zum “revolutionären 1. Mai” kundtun dürfen, als Experte sozusagen – er zieht ja einen Großteil seiner Popularität daraus, daß er der Mann vor Ort ist, immer mittenmang, immer mit der Aura umgeben, den ein oder anderen Steineschmeißer doch persönlich zu kennen.
Heute morgen trat Ströbele also wieder einmal für die Repolitisierung des 1. Mai ein, und er sang das Loblied der Straße, auf die man gehen müsse, um der Bevölkerung und den Medien die eigenen Inhalte nahezubringen, und “damit das in die normalen Medien reinkommt”:
und daß man nicht nur darüber redet, ob jetzt ein paar hundert Leute, die da sich auch beteiligen, ob die aufgrund des Übergenusses von Alkohol oder auch aus anderen Gründen jetzt da Randale machen.
Die Moderatorin war aber gut präpariert und hat Ströbele diese Verharmlosung nicht gleich durchgehen lassen:
Bürger: Gut, also ohne Alkohol und ziemlich nüchtern sind aber auch Aufrufe überschrieben zum Beispiel mit dem Slogan “Berlin is burning”, Berlin brennt also, hohe Miete und Verdrängung setzen die Stadt in Brand. Daraus spricht doch auch so was wie Lust am Abfackeln, oder nicht?
Ströbele: Nein, das ist ein – ich sag es jetzt mal in Anführungsstrichen – “Spielen” mit solchen Worten, um vorzukommen in der öffentlichen Diskussion. Aber Sie sehen doch selbst aus diesen Forderungen, da ist doch ein politischer Inhalt drin. Wenn man jetzt sagen würde, wir sind gegen höhere Mieten und wir möchten gerne weiter in unserem Kiez wohnen, dann käme das nicht an. Wenn man das aber so verpackt, wie Sie es jetzt vorgelesen haben, dann meint man – ich bin da ja auch, stehe ja nicht hinter diesen Parolen -, aber dann meint man, dann klingt da an, sonst brennt Berlin. Was da gemeint ist, ist, daß das politische Problem auf den Nägeln brennt. Aber man drückt das halt so aus, und genauso sind diese Bilder, die jetzt im Fernsehen ständig gezeigt werden. Da versucht man, indem man das aufnimmt, diese Diskussion über Gewalt und Angst und Schrecken zu verbreiten, versucht man, in die Wahrnehmung reinzukommen. Weil es ist leider so, so war das schon in APOs Zeiten, so war das in all den Jahrzehnten dazwischen, daß über 10.000 Leute, die auf der Straße sind und eine politische Forderung artikulieren, in einem Fünfzeiler berichtet wird, aber wenn ein brennendes Auto dabei ist, dann kommen sie auf die Titelseiten und in die Tagesschau.
Ich habe die entscheidende, lächerliche Passage fett gemacht, weil sie das ganze windelweiche, heuchlerische Gewäsch von Ströbele auf den Punkt bringt: Warum sagt er nicht einfach, daß er die Gewalt für ein legitimes Mittel des Widerstands hält, des Widerstands gegen eine Gesellschaft, die ihm ideologisch nicht in den Kram passen kann? Wenn man das Land für so am Ende hält wie Ströbele, dann führen Diskussionen zu gar nichts mehr, dann muß man tatsächlich den 1. Mai als revolutionären Tag haben wollen – und nicht nur den 1. Mai.
Aber, das jetzt als Mutmaßung: Ströbele kann zwar ideologisch nichts anfangen mit der BRD in ihrer jetzigen Gestalt – für sich selbst aber hat er das Beste rausgeholt, die fetten Jahre sind für ihn als Bundestagsabgeordneten noch lange nicht vorbei. Kurz gesagt: Rechtfertigungsdruck entsteht für Ströbele Monat für Monat dann, wenn wieder die dicke Überweisung aus dem Bundeshaushalt kommt.
Ich würde mich herzlich bedanken bei Ströbele, wäre ich ein linker Revoluzzer, der es ab heute abend wieder so richtig krachen lassen möchte. Ich würde meine Fingernägel betrachten und mir die Frage stellen, ob es tatsächlich nur darunter brennt – oder ob nicht doch der nächste Mercedes als weitere Flamme der Revolution auflodern sollte, korrespondierend mit meinem brennenden Herzen, in dem der Wunsch nach einem neuen 1917 (und der uneingestandene nach einem neuen 1933) gewärmt wird – ungeachtet der Metaphorik Ströbeles.
Und als Angehöriger der Division Antaios betrachte ich mir den oben abgebildeten Aufruf zum 1. Mai 1913. Der zweite Festredner hat ja dann in der Folge eine erstaunliche politische Biographie hinter sich gebracht. Wer redet eigentlich dieses Jahr? Der brennende Ströbele?
Andreas Kröpcke
Und Ihr, liebe SiN-Leser, werdet sagen können, Ihr seid dabei gewesen. (Wofern Ihr Euch nur heute abend und morgen früh genügend über die Kids und ihre Streiche in Berlin und anderswo aufgeregt habt.) ;-)