Derzeit jedoch ist alles anders: Im Sommer 2009 wurde bekannt, daß Herta Müllers neues Buch, Atemschaukel, für den Deutschen Buchpreis nominiert worden sei – wie üblich ein Text, den bis dato eigentlich noch niemand kannte. Der Deutsche Buchpreis, initiiert von den großen Verlagshäusern, dient dazu, Bücher und Autoren bekannt zu machen, die sonst nur wenige Leser finden würden. Er ist ein zusätzliches kulturbetriebliches Instrument zur Regulierung des Buchmarktes. Denn was der Betrieb bewirbt und in den Buchhandelsketten auslegt, wird automatisch gekauft und verbreitet.
Pünktlich zum zwanzigsten Jahrestag der Auflösung des »Ostblocks« erinnert Herta Müller also in der Atemschaukel an die Schrecken kommunistischer Herrschaft, und nun hat sie den Deutschen Buchpreis zwar nicht, dafür aber die weltweit höchste Literatur-Auszeichnung erhalten: den Nobelpreis. Wieso aber wird gerade ein solches Buch vom Betrieb protegiert, das ausnahmsweise einmal die »anderen Lager« beschreibt, obwohl in unserem Gedächtnis doch eigentlich nur Platz für die »einen Lager« ist?
Man darf folgende Taktik dahinter vermuten: Indem Herta Müllers Beschreibung des Leids in den sowjetischen Konzentrationslagern so ins Rampenlicht gerückt wurde, hat der Betrieb seine Schuldigkeit diesen Opfern gegenüber getan und für einen gewissen »Ausgleich« gesorgt. Denn: »Der Literaturnobelpreis verschafft dabei vielleicht auch einer Perspektive Beachtung, die gegenüber den Holocaust-Erfahrungen bisher zurücktreten mußte.« (Tagesspiegel vom 9. Oktober 2009).
Daß der Kommunismus die mit Abstand größte Todes- und Erniedrigungsmaschinerie des 20. Jahrhunderts war, läßt sich heute einfach nicht mehr leugnen. Die Milieus, die auch im Westen so lange das Grausame am Kommunismus ignorierten, beginnen, sich dieser Tatsache zu stellen. Gleichzeitig darf das alte Tabu, wonach eigentlich nur der »Faschismus« für das »richtig Böse« in der Welt verantwortlich sei, nicht berührt werden. Denn seltsamerweise geht vom Kommunismus nach wie vor ein beachtlicher »Zauber« aus, woran auch hundert Millionen Tote offenbar nichts ändern konnten. Wer seit den 70er Jahren im Westen mit dem Kommunismus kokettierte oder wenigstens genau wußte, daß der »wahre Feind« auf der anderen Seite stehe, hatte deutlich bessere Chancen, im Kulturbetrieb anzukommen als jemand, der die Sache kritischer sah.
Obwohl Antikommunistin, wurde Herta Müller vom Kulturbetrieb geduldet. Denn sie verstieß nie gegen die herrschenden Regeln, schämte sich für ihren SS-Vater und zeigte früh Distanz zu ihrer Volksgruppe, den Banater Schwaben. Sie wurde in Form von Preisen regelmäßig subventioniert, aber nicht spürbar in die Öffentlichkeit getragen. »Denn ihre Nachrichten aus der Angstwelt des Kommunismus berührten manche Kritiker allzu peinlich.« (Michael Naumann, Tagesspiegel vom 11. Oktober 2009)
Nun benutzt die den Kulturbetrieb dominierende Generation der »Sympathisanten« Müllers Buch dazu, sich über die höchste Auszeichnung gewissermaßen reinzuwaschen. Man übernimmt selbst die Rolle des Klägers, bevor das Thema von den »falschen Leuten« besetzt wird. So bleibt die alte Deutungshoheit erhalten. Aufarbeitung ist möglich, ja sogar erwünscht, solange sich die Kritik am Kommunismus in den richtigen Bahnen bewegt, das heißt, man selbst nicht mitangeklagt wird. Gut, man sei zwar naiv gewesen, damals, als man die Augen vor dem roten Terror verschloß und ihn häufig sogar deckte, aber das »richtig Böse« trägt trotzdem eine andere Farbe.
Vielleicht wollten diese Leute an Herta Müller jetzt etwas gutmachen. Sie empfanden leichte Gewissensbisse, nachdem sie sich auf den Horror, der für viele bis heute nur auf einem »Umsetzungsfehler« beruhte, nun endlich eingelassen haben. Sie mußten »offensiv« werden, um weiterhin die Kontrolle über die moralischen Machtverhältnisse zu behalten.
Warum Herta Müller?
pdf der Druckfassung aus Sezession 33 / Dezember 2009
von Frank Lisson
Bei allem Respekt: Hätte man letztes Jahr in irgendeiner deutschen Stadt Germanistik-Studenten gefragt, wer Herta Müller sei, hätte kaum einer auf die Schriftstellerin verwiesen. Vermutlich kann man in drei Jahren wieder fragen und ein ähnliches Ergebnis erzielen.
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