Romain Gavras und die Ästhetik der Gewalt

Der junge französische Regisseur Romain Gavras produziert Musikvideos, die Skandale auslösen. 2008 entwarf er für Justice den Musikclip zu „Stress“, in dem eine Jugendgang aus den banlieues in Aktion zu sehen ist.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

Nun hat er wie­der mäch­tig Staub auf­ge­wir­belt: Für die bri­ti­sche Musi­ke­rin M.I.A. hat er einen neun­mi­nü­ti­gen Clip zu „Born Free“ gedreht, der unter ande­rem die Exe­ku­ti­on eines klei­nen Jun­gen zeigt.

In „Stress“ greift Gav­ras die Gewalt­tä­tig­keit jun­ger Immi­gran­ten aus den Vor­or­ten von Paris auf. Er über­zeich­net die real exis­tie­ren­den Pro­ble­me und kom­pri­miert sie auf etwas mehr als sechs Minu­ten, was für ein Musik­vi­deo sehr lang ist. Dabei ver­zich­tet der Regis­seur sowohl auf Sus­pen­se als auch Über­ra­schungs­mo­men­te. Die Gewalt im Bus, im Wohn­block und auf der Stra­ße geschieht ein­fach und der Zuschau­er ist haut­nah mit dabei, so als ob er selbst die Hand­ka­me­ra hal­ten würde.

Als die­ses pro­vo­kan­te Video ver­öf­fent­licht wur­de, dau­er­te es nicht lang, bis You­tube es lösch­te. Doch inzwi­schen ist „Stress“ wie­der online und Gav­ras hat dafür 2008 sogar den „UK Music Video Award“ in der Kate­go­rie Best Inter­na­tio­nal Video erhalten.

Bei dem vor etwa zwei Wochen her­aus­ge­brach­ten Clip zu „Born Free“ kommt die Pro­vo­ka­ti­ons­stra­te­gie von Gav­ras erneut zum Ein­satz. Wie­der spiel­te You­tube mit und lösch­te das Video zunächst. Dar­auf­hin waren die Zei­tun­gen voll mit Zen­sur­vor­wür­fen gegen das Por­tal und „Born Free“ in aller Mun­de. Der Rück­zie­her folg­te dies­mal jedoch schnel­ler und so kön­nen der­zeit zumin­dest alle ange­mel­de­ten You­tube-Nut­zer über 18 Jah­ren das Video ansehen.

Dar­in begibt sich eine ame­ri­ka­ni­sche Son­der­ein­heit in einem her­un­ter­ge­kom­me­nen Vier­tel in Los Ange­les auf die Suche nach Rot­haa­ri­gen. Dazu stürmt sie Wohn­blocks, prü­gelt will­kür­lich auf Leu­te ein und ver­haf­tet die Gesuch­ten. Die selek­tier­ten jun­gen Män­ner wer­den dann in ein Lager gebracht und dort auf ein Minen­feld gejagt. Einer der Poli­zis­ten erschießt den jüngs­ten der Rot­haa­ri­gen, die meis­ten ande­ren zer­fetzt es auf dem Minenfeld.

Was soll nun die Zur­schau­stel­lung die­ses Gemet­zels? Schaut man sich den Lebens­lauf der Künst­le­rin M.I.A. an, dann wird schnell deut­lich, daß „Born Free“ eine dras­ti­sche Ankla­ge gegen die Anti-Ter­ror-Poli­tik der USA sein soll. „Je nach Aus­le­gung kann jeder das Pech haben, als Ter­ro­rist zu gel­ten“, sag­te sie der WELT.

Gav­ras und M.I.A. bege­hen zum Glück nicht den Feh­ler, in Inter­views ihr Video aus­führ­lich zu erklä­ren und zig Distan­zie­rungs­for­mu­la­re aus­zu­fül­len. Im Gegen­teil: „Born Free“ wirkt so ein­dring­lich, weil auf jeg­li­che iro­ni­sche oder post­mo­der­ne Bre­chung ver­zich­tet wird.

Dras­tik ist eines der am meis­ten miß­brauch­ten Stil­mit­tel in der Kunst und Kul­tur­in­dus­trie, denn ohne Tabu­brü­che und das Aus­lö­sen ulti­ma­ti­ver Schocks erhält heu­te kaum noch jemand Beach­tung. Die Argu­men­te der Befür­wor­ter und Geg­ner von Dras­tik dre­hen sich dabei wei­test­ge­hend im Kreis. Je nach Aus­gangs­fra­ge wird dras­ti­schen Dar­stel­lun­gen von Kri­ti­kern eine abstump­fen­de oder abhär­ten­de Wir­kung nach­ge­sagt. Soll ein weit­ver­brei­te­tes Des­in­ter­es­se begrün­det wer­den, dann zieht man das Abstump­fungs­ar­gu­ment aus dem Hut. Gilt es jedoch den Amok­lauf eines Schü­lers zu erklä­ren, dann haben Gewalt­fil­me und ‑video­spie­le zu der vor­an­ge­gan­ge­nen Abhär­tung bei­getra­gen. Die Befür­wor­ter von Dras­tik hin­ge­gen gehen davon aus, daß der Rezi­pi­ent das Gese­he­ne distan­ziert und eine mora­li­sche Läu­te­rung erfährt. Eine wei­te­re Grup­pe will Dras­tik­dar­stel­lun­gen schlicht­weg als wert­freie Kunst ver­stan­den wissen.

Die Vide­os von Romain Gav­ras gehö­ren sicher­lich zu den weni­gen Aus­nah­men, die den Befür­wor­tern recht geben. Und zwar weil er poli­ti­sche Bot­schaf­ten ver­mit­telt und die insze­nier­te Gewalt nicht zum Selbst­zweck ver­kom­men läßt.

Bild: Screen­shot aus „Born Free“

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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