Männersachen: Stehpinkler und demoralisierter Patriarchalismus

pdf der Druckfassung aus Sezession 27 / Dezember 2008

Männer heute sind Machos oder Memmen. Jungs leiden in der Schule und bringen sich häufiger um als Mädchen. Früher war das alles besser – oder wenigstens anders. Bei all den zeitgeistig hervorgebrachten Maskulinitäts-Krisen ist ein Faktum unbeachtet geblieben: Männer lesen wie verrückt! Und zwar Sachbücher über sich selbst und Vertreter ihres Geschlechts. Oder werden all die Neuerscheinungen zum Männer-Komplex von Frauen gekauft? Als wir in den Achtzigern weder Ina Deters Schrei „Neue Männer braucht das Land“ noch Grönemeyers Besinnungstext „Männer“ entgehen konnten, wurden jedenfalls nicht diese Massen zur männerspezifischen Nabel-, Hirn- und Herzschau verschriftlicht. Es muß was dran sein an der Rede vom Neuen Mann oder der Krise desselben. Zeit für Introspektiven! Die Frauensicht via Herman, Roche, Dorn et altera ist gerade durch, jetzt kommen die Männer. Nicht länger um Mannsbilder geht’s hier, sondern um „Männlichkeitsbilder“. Daß da im wesentlichen keine Leitbilder formuliert (die gelten als fragwürdig und werden dekonstruiert), sondern Leid-Bilder nachgezeichnet werden, ist nur logisch.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Wir soll­ten mit Wal­ter Holl­steins Buch (Was vom Man­ne übrig blieb. Kri­se und Zukunft des star­ken Geschlechts, Ber­lin: Auf­bau 2008. 300 S., 19.95 €) begin­nen; es ist eine Fund­gru­be. Es beinhal­tet alles, was man zum The­men­kom­plex Krisenmann/Männerdiskriminierung wis­sen kann. Ein paar Jah­re zuvor hat das meis­te davon bereits in opu­len­ter Fül­le Arne Hoff­mann in sei­nem Sind Frau­en die bes­se­ren Men­schen? auf­ge­schrie­ben – merk­wür­dig eigent­lich, daß gera­de die­ses ver­dienst­vol­le Werk in der dicken Lite­ra­tur­lis­te des Män­ner­for­schers Holl­stein fehlt, wie übri­gens auch Die­ter Schwa­nitz’ vor­treff­li­ches Buch Män­ner.

Holl­steins Fund­gru­be nun ist kein wohl­sor­tier­tes Schatz­käst­chen, sie gleicht einem Sam­mel­su­ri­um ohne kla­re Ord­nungs­kri­te­ri­en. Man­ches ist hier gleich x‑fach zu haben – etwa die viel­mals wie­der­hol­te Aus­sa­ge, daß Män­ner frü­her ster­ben als Frau­en und ande­re „Fak­ten“, die aber sel­ten den schla­gen­den Beweis für den Sach­be­stand „Män­ner­dis­kri­mi­nie­rung“ lie­fern. Auch bei ande­ren Fund­stü­cken – und Holl­stein, Sozio­lo­gie­pro­fes­sor, muß kis­ten­wei­se gesam­melt haben – ver­harrt man stau­nend: Mehr als sechs Mil­lio­nen Män­ner in Deutsch­land sei­en impo­tent! (Hat man Kin­der und Grei­se mit­ge­zählt?) Daß in Pfle­ge­hei­men die Män­ner­kli­en­tel unter zehn Pro­zent lie­ge, bleibt so frag­wür­dig wie die Quo­te der vater­lo­sen inhaf­tier­ten Jung­män­ner in den USA: Sind es nun 70 Pro­zent (S. 13) oder 80 Pro­zent (S.41)? Über eine gesell­schaft­li­che Benach­tei­li­gung von Män­nern sagt dies so wenig aus wie The­sen, wonach nur „ein ver­schwin­dend klei­ner Teil“ der Män­ner Freun­de habe. Daß Jungs von Müt­tern weni­ger Zärt­lich­keit erhal­ten, paßt gut zum femi­nis­ti­schen Grund­wis­sen, wonach (alles wis­sen­schaft­lich ver­brieft!) das Gegen­teil wahr sei. Und wie umge­hen mit Holl­steins (nega­tiv emp­fun­de­nem) Ein­druck, daß Medi­en und Wer­bung den Mann nur vital und dyna­misch zeich­nen? Reüs­siert der Mann nicht häu­fig genug als Däm­lack und Voll­trot­tel? Man­che Pas­sa­gen aller­dings lesen sich glän­zend, gera­de dort, wo Holl­stein nicht alt­be­kann­te Kli­schees refe­riert. Der Bezug auf die Stu­di­en Sus­an Falu­dis ist so ein Bei­spiel. Die scharf­sin­ni­ge Femi­nis­tin hat sich unter ande­rem mit dem aus­ein­an­der­ge­setzt, was sie „orna­men­ta­le Kul­tur“ nennt. Gemeint ist das, was via Bun­te, Vani­ty Fair, aber auch auf gewis­sen Sei­ten der FAZ als „gesell­schaft­li­ches Leben“ vor­ge­stellt wird – Gla­mour, Klatsch und Selbst­dar­stel­lung. Tra­di­tio­nel­le männ­li­che Wer­te spie­len auf die­sem bedeu­ten­den Markt kei­ne Rolle.

Das Grund­pro­blem mit Holl­stein ist, daß unklar bleibt, wie sei­ne geschlech­ter­ge­rech­te Visi­on aus­sä­he. Einer­seits beklagt er Schwin­den und Ver­ächt­lich­ma­chung männ­li­cher Wer­te (ja: bis hin zum Lob des geschmäh­ten, wie­wohl so „lust­vol­len“ Pin­kelns im Ste­hen!), ande­rer­seits sieht er die Män­ner­welt in einer „geschlechts­spe­zi­fi­schen Zwangs­ja­cke“ ste­cken. Sein Fazit klagt – und das ist das eigent­lich Erbärm­li­che – „die Poli­tik“ an. Daß es nicht in jeder Stadt Jun­gen­be­auf­trag­te gebe, daß der Inter­na­tio­na­le Män­ner­tag (wann noch mal?) nicht auf­ge­wer­tet wer­de und daß nicht mehr „Geschlech­ter­dia­lo­ge“ eta­bliert wür­den, wo sich „Män­ner und Frau­en wohl­wol­lend und pro­duk­tiv aus­tau­schen kön­nen“, gilt ihm als poli­ti­sches Defi­zit. Ein Schelm, wem da net­te­re Plät­ze als die poli­ti­sche Büh­ne für den zwie­ge­schlecht­li­chen, pro­duk­tiv-wohl­wol­len­den Aus­tausch einfielen.

Geht man von zwei Sei­ten pro Minu­te aus, die an Holl­stein-Lek­tü­re bewäl­tigt wer­den kön­nen, so redu­ziert sich das Lese-Pen­sum bei sei­nem Fach­kol­le­gen Chris­toph Kuck­lick (Das unmo­ra­li­sche Geschlecht. Zur Geburt der Nega­ti­ven Andro­lo­gie, Frank­furt: Suhr­kamp 2008. 380 S., 13.00 €) beträcht­lich. Der Jour­na­list bemüht in sei­ner Dok­tor­ar­beit, die er unter Gen­der Stu­dies ein­ge­reiht sehen will, Spra­che und Metho­dik, die zwi­schen Elo­quenz und Ver­stie­gen­heit lavie­ren. Kuck­lick ver­stand es schon in sei­nem Buch Feu­er­sturm (2003) zum Bom­ben­krieg gegen Deutsch­land, eine hei­ße Debat­te durch Sach­lich­keit abzu­küh­len. Wenn er nun die Hit­ze des Män­ner­dis­kur­ses run­ter­fah­ren will, indem er anführt, daß den „Kas­ka­den des Unbe­ha­gens gegen eine gan­ze Spe­zi­es“ (vul­go: den Gemein­plät­zen der Män­ner­ver­ach­tung) bereits bän­de­wei­se Men‘s Stu­dies gegen­über­stän­den, ver­schweigt er, daß eine ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit dem pop­kul­tur­fä­hi­gen Radi­kal­fe­mi­nis­mus allein in angel­säch­si­schen Gefil­den statt­fin­det. Wie auch immer – Kuck­lick warnt davor, die „Strahl­kraft aka­de­mi­scher Pro­gram­me“ (wie sie als Gen­der Main­strea­ming oder im Femi­nis­mus zuta­ge tre­ten) zu über­schät­zen. Er wid­met sich der „his­to­ri­schen Tie­fen­di­men­si­on“ des Männ­lich­keits­zwei­fels. Dem­nach sei das Unbe­ha­gen an Männ­lich­keit kei­ne Erfin­dung des 20. Jahr­hun­derts. Es sei „seit Anbe­ginn ins Gewe­be der Moder­ne geritzt“: Schon bei Hum­boldt, Kant und Hegel sei die „Idee einer ver­nünf­ti­gen Mas­ku­li­ni­tät, wie sie zumin­dest als Mög­lich­keit die abend­län­di­sche Geschich­te durch­zo­gen hat, zer­split­tert ange­sichts der Ver­dich­tung der Funk­ti­ons­sys­te­me.“ Heißt: jene „nega­ti­ve Andro­lo­gie“, die schon im Spott­lied des Mit­tel­al­ters ihren Platz hat­te, wird mit der Moder­ne zum all­ge­gen­wär­ti­gen Res­sen­ti­ment. Kuck­lick nutzt die­sel­ben früh­mo­der­nen Quel­len wie Femi­nis­tin­nen – nur greift er her­aus, was jene ver­schwei­gen. Damit revi­diert er gründ­lich die gän­gi­ge The­se, wonach Män­ner im bür­ger­li­chen Zeit­al­ter ein posi­ti­ves Bild von sich selbst ent­wor­fen hät­ten. Das Gegen­teil sei wahr: Die Kri­tik an männ­li­chen Eigen­schaf­ten und Tugen­den (heu­te vor allem eine femi­nis­ti­sche Fremd­zu­wei­sung) im Sin­ne einer refle­xi­ven Selbst­di­stan­zie­rung sei von Anfang an kon­sti­tu­ie­rend für die Moderne.
Wem das zu hoch ist, mag sich in die Nie­de­run­gen der The­ma­tik bege­ben. Das ist inso­fern kei­ne Schan­de, da Kuck­licks Ela­bo­rat ver­mut­lich nur einen Bruch­teil an Lesern erreicht, ver­gli­chen mit Oli­ver Kuhns lebens­prak­ti­schem Kom­pen­di­um (Alles, was ein Mann wis­sen muß. Vade­me­cum für alle Lebens­la­gen, Mün­chen: Droe­mer 2007. 320 S., 24.95 €) Kuhn ist Play­boy-Redak­teur und soll­te daher wis­sen, „was Sache ist“ und wo Nach­hil­fe von­nö­ten wäre. Über­le­bens­tech­ni­ken, Kurzwis­sen zu Welt­re­li­gio­nen, Begat­tungs­tricks – so wird ein Mann zum Mann. Komisch nur, daß ama­zon mir anbie­tet, das Buch auf mei­ne (von mir nie erstell­te) „Hoch­zeits­lis­te“ zu set­zen. Setzt man dort vor­aus, daß mein ange­nom­me­ner Zukünf­ti­ger ein Anfän­ger ist – oder hält man Sieb­zehn­jäh­ri­ge für ehe­fä­hig? Klu­ge Frau­en wür­den eher Kuck­lick kaufen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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