sowie Über­gän­ge von einem Amt zu einem höhe­ren oder nie­de­ren zu voll­zie­hen«, schreibt Men­zel. Zur Aus­füh­rung die­ses Ritu­als kam es jedoch im Fall Sar­ra­zin nicht mehr ein­deu­tig: Sei­ne sozia­le Äch­tung kam den Nor­mal-Deut­schen sowie­so, aber eben auch einer nicht gerin­gen Zahl Pro­mi­nen­ter frag­wür­dig vor. Die Mecha­nis­men der Aus­gren­zung und Äch­tung spran­gen nicht so rich­tig an, weil sie zu offen­sicht­lich gegen die Erfah­rungs­wirk­lich­keit der Men­schen im mul­ti­kul­tu­rel­len Labor in Gang gebracht wer­den soll­ten. Die Wirk­lich­keit ist in die­sem Sin­ne der Sand im Getrie­be sol­cher Theo­rien. Der Stein, den Sar­ra­zin aus der Mau­er gebro­chen hat, bleibt lie­gen. Das könn­te irgend­wann ein­mal im Rück­blick als Start­si­gnal für die Wie­der­auf­nah­me unter­drück­ter Debat­ten gedeu­tet wer­den. Hoffentlich.

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