Damit meine ich Jugendliche, die sich optisch und habituell von den anderen hervorhoben. Sei es als Trendsetter, die irgendwelche Accessoires oder Haltungen schon mit sich trugen, bevor sie Monate oder Jahre später irgendwie volkstümlich wurden; oder als selbstsichere Außenseiter, die sich den Moden verweigerten, indem sie entweder den Stil einer entlegenen Subkultur sich anverwandelten oder ein ganz eigenes „Selbstkonzept“ kreierten.
Anscheinend ist es heute so, daß Moden erstens mit rasender Zeit globalisiert werden (die dämliche Jungmännerhaarmode mit schräg und weich in die Stirn fallendem Pony hielt ich vor Jahren so lange für ein Dorf-Ossi-Syndrom, bis ich endlich feststellte, daß man diesen Softie-Look genauso in Berlin trägt) und zudem ein Ausbrechen aus Konventionen schwieriger ist.
Jemand mit grünen Haaren oder einem Ring in der Lippe wurde zu meiner Zeit als kraß provokativ angesehen, heute ruft dergleichen nicht mal mehr ein Schulterzucken hervor. Die Möglichkeiten der Selbstdarstellung sind heute breiter aufgefächert, allerdings innerhalb eines Hauptstroms, der umso reißender ist. (Außenseiter gibt´s natürlich immer noch, das sind die extrem Dicken und ein paar Introvertierte, an denen die Züge der Zeit haltlos vorbeirasen.)
Ein paar Details der relativ gleichförmigen „Jugendkultur“ jenseits des Offensichtlichen sind mir bis vor kurzem völlig entgangen: das Ausmaß des Hypes um Justin Bieber, gewisse Manga-Trends sowie Stufen der Pornographisierung.
Über Justin Bieber, den 16jährigen Pop-Helden aus den Vereinigten Staaten, las ich vergangene Woche in der FAZ, daß der in einem Interview nicht gewußt habe, was „german“ bedeute. Die Existenz eines Landes „Germany“ ist anscheinend nie zu seinen Ohren gedrungen. Ist Justin Bieber besonders wichtig? Für Millionen Teenager anscheinend ja. Meine Tochter berichtete von einem „Psychotest“, der wohl in der Bravo zur Verfügung gestellt wurde und den Probanden Antwort auf die Frage gab: „Wieviel Justin Bieber steckt in deinem Freund?“ „Alle schwärmen für Justin Bieber“, erzählt die Tochter, „ganz extrem sogar“, und natürlich habe jede diesen Test gemacht, auch ohne eigenen Freund. In der Tat ist ausgerechnet dieser Bub, der stark an Heintje, den Schwarm unserer Mütter erinnert, zu einem Sexsymbol selbst für Frauen meines Alters avanciert. Ein Video, das ich mir bei youtube anschaute, hatte außer mir noch 25 Millionen Zuschauerinnen. Ja, ein netter, niedlicher, gaanz lieber Kerl! Nur, worauf verweist gerade die Inthronisation dieses schmächtigen Schmachters als Traummann Nr. 1?
Zur Manga-Sache: Anscheinend sind Shonen Ai ‑Manga derzeit bei Mädchen voll im Trend. Ein paar Freundinnen meiner Töchter zeichnen selbst enthusiastisch Comics in jenem japanischen Stil und stehen als Konsumentinnen besonders auf Shonen Ai, das von deutschen Verlagen auch unter der Rubrik Boys Love geführt wird. Darin geht es um phantastische Liebesbeziehungen (auch erotischer, vorwiegend aber emotionalener Art) zwischen Knaben. Im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels las ich, daß jenes Genre der gezeichneten Schwulen-Liebesgeschichte derzeit das erfolgreichste im Manga-Bereich ist – Zielgruppe sind wohlgemerkt nicht Homosexuelle, sondern Mädchen. Ein einigermaßen befremdlicher Trend.
Zuletzt: Johannes Gernets hervorragendem Buch Generation Porno entnahm ich, daß bereits 15jährige, egal welchen Geschlechts, heute nahezu durchgehend mit Hardcore-Pornographie konfrontiert worden seien. Eine Behauptung, die ich doch für leicht übertrieben hielt! Nachfrage bei den Töchtern, 12 und 13: Klar, Vergewaltigungsvideos oder andere bestialische Sequenzen haben viele Jungs aus ihren Klassen auf den Handies, in den Pausen werde so was unter großen „Boah“ und „hohoho“ laufend rumgezeigt.
Justin Biebers zarte Stimme, gefühlige Schwulencomics einerseits und die Popularisierung der ganz harten Tour andererseits – wie das wohl zusammenpaßt? Anscheinend ganz gut.