Es war kein opulentes architektonisches Meisterwerk, ein eher schlichtes Gebäude, doch hob es sich durch seine Fensterrahmungen, ein wenig steinernen Zierat, einen kleinen Erker aus dem Einerlei der übrigen 50er- und 60er-Jahre-Bebauung wohltuend hervor. Das ist nun Geschichte.
Das Haus steht zwar noch, aber es wurde dieser Tage optisch angeglichen. Die kunstvollen Fensterrahmungen wurden alle abgeschlagen, die Fenster rechteckig angepaßt. Alles unwiederbringlich verloren. Und die Besitzer sind wahrscheinlich noch richtig stolz auf ihr Zerstörungswerk. Die Ursache ist einfach zu benennen: Der Wahn der Wärmedämmplatten hat wieder einmal um sich gegriffen.
Das Haus ist kein Einzelfall in dem Ort. Schon vor Jahren traf es unweit ein bezauberndes kleines Gebäude mit barockem Walmdach. „Das ist aber süß“, sagte ein Freund auf Besuch, mit dem ich einst daran vorüberschlenderte. Mittlerweile ist von Süße nichts mehr zu erkennen. Hartschaumplatten von der Breite einer Sofapolsterung sind längst über die Fassade geklebt. Die grünen Fensterläden gibt es nicht mehr, auch nicht die Rahmungen aus Sandstein. Statt dessen hat man Fensterbänke aus schäbigem Blech unter die tiefgeschnittenen blockartigen Lichtöffnungen eingehängt. Und wer meint, dies seien regionale Einzelfälle, der sieht sich getäuscht. In Architekturforen berichten zahlreiche Schreiber über Fälle aus ihrer Lebenswelt, berichten, wie der Wahn der Wärmedämmung primär den Westen Deutschlands überrollt. Vor allem Hessen und Nordrhein-Westfalen scheinen den Berichten nach betroffen. Überall wird mittlerweile wieder Stuck abgeschlagen und werden nicht denkmalgeschützte Gründerzeitler dauerhaft verschandelt.
Es scheint sich eine vierte Welle baukünstlerischer Zerstörung breitzumachen. Nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs folgten die Flächensanierungen und Entstuckungsmaßnahmen der Nachkriegszeit. „Unfunktionaler“ Bauschmuck galt als rückschrittliches Phänomen, und ihm wurde nach der Formel von Adolf Loos, daß das Ornament ein Verbrechen sei, sowohl in West wie in Ost der Kampf angesagt. Allein in Berlin-Kreuzberg, einem der größten Gründerzeitviertel Europas, wurde bis 1979 der Stuck von etwa 1.400 Häusern mit öffentlicher Förderung abgeschlagen (Heraus kamen solche traurige Ergebnisse). Dieses Phänomen der “Modernisierung” war übrigens ein weitgehend auf Deutschland beschränktes, was allerdings heute auch mit der teils schlechten Qualität hiesigen gründerzeitlichen Mörtelstucks begründet wird. Bislang sind die Bemühungen um eine Wiederherstellung von Stuckfassaden weitgehend auf Städte in den östlichen Bundesländern beschränkt, allen voran das vorbildliche Leipzig. Nach der Entstuckung kam noch die Kunststoffschindel-Mode der 70er Jahre, die vor allem viele ländliche Fachwerkhäuser traf. Und nun ist die „energetische Sanierung“ mittels Wärmedämmplatten dran. Aus diesem stets kulturell vernichtend wirkenden Zerstörungswerk kommen dann im Stadtbild Ergebnisse von extrem zweifelhafter Qualität heraus.
Diskutanten in den Architekturforen befürchten, daß die Attacke der Dämmplatten vor allem Westdeutschlands Stadtbilder nachhaltig zum Negativen umkrempeln könnte, da dort weniger Gebäude unter Denkmalschutz stehen, somit es keine Abwehrmechanismen gibt.
Treibende Kraft im Wärmedämm-Wahn sind die „Grünen“, die sich mit dem Argument des Klimaschutzes der Forcierung der Wärmedämmung verschrieben haben und konkrete Zeitpläne vorlegen.
Nun ist gegen Klimaschutz und energiepolitische Innovationen überhaupt nichts einzuwenden, eine Dämmorgie jedoch, deren kulturelle und gesundheitliche Folgen unabsehbar sind, ändert hingegen gar nichts an den ökologischen Verhältnissen, sondern vermindert allenfalls nur etwas deren Fahrt. Kritiker sehen zudem in dem Dämmplatten-Wahn keinen rechten Nutzen, so daß der Verdacht einer effektiven Lobby-Arbeit der Dämmplatten-Industrie im Raum steht. Interessant könnte bleiben, ob der Trend auch durch die Entwicklung neuer Techniken, dämmende Verputze, Innendämmung oder mindestens Ziegelsanierung gestoppt werden kann. Für das Haus in Kositzas alter Heimat käme das zwar zu spät. Unserer Baukultur und der Heilung unserer Ortsbilder wäre es aber zu wünschen.