Gender mainstreaming ganz praktisch

In den Schulklassen meiner Töchter gibt es keine extravaganten Typen, die ich  in meiner Jugend durchaus kannte.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Damit mei­ne ich Jugend­li­che, die sich optisch und habi­tu­ell von den ande­ren her­vor­ho­ben. Sei es als Trend­set­ter, die irgend­wel­che Acces­soires oder Hal­tun­gen schon mit sich tru­gen, bevor sie Mona­te oder Jah­re spä­ter irgend­wie volks­tüm­lich wur­den; oder als selbst­si­che­re Außen­sei­ter, die sich den Moden ver­wei­ger­ten, indem sie ent­we­der den Stil einer ent­le­ge­nen Sub­kul­tur sich anver­wan­del­ten oder ein ganz eige­nes „Selbst­kon­zept“ kreierten.

Anschei­nend ist es heu­te so, daß Moden ers­tens mit rasen­der Zeit glo­ba­li­siert wer­den (die däm­li­che Jung­män­ner­haar­mo­de mit schräg und weich in die Stirn fal­len­dem Pony hielt ich vor Jah­ren so lan­ge für ein Dorf-Ossi-Syn­drom, bis ich end­lich fest­stell­te, daß man die­sen Sof­tie-Look genau­so in Ber­lin trägt)  und zudem ein Aus­bre­chen aus Kon­ven­tio­nen schwie­ri­ger ist.

Jemand mit grü­nen Haa­ren oder einem Ring in der Lip­pe wur­de zu mei­ner Zeit als kraß pro­vo­ka­tiv ange­se­hen, heu­te ruft der­glei­chen nicht mal mehr ein Schul­ter­zu­cken her­vor. Die Mög­lich­kei­ten der Selbst­dar­stel­lung sind heu­te brei­ter auf­ge­fä­chert, aller­dings inner­halb eines Haupt­stroms, der umso rei­ßen­der ist. (Außen­sei­ter gibt´s natür­lich immer noch, das sind die extrem Dicken und ein paar Intro­ver­tier­te, an denen die Züge der Zeit halt­los vorbeirasen.)

Ein paar Details der rela­tiv gleich­för­mi­gen „Jugend­kul­tur“ jen­seits des Offen­sicht­li­chen sind mir bis vor kur­zem völ­lig ent­gan­gen: das Aus­maß des Hypes um Jus­tin Bie­ber, gewis­se Man­ga-Trends sowie Stu­fen der Pornographisierung.

Über Jus­tin Bie­ber, den 16jährigen Pop-Hel­den aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, las ich ver­gan­ge­ne Woche in der FAZ, daß der in einem Inter­view nicht gewußt habe, was „ger­man“ bedeu­te. Die Exis­tenz eines Lan­des „Ger­ma­ny“ ist anschei­nend nie zu sei­nen Ohren gedrun­gen. Ist Jus­tin Bie­ber beson­ders wich­tig? Für Mil­lio­nen Teen­ager anschei­nend ja. Mei­ne Toch­ter berich­te­te von einem „Psy­cho­test“, der wohl in der Bra­vo zur Ver­fü­gung gestellt wur­de und den Pro­ban­den Ant­wort auf die Fra­ge gab: „Wie­viel Jus­tin Bie­ber steckt in dei­nem Freund?“ „Alle schwär­men für Jus­tin Bie­ber“, erzählt die Toch­ter, „ganz extrem sogar“, und natür­lich habe jede die­sen Test gemacht, auch ohne eige­nen Freund. In der Tat ist aus­ge­rech­net die­ser Bub, der stark an Heint­je, den Schwarm unse­rer Müt­ter erin­nert, zu einem Sex­sym­bol selbst für Frau­en mei­nes Alters avan­ciert. Ein Video, das ich mir bei you­tube anschau­te, hat­te außer mir noch 25 Mil­lio­nen Zuschaue­rin­nen. Ja, ein net­ter, nied­li­cher, gaanz lie­ber Kerl! Nur, wor­auf ver­weist gera­de die Inthro­ni­sa­ti­on die­ses schmäch­ti­gen Schmacht­ers als Traum­mann Nr. 1?

Zur Man­ga-Sache: Anschei­nend sind Sho­nen Ai ‑Man­ga der­zeit bei Mäd­chen voll im Trend. Ein paar Freun­din­nen mei­ner Töch­ter zeich­nen selbst enthu­si­as­tisch Comics in jenem japa­ni­schen Stil und ste­hen als Kon­su­men­tin­nen beson­ders auf Sho­nen Ai, das von deut­schen Ver­la­gen auch unter der Rubrik Boys Love geführt wird. Dar­in geht es um phan­tas­ti­sche Lie­bes­be­zie­hun­gen (auch ero­ti­scher, vor­wie­gend aber emo­tio­na­le­ner Art) zwi­schen Kna­ben. Im Bör­sen­blatt des Deut­schen Buch­han­dels las ich, daß jenes Gen­re der gezeich­ne­ten Schwu­len-Lie­bes­ge­schich­te der­zeit das erfolg­reichs­te im Man­ga-Bereich ist – Ziel­grup­pe sind wohl­ge­merkt nicht Homo­se­xu­el­le, son­dern Mäd­chen.  Ein eini­ger­ma­ßen befremd­li­cher Trend.

Zuletzt: Johan­nes Ger­nets her­vor­ra­gen­dem Buch Gene­ra­ti­on Por­no ent­nahm ich, daß bereits 15jährige, egal wel­chen Geschlechts, heu­te nahe­zu durch­ge­hend mit Hard­core-Por­no­gra­phie kon­fron­tiert wor­den sei­en. Eine Behaup­tung, die ich doch für leicht über­trie­ben hielt! Nach­fra­ge bei den Töch­tern, 12 und 13: Klar, Ver­ge­wal­ti­gungs­vi­de­os oder ande­re bes­tia­li­sche Sequen­zen haben vie­le Jungs aus ihren Klas­sen auf den Han­dies, in den Pau­sen wer­de so was unter gro­ßen „Boah“ und „hoho­ho“ lau­fend rumgezeigt.

Jus­tin Bie­bers zar­te Stim­me, gefüh­li­ge Schwu­len­co­mics einer­seits und die Popu­la­ri­sie­rung der ganz har­ten Tour ande­rer­seits – wie das wohl zusam­men­paßt? Anschei­nend ganz gut.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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